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Zurück in die Zukunft - Nachhaltigkeit und Science Fiction

Nachhaltigkeit Zukuntsvisionen

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61 Antworten in diesem Thema

#31 Christian Hornstein

Christian Hornstein

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Geschrieben 05 September 2023 - 11:01

Zum Thema Energietechnik:

 

Ich habe im Lauf der Zeit verschiedene Kernkrafttechniken kennengelernt (ich meine hier nur spaltungsbasierte) und konnte natürlich als Laie keine wirklich beurteilen. Das haben aber andere getan, z.B. die Experten bei Greenpeace. Deren Fazit: Es gibt noch keine Kernkrafttechnik, die überzeugend wäre. Entweder die Technik ist noch nicht ausgereift oder sie produziert weiterhin problematischen Müll oder sie ist ebenfalls zu gefährlich oder ... Da Greenpeace meines Wissens kein plausibles Motiv hat, die Energiegewinnung aus Kernspaltung zu zerreden (ich unterstelle mal, dass das Gerücht ideologischer Verblendung bei dem Thema im Wesentlichen eine Unterstelllung ist), die Kernkraftindustrie aber durchaus ein plausibles Motiv aufweist für ihre Produkte zu werben, gehe ich erstmal davon aus, dass die Expertise bei Greenpeace verlässlich ist.

siehe z.B. https://www.greenpea...de/atomausstieg

 

Kernfusion steckt offensichtlich noch in den ganz kleinen Kinderschuhen, da erst vor sehr kurzer Zeit, für sehr kurze Zeit, damit ein kleines bisschen mehr Energie produziert werden konnte als hineingesteckt wurde. Sie scheint auch unglaublich teuer zu sein.

 

Im Vergleich damit sind Techniken wie die Photovoltaik unschlagbar günstig.

siehe z.B. https://www.quarks.d...m-guenstigsten/



#32 Christian Hornstein

Christian Hornstein

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Geschrieben 05 September 2023 - 11:12

Zum Thema Kreislauf:

Da kann ich nicht zustimmen. Natürlich gibt es Kreisläufe mit einer hunderprozentigen Wiederverwertung. Die Natur ist voll davon.
siehe z.B. https://www.eea.euro...-der-natur/view

Da brauchen wir auch kein Perpetuum Mobile. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik und das Entropieprinzip stehen diesen Kreisläufen nicht im Weg. Sie brauchen natürlich Energie, aber solange die Sonne scheint und Geothermie existiert, ist das kein Problem. Das funktioniert schon seit Milliarden von Jahren.



#33 Christian Hornstein

Christian Hornstein

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Geschrieben 05 September 2023 - 11:15

Zum Thema Ökodiktatur:

Gott bewahre, dass es so weit kommt. Abwegig ist das aber nicht. Es gibt verschiedene Wege auf denen der Klimawandel Diktaturen hervorbringen könnte. Falls eine Diktatur entstünde, um noch rechtzeitig handeln zu können, wäre dies letztlich das Ergebnis der Jahrzehnte andauernden Verschleppung notwendiger Maßnahmen, die nun in kurzer Zeit umgesetzt werden müssten.



#34 WeepingElf

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Geschrieben 05 September 2023 - 12:00

Eine Kreislaufwirtschaft ist kein Perpetuum mobile. Da werden die Stoffe im Kreislauf geführt, wie das die belebte Natur macht. Dass dazu Energie von außen erforderlich ist, ist klar - die liefert die Sonne, und zwar mehr als genug. Dazu brauchen wir keine Kernkraft. Was wir brauchen ist eine erneuerbare Energiequelle bzw. Speichertechnik, die immer dann einspringt, wenn mal zu wenig Sonne scheint und zu wenig Wind weht - und das können Kernkraftwerke nicht! Die haben Anlaufzeiten von mehreren Tagen. Das sind Grundlastkraftwerke, die darauf ausgelegt sind, unabhängig vom Bedarf immer die gleiche Strommenge zu liefern. In Ländern, die viel Kernenergie haben, führt das dazu, dass in Schwachlastzeiten Windkraft- und Solaranlagen abgeschaltet werden müssen, weil zu viel Strom im Netz ist - was solche Anlagen für Investoren unattraktiv macht. Darum kommen etwa die Franzosen mit der Energiewende kaum voran. Insofern schadet Kernenergie dem Klima, wenn auch indirekt.

 

Und eine Ökodiktatur würde auch gar nicht funktionieren. Den "Königsweg" zur Nachhaltigkeit gibt es nicht, da gibt es hingegen viele Ansätze, die alle ihr Für und Wider haben, das muss offen diskutiert werden können, braucht also Demokratie. Zumal sich js schon so einiges, was mal als Patentrezept angepriesen wurde, als gar nicht so wunderbar erwiesen hat (Beispiel: Biosprit). Die Gesellschaft muss also lernfähig bleiben, und das sind Diktaturen eher nicht. Es spricht doch Bände, dass in unserer Welt Diktaturen wie Russland oder China in Sachen Nachhaltigkeit viel schlechter abschneidn als die meisten Demokratien. Das ist kein Zufall! Dktaturen sind zwar entscheidungsfreudiger als Demokratien, weil sie unpopuläre Maßnahmen mt Gewalt durchsetzen können, aber es sind eben allzu oft die falschen Entscheidungen, weil das demokratische Korrektiv fehlt. Natürlich werden auch in Demokratien immer wieder Fehler gemacht, aber keine Demokratie wird so schlecht regiert wie beispielsweise Zimbabwe oder Nordkorea.


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#35 Helge

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Geschrieben 06 September 2023 - 08:25

Nun ja - Tatsache ist, dass ohne die französischen Kernkraftwerke in Deutschland schon längst die Lichter ausgegangen wären.

Aber dass hier offenbar niemand eine Diktatur will, ist ja zumindest ein Lichtblick.



#36 Fermentarius

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Geschrieben 07 September 2023 - 09:26

Zum Thema Energietechnik:

 

Ich habe im Lauf der Zeit verschiedene Kernkrafttechniken kennengelernt (ich meine hier nur spaltungsbasierte) und konnte natürlich als Laie keine wirklich beurteilen. Das haben aber andere getan, z.B. die Experten bei Greenpeace. Deren Fazit: Es gibt noch keine Kernkrafttechnik, die überzeugend wäre. Entweder die Technik ist noch nicht ausgereift oder sie produziert weiterhin problematischen Müll oder sie ist ebenfalls zu gefährlich oder ... Da Greenpeace meines Wissens kein plausibles Motiv hat, die Energiegewinnung aus Kernspaltung zu zerreden (ich unterstelle mal, dass das Gerücht ideologischer Verblendung bei dem Thema im Wesentlichen eine Unterstelllung ist), die Kernkraftindustrie aber durchaus ein plausibles Motiv aufweist für ihre Produkte zu werben, gehe ich erstmal davon aus, dass die Expertise bei Greenpeace verlässlich ist.

siehe z.B. https://www.greenpea...de/atomausstieg

 

Kernfusion steckt offensichtlich noch in den ganz kleinen Kinderschuhen, da erst vor sehr kurzer Zeit, für sehr kurze Zeit, damit ein kleines bisschen mehr Energie produziert werden konnte als hineingesteckt wurde. Sie scheint auch unglaublich teuer zu sein.

