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Ray Bradbury: Die goldenen Äpfel der Sonne (1953)

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7 Antworten in diesem Thema

#1 J. A. Hagen

J. A. Hagen

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Geschrieben 20 November 2023 - 09:31

Am Samstag habe ich diese Kurzgeschichtensammlung in der Ausleihe gefunden, mitgenommen und bislang mehr als die Hälfte der Erzählungen gelesen.

Anscheinend gibt es hier im Forum noch keinen Beitrag dazu, daher werde ich ein Zwischenfazit abliefern. Vielleicht sucht jemand nach Anregung für den Klassiker-Lesezirkel.

 

Schon bei der ersten Geschichte habe ich mich gefragt: „Verdammt, an wen erinnert mich der Stil?“ Nachdenken. Antwort: Aiki Mira. Es würde mich nicht wundern, falls Aiki Erzählungen von Bradbury gelesen hat.
 

Der Stil ist adjektivlastig, aber Bradbury schafft es trotzdem, stimmungsvolle Passagen zu schreiben und interessante Sprachbilder einzustreuen.

 

Leider ist Bradbury in der Lage, in einem üppigen Stil über kargen Inhalt zu schreiben. In Stickerei sind Frauen beim Sticken und warten angespannt. Erst auf der vorletzten Seite erfährt man den Grund: Um fünf Uhr wird sich zeigen, ob ein Experiment katastrophal schiefgegangen ist. Die Uhr zeigt fünf. Nicht passiert. Alle atmen auf. Ein Lichtschein taucht auf, der offenbar von einer Nuklearexplosion stammt. Die Frauen verbrennen. Ende.

Das ist für mich die schlechteste Geschichte in diesem Band.

 

Andere Erzählungen halte ich für Satiren: In Der Fußgänger wird ein Mann in die Psychiatrie eingewiesen, weil er unverheiratet ist und lieber abends spazieren geht, als vor der Glotze zu hocken.

 

Der Mörder landet ebenfalls in der Klapse, weil er jedes elektrische Gerät zerstört, das Töne von sich gibt: Fernseher, Radio und Küchengeräte mit Sprachassistenz. Er will einfach seine Ruhe haben und vernichtet auch die Geräte, die nicht ihm gehören.

 


  • (Buch) gerade am lesen:David Weber: Honor Among Enemies; Exodus 44
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#2 J. A. Hagen

J. A. Hagen

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Geschrieben 20 November 2023 - 09:34

Für mich sind die bisher besten Geschichten Das Nebelhorn (The Fog Horn) und Ein Donnerkrachen (A Sound of Thunder). Die erste überzeugt mich durch die Atmosphäre, die zweite durch die Idee. Allerdings ist dieser Einfall seit den 1950ern so oft kopiert worden, dass er abgenutzt ist. Dafür kann Bradbury jedoch nichts.

 

Die Wildnis zeigt erneut, dass Bradbury wortgewandt über wenig Inhalt schreiben kann. Eine Frau und ihre Schwester wollen am nächsten Tag zum Mars fliegen, weil die Frau dort einen Mann heiraten wird. Bradbury beschreibt die letzten Stunden, in denen die Frauen durch die Stadt ziehen und auf ihre Weise Abschied nehmen. Schließlich zweifelt die Braut, ob sie fliegen soll. Die Auflösung ist etwas kitschig.

Bradbury nimmt Anleihen an die Pionierzeit des Wilden Westens, in der Männer aufbrachen, Land erschlossen und dann ihre Frauen nachkommen ließen. Bradbury verpflanzt das in eine Ära, in der der Mars kolonialisiert wird. Der Tenor: Männer sind Pioniere, und die Frauen kommen nach, sobald ein Heim da ist. Allerdings schafft es Bradbury, die Stimmung der beiden Frauen gut zu vermitteln.

 

In Die Aprilhexe will Bradbury offensichtlich (sich) erklären, wieso Frauen sich aus seiner Sicht unlogisch verhalten, sobald sie verliebt sind. Das Motiv taucht auch in einer anderen Geschichte auf, in der ein verliebtes Mädchen vor lauter Tagträumerei alles um sich herum vergisst, auch die Hausarbeit.

Da schreibt ein Mann über Frauen im Kontext des Frauenbildes der Fünfzigerjahre. Über die Trefferquote kann ich als Mann nur spekulieren, aber ich behaupte, dass diese Geschichten nicht gut gealtert sind.

 

In En la noche kann die Pointe nur angedeutet werden, da es um Sex geht. Im Kontext der Fünfzigerjahre ist das Frauenbild akzeptabel. Heute wäre es katastrophal. Ich bin zu folgender Lesart gelangt: Eine Frau muss sexuell befriedigt werden, damit sie aufhört, zu jammern und zu klagen. Möglicherweise lässt sich das Geschehen auch anders erklären, aber nur so ergeben für mich die Hinweise einen Sinn.
Falls die Geschichte nicht aus den Fünfzigern stammte, so würde ich ein vernichtendes Urteil abgeben.

