Die Ausschreibung "Klimazukünfte 2050" halte ich für ein perfektes Beispiel für deine Überlegungen zu "Neuen Ansätzen".
Hier meine abgelehnte Kurzgeschichte:
-------------------------------------------------------------------
Die Insel der Autokraten
von Schlomo Gross
München, Samstag der 8. Januar 2050.
»Was hältst du von einem Picknick?«, Miram sah Patrik fragend an.
»Am Wegesrand?«, kam Patriks Fragantwort.
Etwas grinsend, mit einem Bild aus der Tarkowski Verfilmung im Hinterkopf, erwiderte Miriam darauf: »Im Isarwadi. Wir könnten uns auf die großen Steine setzen, und da es nicht nach Regen aussieht besteht auch keine Gefahr, dass wir weggespült werden.«
Die beiden standen auf, zogen sich an – waschen fiel aus, wegen zu knappem Wasser – und packten ihren Picknickkorb. Miriam knotete ein Kopftuch über ihre kurzen grünen Haare, gegen den Staub in der Luft und wegen der UV Strahlung, Patrik setzte aus ähnlichen Gründen seinen Strohhut auf, wobei ihn jedoch der Staub nicht interessierte, aber durch die breite Krempe blendete ihn die tiefstehende Wintersonne nicht so arg.
Als sie die Haustür öffneten, sie wohnten zur Zeit in der Aventin Straße, nicht einmal einen Kilometer vom Wadi entfernt, schlug ihnen die knochentrockene Tropenluft entgegen.
»Fühlt sich an wie eine Wand.«, stellte Miriam fest.
»Im Wadi weht meistens Wind. Da ist es nicht ganz so schlimm.«, versuchte Patrik sie zu beschwichtigen, was jedoch gar nicht nötig gewesen wäre, da Miriam genau wie er selbst an die Januartemperaturen gewöhnt waren. Ihm war daher klar, dass Miriam nur aus reiner Gewohnheit über das Wetter redete, ohne jedoch darüber nachzudenken. Also kein bewusster Vorgang, mehr ein Reflex. Oder so. Patrik verstand nicht viel von Küchenpsychologie.
Miriam trug den Picknickkorb, Patrik den Sonnenschirm, und derart ausgerüstet marschierten sie in der Aventinstraße nach Osten zum Baaderplatz, neben dem es angeblich früher einen kleinen Park gegeben haben soll. Die beiden hatten schon öfters darüber nachgedacht und gesprochen, ob die Kiesfläche nördlich des Platzes womöglich einmal bewachsen war. Weiter ging es durch die Kohlstraße, vorbei an der ausgebrannten Ruine des Europäischen Patentamts und schon erreichten sie den Abhang hinunter zum Wadi, das hier zweigeteilt war, mit dem Deutschen Museum auf einer Anhöhe dazwischen. ›Seltsam‹, dachte Patrik, ›dass das Museum von den Flächenbränden 2040 nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Alles östlich des Wadis war damals abgebrannt, und löschen ging nicht, mangels Wasser.‹
Bevor sie in das Wadi hinunter steigen konnten, mussten sie noch eine Weile warten, weil ein Trupp Roboter nach Norden stapfte, vermutlich zur Ludwigsbrücke und von dort weiter in die Steinbrüche. Irgendwoher musste schließlich das Material für die geplante neue Stadtmauer kommen, und die schien dringend nötig zu sein. Zumindest gegen die Staubstürme, aber auch für den Fall neuer Flächenbrände. Geplant war zudem, alles außerhalb des ehemaligen Altstadtrings abzureißen, um eine sicher Brandschneise zu schaffen. Blöd nur, dass ihre Wohnung ebenfalls außerhalb der neuen Stadtmauer lag, weshalb sie wohl oder übel erneut umziehen mussten.
Für Miriam würde es der dritte Umzug werden, den Nullten, wie sie ihn nannte, hatte sie nicht bewusst erlebt, da sie damals noch friedlich und unbelastet im Bauch ihrer Mutter wohnte. Ihre Eltern mussten zuvor Holland verlassen, wegen des Meeresspiegelanstiegs, und wohnten eine Weile zusammen mit einer Gruppe anderer Exilholländer in der Nähe von Bielefeld, bis sie von dort von einem Rudel marodierender Nazis vertrieben wurden. Das war Miriams erster Umzug. 2033, sie war gerade ein Jahr alt geworden, siedelte sich ihre Familie in München an. Als sie 17 wurde, zogen ihre Eltern nach Norwegen um, weil es dort kühler war, aber Miriam wollte nicht mit, weil sie in München zur Schule ging und hier auch studieren wollte. Daher zog sie zusammen mit ihrem ein Jahr älteren Freund in die leerstehende Wohnung seiner verstorbenen Großmutter in der Aventin Straße.