 

Im Vergleich damit sind Techniken wie die Photovoltaik unschlagbar günstig.

siehe z.B. https://www.quarks.d...m-guenstigsten/

 

Christian, ich weiß nicht, ob Greenpeace Kernkraftwerke aus ideologischen Gründen ablehnt. Mir kommt das gelegentlich schon so vor. Und der Strom aus Photovoltaik ist nur dann billiger, wenn zwei Dinge unberücksichtigt bleiben:

 

1. Der Strom fällt saisonal und im Tagesgang sehr ungleichmäßig an. Während also an einem schönen Sommertag alle Photovoltaikanlagen am Anschlag produzieren, liefern sie von November bis Februar kaum 10% ihrer Nennleistung. Damit lässt sich der Strom im Sommer nicht komplett nutzen, während er im Winter fehlt. Das können auch Windkraftanlagen nicht komplett ausgleichen. Die Kosten für saisonale Stromspeicher sind aber irrsinnig hoch. Wenn man aus dem Strom Wasserstoff erzeugt und den Wasserstoff im Winter wieder verbrennt, verliert man aber ca. 60% der Energie. Fairerweise müssten diese Kosten aber mit berücksichtigt werden. Ebenso muss das Stromnetz in der Breite ausgebaut werden. Weil die Photovoltaikanlagen verteilt liegen, müsste das Verteilnetz ausgebaut werden, um die Mengen ohne große Verluste transportieren zu können. Wenn in zehn Jahre immer mehr Menschen mit Strom (Wärmepumpen) heizen und Elektroautos fahren, ist das Netz ebenfalls überlastet. Wir reden hier aber von mehr als einer Million Kilometer, von denen ein größerer Teil in den nächsten Jahren "ertüchtigt" werden muss.

 

2. Wes muss immer so viel Strom im Netz verfügbar sein, wie verbraucht wird. Im Moment gibt es eine genau austarierte Regelung dafür, die aber noch auf der Idee beruht, dass große Kraftwerke den Strom erzeugen, der dann verteilt wird. Wenn in Zukunft Millionen Photovoltaik-Anbieter und zehntausende Windkraftanlagen die Stromversorgung sichern sollen, muss das System umgestellt werden. Wir brauchen eine intelligente Regelung für Millionen Einspeisepunkte und Millionen Verbraucher. Dafür gibt es bereits Ideen, aber sowohl der Aufbau als auch die Erhaltung werden teuer.

 

Die Idee, dass normale Verbraucher bald weniger als 20 ct für ihren Strom bezahlen, wenn erst die Versorgung auf 100% Erneuerbare umgestellt ist, ist deshalb illusorisch.



#37 Fermentarius

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Geschrieben 07 September 2023 - 10:03

Eine Kreislaufwirtschaft ist kein Perpetuum mobile. Da werden die Stoffe im Kreislauf geführt, wie das die belebte Natur macht. Dass dazu Energie von außen erforderlich ist, ist klar - die liefert die Sonne, und zwar mehr als genug. Dazu brauchen wir keine Kernkraft.

Mir scheint, dass es zum Thema "Kreislauf" einige weit verbreitete Missverständnisse gibt, und zwar  nicht nur beimJörg, sondern bei sehr vielen Menschen. Zunächst einmal ist die Natur nicht in einem statischen Gleichgewicht, sondern sie ist - wissenschaftlich gesprochen - ein komplexes System in einem Fließgleichgewicht. Komplexe Systeme können lange Zeit stabil sein, sie reagieren aber unberechenbar auf äußere Einflüsse und neigen zum Zusammenbruch. Lebewesen sind beispielsweise komplexe Systeme. Sie stehen mit der Umgebung in einer stabilen Wechselwirkung, aber irgendwann sterben sie, das heißt, ihr System bricht zusammen. Die Natur selbst ist nicht auf Gleichgewicht aus, sie hat überhaupt keine Richtung. Und Leben ist auch nicht so gestaltet, dass katastrophale Änderungen ausgeschlossen sind. Beispiele:

 

Die ersten sauerstoffproduzierenden Zellen sorgten vor ca. 2,4 Milliarden Jahren für einen kompletten Zusammenbruch des damaligen Ökosystems.

 

https://de.wikipedia...toffkatastrophe

 

Vor rund 450 Millionen Jahren breiteten sich Pflanzen zum ersten Mal auf dem Land aus. Damit brachten sie das Weltklima aus dem Gleichgewicht.

 

https://www.spektrum...s-todes/1784585

 

Dann gibt es noch ein weiteres Problem: Leben beruht auf Elementen, die allesamt an der Erdoberfläche in ausreichender Menge vorkommen. Ein Tier, eine Pflanze oder ein Bakterium nimmt also immer genügend Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Schwefel oder Phosphor aus der Umgebung auf. Unsere technische Zivilisation braucht dagegen Elemente, die eben nicht überall vorkommen, sondern erst ausgegraben und dann aus den Erzen gewonnen werden müssen. Inzwischen ist der Bedarf bei einigen Elementen so hoch, dass die Produkte richtig teuer werden. Ein Beispiel: Die meisten Menschen nehmen an, dass Stromkabel aus Kupfer bestehen. Tatsächlich sind die Hochspannungs-, Mittelspannungs- und Verteilnetze aber oft mit Aluminiumkabeln ausgestattet. Das leitet zwar schlechter, ist aber billiger. Kupfer ist schlicht zu teuer geworden. Silber wäre übrigens noch besser, aber das kann erst recht niemand bezahlen.

 

Dazu kommt das Problem, dass natürlich durch den technischen Fortschritt immer andere Produkte benötigt werden. Lithium hatte noch vor zwanzig Jahren einen sehr überschaubaren Markt, heute ist es knapp, obwohl die Produktion sich vervielfacht hat.

 

Und nicht zu vergessen: Uns hier in Deutschland kommt es vielleicht so vor, als wäre ein Gleichgewicht erreichbar. In Afrika und einigen asiatischen Staaten wächst dagegen die Bevölkerung immer noch an, während gleichzeitig die Nachfrage nach technischen Produkten mit steigendem Wohlstand noch stärker wächst. Der zusätzliche Bedarf lässt nicht durch Recycling decken.

 

Also: bei genauem Hinsehen ist alles viel komplizierter, als es auf den ersten Blick aussieht.



#38 Christian Hornstein

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Geschrieben 08 September 2023 - 10:42

Christian, ich weiß nicht, ob Greenpeace Kernkraftwerke aus ideologischen Gründen ablehnt. Mir kommt das gelegentlich schon so vor. Und der Strom aus Photovoltaik ist nur dann billiger, wenn zwei Dinge unberücksichtigt bleiben:

 

1. Der Strom fällt saisonal und im Tagesgang sehr ungleichmäßig an. Während also an einem schönen Sommertag alle Photovoltaikanlagen am Anschlag produzieren, liefern sie von November bis Februar kaum 10% ihrer Nennleistung. Damit lässt sich der Strom im Sommer nicht komplett nutzen, während er im Winter fehlt. Das können auch Windkraftanlagen nicht komplett ausgleichen. Die Kosten für saisonale Stromspeicher sind aber irrsinnig hoch. Wenn man aus dem Strom Wasserstoff erzeugt und den Wasserstoff im Winter wieder verbrennt, verliert man aber ca. 60% der Energie. Fairerweise müssten diese Kosten aber mit berücksichtigt werden. Ebenso muss das Stromnetz in der Breite ausgebaut werden. Weil die Photovoltaikanlagen verteilt liegen, müsste das Verteilnetz ausgebaut werden, um die Mengen ohne große Verluste transportieren zu können. Wenn in zehn Jahre immer mehr Menschen mit Strom (Wärmepumpen) heizen und Elektroautos fahren, ist das Netz ebenfalls überlastet. Wir reden hier aber von mehr als einer Million Kilometer, von denen ein größerer Teil in den nächsten Jahren "ertüchtigt" werden muss.

 

2. Wes muss immer so viel Strom im Netz verfügbar sein, wie verbraucht wird. Im Moment gibt es eine genau austarierte Regelung dafür, die aber noch auf der Idee beruht, dass große Kraftwerke den Strom erzeugen, der dann verteilt wird. Wenn in Zukunft Millionen Photovoltaik-Anbieter und zehntausende Windkraftanlagen die Stromversorgung sichern sollen, muss das System umgestellt werden. Wir brauchen eine intelligente Regelung für Millionen Einspeisepunkte und Millionen Verbraucher. Dafür gibt es bereits Ideen, aber sowohl der Aufbau als auch die Erhaltung werden teuer.

