ich möchte an dieser Stelle meine Rezension zu William Gibsons Mustererkennung mal ins Netz stellen.
Sicherlich ist dieser Roman KEIN SF, aber auf Grund seines früheren Wirkens in diesem Genre, denke ich mal, dass dieser "Erstlings-Gegenwartsroman" von ihm auch viele SF-Leser interessiert.
Rezension:
Mustererkennung
von William Gibson
Gibson´s bisherigen Werke, angesiedelt in einer zeitnahen Zukunft, extrapolierten das Zeitgeschehen der Achtziger und Neunziger Jahre und spiegelten die Hoffnungen und Ängste der damaligen Generation von Computerfreaks und Yuppies wieder, beschrieben ein glaubwürdiges Horrorszenario der zukünftigen sozialen Entwicklung und wurden zur Kultliteratur eines Genres - dem Cyberpunk.
Mit Mustererkennung versucht sich William Gibson bei dem vorliegenden Buch erstmalig an einem Gegenwartsroman.
Nach der Lektüre der ersten Seiten kann man Gibson bescheinigen, dass er seinen eigenständigen und sehr ungewöhnlichen Schreibstil nicht verloren hat. Einige (Ab)Sätze sind immer noch „technokratische Poesie pur“ und der Stil faszinierend anders.
An dieser Stelle muss auch den beiden Übersetzerinnen Cornelia Holfelder-von der Tann und Christa Schuenke ein dickes Lob ausgesprochen werden. Allein das erste Kapitel würde so manchen gestandenen Übersetzer weit überfordern.
Beide haben die Essenz der Aussage in vollem Umfang und stilistisch sehr nah am Original hinbekommen.
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Inhaltsangabe (Auszüge aus dem Klappentext)
Seit einiger Zeit tauchen im Netz geheimnisvolle Clips auf, die weltweit einen Kult ausgelöst haben. Auch Cayce fiebert jedem neuen Clip entgegen - was steckt dahinter ? Ihre Recherche führt sie ins Machtzentrum unserer globalisierten Gesellschaft.
Cayce Pollard ist eine teure und auf unheimliche Weise intuitive Marketing-Beraterin. Während sie in London einen Auftrag ausführt, wird ihr ein Job angeboten:
Sie soll jener Serie von geheimnisvollen Clips nachspüren. Als jedoch Unbekannte in die Wohnung ihres Freundes, in der sie in London wohnt, eindringen und ihren Computer hacken, wird ihr allmählich klar, dass es um mehr geht, als sie bisher geglaubt hatte.
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Stilistische Größe und handwerklichen Perfektion bei der Storyführung ging bei William Gibson bisher Hand in Hand.
Leider trifft diese Qualitätsaussage beim vorliegenden Buch nicht mehr zu.
Mustererkennung ist inhaltlich teilweise so fragmentiert, wie ein missglückter Versuch, karge und lose zusammenhängende Geschichten auf Roman-Niveau zu strecken.
Was sich anfänglich ganz angenehm als Einstieg in die Welt der Netz-Szene und der Informationsgesellschaft ließt, entpuppt sich mit zunehmender Seitenzahl als verworrenes Konstrukt aus bemerkenswerten Ideen, dem Einfluss von mystischem Unsinn und einer Agentenstory, die einfach nur schlecht ist.
Die Story verläuft zwar linear und nimmt den Leser auf eine Reise in das Dickicht des Molochs Tokyo und in die Weiten des neuen russischen Kapitalismus, aber die handelnden Personen werden mit zunehmender Geschichte einfach nicht mehr richtig ernst genommen. Zu viele Ungereimtheiten stören den Fluss der Story, zu viele Geschehnisse tragen den Makel einer Simplizität, die einzig dazu dienen soll, Kapitel für Kapitel zu verbinden.
Das Ende der Geschichte gleitet dann so weit in eine unglaubwürdige Konstruktion hinein, dass es selbst dem hartnäckigsten Leser nur noch ein Kopfschütteln entlockt.
Die Hauptakteurin, Cayce Pollard, mit einem intuitiven Sinn für Marketing und zahlreichen Neurosen ausgestattet, agiert anfangs mit einer gewinnenden Menschlichkeit, mutiert aber mit zunehmenden Storyverlauf zu einer Heldin, deren Glaubwürdigkeit mit jeder weiteren Seite des Buches abnimmt. Das Gleiche gilt für den Protagonisten namens Peter Gilbert, aka Parkaboy, der anfangs geheimnisvoll im Hintergrund agierend, plötzlich in das Geschehen stolpert.
Allein einige „Randfiguren“ des Romans besitzen noch den Gibson-typischen Charme seiner älteren Werke.
Apropos Randfiguren... wenn während des Lesens von Musterkennung dem Gibson-Fan einige Male ein deja-Vu - Erlebnis ereilte, so hat das einen einfachen Grund:
Fast jede Figur aus Musterkennung findet man in seinen früheren Werken, leicht abgewandelt, aber mit hohem Wiedererkennungswert.
Das wäre an sich noch kein Problem, wenn Gibson diese Figuren, die in der fiktiven Welt des Cyberpunks den Geschichten eine unglaubliche Authentizität verleihen, nicht fast unverändert in die Gegenwart einbauen würde.
Hier wirken sie deplaziert, mit der Realität in keiner Weise verbunden; Fragmente von Akteuren, die in einer falschen Zeit leben.
Gibson versucht, die Sprache des Cyberpunk zu kultivieren. Er bemüht sich um einen sprachlichen Konsens zwischen der früheren Computergeneration, die vor 20 Jahren seine CP-Storys begeistert gelesen hat und seinem älter gewordenen Publikum, das sich seit Erscheinen von Neuromancer weiterentwickelt und mittlerweile seine Werte neu definiert hat.
Dieser Versuch ist nur teilweise gelungen.
Es hätte einer besseren Story, vielleicht eines anderen Themas bedurft, wahrscheinlich aber beidem, um seinen Erfolg als Autor des Science Fiction Genre in den Bereich der Gegenwartsromane zu transportieren.
Fazit
Es bleibt dem Leser zu entscheiden, ob Gibson´s Stil die eklatanten Schwächen der Story zu einem kleineren Übel degradiert.
Derjenige, der die früheren Werke kennt und die Symbiose aus Sprache, Thema und Storyverlauf bewunderte, wird das Buch mit einem fahlen Beigeschmack des Unvollständigen in Erinnerung behalten.
Gibson´s Geschichte funktioniert einfach nicht, ihr fehlt ein bestimmtes Timbre der Faszination, das seine früheren Werke auszeichnete.
Daten:
Mustererkennung
Originaltitel: Pattern Recognition, copyright 2003 by William Gibson
übersetzt von Cornelia Holfelder-von der Tann & Christa Schuenke
in deutsch erschienen als Hardcover bei Klett-Cotta 2004
ISBN 3-608-93658-0
Copyright der Rezension bei Jürgen Olejok, Sept. 2004
Bearbeitet von Jürgen, 09 September 2004 - 12:47.