Dyrnberg, komm an mein Herz! Jemand hat meine Intention verstanden!
Interessant ist, dass du deine Geschichte offenbar ganz anders intendiert hast, als ich sie las. Mal sehen, ob ich die Zeit finde, sie nochmals zu lesen.
Ansonsten halte ich es zwar für sehr hilfreich, die Texte direkt zu diskutieren - denn gibt es bestimmt neben meiner noch zig andere Lesarten - aber ich will und kann das hier nicht leisten. Ich habe, gerade für MKIs Novelle, einige gewaltvolle Szenen in meiner Rezension zitiert. Für mich ist die Idee, eine Frau besitzen (!) zu wollen, gewaltvoll und zwar sehr plakativ gewaltvoll. Im Rest des Textes werden Dynamiken beschrieben, wie sich jemand in machtvoller Position Frauen verfügbar macht - das ist versteckter, aber meines Erachtens immer noch so offen, dass ich erstaunt bin, dass es übersehen wird. Aber nu, ich bin darauf trainiert, das zu sehen, das ist ja auch mein Brotjob.
Über die Novelle könnte man diskutieren, ob sie eine gelungene kritische Darstellung sexualisierter und gesellschaftlich legitimierter Gewalt ist - was ja einige hier so zu sehen scheinen - oder ob es eine unreflektierte Fortschreibung und Zuspitzung dieser Gewalt in die Zukunft ist. Wahrscheinlich lassen sich für beide Sichtweisen im Text Argumente finden.
Okay, Jol, wenn du es hier nicht noch einmal machen willst oder kannst, versuche ich mich mal an einigen Stellen aus deiner Rezi, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Vorab noch eins: Wie Yvonne schon sagte, dann darfst du keine Songs mehr hören. You’ll be mine, till the end of time … and so on.
Das würde ich nicht wörtlich nehmen und ich würde auch niemandem unterstellen, dass er das tut.
Zitat aus Jols Rezi:
Manche der komplizierten Sätze erschlossen sich mir trotz mehrfachem Lesen nicht, so dass ich es irgendwann aufgegeben habe, mir den Text Wort für Wort zu erlesen, und zu einer eher assoziativen Lesart übergegangen bin.
Es gibt Lektoren, die behaupten, ein Satz dürfe eine gewisse Länge nicht überschreiten. Zu denen gehöre ich nicht prinzipiell, denn ich denke, es hängt auch damit zusammen, welches Publikum ich erreichen möchte. Da Nova nicht in erster Linie pure und einfache Unterhaltung anbieten möchte, finde ich lange Sätze durchaus legitim und ich fand sie in dieser Story sogar passend. Um ein Werk vollumfänglich beurteilen zu können, würde es sich meiner Meinung nach schon anbieten, es Wort für Wort zu lesen und zu versuchen, es zu verstehen.
Zitat aus Jols Rezi:
In Folge werden Frauen mehr und mehr zu etwas, was er benutzt, ausnutzt, sich gefügig macht – ein Teil des Textes, der eindringlich beschrieben wird, mich aber in hohem Maße angeekelt hat. Der Protagonist sagt selbst, dass er die Frauen nutzt, weil sie billiger sind als Callgirls – dabei versteckt er sich hinter Behauptungen von Trieben, um seine wahre Sehnsucht nach Nähe zu verbergen, die er nicht zulassen kann.
Die Frauen werden von ihm nicht bezahlt, jede einzelne geht mit ihm, ohne dazu gezwungen zu werden. Was die sich von ihm erhoffen wird nicht immer gesagt, aber einige genießen wohl seinen Reichtum. Und ich kann mich nur wiederholen: Wie viele Models gibt es, die sich an reiche alte Männer hängen? Ob das überall Liebe ist? Die Männer schmücken sich mit den schönen Mädchen und die sind nicht abgeneigt, sich verwöhnen zu lassen. Ich persönlich kann damit nichts anfangen, aber solange beide Seiten damit zufrieden sind, sollen sie es tun. Wie er sich sich sträubende Frauen gefügig macht, habe ich im Text nicht entdecken können.
Zitat aus Jols Rezi:
Ersteinmal muss ich dem Protagonisten in etwas folgen, was er selbst als Versuch, die absolute Kontrolle über Frauen zu erlangen, beschreibt.
Ich glaube, du verwechselst hier Frauen und Avatare. Die Avatare, die er kreiert haben ein weibliches Erscheinungsbild, sind aber keine realen Personen.
Zitat aus Jols Rezi:
Wie beschrieben wird, wie Frauen wieder und wieder und wieder und wieder zu sexuellen Kontakten gebracht werden, die sie eigentlich nicht wollen, und wie der Protagonist dabei immer wieder nur seine eigene Leere und Enttäuschung im Blick hat, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, was er mit seinem Gegenüber tut – das ist abstoßend.
Die Stelle solltest du bitte doch zitieren, oder diese Unterstellung bleiben lassen. Meiner Meinung nach gibt es solche Stellen in dem Text nicht.
Zitat aus Jols Rezi:
Fortan begutachtet er weiblich gelesene Körper weiter in virtuellen Welten – und hat natürlich auch dort nur Verachtung für sie übrig.
Die Verachtung hat er für diese Wesen, egal ob m/w/d, die sich nicht als sie selbst präsentieren, sondern sich nur noch »optimiert« zeigen. Das hat er zwar selbst mit initiiert, aber die Verlogenheit dahinter wird ihm wohl erst später bewusst.
