Teil 1: Meine Auseinandersetzung mit der Eismaschine
Als NOVA 27 herauskam, habe ich die Story gelesen und gedacht: „Das soll wohl eine Art Utopie-des-enthemmten-Trieb-Auslebens sein. Den Trieben kommen dann echte Gefühle dazwischen. Es endet zwar tragisch, aber die Botschaft bleibt: Liebe ist wichtiger als Sex. Na ja. Stilistisch beeindruckend, aber trotzdem krudes Zeug. Ich lese lieber gleich weiter.“
Dann habe ich die Nominierung gesehen und gedacht: Echt jetzt? Die KLP-ler stehen ausgerechnet auf sowas? Das rückt den Preis ja in eine merkwürdige Ecke. Eine, in der Hardcore-Pornos und Gewalt okay sind.
Ich habe die Geschichte dann nochmal angeschaut. Teils detailliert, teils nur überflogen. Danach war ich noch irritierter als vorher. Für eine „Triebe vs. Liebe“-Story hätte es die kritischen Inhalte in dieser Form nicht gebraucht. Der männliche Hochkonsument hätte nicht so lupenrein aus schlimmsten männlichen Klischees bestehen müssen. Außer wollüstigen und blutrünstigen hätte er ja auch geschlechtsunspezifische Träume haben können. Verlangen nach Rausch, feinen Speisen, neuen Waren zu seiner Unterhaltung. Immerhin ist er Hochkonsument. Frauen hätte man nicht ausschließlich in Form der weiblichen Gespielin darstellen müssen, die nur lebendiges Sexspielzeug ist. Ein kleiner Hinweis, dass irgendwo anders auch Hochkonsumentinnen existieren, die von der KI ebenso umsorgt werden wie ihre männlichen Gegenparts, hätte einen großen Unterschied gemacht. Und dann dieses furchtbare Gerede von Übermenschen, von höherwertigem und niederem menschlichen Leben. Braucht es das überhaupt? Hätte man den Mist nicht einfach weglassen können?
Wenn man die Ausrichtung der Geschichte so versteht wie Frank, rechtfertigt das meines Erachtens bzgl. der männlichen Hauptfigur die einseitige Charakterisierung durch Gewalt. Weil genau dieser Aspekt dann im Mittelpunkt steht. Die Darstellung von Frauen und der Übermenschen-Ideologie sehe ich auch in dieser Lesart noch mehr als kritisch.
Zurück zu mir: Ich war wirklich gereizt. Habe mich gefragt, ob der Autor mit den brisanten Inhalten gedankenlos umgegangen ist. Oder ob er diese, warum auch immer, nicht ausbalancieren oder weglassen wollte, obwohl die Erzählung darunter meines Erachtens nicht gelitten hätte. Kann natürlich sein, dass nur ich mir solche Fragen stellen musste. Während die meisten Leser sofort verstanden haben, wie die Puzzleteile zusammenpassen. Ich behaupte aber mal, dass die Geschichte lang und komplex genug ist, dass sich auch andere in ihr verlaufen wie in einem Labyrinth. Weswegen ich ja sage, dass man die Nominierung besser mit einem Wegweiser verbunden hätte.
Ich selbst bin erst nach dem dritten Lesen zu einem Verständnis gelangt, von dem ich finde, dass es sowohl der Geschichte, als auch meinen Bedenken gerecht wird. Auf zu Teil 2.
Teil2: Meine Lesart der Eismaschine.
Für mich passen die Einzelteile der Geschichte zusammen, wenn man das Pferd von hinten aufzäumt. Also von der Hintergrundgeschichte (dem Weltenbau) ausgeht und auf dieser Basis die eigentliche Handlung interpretiert.
Die posthumane Welt der Erzählung wurde von den Menschen, zusammen mit KIs, absichtlich so gestaltet. Gestaltungsprinzip waren dabei absurde Vorstellungen, wie sie die „Rassenhygieniker“ des 20.Jahrhunderts verbreitet haben. Insbesondere die Trennung höherwertigen Lebens von niederem. Mit einem Übermenschen an der Spitze der Hierarchie. Diese Vorstellungen sind grässlich, aber sie wurden tatsächlich mal von Menschen als Utopie bezeichnet. Es ist für mich grundsätzlich akzeptabel, diese wirren Ideen in einer Erzählung zu verarbeiten, solange ein Mindestmaß an kritischer Distanz gewahrt bleibt. Dass die resultierende Story eine Zumutung ist, verwundert nicht - es wäre im Gegenteil schlimm, wenn sie es nicht wäre.
Die Handlung spielt in einer fernen Zukunft, in der die Entwicklung an ihrem letztendlichen Ziel angekommen ist. Die Rassentrennung ist so weit fortgeschritten, dass die Menschheit in verschiedene posthumane Arten zerfallen ist. Was ausgerechnet für den Übermenschen, diesen Sieger des Systems, zu einer paradoxen Situation führt: Seine Jäger- und Raubtier-Instinkte werden nicht mehr benötigt. Weil es schlicht niemanden mehr gibt, den er unterdrücken müsste. Die Arten sind getrennt, die KI überwacht den Status Quo. Also lebt der Hochkonsument seine Aggressivität zum Zeitvertreib aus und versumpft ansonsten vor sich hin (woran die KI nicht unschuldig ist).