 

Die Idee, dass normale Verbraucher bald weniger als 20 ct für ihren Strom bezahlen, wenn erst die Versorgung auf 100% Erneuerbare umgestellt ist, ist deshalb illusorisch.

 
Ja, es entstehen auch Kosten durch Speichersysteme und das Stromnetz. Bei der Berechnung von Stromgestehungskosten werden aber keine Gesamtsystemkosten berechnet. Das gilt nicht nur für die erneuerbaren Energiequellen, sondern für alle Quellen. Auch die Atomkraftwerke können das Gesamtsystem nicht in jeder Stunde versorgen, dennoch werden in deren Stromgestehungskosten die Kosten für kompensierende Technik wie Gas- oder Wasserkraftwerke nicht eingerechnet.

Wenn es um das Gesamtsystem geht, muss man die Kosten des gesammten Systems einschließen. In dem Fall müssten dann aber auch Kosten für die Versicherung von Atomkraftwerken und deren sogenannte Ewigkeitslasten einkalkuliert werden. Diese Kosten sind dermaßen hoch, dass sie selbst das teuerste Gesamtsystem auf Basis erneuerbarer Quellen in den Schatten stellen. Dieses Gesamtsystem braucht übrigens laut Fraunhofer-Institut gar nicht so viel Speicher, weil sich durch eine geeignete Mischung aus Solar- und Windstrom die Erzeugung gut über das Jahr verteilen lässt. Etwa 10-15% müssten noch aus flexiblen Kraftwerken kommen wie Biogas oder Wasserstoff.

Versicherung der Kraftwerke und Ewigkeitslasten:
https://www.manager-...n/a-761954.html
https://www.spektrum...trum-de/1222444


Bearbeitet von Christian Hornstein, 08 September 2023 - 10:48.


#39 Christian Hornstein

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Geschrieben 08 September 2023 - 10:46

Mir scheint, dass es zum Thema "Kreislauf" einige weit verbreitete Missverständnisse gibt, und zwar  nicht nur beimJörg, sondern bei sehr vielen Menschen. Zunächst einmal ist die Natur nicht in einem statischen Gleichgewicht, sondern sie ist - wissenschaftlich gesprochen - ein komplexes System in einem Fließgleichgewicht. Komplexe Systeme können lange Zeit stabil sein, sie reagieren aber unberechenbar auf äußere Einflüsse und neigen zum Zusammenbruch. Lebewesen sind beispielsweise komplexe Systeme. Sie stehen mit der Umgebung in einer stabilen Wechselwirkung, aber irgendwann sterben sie, das heißt, ihr System bricht zusammen. Die Natur selbst ist nicht auf Gleichgewicht aus, sie hat überhaupt keine Richtung. Und Leben ist auch nicht so gestaltet, dass katastrophale Änderungen ausgeschlossen sind. Beispiele:

 

Die ersten sauerstoffproduzierenden Zellen sorgten vor ca. 2,4 Milliarden Jahren für einen kompletten Zusammenbruch des damaligen Ökosystems.

 

https://de.wikipedia...toffkatastrophe

 

Vor rund 450 Millionen Jahren breiteten sich Pflanzen zum ersten Mal auf dem Land aus. Damit brachten sie das Weltklima aus dem Gleichgewicht.

 

https://www.spektrum...s-todes/1784585

 

Dann gibt es noch ein weiteres Problem: Leben beruht auf Elementen, die allesamt an der Erdoberfläche in ausreichender Menge vorkommen. Ein Tier, eine Pflanze oder ein Bakterium nimmt also immer genügend Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Schwefel oder Phosphor aus der Umgebung auf. Unsere technische Zivilisation braucht dagegen Elemente, die eben nicht überall vorkommen, sondern erst ausgegraben und dann aus den Erzen gewonnen werden müssen. Inzwischen ist der Bedarf bei einigen Elementen so hoch, dass die Produkte richtig teuer werden. Ein Beispiel: Die meisten Menschen nehmen an, dass Stromkabel aus Kupfer bestehen. Tatsächlich sind die Hochspannungs-, Mittelspannungs- und Verteilnetze aber oft mit Aluminiumkabeln ausgestattet. Das leitet zwar schlechter, ist aber billiger. Kupfer ist schlicht zu teuer geworden. Silber wäre übrigens noch besser, aber das kann erst recht niemand bezahlen.

 

Dazu kommt das Problem, dass natürlich durch den technischen Fortschritt immer andere Produkte benötigt werden. Lithium hatte noch vor zwanzig Jahren einen sehr überschaubaren Markt, heute ist es knapp, obwohl die Produktion sich vervielfacht hat.

 

Und nicht zu vergessen: Uns hier in Deutschland kommt es vielleicht so vor, als wäre ein Gleichgewicht erreichbar. In Afrika und einigen asiatischen Staaten wächst dagegen die Bevölkerung immer noch an, während gleichzeitig die Nachfrage nach technischen Produkten mit steigendem Wohlstand noch stärker wächst. Der zusätzliche Bedarf lässt nicht durch Recycling decken.

 

Also: bei genauem Hinsehen ist alles viel komplizierter, als es auf den ersten Blick aussieht.

 
Ja, in der Natur ist nichts für die Ewigkeit, aber in der Natur haben sich eine Reihe von Systemen gehalten, die sich als stabil erwiesen haben. Manche Kreisläufe existieren schon seit Millionen von Jahren. Stabile Kreisläufe sind also durchaus möglich.

Ja, wir verwenden Elemente und erzeugen Produkte, die sich momentan offenbar schlecht für Kreisläufe eignen. Wir haben uns ja bisher auch nicht darum geschert, weil andere Eigenschaften im Vordergrund standen. Genau das war aber unser Fehler. Wir müssen unsere Produkte zukünftig auch danach ausrichten und entwickeln, dass sie sich für einen nachhaltigen Kreislauf eignen. Das mag nicht so trivial sein, hat sich jedoch als unabdingbar erwiesen, wenn wir nicht wie Heuschrecken vom einen zum nächsten Planeten hüpfen wollen.



#40 WeepingElf

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Geschrieben 08 September 2023 - 13:06

 
Ja, es entstehen auch Kosten durch Speichersysteme und das Stromnetz. Bei der Berechnung von Stromgestehungskosten werden aber keine Gesamtsystemkosten berechnet. Das gilt nicht nur für die erneuerbaren Energiequellen, sondern für alle Quellen. Auch die Atomkraftwerke können das Gesamtsystem nicht in jeder Stunde versorgen, dennoch werden in deren Stromgestehungskosten die Kosten für kompensierende Technik wie Gas- oder Wasserkraftwerke nicht eingerechnet.

Wenn es um das Gesamtsystem geht, muss man die Kosten des gesammten Systems einschließen. In dem Fall müssten dann aber auch Kosten für die Versicherung von Atomkraftwerken und deren sogenannte Ewigkeitslasten einkalkuliert werden. Diese Kosten sind dermaßen hoch, dass sie selbst das teuerste Gesamtsystem auf Basis erneuerbarer Quellen in den Schatten stellen. Dieses Gesamtsystem braucht übrigens laut Fraunhofer-Institut gar nicht so viel Speicher, weil sich durch eine geeignete Mischung aus Solar- und Windstrom die Erzeugung gut über das Jahr verteilen lässt. Etwa 10-15% müssten noch aus flexiblen Kraftwerken kommen wie Biogas oder Wasserstoff.

