...und gleich die nächste, von Bernd Robker „Transfiguration“?
Die Fragestellung, die Du, lieber Bernd, hier stellst, passt ja wie die Faust auf's Auge - nach KI und künstlerischer Kreativität - wo man schon staunen kann, wie viel eine "KI" (ist sicher noch keine, aber immerhin...) bei dem Heft beitrug.
Die Problematik finde ich jetzt nicht sooo superoriginell und über Deine Antwort ließe sich trefflich diskutieren. Womit ich aber hadere, sind deine Figuren. Der Künstler als - ich übertreibe - egomaner Sexist, die Kunstkennerin und -Kritikerin in einer eher unprofessionellen Beziehung zum Gegenstand ihrer Profession. Sie kommen ja beide nicht so gut weg - was die Story dann auch schon wieder interessant macht.
[Nachtrag vom 5. Mai: Zusammenfassung meiner Bemerkungen zum 1. Heft auf meinem Blögchen hier im Forum]
Ich sehe in Deinem verlinkten Blogbeitrag, dass Du eine Antwort von mir erwartest. Das ist ungewöhnlich, in der Regel diskutieren Rezipientinnen und Rezipienten unter sich und der Autor "hat seinen Teil getan", wenn er die Geschichte abgeliefert hat, um fortan dazu zu schweigen.
Aber da es gewünscht ist (wen es nicht interessiert, der möge diesen Beitrag überspringen):
Wir haben hier in der Kölner Gegend einen Meisterfälscher, Wolfgang Beltracchi. Er hat Bilder im Stil sehr vieler verstorbener Maler gemalt, aber die Bilder selbst waren keine Fälschungen, weil er neue Motive gewählt hat. Er wurde rechtskräftig verurteilt, weil er zudem die Signaturen gefälscht hat. Diese Namenszüge waren die einzigen juristisch relevanten Fälschungen. Über seine Frau hat er die Bilder in Umlauf gebracht, meist als "Zufallsfunde vom Dachboden", und sie Kunstkritikern vorgelegt, die sie bewertet haben. Diese Kunstkritiker haben auch die Zuordnung vorgenommen, welcher verstorbene Meister das Bild erstellt habe. Sie wurden dann zu entsprechenden Preisen verkauft, einige hängen angeblich noch immer unerkannt in hochkarätigen Sammlungen, beispielsweise Museen. Wolfgang Beltracchi hat seine Haftstrafe verbüßt und malt inzwischen unter seinem eigenen Namen. Sein Fall war eine wesentliche Inspiration für die männliche Hauptfigur.
Ähnlich wie bei Beltracchi stellt sich auch bei dieser die Frage, was am Tun dieses Manns verwerflich sei. Er hat eine Maschine gebaut, die Kunstwerke erschafft, die wiederum anderen eine Menge Geld wert sind. Sie kaufen sie zu diesem Preis. Die Maschine braucht das Geld nicht, ihr Erbauer behält es. Wer wird geschädigt? Man könnte sagen, dass er eine Illusion verkauft - aber nur dann, wenn der Entstehungskontext als besonders relevant angesehen wird. Das Ergebnis, das eigentliche Kunstwerk, ist, was es ist - unabhängig von seiner Entstehung. Hier könnte man in die Thematik von künstlich gezüchteten Lebewesen/ Menschen abbiegen, aber ich belasse es bei dem Hinweis und bleibe eng an der Geschichte.
Den egomanischen Sexisten vermag ich nicht zu erkennen. Die männliche Hauptfigur hat ab und zu Sex mit Frauen, in Form von einvernehmlichen Affären. Ich glaube, dieses Verhalten kommt bei vielen Hauptfiguren in SF-Geschichten vor und wird dann weder als egomanisch noch als sexistisch betrachtet; Letzteres wäre es nur dann, wenn er dem weiblichen Geschlecht mit einer besonderen Geringschätzung begegnen würde. Hier ist aber die Situation: Er will Sex - sie will Sex - die beiden haben Sex. Wenn es einer der beiden nicht mehr will, endet die jeweilige Affäre. Von daher kann Dir diese Figur selbstverständlich - wie jede andere Figur auch - unsympathisch sein, aber ich erkenne nicht, dass sie mit allgemein als verwerflich oder unangenehm angesehenen Charakterzügen angelegt worden wäre.