 


Bearbeitet von J. A. Hagen, 20 November 2023 - 10:19.

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#3 J. A. Hagen

J. A. Hagen

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Geschrieben 20 November 2023 - 09:54

In Das Kraftwerk findet eine Frau zum Glauben, obwohl sie nicht religiös ist. Die Geschichte hat einen gewissen sense of wonder; dennoch halte ich sie für durchschnittlich.

 

In Sonne und Schatten will ein Latino nicht, dass Fotografen die Straße, in der er lebt, für Modeaufnahmen verwenden. Sein Widerstand ist durchaus amüsant; die Erklärung feinfühlig, warum er keine Fotografen in seiner Umgebung haben möchte.

 

Ähnlich geht Bradbury in Die Wiese vor: Ein Nachtwächter will Filmkulissen vor dem Abriss bewahren und versucht, den verantwortlichen Produzenten von seiner Haltung zu überzeugen. Monologlastig. Eine Liebeserklärung an die Filmindustrie.

 

Ich Sie nie sehen schildert das Schicksal eines mexikanischen Gastarbeiters, der abgeschoben wird, weil seine Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist.

 

Jetzt brauche ich eine Pause, den ich habe Bradyburys teils opulenten Stil über.

 

Zwischenfazit: Viel Durchschnitt, zwei Perlen. Wegen des Stils trotzdem lesenswert.


Bearbeitet von J. A. Hagen, 20 November 2023 - 10:35.

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#4 Naut

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Geschrieben 20 November 2023 - 13:00

Krass, ich habe die Sammlung hier und ich weiß, dass ich sie gelesen habe. Trotzdem kommt mir keine Story bekannt vor.

Ich werde das wohl mal überprüfen müssen.


Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#5 Naut

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Geschrieben 20 November 2023 - 14:57

Okay, ich habe diese Ausgabe hier:

https://www.isfdb.or...n/pl.cgi?598051

 

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wären nur wenige der Geschichten, die Du bisher besprochen hast, darin enthalten. Ist wohl eine komplett andere Zusammenstellung unter gleichem Titel.


Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#6 J. A. Hagen

J. A. Hagen

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Geschrieben 20 November 2023 - 15:04

Meine Ausgabe stammt vom Diogenes Verlag. Soweit ich weiß, ist die erste deutsche Fassung unter dem Titel Geh nicht allein durch stille Straßen herausgekommen.
 

Falls Wikipedia recht hat, habe ich die deutsche Ausgabe von 1981:

 

https://de.wikipedia...Äpfel_der_Sonne


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#7 Naut

Naut

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Geschrieben 20 November 2023 - 15:10

Korrekt. Für die DDR-Ausgabe wurde nur ein Teil der Geschichten verwendet und durch andere (aus anderen Sammlungen) ergänzt.

Wieder was gelernt! :)


Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#8 J. A. Hagen

J. A. Hagen

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Geschrieben 21 November 2023 - 14:37

Unsichtbarer Junge:

Eine ältere Frau lebt alleine und ist einsam. Deshalb will sie einen Jungen, mit dem sie entfernt verwandt ist, bei sich behalten. Da der Junge sich weigert, bietet sie ihm an, ihn mittels Zauberei unsichtbar zu machen. Der Junge stimmt zu. Natürlich macht die Frau ihn nicht unsichtbar, sondern tut nur so, damit er bei ihr bleibt. Der Schuss geht allerdings nach hinten los. Brauchbar. Warum die Frau dem Jungen nicht einfach sagt, dass sie einsam ist und gerne Gesellschaft hätte, erschließt sich mir nicht. Vermutlich soll hier eine Moral ausgedrückt werden.

 

Die Früchte am Grund der Schale:

Acton hat einen Bekannten von sich erdrosselt, vermutlich wegen einer Frau. Nun will er alle Fingerabdrücke beseitigen, die er hinterlassen haben könnte.
Die Darstellung einer Zwangsstörung. Spätestens auf Seite Drei ist mir klar, wie die Pointe aussehen wird.

 

Offensichtlich hat Bradbury gerne über Menschen geschrieben und weniger über Technik. Selbst in den SF-Geschichten ist die Technik nur Beiwerk.

Er scheint mir aber eine Vorliebe für Menschen zu gehabt haben, die nicht ganz rund laufen oder die aus Sicht ihrer Umgebung verhaltensauffällig sind.


Bearbeitet von J. A. Hagen, 21 November 2023 - 14:37.

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