Versicherung der Kraftwerke und Ewigkeitslasten:
https://www.manager-...n/a-761954.html
https://www.spektrum...trum-de/1222444

Und flexibel ist der Knackpunkt, weswegen die Kernenergie (mal ganz abgesehen von dem ungelösten Entsorgungsproblem der nuklearen Abfälle, das an und für sich diese Techologie verbieten sollte) hier heraus fällt. Denn Kernkraftwerke sind alles andere als flexibel. Wie ich schon geschrieben habe, können die gar nicht kurzfristig einspringen, wenn Sonne, Wind & Co. mal nicht genug Strom liefern - die brauchen mehrere Tage, um anzufahren. Das sind Grundlastkraftwerke, die so viel Strom produzieren, dass in Zeiten geringen Verbrauchs Wind- und Solarkraftwerke abgeschaltet werden müssen, weil sonst zu viel Strom im Netz ist. Das macht die Erneuerbaren unrentabel, so dass sie zu wenig ausgebaut werden und teuer subventioniert werden müssen. Kernenergie ist also ein Hindernis für die Energiewende, kein Bestandteil von ihr.


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#41 J. A. Hagen

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Geschrieben 08 September 2023 - 14:37

So viel zu Deutschlands Stromimporten:

https://www.n-tv.de/...et-newtab-de-de


  • (Buch) gerade am lesen:David Weber: Honor Among Enemies; Exodus 44
  • (Buch) als nächstes geplant:Unsere Freunde von Epsilon Eridani
  • • (Film) Neuerwerbung: Ghost in the Shell: Stand Alone Complex 2nd Gig

#42 Fermentarius

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Geschrieben 08 September 2023 - 17:49

 
Ja, es entstehen auch Kosten durch Speichersysteme und das Stromnetz. Bei der Berechnung von Stromgestehungskosten werden aber keine Gesamtsystemkosten berechnet. Das gilt nicht nur für die erneuerbaren Energiequellen, sondern für alle Quellen. Auch die Atomkraftwerke können das Gesamtsystem nicht in jeder Stunde versorgen, dennoch werden in deren Stromgestehungskosten die Kosten für kompensierende Technik wie Gas- oder Wasserkraftwerke nicht eingerechnet.

Wenn es um das Gesamtsystem geht, muss man die Kosten des gesammten Systems einschließen. In dem Fall müssten dann aber auch Kosten für die Versicherung von Atomkraftwerken und deren sogenannte Ewigkeitslasten einkalkuliert werden. Diese Kosten sind dermaßen hoch, dass sie selbst das teuerste Gesamtsystem auf Basis erneuerbarer Quellen in den Schatten stellen. Dieses Gesamtsystem braucht übrigens laut Fraunhofer-Institut gar nicht so viel Speicher, weil sich durch eine geeignete Mischung aus Solar- und Windstrom die Erzeugung gut über das Jahr verteilen lässt. Etwa 10-15% müssten noch aus flexiblen Kraftwerken kommen wie Biogas oder Wasserstoff.

Versicherung der Kraftwerke und Ewigkeitslasten:
https://www.manager-...n/a-761954.html
https://www.spektrum...trum-de/1222444

Hallo Christian,

vielen Dank für die spannende Diskussion. Das Thema hat in der Tat viele Facetten, und es ist gut, wenn möglichst viele davon angesprochen werden. In der Wikipedia gibt es eine Liste von deutschen Kernkraftanlagen.

https://de.wikipedia..._in_Deutschland

da ist auch die durchschnittliche Verfügbarkeit über den Betriebszeitraum zu ersehen. Sie ist vergleichsweise sehr hoch, es muss also nur wenig kompensiert werden. Außerdem sind die Wartungszeiten meist sehr gut planbar.

 

Zu den Ewigkeitskosten im Ruhrgebiet: Ja, Teile des Ruhrgebiets werden möglicherweise irgendwann unter Wasser stehen, denn natürlich kann nicht ewig abgepumpt werden. Die Kosten sind aber überschaubar, wie ein Bericht aus diesem Jahr ausweist.

 

https://www.sueddeut...30606-99-959839

 

Und eine Reihe von Stadtwerken im Ruhrgebiet will das warme Grubenwasser zur Gewinnung von Heizenergie einsetzen. Die Idee liegt ja auch nahe.

Ob das Wasser wirklich ewig abgepumpt werden muss, weiß ich nicht. Die Stollen werden im Laufe der Zeit zusammengedrückt und verschwinden. Jetzt wäre es natürlich möglich, dass sie trotzdem noch Wasser durchleiten, dass also das Wasser sich seine unterirdischen Kanäle selbst offen hält. Aber da bin ich kein Experte.

 

Die Versicherungsprämie von 73 Milliarden Euro pro Kernkraftwerk und Jahr, die in deinem Link auf den Artikel des Manager-Magazins genannt ist, scheint mir etwas hochgegriffen zu sein. Eine Liste von Atomunfällen beziffert den Schaden zwischen 1953 und 2012 auf 500 Milliarden US$.

https://www.tagessch...ten-ts-100.html

Die Versicherungsprämie allein in Europa würde dann ja mehr als das Zehnfache der Weltschadenssumme für 60 Jahre betragen. Das hört sich nach einem guten Geschäft für die Versicherung an.

 

Thema Kreisläufe: Wir haben keine echten Kreisläufe, sondern nur ein Fließgleichgewicht. Stell dir das vor wie ein Teich in einem Gebirgsbach. Solange der Bach ständig eine konstante Menge an Wasser in den Teich schickt, entstehen dort scheinbar stabile Strömungen, Wirbel, stille Orte und geriffelte Sandablagerungen. Aber sobald sich die Durchflussmenge ändert, vielleicht auch nur um einige Prozent, löst sich das Bild auf, und es entsteht ein ganz neues, das nach einer Einschwingphase ebenso stabil ist. Wenn der Bach jetzt irgendwann wieder die alte Menge liefert, kommt das alte Bild nicht unbedingt zurück. Vielleicht wurde an einer Stelle ein Fels untergraben und ist verrutscht, oder die neue Strömung hat in den Sand am Boden eine neue Rille gegraben.

Tatsächlich war es in der Natur ganz ähnlich: Jede Eiszeit hat die Klimabedingungen, und damit die Flora und Fauna, unwiderruflich verändert. Die Gletscher haben Gebirge in Rekordzeit abgetragen und Geröllhügel vor sich hergeschoben. Und jedes Mal haben sich neue, scheinbar stabile Kreisläufe gebildet, die aber letztlich vom Durchfluss der Sonnenenergie abhängen.

Wenn du das vertiefen möchtest, solltest du vielleicht Artikel über Fließgleichgewicht und komplexe Systeme lesen. Das ist ein faszinierendes Thema. Ich habe das auch im meinem Buch

"Offline! Der Kollaps der globalen digitalen Zivilisation" etwas genauer erläutert.

https://link.springe...8-3-662-63386-1

Demnach ist ein Kollaps der aktuellen Zivilisation unvermeidlich, die Frage ist nur, ob wir der nächsten Zivilisation einen guten Start mitgeben können.

Die meisten hier kennen diese spannende Fragestellung vermutlich aus der Foundation-Serie von Isaac Asimov.



#43 Helge

Helge

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Geschrieben 08 September 2023 - 18:31

Gerade habe ich mich heute noch aufgeregt über diese unglaublich dummdreiste Hütchenspielerei von n-tv und habe mich wirklich gefragt: Glauben die ernsthaft, dass darauf irgendjemand hereinfällt? Und schon taucht der Link dazu hier auf ... :bigcry:

Tatsache ist, dass Deutschland zwar tatsächlich recht viel Strom exportiert, nämlich in Wind- und Solarerzeugungsspitzen, regelmäßig zu sehr niedrigen oder manchmal auch Negativpreisen, weil das Überangebot für die Netzausregelung weg muss. Wenn es dunkel ist und zu wenig Wind weht (was meistens der Fall ist), wird dafür sehr viel teurerer Strom importiert. Die von n-tv behauptete win-win-Situation gibt es also nur für Frankreich und die anderen Nachbarländer: Sie verkaufen teuren Strom an Deutschland und kaufen billigen bzw. lassen sich dafür bezahlen, ihn zu verbraten. Für Deutschland ist es eine lose-lose-Situation.

