Moin moin,
ok, ich versuche mal, meine verschiedenen Hüte gut auseinanderzuhalten.
Ich als Leserin, ich als Autorin, ich als Rezensentin und ich als Mitglied des DSFP und Abstimmberechtigte beim KLP. Und ich als Frau. Aber letzteres kann ich weglassen, da ich mal versuchen möchte, hier so neutral wie möglich zu sein. Und ich kann deutlich besser einfach Zahlen zusammenrechnen als jemanden von meiner persönlichen Meinung überzeugen.
Zunächst mal ich als Rezensentin, weil ich das für besonders relevant halte.
Im Jahr 2021 habe ich zwischen Januar und August 96 Romane und Sachbücher einer Einzelperson rezensiert. 69 davon waren von Männern (oder männlich gelesenen Personen) und 27 von Frauen (oder weiblich gelesenen Personen).
Da könnte man sagen: Passt doch, es sind ja auch nur 25% der Romane in der SF von Frauen. Allerdings habe ich nicht nur SF gelesen. Und bevor ich bei twitter usw. aktiv war, war es viel, viel krasser, da habe ich fast nur Männer gelesen. Seit ich die Diskussion in diesem Forum mitbekommen habe und auch Theresas Vortrag gehört habe, habe ich aktiv darauf geachtet, mal mehr Frauen zu lesen und zu rezensieren. Das betrifft Romane. Bei den Kurzgeschichten ist es etwas einfacher, weil ich da in der Regel ja das ganze Heft lese oder die ganze Anthologie und nicht die Storys von Frauen weglasse.
Auch ich habe also deutlich mehr Männer gelesen und auch rezensiert, genau wie von Theresa in ihrem Vortrag ermittelt. Dabei bin ich eine Frau. Sogar Feministin. Ich bin für Gleichberechtigung. Nur bei einem meiner wichtigsten Hobbies, dem Lesen, habe ich Männer jahrzehntelang bevorzugt. Klar, unbewusst. Ich habe es nicht bemerkt.
Kürzlich habe ich sogar einen sehr konkreten Fall aufgedeckt. In der phantastisch! gab es Mitte 2020 ausführliche Rezensionen, einmal von Becky Chambers' Wayfarer-Reihe und von Rob Harts The store. Welches Buch habe ich dann damals sofort gekauft, gelesen und rezensiert? Genau.
Kann natürlich am Thema gelegen haben, aber vielleicht habe ich beim Foto von Becky Chambers (junge hübsche Frau) auch gedacht, na ja, was wird die schon können? (Nachtrag: Inzwischen lese ich die Wayfarer Reihe, übrigens mit großer Begeisterung)
Böser Gedanke. Absolut. Vor allem, da ich ja selber auch eine Frau bin, wenn auch ein paar Jahre älter als Chambers.
Und das habe ich garantiert nicht bewusst gedacht und die Prosa von Frauen ignoriert, soweit kommt's noch! Ich muss nur anhand der Zahlen feststellen:
Wenn ich unaufmerksam bin und einfach ungezielt mache, bevorzuge auch ich offenbar Prosa, bei denen ein Männername vorn draufsteht.
Offenbar kann ich mir also nicht ganz trauen. "Ist doch egal, es zählt der Text" kann für mich nicht gelten, denn ich lese schon viel weniger Romane von Frauen, so dass ich dort wohl auch weniger zum Rezensieren, Loben etc. finden würde.
Dann setze ich jetzt mal den Hut auf, in dem ich für den DSFP möglichst viele deutschsprachige Werke aus dem laufenden Jahr lese. Es war klar, dass ich nicht weitermachen konnte wie bisher. Von deutschsprachigen Werken von Frauen aus den letzten Jahren kannte ich gerade mal zwei, als ich in der Jury anfing. Im deutschsprachigen Raum hatte ich offenbar noch verstärkter nur die Herren gelesen.
Da auch ich aus unterschiedlichen Gründen nicht für eine Quote bin, hatte ich mir vorgenommen, vorzugsweise Romane von Frauen zu lesen. Bei den Kurzgeschichten hatte ich darauf vertraut, dass ich schon "von alleine" genügend Kurzgeschichten lesen würde und meine Zählung zeigte dann ja auch zum Glück, dass ich damit Recht hatte. Also, nur die Romane.
Ich habe es noch geschafft, 23 Romane aus 2021 zu lesen. Was passiert also, wenn ich aktiv darauf achte, verstärkt von Frauen zu lesen?
Elf Romane von Männern
Zwölf von Frauen
Und, wie gesagt, das ist passiert, nachdem ich mir vorgenommen hatte, eigentlich alle Romane von Frauen zu lesen, die in der SF in 2021 erschienen sind. Immerhin ist es fast 50 zu 50 und wenn man bedenkt, dass die Herren insgesamt fleißiger waren und ca. 75% der Romane geliefert haben (für 2021 habe ich das noch nicht ausgerechnet, ich beziehe mich auf Theresas Zahlen aus den fünf Vorjahren), könnte man sogar sagen, dass ich tatsächlich bevorzugt Frauen gelesen habe. Und ich wollte ja die Männer auch nicht ignorieren und dort ggf. etwas preiswürdiges verpassen, das wäre irgendwie auch nicht in meinem Interesse.