»Träumst du?«, stupste sie Patrik an. »Die Roboter sind durch. 173, wenn ich mich nicht verzählt habe.« Was er ganz sicher nicht hatte. Miriam kannte seinen Asperger, und der ließ ihn ganz automatisch alles zählen was er sah. Sie hatte sogar schon beobachtet, wie er in der Wohnung ein Regal montiert hatte, in eine Schachtel mit Schrauben gefasst, dabei »24« gesagt hat, und tatsächlich genau diese Anzahl – ohne hinzusehen - in der Hand hielt. Aufgefallen war es ihr erst, als er das Regal fertig zusammen geschraubt hatte, keine weitere Schraube benötigte und auch keine übrig geblieben war.
Nachdem sich Miriam immer noch nicht in Bewegung setzte, legte ihr Patrik den freien Arm um die Schulter und zog sie mit. Das schien sie aus ihren Gedanken zu reißen. Zumindest ging sie jetzt ganz normal weiter, strahlte ihn kurz an und meinte: »Wenn wir über die Boschbrücke gehen, können wir um das Museum herum laufen und kommen so leichter zu den Steinen auf der Ostseite.«
Das hatte Patrik ohnehin vor gehabt, trotzdem antwortete er: »Gute Idee. Von dort aus sieht man über das Wadi auf die Ruinen. Frag mich nicht wieso, aber irgendwie gefällt mir der Anblick.«
»Der Grund scheint mir doch ganz simpel«, meinte Miriam, »Die Ruinen sind unbewohnt, also ein Symbol für das Ende der Überbevölkerung.«
Auf der Brücke begegneten sie einem alten Kühlschrank, den ein Kolumnist bereits vor Jahrzehnten dort abgestellt hatte, angeblich weil er – der Kühlschrank - so gerne ins Museum wollte, was dessen Betreiber aber nicht akzeptierten, weshalb er nun vor anstatt im Museum stand. Einer Stadtlegende nach soll man in seinem Inneren immer noch alte Kolumnen finden, aber die Tür geht inzwischen etwas arg streng, wohl weil sie schon lange nicht mehr geöffnet worden war.
Trotzdem rentierte sich die Begegnung: An der Tür des Kühlschranks klebte ein Flyer mit der Aufschrift:
»Die Insel der Autokraten
Vortrag am Samstag Abend, dem 8. Januar um 20 Uhr.
Im Kongresssaal des Deutschen Museums.
Eintritt frei,«
Miriam sah Patrik fragend an: »Weißt du, was eine Insel der Autokraten ist?«
Der schüttelte den Kopf: »Keinen blassen Schimmer. Daher denke ich, wir sollten den Vortrag anhören.«
»Gebongt«, nickte Miriam.
Sie gingen weiter zu der arg verfallenen Straße an der Westseite des Museums, dann nach Süden, um das Museum herum und schon hatten sie die Ostseite erreicht. Hier lagen auch die Steine, eigentlich Betonbrocken, die bei einem der tsunamiartigen Hochwasser hier her verfrachtet worden waren, und sie bewunderten die flimmernde Luft über dem Wadi, den gegenüber liegenden Hang mit den immer noch rußig schwarzen Ruinen und beide waren sich einig: Das ist der idyllischste Ort im weiten Umkreis.
Miriam beobachte Zauneidechsen, die zwischen den Steinen huschten, aber sofort verschwanden, wenn sie eine Bewegung wahrnahmen. Hörten sie die Menschen, oder spürten sie nur die leichten Erschütterungen im Boden? Miriam war sich da nicht mehr ganz sicher. Der Biologieunterricht in der Schule lag eben doch schon eine Weile zurück.
Patrik hatte inzwischen den Sonnenschirm aufgefaltet und so hin gelegt, dass beide im Schatten sitzen konnten – was auch nötig war, da sie nur vier Liter Wasser mitgenommen hatten, und es jetzt, kurz vor 9 Uhr, bereits 32°C hatte.