Es gibt sogar einzelne Mainstreammedien, die darüber ehrlich berichten, siehe z.B. hier: https://www.bz-berli...uer-deutschland


Bearbeitet von Helge, 08 September 2023 - 18:35.


#44 Christian Hornstein

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Geschrieben 10 September 2023 - 06:08

Gerade habe ich mich heute noch aufgeregt über diese unglaublich dummdreiste Hütchenspielerei von n-tv und habe mich wirklich gefragt: Glauben die ernsthaft, dass darauf irgendjemand hereinfällt? Und schon taucht der Link dazu hier auf ... :bigcry:

Tatsache ist, dass Deutschland zwar tatsächlich recht viel Strom exportiert, nämlich in Wind- und Solarerzeugungsspitzen, regelmäßig zu sehr niedrigen oder manchmal auch Negativpreisen, weil das Überangebot für die Netzausregelung weg muss. Wenn es dunkel ist und zu wenig Wind weht (was meistens der Fall ist), wird dafür sehr viel teurerer Strom importiert. Die von n-tv behauptete win-win-Situation gibt es also nur für Frankreich und die anderen Nachbarländer: Sie verkaufen teuren Strom an Deutschland und kaufen billigen bzw. lassen sich dafür bezahlen, ihn zu verbraten. Für Deutschland ist es eine lose-lose-Situation.

Es gibt sogar einzelne Mainstreammedien, die darüber ehrlich berichten, siehe z.B. hier: https://www.bz-berli...uer-deutschland

 
Solche Momentaufnahmen sollten uns nicht davon ablenken, was wir langfristig anstreben, nämlich europaweit erneuerbar erzeugte Energie zu erhalten. Sich gegenseitig Strom zu verkaufen ist kein Problem, sondern Teil der Strategie, die Energie optimal zu verteilen. Schau z.B. mal hier: https://www.eon.de/w...tterie-europas/

 

Langfristig werden die französischen AKW ein noch größeres Problem haben als bislang schon. Viele sind marode und je wärmer es wird, desto mehr geht ihnen die Kühlung aus den versiegenden Flüssen aus.


Bearbeitet von Christian Hornstein, 10 September 2023 - 06:36.


#45 Christian Hornstein

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Geschrieben 10 September 2023 - 06:34

Hallo Christian,

vielen Dank für die spannende Diskussion. Das Thema hat in der Tat viele Facetten, und es ist gut, wenn möglichst viele davon angesprochen werden. In der Wikipedia gibt es eine Liste von deutschen Kernkraftanlagen.

https://de.wikipedia..._in_Deutschland

da ist auch die durchschnittliche Verfügbarkeit über den Betriebszeitraum zu ersehen. Sie ist vergleichsweise sehr hoch, es muss also nur wenig kompensiert werden. Außerdem sind die Wartungszeiten meist sehr gut planbar.

 

Zu den Ewigkeitskosten im Ruhrgebiet: Ja, Teile des Ruhrgebiets werden möglicherweise irgendwann unter Wasser stehen, denn natürlich kann nicht ewig abgepumpt werden. Die Kosten sind aber überschaubar, wie ein Bericht aus diesem Jahr ausweist.

 

https://www.sueddeut...30606-99-959839

 

Und eine Reihe von Stadtwerken im Ruhrgebiet will das warme Grubenwasser zur Gewinnung von Heizenergie einsetzen. Die Idee liegt ja auch nahe.

Ob das Wasser wirklich ewig abgepumpt werden muss, weiß ich nicht. Die Stollen werden im Laufe der Zeit zusammengedrückt und verschwinden. Jetzt wäre es natürlich möglich, dass sie trotzdem noch Wasser durchleiten, dass also das Wasser sich seine unterirdischen Kanäle selbst offen hält. Aber da bin ich kein Experte.

 

Die Versicherungsprämie von 73 Milliarden Euro pro Kernkraftwerk und Jahr, die in deinem Link auf den Artikel des Manager-Magazins genannt ist, scheint mir etwas hochgegriffen zu sein. Eine Liste von Atomunfällen beziffert den Schaden zwischen 1953 und 2012 auf 500 Milliarden US$.

https://www.tagessch...ten-ts-100.html

Die Versicherungsprämie allein in Europa würde dann ja mehr als das Zehnfache der Weltschadenssumme für 60 Jahre betragen. Das hört sich nach einem guten Geschäft für die Versicherung an.

 

Thema Kreisläufe: Wir haben keine echten Kreisläufe, sondern nur ein Fließgleichgewicht. Stell dir das vor wie ein Teich in einem Gebirgsbach. Solange der Bach ständig eine konstante Menge an Wasser in den Teich schickt, entstehen dort scheinbar stabile Strömungen, Wirbel, stille Orte und geriffelte Sandablagerungen. Aber sobald sich die Durchflussmenge ändert, vielleicht auch nur um einige Prozent, löst sich das Bild auf, und es entsteht ein ganz neues, das nach einer Einschwingphase ebenso stabil ist. Wenn der Bach jetzt irgendwann wieder die alte Menge liefert, kommt das alte Bild nicht unbedingt zurück. Vielleicht wurde an einer Stelle ein Fels untergraben und ist verrutscht, oder die neue Strömung hat in den Sand am Boden eine neue Rille gegraben.

Tatsächlich war es in der Natur ganz ähnlich: Jede Eiszeit hat die Klimabedingungen, und damit die Flora und Fauna, unwiderruflich verändert. Die Gletscher haben Gebirge in Rekordzeit abgetragen und Geröllhügel vor sich hergeschoben. Und jedes Mal haben sich neue, scheinbar stabile Kreisläufe gebildet, die aber letztlich vom Durchfluss der Sonnenenergie abhängen.

Wenn du das vertiefen möchtest, solltest du vielleicht Artikel über Fließgleichgewicht und komplexe Systeme lesen. Das ist ein faszinierendes Thema. Ich habe das auch im meinem Buch

"Offline! Der Kollaps der globalen digitalen Zivilisation" etwas genauer erläutert.

https://link.springe...8-3-662-63386-1

Demnach ist ein Kollaps der aktuellen Zivilisation unvermeidlich, die Frage ist nur, ob wir der nächsten Zivilisation einen guten Start mitgeben können.

Die meisten hier kennen diese spannende Fragestellung vermutlich aus der Foundation-Serie von Isaac Asimov.

 
Den Hinweis zu den Gruben im Ruhrgebiet habe ich gepostet, weil er an einer Ecke zeigt, wie problematisch und teuer die Endlagerung für radioaktive Abfälle werden kann. Die lagern zum Teil immer noch in Bergwerken und die sollten natürlich nicht geflutet werden.

Ich weiß jetzt nicht, was Du unter einem "echten" Kreislauf verstehst. Ich beziehe mich auf die Definition aus der Ökologie (https://de.wikipedia.../Stoffkreislauf). Das von Dir erwähnte Fließgleichgewicht ist in dem Fall ein Teilabschnitt eines Kreislaufs.

Ich finde es spannend, dass Du Dich so intensiv mit Faktoren der Instabilität und Störanfälligkeit unserer Gesellschaft befasst hast. Ich finde es besser, vorbeugend zu handeln als nachsorgend, wie wir es leider mit unserem Ökosystem tun. Da lagern wir jetzt auch schon Stichproben aus dem globalen Genpool für die Nachwelt anstatt den Kollaps aktiv zu verhindern und die Transformation geschmeidiger zu gestalten. Hari Seldon lässt grüßen.


Bearbeitet von Christian Hornstein, 10 September 2023 - 06:47.


#46 Fermentarius

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Geschrieben 10 September 2023 - 12:26

 
Den Hinweis zu den Gruben im Ruhrgebiet habe ich gepostet, weil er an einer Ecke zeigt, wie problematisch und teuer die Endlagerung für radioaktive Abfälle werden kann. Die lagern zum Teil immer noch in Bergwerken und die sollten natürlich nicht geflutet werden.

