Was Allgemeineres zu Nolans Filmen, über das ich schon seit einiger Zeit hirne und das ich hier mal poste.
Ich bin alles andere als ein Nolan-Fan und finde mehr oder weniger alles, was er nach The Dark Knight gemacht hat, unterschiedlich ärgerlich. Unabhängig davon bin ich aber ziemlich ratlos, warum so viele Leute seine Filme so kompliziert finden. Dabei geht es mir überhaupt nicht um ein Qualitätsurteil, sondern darum, dass ich nicht verstehe, was viele an seinen Filmen nicht zu verstehen scheinen.
Vielleicht liegt es bereits daran, dass ich etwas anderes unter "kompliziert" verstehe als andere. Kompliziert ist ein Film in meinen Augen dann, wenn ich beim Schauen einen hohen kognitiven Aufwand habe, wenn ich also die ganze Zeit überlegen muss, was nun aus welchen Gründen geschieht und den Film in meinem Kopf fortlaufend neu arrangieren muss. So betrachtet finde ich frühe Filme von Nolan wie Memento oder The Prestige schon kompliziert, spätere dagegen nicht.
Das betrifft vor allem Inception und Tenet. Bei beiden Filmen habe ich keine grosse Mühe, der Handlung zu folgen. Bei Inception gibt es zwar viele Realitätsebenen, als Zuschauer weiss man aber immer, auf welcher Ebene sich die Handlung abspielt. Es kommt nie - oder zumindest fast nie - zu einer Verwirrung, auf welcher Ebene wir uns befinden. Wenn ich das mit einem 60er/70er-Jahre-Arthouse-Film wie Fellinis 8½ oder Rosselinis Strategie der Spinne vergleiche, finde ich Letztere viel komplizierter, da hier oft völlig unklar ist (und sein soll), ob das, was wir sehen, Traum oder Realität ist. Bei Inception ist das hingegen immer klar.
Ähnlich bei Tenet. Am Ende ist das nur ein Zeitreisefilm, in dem die Bösen und die Guten dem gleichen MacGuffin hinterherjagen. Der Plot ist überhaupt nicht kompliziert (Nolan ist ja ein erklärter Bond-Fan, und das zeigt sich in beiden Filmen).
Könnte es sein, dass es hier zwei Arten von Komplexität gibt, auf die unterschiedliche Zuschauer verschieden reagieren?
Komplexität im Handlungsablauf: Gemeint ist, dass man als Zuschauer fortlaufend überlegen muss, was eigentlich erzählt wird, wie die einzelnen Teile zusammenpassen. Das würde alle Arten von nicht-chronologischem Erzählen betreffen.
Komplexität in der "Weltentiefe": Wie viele Ebenen gibt es in der Handlungswelt, wo sind wir jeweils?
Ich nehme primär die erste Variante als "kompliziert" wahr. Ich finde einen Film wie Pulp Fiction letztlich deutlich komplexer als Inception, da ich mir hier zusammenreimen muss, wie die verschiedenen Teile angeordnet werden müssen (wobei Pulp Fiction diesbezüglich nicht sonderlich anspruchsvoll ist). Bei Inception - aber im Grunde auch bei Tenet - ist der Plot immer klar, was bei Pulp Fiction oder Memento nicht der Fall ist. Bei Letzteren muss ich zuerst verstehen, was mir eigentlich erzählt wird.
Soweit mein erzähltheoretischer Exkurs vor dem Mittagessen.
Bearbeitet von simifilm, 10 Februar 2021 - 11:14.