Bei der Kunstkritikerin dagegen mag Skepsis angebracht sein. Durch ihre herausgehobene Stellung, gründend auf der Relevanz und Rezeption ihrer Kritiken, kann man sie den Künstlern gegenüber als übergeordnet ansehen. Sie ist nicht abhängig von den Kunstwerken - sie kann besprechen, was sie will und (in Grenzen, die die Fachkompetenz ihrer Leserschaft zieht) auch wie sie will. Die Künstler dagegen sind abhängig von ihren Besprechungen, die ihre künstlerische und damit mittelbar ihre wirtschaftliche Existenz massiv beeinflussen.
Offenbar findet sie Künstler erotisch anziehend. So etwas gibt es. Manche finden körperliche Merkmale anziehend, andere intellektuelle (Sapiosexualität) und wieder andere kreative. Jeder hat seine Cup of Tea.
Inwiefern ihre Kritiken davon beeinflusst werden, ob ihre Avancen zum Erfolg führen oder nicht, wird in der Geschichte nicht ausgesagt. Da ist es also der Leserin bzw. dem Leser überlassen, ob man eine "professionelle Trennung" oder eine Vermischung der Sphären unterstellen möchte. Vielleicht bekommt sie auch ihrerseits entsprechende Angebote von Künstlern, die sie gewogen stimmen wollen. In jedem Fall ist die Kritikerin die Überlegene in diesen Verbindungen - sie hat die Karrieren der Künstler in der Hand, nicht umgekehrt.
Dennoch ist es plausibel, bei ihr eine herausragende Fachkunde zu unterstellen, gepaart mit einer gewissen Freude, Schwächen gnadenlos offenzulegen. Inspiration war in dieser Hinsicht die Modejournalistin/ Chefin aus "Der Teufel trägt Prada" - einem Film, der meines Wissens auf wahren Begebenheiten beruht.
Beide Hauptfiguren sind also an reale Vorbilder angelehnt, wenn auch locker.
Ob man sie sympathisch findet oder nicht, liegt meines Erachtens nicht am Text, sondern daran, wie die Leserin bzw. der Leser zu den porträtierten Charakterzügen steht. Wer zum Beispiel Sex außerhalb von ehelichen Verbindungen ablehnt, kann mit beiden nicht warm werden. Andere mögen die männliche Hauptfigur pfiffig und die weibliche als Powerfrau wahrnehmen, die es in ihrem Bereich an die Spitze geschafft hat und gewohnt ist, sich zu nehmen, was sie will.
Letztlich ist mir egal, wie die Leserinnen und Leser zu den Figuren stehen. Ich freue mich, wenn sie sich mit meinem Text auseinandersetzen - und noch mehr freue ich mich, wenn sie zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen und ihre Zuneigung unterschiedlich verteilen. Das nämlich bedeutet, dass die Figuren lebensecht gezeichnet sind und derjenige, den der eine bewundert, für den anderen verachtenswert ist - wie im echten Leben.
Schade finde ich nur, dass bei vielen der weiblichen Figur offenbar von vornherein das Label "Opfer" aufgeklebt wird - obwohl sie in dieser Konstellation eindeutig die Mächtigere ist. Das scheint mir aber in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Frauen zu wurzeln, denen man Machtpositionen offenbar nicht zutraut, im Unterschied zum Text, wo sie eine solche innehat. Überspitzt formuliert spräche das dafür, dass unsere Gesellschaft mehr von solchen Geschichten braucht, um den Blickwinkel auf menschliches Potenzial (positiv wie negativ) in sämtlichen Geschlechtern zu weiten.
Abschließend eine Formalie:
Der Autor der Geschichte heißt Robert Corvus, nicht Bernd Robker. So ist es im Heft genannt, so sollte es auch in Besprechungen referenziert werden. Das erleichtert allen die Zuordnung. Wenn mein bürgerlicher Name eine Rolle spielen sollte - was ich in diesem Fall nicht erkennen kann -, kann dieser Aspekt natürlich im Fließtext einer Besprechung genannt werden. Wenn ich zum Beispiel unter dem Namen Bernd Robker selbst Kunstwerke erschaffen und ausstellen würde etc., dann könnte das für die Rezeption interessant sein.
Bearbeitet von Bernard, 13 Mai 2022 - 04:53.