Ich weiß jetzt nicht, was Du unter einem "echten" Kreislauf verstehst. Ich beziehe mich auf die Definition aus der Ökologie (https://de.wikipedia.../Stoffkreislauf). Das von Dir erwähnte Fließgleichgewicht ist in dem Fall ein Teilabschnitt eines Kreislaufs.

Ich finde es spannend, dass Du Dich so intensiv mit Faktoren der Instabilität und Störanfälligkeit unserer Gesellschaft befasst hast. Ich finde es besser, vorbeugend zu handeln als nachsorgend, wie wir es leider mit unserem Ökosystem tun. Da lagern wir jetzt auch schon Stichproben aus dem globalen Genpool für die Nachwelt anstatt den Kollaps aktiv zu verhindern und die Transformation geschmeidiger zu gestalten. Hari Seldon lässt grüßen.

Die Ewigkeitslasten aus dem Bergbau sind mit dem Problem der Endlagerung von Atommüll kaum vergleichbar, allenfalls so weit, dass nach Abschluss der aktiven Bewirtschaftung weiterhin Arbeit geleistet werden muss. Aber die Art der Arbeit ist schon eine andere.

 

Bei den Stoffkreisläufen in der Ökologie wird der die ständige Energiezufuhr, also der "Antrieb", quasi vorausgesetzt und eigentlich nie extra erwähnt. Dieser Kreislauf beruht auf einem Fließgleichgewicht (nicht umgekehrt).

 

Überhaupt steht das Fließgleichgewicht am Anfang allen Lebens. Eigentlich heißt es ja immer, dass sich in einem abgeschlossenes System im thermodynamischen Gleichgewicht die Entropie, also die Unordnung, stets vergrößert. Wieso konnte sich dann auf der frühen Erde Leben bilden, das ja eine deutlich höhere Form der Ordnung darstellt als die "Ursuppe", aus der es entstanden ist?

 

Tatsächlich liegt es daran, dass die Sonne ständig Energie liefert, die auf der Nachtseite der Erde abfließt. Ein solches System ist weit von einem thermodynamischen Gleichgewicht entfernt, sondern befindet sich in einem Fließgleichgewicht. Und da kann die Entropie auch mal rückwärts laufen (was sie ja getan hat). Und im Rahmen eines solchen Fließgleichgewichts entstehen komplexe Systeme, wie Lebewesen, oder im Fall der Menschen, Zivilisationen - und natürlich das Wetter und das Klima. Komplexe Systeme sind in den letzten Jahren als faszinierende Forschungsobjekte erkannt worden. In Deutschland befassen sich allein drei Max-Planck-Institute damit (MPI für die Physik komplexer Systeme, MPI für Dynamik und Selbstorganisation, MPI für die Danymik komplexer technischer Systeme).

 

Und wie schon erwähnt: Solche Systeme neigen zu plötzlichen Zustandswechseln, die nur schwer zu modellieren sind. Ob unsere Nachfahren in hundert Jahren so selbstverständlich zum Mond reisen wie wir nach Mallorca, oder ob sie in den Trümmern der Zivilisation jeden Winter hoffen, genügend Essen und Heizmaterial zu finden, ist verdammt schwer vorherzusagen.

 

Viele Grüße

 

Thomas

 

 

 

 

 

 

 



#47 Christian Hornstein

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Geschrieben 10 September 2023 - 14:21

Die Ewigkeitslasten aus dem Bergbau sind mit dem Problem der Endlagerung von Atommüll kaum vergleichbar, allenfalls so weit, dass nach Abschluss der aktiven Bewirtschaftung weiterhin Arbeit geleistet werden muss. Aber die Art der Arbeit ist schon eine andere.

 

 

Ja, ich wollte auch nicht die Ewigkeitslasten von Bergbau und Endlagerung vergleichen oder gar gleich setzen, sondern darlegen, wie problematisch es ist, Bergwerke auf lange Sicht trocken halten zu wollen, so, wie es bei der gegenwärtigen Endlagerung von Atommüll notwendig ist.

 

Bei den Stoffkreisläufen in der Ökologie wird der die ständige Energiezufuhr, also der "Antrieb", quasi vorausgesetzt und eigentlich nie extra erwähnt. Dieser Kreislauf beruht auf einem Fließgleichgewicht (nicht umgekehrt).

 

 

Ja, gerade weil sie die Sonne hinzudenkt, spricht die Ökologie von Kreislauf. Ohne die Einbindung der Sonne fehlte ja im Modell die Einwirkung von außen. Dann würde nur von einem Fließgleichgewicht (offenes System) gesprochen, genauso, wie wenn man Teilabschnitte des Kreislaufes betrachtet. Ich glaube, wir meinen dasgleiche. Es sind nur verschiedene Betrachtungsebenen.

Es gibt jedenfalls diese Systeme und einige waren recht stabil, bevor wir sie destabilsiert haben, was uns nicht besonders gut bekommt. Wir sollten deshalb in Zukunft mehr darauf achten, unsere Biosphäre nicht durch Vermüllung aus dem Fließgleichgewicht zu bringen, denn diese Destabilisierung kann den Kreislauf aufbrechen und ziemlich vielen Lebewesen das Leben kosten.


Bearbeitet von Christian Hornstein, 10 September 2023 - 14:28.


#48 WeepingElf

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Geschrieben 30 September 2023 - 13:30

Ich stehe anscheinend mit meiner Idee einer "grünen" SF, die den Weg in eine nachhaltige Zukunft aufzeigt, gar nicht so allein auf weiter Flur - selbst tagesschau.de berichtet darüber. Dort wird es "Solarpunk" genannt (vielleicht in Anlehnung an dieses Magazin), eine Bezeichnung, die mir nicht so recht gefällt, wegen des "Punk" im Namen, das hier nicht passt. Das scheint also im Kommen zu sein.


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#49 Fermentarius

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Geschrieben 30 September 2023 - 17:00

Die "grünen" SF, die unter dem in der Tat etwas unpassenden Etikett "Solarpunk" laufen, kommen mir immer vor wie die Rosemarie-Pilcher-Filme im ZDF. Wunderbar grüne Landschaften, schöne Menschen, die ohne Hast erfüllenden Berufen nachgehen. Eine unauffällige Dienerschaft sorgt für leibliches Wohlergehen.

Auch bei Solarpunk stellt sich immer die Frage, ob die gezeigten Szenen nicht eher den reichen Teil der Gesellschaft abbilden Irgendwer muss schließlich auch die fliegenden Solarbusse herstellen und warten. Die vielen elektronischen Helferlein setzen eine massive Industrie im Hintergrund voraus. Mit selbstverwalteten Fahrradläden lässt sich das alles nicht aufrechterhalten.

 

Die Menschen in Europa vergessen auch gerne, dass bereits heute Handys und Laptops in Billiglohnländern unter teilweise unmenschlichen Bedingungen gefertigt werden. Wenn die hier verkaufte Elektronik, Möbel, Schuhe und Kleidung in Deutschland unter Beachtung aller Arbeitsvorschriften und nur aus ökologisch unbedenklichen Rohstoffen stammen sollen, würden wir wesentlich mehr dafür bezahlen müssen. Vielleicht würde der Markt dafür dann so schrumpfen, dass die Herstellung überhaupt nicht möglich wäre.

 

Das heißt nicht, dass eine positive Zukunft unmöglich wäre. Aber gegenüber solchen einfachen Zukunftsvisionen bin ich doch extrem skeptisch.



#50 Christian Hornstein

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Geschrieben 30 September 2023 - 18:19

Die "grünen" SF, die unter dem in der Tat etwas unpassenden Etikett "Solarpunk" laufen, kommen mir immer vor wie die Rosemarie-Pilcher-Filme im ZDF. Wunderbar grüne Landschaften, schöne Menschen, die ohne Hast erfüllenden Berufen nachgehen. Eine unauffällige Dienerschaft sorgt für leibliches Wohlergehen.