Ich glaube im Gegensatz zu einigen Vorredner:innen nicht, dass es hilft, wenn es eine Quote in den Jurys gibt. Ganz abgesehen mal von dem angesprochenen Problem, dass es nicht genügend Menschen gibt, die diese Arbeit machen wollen (wofür ich größtes Verständnis habe), glaube ich nicht, dass Frauen selber Frauen bevorzugen. Ich habe es ja offenbar auch nicht gemacht.
Übrigens, nur mal am Rande - ich hatte veröffentlicht, welche fünfzehn Kurzgeschichten ich in 2021 für die besten halte und hatte dort ein Überangebot weiblich gelesener Namen. Mir haben direkt danach gleich drei Männer eine Rückmeldung dieser Art gegeben:
- Ist das wirklich deine Meinung? Da sind ja nur Frauen drauf.
- Ich denke nicht, dass Frauen jetzt nur Frauen nominieren sollten
- Hast du das absichtlich gemacht? Waren denn die Männer wirklich so schlecht?
Ähm? Eine andere Person, bei der ich mich darüber beschwerte, dass so eine Rückmeldung vermutlich nicht gekommen wäre, wenn vorrangig Männer auf der Liste gewesen wären, sagte mir, man bräuchte ja nur meine Rezensionen dazu zu lesen, um zu merken, dass das meine aufrichtige Meinung sei. Nur mal, um das klarzustellen: Nein, ich habe keine Werke von Männern absichtlich ausgespart, um mehr Frauen auf der Liste zu haben. Soweit kommt's noch.
Die Diskussion "Ist doch egal, wer das geschrieben hat, ist doch alles gleichberechtigt" hatte ich in den letzten Monaten ziemlich häufig. Ich suche mal nicht noch mal die Grafik von Norbert Fiks heraus, der dargestellt hat, wie selten eine Frau einen der deutschen SF-Preise erhalten hat.
Jemand (ich denke, es war Andreas Eschbach) hatte laut bei twitter vermutet, dass Frauen möglicherweise seltener SF schreiben, er tippte auf 5%. Nun, er hat Recht, wir schreiben seltener SF, die Quote liegt bei den Romanen aber bei 25% und bei den Kurzgeschichten (zumindest in 2021, ich habe keine Vorjahre untersucht) bei 40%. Dann hat es also doch eine andere Ursache?
Frauen werden weniger gelesen?
Frauen schreiben schlechter?
Ist alles nur Zufall?
Nun, die Vergangenheit sollte mich jetzt nicht mehr allzu sehr bekümmern, die Gegenwart schon. Ich habe für mich beschlossen, ausgewogener zu lesen und zu rezensieren. Ob da preiswürdiges von Frauen dabei ist, kann ich nicht beeinflussen, aber ich bin bereit, viel zu lesen und die Perlen zu finden und dann auch zu nominieren. Denn ich muss das auch begründen können. Und bei allen Preisen, egal ob KLP oder DSFP müssen dann ja auch andere Leute der Meinung sein, dass das Zeug etwas taugt. Da kann ich also nicht hingehen und irgendwas nominieren, nur weil es von einer Frau ist, dann wird nämlich niemand mitziehen und es kommt nicht auf die Short List. Ich muss also wirklich etwas gutes finden.
Bei den Kurzgeschichten war das in 2021 kein Problem, allerdings musste ich dafür auch 300 Stück lesen, und, kleiner Spoiler: Die waren nicht alle gut.
Bei den Romanen bin ich doch ins Schwitzen gekommen, was aber auch kein Wunder ist, so viele habe ich ja nicht gelesen. In diesem Jahr fange ich früher an, dann klappt es sicher besser.
Und ja: Ich denke, beide Preise können Unterstützung gebrauchen! Es gab in 2021 mehr als 400 Kurzgeschichten zum Lesen und Beurteilen und knapp 140 Romane (von denen ich weiß). Wenn jedes Werk am besten von mindestens zwei Leuten gelesen werden sollte, kann man sich ja ausrechnen, wie viele Leute man braucht.
Und als Kurzgeschichtenautorin?
Da bin ich noch unentschieden. Reichen bei der Nova etwa keine Frauen ein? Suchen die händeringend nach guten Kurzgeschichten von Frauen und finden über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg nur eine einzige Geschichte von Maike Braun? Sollte ich mal etwas für die Nova schreiben und einreichen?
Oder lieber weiterhin bei der Exodus einreichen, da fühle ich mich wohl, kenne die Leute, die Kommunikation ist gut und das Lektorat hat mir auch gefallen.
Das Weltenportal winkt auch, da kenne ich mich schon aus, habe schon Rezensionen dort eingereicht und war mit dem Ablauf hochzufrieden.
Und die phantastisch! ist mir auch sympathisch.
Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt.
Übrigens bin ich neuerdings auch ausnahmsweise mal als Herausgeberin tätig und muss zugeben: Auch da haben wir einen Überhang an Männern gefragt, einfach, weil uns mehr Männer eingefallen sind als Frauen und nonbinäre Personen.
Wie gesagt: Das passiert, wenn ich nicht aktiv drauf achte.
LG Yvonne