Diesem einsamen, aber zur Mentalität des „Hochkonsumenten“ passenden Dasein kommen Gefühle für seine Gespielin in die Quere. Jetzt würde er sich gern vom Übermenschen zurückentwickeln zu einem Menschen, der menschliche Gefühle leben kann. Weil er erkennt, was er auf dem Weg zum Übermenschen verloren hat. Der Weg zurück zum ursprünglichen Menschen ist ihm aber längst versperrt, denn die Trennung der Menschen in separate Arten ist längst irreversibel.
In Summe laufen die alten Vorstellungen der Rassenhygieniker damit auf einen Zustand hinaus, in dem selbst der Sieger in einer Dystopie lebt. Und zwar nicht unbedingt, weil auf dem Weg etwas schiefgegangen wäre. Sondern weil es die logische Konsequenz dieses Unfugs ist. Was diesen Unfug auf eine für mich neue Art widerlegt.
Für diese Lesart sind Artentrennung und Übermensch offensichtlich unverzichtbare Bestandteile.
Die Reduktion von Frauen auf willige Gespielinnen gibt die Denkweise der Ideologie wieder. (Klassischer wäre die Reduktion auf Gebärmaschinen gewesen. Über Sex lässt sich aber der Bogen zum gewalttätigen Übermenschen sehr viel besser spannen.)
Der Übermensch ist in dieser bescheuerten Denkweise selbstredend männlich. Er ist Frauen ebenso übergeordnet wie anderen Menschenarten. Die Existenz von Hochkonsumentinnen würde zu diesem Weltbild nicht passen. Der Hochkonsument hätte durchaus weitere Eigenschaften haben können außer den genannten. Wenn aber im Kern herausgearbeitet werden soll, wie sinnlos seine Aggressivität ist, dann lässt sich das anhand von Wollust und blutrünstigen Kämpfen am deutlichsten zeigen.
Die Reduktion der Menschenarten auf wenige, charakteristische Eigenschaften kann man auch als Teil des Stils sehen. In meinen Augen ist die Story feiner Neo-Cordwainer-Smith-Stoff. (Andere ordnen sie bestimmt anders ein.) Was einerseits schlimmste sexistische Klischees sind, stellt in der Denkweise der menschenverachtenden Rassenideologie Archetypen von Männlichkeit und Weiblichkeit dar. (Thomas Harbach von Robots&Dragons spricht von Chiffren. Ich glaube, er meint Ähnliches.) Die Verwendung solcher Archetypen passt zum Stil, bei dem Teile der Hintergrund-Welt skizzenhaft bleiben, beinahe mythisch. (Mich erinnert sogar das Wort „Hochkonsument“ stilistisch an Smiths „Instrumentalität“, aber das ist eine gewagte Spekulation.)
Was die KI angeht, hätte ich es bevorzugt, sie bliebe neutral und würde nur den Status Quo absichern. Dann würde sie das System der Artentrennung als solches repräsentieren und somit die Systemkritik betonen. Sie verfügt aber über eigenen Charakter: Sie hat den Alpha-Wolf namens Hochkonsument in ein dressiertes Haustier verwandelt, das artig Stöckchen holt, anstatt selbst zu denken. Damit hat sich am Ende die KI selbst zur Krone der Schöpfung aufgeschwungen. Auch eine gute Pointe, die nur leider Stringenz aus der Anti-Rassenhygiene-Argumentation nimmt.
Aufpassen muss man als Leser auch bei der Erzählstimme. Die gibt es nämlich, es wird keineswegs ausschließlich aus der Sicht des Hokons erzählt. Beim Betrachten alter Filme der menschlichen Vorläufer spricht die Stimme von unterschiedlichen „Rassen“. Ein Begriff, den man in Bezug auf Menschen in Deutschland eigentlich nicht mehr verwendet und mit dem man in diesem Kontext besonders vorsichtig umgehen sollte. Die Aussage ist akzeptabel, wenn man die Erzählstimme innerhalb der erzählten Welt verortet, so dass sie nur deren perverse Weltsicht wiederkäut. Zur Frage, wie man die Erzählstimme einordnen soll, finde ich keine direkten Hinweise. Man kann ihren Charakter wohl am ehestens daraus erschließen, dass sie auch die folgende Aussage macht: „Zugleich befriedigte sie [die Bekämpfung] das männliche Bedürfnis, im Blut und den Eingeweiden getöteter Feinde zu wühlen.“ Okay. Das kann nicht ernst gemeint sein, zumindest nicht außerhalb des Weltenbaus. Nicht einmal Björn Höcke würde das im Ernst sagen.
[font="calibri, sans-serif;"]Soweit meine Lesart, mit der sich die zuvor kritisierten Inhalte erklären. Problematisch bleibt, dass die Story von vielen Lesern anders verstanden werden dürfte. Die fühlen sich womöglich in Denkweisen bestätigt, denen man keinen Vorschub leisten möchte.[/font]