Auch bei Solarpunk stellt sich immer die Frage, ob die gezeigten Szenen nicht eher den reichen Teil der Gesellschaft abbilden Irgendwer muss schließlich auch die fliegenden Solarbusse herstellen und warten. Die vielen elektronischen Helferlein setzen eine massive Industrie im Hintergrund voraus. Mit selbstverwalteten Fahrradläden lässt sich das alles nicht aufrechterhalten.

 

Die Menschen in Europa vergessen auch gerne, dass bereits heute Handys und Laptops in Billiglohnländern unter teilweise unmenschlichen Bedingungen gefertigt werden. Wenn die hier verkaufte Elektronik, Möbel, Schuhe und Kleidung in Deutschland unter Beachtung aller Arbeitsvorschriften und nur aus ökologisch unbedenklichen Rohstoffen stammen sollen, würden wir wesentlich mehr dafür bezahlen müssen. Vielleicht würde der Markt dafür dann so schrumpfen, dass die Herstellung überhaupt nicht möglich wäre.

 

Das heißt nicht, dass eine positive Zukunft unmöglich wäre. Aber gegenüber solchen einfachen Zukunftsvisionen bin ich doch extrem skeptisch.

 
Ja, da hast Du wohl leider recht. Wie Du wahrscheinlich weist, sind viele Produkte heute auch deshalb so günstig, weil die wahren Kosten, die sie verursachen, nicht eingepreist sind. Nach den Hochrechnungen der entsprechenden Institute, kommen wir gar nicht darum herum, uns einzuschränken. Leider riskiert momentan jeder, der das Wort Verzicht in den Mund nimmt, gleich Opfer eines Shitstorms zu werden.

 

Ich glaube, dass eine SF, die realistische Alternativen veranschaulichen will, diese Einschränkungen konstruktiv abbilden müsste. Ansonsten wird es unrealistisch oder zeigt tatsächlich nur eine Schicht, die weiter auf Kosten anderer lebt, und sich abschottet, was unsere aktuelle Lage dystopisch in anderer Weise fortschreiben würde.


Bearbeitet von Christian Hornstein, 30 September 2023 - 18:19.


#51 WeepingElf

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Geschrieben 01 Oktober 2023 - 15:08

Diese Fragestellung ist schon berechtigt. Wirklich "grün" wird es erst, wenn Ausbeutung von Mensch und Umwelt wirklich verschwinden, und nicht nur aus der Wahrnehmung. Wir werden uns in der einen oder anderen Weise einschränken müssen, weil viele lieb gewonnene Gewohnheiten auf Raubbau beruhen. Man kann zwar beispielsweise 10 Milliarden Menschen satt bekommen - aber nicht mit Fleisch. Und Elektroautos, auf die die Debatte zur Mobilitätswende allzu oft verkürzt wird, mildern zwar einige der Probleme des "Systems Auto", ändern aber nichts an anderen, wie der Stau-, Parkplatz- und Unfallproblematik - es sind immer noch Autos, die den Menschen in den Städten Platz zum Leben wegnehmen.

 

Zwar ist es so, dass viele Produkte nur deshalb so erschwinglich sind, weil bei ihrer Herstellung, oftmals irgendwo im globalen Süden, Menschen und Umwelt brutal ausgebeutet werden. Diese Produkte würden also erst mal teurer werden, wenn dieser Raubbau aufhören würde - doch dürfte die Qualität dieser Produkte dadurch steigen. Es macht eben einen Unterschied, ob etwas von rechtlosen Sklaven zusammengeschustert wird, die sich gerade genug am Riemen reißen, um der Peitsche zu entkommen, oder ob daran motivierte, angemessen bezahlte und anständig behandelte Menschen arbeiten, die sich mit dem Unternehmen und den Produkten, die sie herstellen, identifizieren.

 

Und ich denke, dass die Weltwirtschaft kein Nullsummenspiel ist, wo mehr Lebensqualität für einige nur durch weniger Lebensqualität für andere erreichbar wäre. Zumal Lebensqualität mehr ist als nur der Lebensstandard, der sich in Euro und Cent ausdrücken lässt. Da ist ganzheitliches Denken gefragt.


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#52 Christian Hornstein

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Geschrieben 03 Oktober 2023 - 18:02

Und ich denke, dass die Weltwirtschaft kein Nullsummenspiel ist, wo mehr Lebensqualität für einige nur durch weniger Lebensqualität für andere erreichbar wäre.

 

Na ja, es kommt darauf an. Sobald wir an die Grenzen der Ressourcen des Systems stoßen, wird das schon so sein.
 



#53 WeepingElf

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Geschrieben 03 Oktober 2023 - 20:03

Verstehe. Bei manchen Ressourcen haben wir die Grenzen schon überschritten. Dafür gibt es andere, erneuerbare Ressourcen, bei denen wir noch weit davon entfernt sind, an die Grenzen zu stoßen. Insofern glaube ich, dass eine globale nachhaltige Wohlstandsgesellschaft nicht unmöglich ist, auch wenn das eine große Herausforderung darstellt. Aber hat sich die Science Fiction je vor großen Herausforderungen gescheut? Und wer nicht daran glaubt, dass es möglich ist, für den ist es in der Tat unmöglich, das Ziel zu erreichen.


Bearbeitet von WeepingElf, 03 Oktober 2023 - 20:04.

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#54 Peter-in-Space

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Geschrieben 03 Oktober 2023 - 21:30

Ich bin jetzt mal provokativ: "grüne" SF beginnt für mich in der Prämisse, dass der Mensch von der Natur als obsolet betrachtet wurde und vom Antlitz dieses unseres Planeten entfernt wurde. Daraus entsteht eine Kontradiktion: wenn es keine Menschen mehr gibt, wer will uns in einer uns verständlichen Sprache aus der Zukunft berichten? Schwierig.

 

Dann lieber Raumschiffe. Fremde Planeten. Andere Bevölkerungen und Gesellschaftsmodelle. Alles das, was uns der TE als "science fantasy" verkaufen will. Die SF ist seit Lukian vor allem fantastisch. Es geht nicht um Entwürfe, sondern Ideen von zukünftigen Gegebenheiten.

 

just my2ct.


Wenn es eine Krisensituation gibt, sucht der intelligente Mensch nach einer Lösung,

der dumme Mensch nach Schuldigen.

(Verfasser unbekannt)

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#55 WeepingElf

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Geschrieben 04 Oktober 2023 - 13:05

Ich will es niemandem verübeln, wenn er lieber mit großen Raumschiffen spielt, statt Lösungen für die gegenwärtigen Probleme zu finden; diese Art der Science Fiction ist völlig legitim (genauso wie Fantasy legitim ist). Und ich mag auch keine Texte, die nur die Probleme darlegen, statt Lösungen aufzuzeigen. Genauso mag ich es mehr, wenn jemand von einer Sache erzählt, statt sie nur zu beschreiben. Und da sehe ich ein Segment, das zwar nicht völlig brach liegt, aber doch noch Wachstumspotenzial hat, und was mich reizt. Das ist eben mein Lieblingsgenre, so wie manch ein anderer vielleicht Space Operas oder Vampirgeschichten als Lieblingsgenre hat. Das ist alles legitim.

 

Natürlich wäre es für die irdische Biosphäre das Beste, wenn die Menschen komplett verschwänden, aber das werden die allermeisten Menschen nicht wollen, und wie Du sagst, gäbe es dann niemanden mehr, der davon noch erzählen könnte. Da ist es sicher viel spannender, zu lesen, wie die Menschheit Frieden mit der Natur findet, ohne zu verschwinden oder in die Steinzeit zurückzufallen.


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#56 Christian Hornstein

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Geschrieben 07 Oktober 2023 - 10:37

Die SF ist seit Lukian vor allem fantastisch. Es geht nicht um Entwürfe, sondern Ideen von zukünftigen Gegebenheiten.

