Zitate Uwe Post, 20.11.
> Ich fände es sogar ziemlich fatal, wenn die Jurys von KLP und/oder DSFP über verschäftte literaturwissenschaftliche
> Qualifikation verfügen und womöglich ausschließlich nach solchen Kriterien urteilen würden.
Ich weiß nicht, von woher der Begriff "literaturwissenschaftlich" in die Diskussion kommt. Ich habe jedenfalls nichts
dergleichen gefordert. Die Rede war von professionell Literaturschaffenden, ganz gleich, ob als Autor, Übersetzer
oder Redakteur. Der Unterschied zwischen einem Literaturschaffenden und einem Literaturwissenschaftler ist
ungefähr wie der zwischen einem Koch und einem Lebensmittelchemiker. Aus der Perspektive des letzteren kann
man nicht unbedingt sachgerecht beurteilen, was ein Gourmet-Koch gezaubert hat.
In einer kleinen Szene wie der unseren, wo nicht mehr viele ihr Geld ausschließlich mit der SF-Produktion verdienen,
ist es natürlich sinnvoll, den Begriff "Profi" zu definieren. Auf die meisten in Frage kommenden Personen paßt eher
der im Englischen gebräuchliche Begriff "semi-pro". Das heißt: aufgrund der Umstände nicht der Lage, ausschließlich
von den Einkünften seiner Tätigkeit zu leben, aber mit professionellen Ansprüchen an Handwerk, Sprache, Machart,
Produktionsqualität etc.
Nach meiner Erfahrung sind sich Leute, die ich in diesem Sinne als Profis bezeichnen würde, erstaunlich einig, was
die Einordung von Werken als Spitzenleistungen bzw. als Totalausfälle angeht. Sogar zwei sehr unterschiedliche Typen
wie z.B. Helmuth Mommers und ich gehen dabei zu gut 90% konform. Strittig ist eher die relative Einordnung dessen,
was man als mittelprächtig beurteilen würde, was da besser oder schlechter ist.
> Eines funktioniert nämlich nicht: Der Leserschaft irgendwelche Qualitätskriterien aufzuzwingen.
Man kann niemandem Qualitätskriterien aufzuzwingen, nicht mal Politikern. Das ist ein Reifeprozeß, den jeder aus
eigenem Antrieb unternimmt oder auch nicht. Es ist völlig legitim, wenn jemand, ohne Interesse an Kultur und Literatur,
ausschließlich nach eigenem Gusto, wie ihm die Nase gewachsen ist, seine Lektüre auswählt. Er ahnt womöglich nicht,
was ihm entgeht, oder es ist ihm egal. Seine Sache.
Wer allerdings einen Literaturpreis vergibt und an die Öffentlichkeit tritt, um "das Beste" aus einem bestimmten Metier
oder Zeitraum auszuzeichnen, tritt mit einem anderen Anspruch an. Der operiert zwangsläufig, ob implizit oder explizit,
mit Qualitätskriterien und muß sich gefallen lassen, daß man ihn fragt, wie er denn das "Beste" beurteilt. In meinem
Interview mit Fantasyguide habe ich meine Zweifel an der Vergabepraxis des KLPs mit einigen Beispielen begründet.
Wenn darüber hinweg gelesen wird, ist das nicht mein Fehler.
> Dann würden nämlich nur noch Werke gewinnen, mit denen der Großteil der Leserschaft nichts anzufangen weiß.
Solche Äußerungen setzen voraus, daß die "Leserschaft" ein monolitischer Block ist oder daß es so etwas wie "den
Leser" schlechthin überhaupt gibt. Wie unkalkulierbar und widersprüchlich die Masse der Leserschaft (nicht nur der
SF) ist, zeigt ein Blick auf die Weltbestseller der letzten Jahrzehnte. Auf der einen Seite hat man "Shades of Grey"
oder die Schinken von Dan Brown, auf der anderen Seite Bücher wie Umberto Ecos "Der Name der Rose", Chinua
Achebes "Things Fall Apart" oder Arundathi Roys "The God of Small Things", alles mehrfache Millionenseller.
Unterschiedlicher können Bücher, vom Charakter wie vom Schwierigkeitsgrad, kaum sein. Irgendwelche klare
Erkenntnisse über den "Großteil des Leserschaft" kann ich hier kaum dingfest machen. Gäbe es die, könnte man
Bestseller planen, und damit sind nicht nur diverse Harry-Potter- und Dan-Brown-Imitatoren auf die Nase gefallen.
Ich fürchte, was Du meinst, Uwe, ist etwas ganz anderes: Der kleinste gemeinsame Geschmacksnenner des
durchschnittlichen SF-Lesers in Deutschland. Und das ist, mit Verlaub, eine sehr enge und begrenzte Perspektive,
die für den einen oder anderen ausreichend sein mag, für einen Liteaturpreis, gleich welcher Art, aber bestimmt
nicht. Ich hab's schon anderer Stelle gesagt und wiederhole es gern: Die SF ist nicht der Nabel der Welt, und
unsere kleine Szene ist es schon gar nicht.
Gruß
Michael
Bearbeitet von Michael Iwoleit, 26 November 2017 - 03:11.