Zitat aus Jols Rezi:
Der Protagonist setzt sich in den Kopf, eine solche Frau zu erschaffen, was er als nun alter Mann, der das erzählt, in Frage stellt. Bemerkenswert ist, dass er weder die Suche nach überirdischer Schönheit in Frage stellt, noch den Wunsch, eine Frau besitzen (!) zu wollen, sondern er fragt sich „was meiner Ansicht nach passieren würde, wenn ich tatsächlich Erfolg hatte und Sehnsüchte in mir weckte, die niemals erfüllt werden konnten“.
Ich würde mich hier wieder nicht an herkömmlichen Worten wie besitzen aufhängen, denn ich habe den Text echt nicht so gelesen, dass er Frauen versachlicht und als Besitz ansehen würde. Er wünscht sich viel mehr eine Frau, die ihn versteht, mit der er sich auf Augenhöhe austauschen kann und wo die Beziehung weit über das rein körperliche hinausgeht. Die Suche nach überirdischer Schönheit hat er längst über Bord geworfen, denn er verliebt sich nicht in eine dieser perfekten Schönheiten, sondern in ein älteres Modell.
Zitat aus Jols Rezi:
Nun wird ausführlich beschrieben, wie der Protagonist versucht, einen perfekten weiblichen Körper zu schaffen, seitenlang bin ich mit einem sezierenden männlichen Blick konfrontiert, der einzelne Körper- und Geschlechtsteile erschafft, begutachtet und auswählt. Dabei geschieht das in einer leicht fließenden, überlegen wirkenden lyrischen Sprache, die in mir mehr und mehr Gefühle von Widerlichkeit und Ekel auslöst, während der Protagonist den perfekten Avatar „züchtet“ (er verwendet wirklich dieses Wort und bezieht sich auch explizit auf Eugenik) – der dann aber so perfekt ist, dass er in seiner Unnahbarkeit einschüchtert. Der Protagonist wird hier immer mehr zum Besessenen.
Jol, wenn leicht fließende, lyrische Sprache abstoßen wirkt, dann weiß ich auch nicht. Einen Avatar kann man erschaffen, kreieren, perfektionieren und das weiß einer, der sich mit diesen Dingen beschäftigt. Es ist immer ein künstliches Wesen. Wenn er hier das Wort züchten verwendet, dann ist das im übertragenen Sinne zu verstehen.
Der Punkt, des »geschönten Lebens« wird von dir offensichtlich gar nicht wahrgenommen, das Übertünchen der Personen und Orte und die Gefahren, die das birgt. Und dass es vernünftig ist, über so etwas nachzudenken, wenn junge Mädchen ihre Selfies allesamt verschönern.
Es wird an keiner Stelle im Text gesagt, dass der Prota das Haus für die Frau so baut, wie er es schön findet. Nein, ganz im Gegenteil: Er nimmt ja in seinem »Wahn« Kontakt mit ihr auf, spricht mit ihr und glaubt zu wissen, was sie sich aussuchen würde. Alles, was ihm gefallen würde, tritt für ihn vollkommen in den Hintergrund.
Der Prota erkennt nicht, dass Karen in ihn verliebt war, insofern kann das kein Narzismus sein. Auch seine Unfähigkeit, sich zu lieben, spricht so was von gegen dieses Argument.
Seine Tochter ist keine künstliche Existenz, sondern ein Mensch, der mehrere Väter hat.
Nachdem du deinen Beruf als Therapeutin selbst ins Spiel gebracht hast, muss ich dich doch mal fragen, ob dir beim Lesen nie der Gedanke gekommen ist, dass der Prota depressiv sein könnte und die Welt eben so negativ wahrnimmt. Und dass ihm diese Sicht der Welt nicht besonders gut gefällt. Wahrscheinlich wäre er viel lieber ein positiver Mensch.
Wie in einem anderen Beitrag schon erwähnt: Ich finde es sehr mutig, sich mit all seinen Fehlern selbst zu schildern, wie es dieser Prota hier tut. Und wenn wir mal ehrlich sind, haben wir alle auch mal schlechte Tage, an denen wir nicht besonders nett über andere Personen denken.
Noch ein kleiner Nachtrag:
Zum Stil: Die Erzählung wurde ursprünglich auf Englisch geschrieben, und es war selbst für den Verfasser schwierig, adäquate deutsche Formulierungen zu finden. Die Englische Originalfassung wird in InterNova erscheinen und dann können die Leser sich ein eigenes Urteil darüber bilden, ob sie besser ist.
Die Avatar-Zucht ist eine ins zeitgenössische Millieu der virtuellen Welten weitergedachte Idee einer Frau, nämlich der großen amerikanischen Fantasy- und Science-Fiction-Pionierin Catherine Lucille Moore, die MKI inständig bewundert (für ihn neben LeGuin und Sheldon/Tiptree, eine der drei größten Frauen in der SF). Der Zyklus der Northwest-Smith-Geschichten existiert tatsächlich und ist ihr Werk. Die Minga-Maids-Geschichte "Black Thirst" stammt aus dem Jahre 1934, und hier spricht die Autorin selbst von schönen Frauen, "die seit Jahrhunderten wie edle Rennpferde gezüchtet werden". Die Erzählung ist im Internet-Archiv zu finden, und jeder Interessierte kann die wörtlichen Formulierungen nachlesen.
Bearbeitet von fancy, 20 Oktober 2022 - 16:14.