 

In der SF kann es auch um Entwürfe gehen, aber eben narrativ unterhaltsam, sonst ist es Futurologie. Es kann auch bloß eine Metapher sein für etwas, das man nicht besser fassen kann, soweit es einen belastbaren Realitätsbezug hat. Es kann auch um Vorhersage gehen, wenn auch seltener. Meist geht es ja um gegenwärtiges, das wir extrapolierend verarbeiten.

 

Verstehe. Bei manchen Ressourcen haben wir die Grenzen schon überschritten. Dafür gibt es andere, erneuerbare Ressourcen, bei denen wir noch weit davon entfernt sind, an die Grenzen zu stoßen. Insofern glaube ich, dass eine globale nachhaltige Wohlstandsgesellschaft nicht unmöglich ist, auch wenn das eine große Herausforderung darstellt. Aber hat sich die Science Fiction je vor großen Herausforderungen gescheut? Und wer nicht daran glaubt, dass es möglich ist, für den ist es in der Tat unmöglich, das Ziel zu erreichen.

 

Eine globale nachhaltige Wohlstandgesellschaft ist dann möglich, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Das haben entsprechende wissenschaftliche Studien gezeigt. Die Frage ist nur, ob diese Bedingungen herstellbar sind, denn die entscheidenden Voraussetzungen sind nicht physikalischer, sondern psychologischer Art. Anders gesagt: Wenn eine kritische Masse an Menschen und die wortwörtlich entscheidenden Menschen auf dem Globus den Wandel im notwendigen Ausmaß samt hierfür erforderlichen Maßnahmen wollen würden, wäre er umsetzbar. Doch genau das ist momentan noch nicht der Fall. Wir wollen einfach noch nicht wirklich und das hat viele Gründe.
 


Bearbeitet von Christian Hornstein, 07 Oktober 2023 - 10:38.


#57 WeepingElf

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Geschrieben 07 Oktober 2023 - 18:12

In der SF kann es auch um Entwürfe gehen, aber eben narrativ unterhaltsam, sonst ist es Futurologie. Es kann auch bloß eine Metapher sein für etwas, das man nicht besser fassen kann, soweit es einen belastbaren Realitätsbezug hat. Es kann auch um Vorhersage gehen, wenn auch seltener. Meist geht es ja um gegenwärtiges, das wir extrapolierend verarbeiten.

 

 

Eine globale nachhaltige Wohlstandgesellschaft ist dann möglich, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Das haben entsprechende wissenschaftliche Studien gezeigt. Die Frage ist nur, ob diese Bedingungen herstellbar sind, denn die entscheidenden Voraussetzungen sind nicht physikalischer, sondern psychologischer Art. Anders gesagt: Wenn eine kritische Masse an Menschen und die wortwörtlich entscheidenden Menschen auf dem Globus den Wandel im notwendigen Ausmaß samt hierfür erforderlichen Maßnahmen wollen würden, wäre er umsetzbar. Doch genau das ist momentan noch nicht der Fall. Wir wollen einfach noch nicht wirklich und das hat viele Gründe.
 

 

Ich stimme beiden Absätzen im Wesentlichen zu. Zukunftsentwürfe ohne spannende Erzählung sind keine Science Fiction, sondern Futurologie, und die meisten Leute kaufen stattdessen lieber Kochbücher. Eine globale nachhaltige Wohlstandsgesellschaft ist prinzipiell möglich, aber es sind noch zu wenige Menschen zu den Veränderungen bereit, die das erfordert. Deshalb ist es ja gerade so nötig, diese Veränderungen im Bewusstsein herbeizuführen. Dass solche Veränderungen prinzipiell möglich sind, dafür gibt es historische Beispiele. Im 19. Jahrhundert galt die Todesstrafe hierzulande noch als gerechte Strafe für bestimmte Verbrechen wie Mord oder Hochverrat, und Krieg als ein legitimes Instrument zur Durchsetzung politischer Interessen. Es wurde als normal und nicht im Widerspruch zur "Zivilisiertheit" angesehen, dass europäische Staaten über "weniger zivilisierte" Menschen auf anderen Kontinenten herrschten. Heute würden in Westeuropa jedenfalls nur noch ein paar Rechtsextremisten offen Todesstrafe, Krieg oder Kolonialismus befürworten.


Bearbeitet von WeepingElf, 07 Oktober 2023 - 18:12.

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#58 Christian Hornstein

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Geschrieben 08 Oktober 2023 - 08:42

Ich stimme beiden Absätzen im Wesentlichen zu. Zukunftsentwürfe ohne spannende Erzählung sind keine Science Fiction, sondern Futurologie, und die meisten Leute kaufen stattdessen lieber Kochbücher. Eine globale nachhaltige Wohlstandsgesellschaft ist prinzipiell möglich, aber es sind noch zu wenige Menschen zu den Veränderungen bereit, die das erfordert. Deshalb ist es ja gerade so nötig, diese Veränderungen im Bewusstsein herbeizuführen. Dass solche Veränderungen prinzipiell möglich sind, dafür gibt es historische Beispiele. Im 19. Jahrhundert galt die Todesstrafe hierzulande noch als gerechte Strafe für bestimmte Verbrechen wie Mord oder Hochverrat, und Krieg als ein legitimes Instrument zur Durchsetzung politischer Interessen. Es wurde als normal und nicht im Widerspruch zur "Zivilisiertheit" angesehen, dass europäische Staaten über "weniger zivilisierte" Menschen auf anderen Kontinenten herrschten. Heute würden in Westeuropa jedenfalls nur noch ein paar Rechtsextremisten offen Todesstrafe, Krieg oder Kolonialismus befürworten.

 
Genau. Unsere Tragik ist, dass wir mental noch nicht so weit sind, wie es nötig wäre, um eine Welt über zwei Grad zu verhindern. Je nachdem wie schlimm es wird, könnte es zu einem Filter werden, der unsere Art nicht passieren lässt, und wir würden aussterben.

 

Und ja: Genau aus diesen Gründen ist es wichtig darüber zu reden, zu berichten, zu erzählen, zu fabulieren. Leider läuft uns die Zeit davon. Ich werde weiterhin die Thematik ansprechen und mich einsetzen, weil es das Richtige ist zu tun, wenn man Verantwortung für sein Tun und dessen Auswirkung auf andere Wesen empfindet, aber ich befürchte, dass der Zug abgefahren ist. Wir verändern die Dinge immer noch viel langsamer als das physikalische Geschehen voranschreitet.


Bearbeitet von Christian Hornstein, 08 Oktober 2023 - 08:44.


#59 WeepingElf

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Geschrieben 08 Oktober 2023 - 12:44

Ich sehe das im Prinzip ähnlich, bin aber weniger pessimistisch. Ja, die Zeit rennt uns davon, aber das Rennen ist noch nicht verloren. Und wir können uns Defätismus nicht leisten, denn wer glaubt, es sei eh alles zu spät, der ist auch nicht mehr motiviert, etwas gegen die drohende Katastrophe zu unternehmen.


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#60 Christian Hornstein

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Geschrieben 11 Oktober 2023 - 20:17

Ich sehe das im Prinzip ähnlich, bin aber weniger pessimistisch. Ja, die Zeit rennt uns davon, aber das Rennen ist noch nicht verloren. Und wir können uns Defätismus nicht leisten, denn wer glaubt, es sei eh alles zu spät, der ist auch nicht mehr motiviert, etwas gegen die drohende Katastrophe zu unternehmen.

 
Ja, das stimmt, aber ich bin nicht defätistisch, denn ich weiß nicht, wie es ausgehen wird. Ich glaube nur, dass es mittlerweile recht schwer ist, das Rennen zu gewinnen, und ich sehe keine dem entsprechenden Anstrengungen. Aufhören zu tun, was ich kann, um das Schlimmste zu verhindern, würde ich nur, wenn ich sicher wäre, dass nichts mehr zu retten ist.





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