»Hast du den Radio mitgenommen?«, wollte Miriam wissen. Dazu sollte man anmerken: In Bayern heißt es der Radio, ebenso wie der Teller. Eine Grammatik, an die sich neu zugewanderte erst einmal gewöhnen mussten.
»Logo«, antwortete Patrik gespielt indigniert – so etwas konnte er gar nicht vergessen – holte ihn aus seiner Umhängetasche und stellte ihn in die Sonne. Sofort fing er an zu summen, drehte seine Solarzelle senkrecht zum Sonnenlicht, damit sein Akku laden konnte und schaltete sich selbsttätig ein. Bayrischer Rundfunk auf Mittelwelle.
Da es noch nicht ganz 9 Uhr war spielte noch ein wenig Musik, bevor die Nachrichten begannen. Von denen wollten die beiden zwar nur den Wetterbericht hören, aber der Rest durfte ruhig vor sich hin blubbern.
Miriam hatte inzwischen begonnen, den Inhalt des Picknickkorbs auszupacken, Patrik stellte eine der Wasserflaschen in den Schatten – alte Angewohnheit, obwohl das bei einer Thermosflasche nicht nötig gewesen wäre, stellte zwei Gläser aus UKU, dem Universal Kunststoff, daneben und schenke jeweils einen großen Schluck Wasser ein.
Während sie tranken begannen die Nachrichten. Die Sprecherin erzählte etwas von neuen Satellitenfotos der TSA, die eindeutig zeigten, dass die Alpen jetzt eisfrei waren, was Patrik nicht wunderte, da es schon länger nicht mehr geregnet, geschweige denn geschneit hatte. Dann kam die Meldung, dass die Wetterdaten von 2049 jetzt vollständig ausgewertet waren, mit dem nicht ganz unerwartetem Ergebnis, dass 2049 das bisher heißeste Jahr auf dem Planeten gewesen sei. Das 4° Ziel war damit eindeutig erreicht. Die Klimatologen rechneten jetzt fest damit, dass das 5° Ziel bis 2055, spätestens 2058 erreicht werden würde.
Patrik erinnerte sich, in der Schule von der Panik vor dem 1° Ziel, später dem 2° Ziel und so weiter gehört zu haben, die aber inzwischen in Begeisterung für die Jagt nach neuen Rekorden umgeschlagen zu sein schien. In einem Wissenschaftsartikel hatte er vor kurzem gelesen, dass es sich hierbei nicht um Begeisterung, sondern um Sarkasmus handelte. Aber davon verstand er ebenso wenig wie von Ironie. Asperger eben.
Der Bericht endete mit dem Hinweis, dass im Sommer auf dem Indischen Subkontinent über 3 Monate lang Temperaturen von über 48°C geherrscht hatten, das Gebiet damit für Menschen und andere Säugetiere unbewohnbar ist. Was jedoch keine Auswirkung hatte, da Indien und Pakistan seit dem lokalen Atomkrieg von 2026 mit insgesamt etwa einer Milliarde Toter ohnehin unbewohnt waren. Leider waren damals die Auftragskiller des Komitees zur Verhinderung von Völkermord zu langsam gewesen. Die verantwortlich Politiker für den Massenmord sind zwar trotzdem tot, bedauerlicher Weise aber auch die Bevölkerung der betroffenen Länder.
Miriam nahm Patrik kurz in den Arm, da sie genau wusste, was in ihm gerade vor ging. Zur Beruhigung sagte sie: »Man kann nicht immer erfolgreich sein. Wenigstens hatte es das Komitee ein paar Jahre zuvor gerade noch geschafft, Vladolf Putler auszuschalten, bevor er seinen globalen thermonuklearen Krieg starten konnte. Der Geozid, wie Lem das 50 Jahre zuvor genannt hatte, fand deshalb nicht statt.«
Die folgenden Meldungen gingen an den beiden vorbei, da sie zu sehr mit ihren eigenen Ängsten beschäftigt waren. Dann sagte die Nachrichtensprecherin: »Zum Sport: Die Bayrischen Mikado Meisterschaften dauern weiter an. Nachdem bereits 2043 alle menschlichen Teilnehmer ausgeschieden waren, sitzen sich immer noch zwei Roboter bewegungslos gegenüber. R128-329 und R458. Wegen Betrugs wurde dagegen R631-372 disqualifiziert: Er hatte sich nur deshalb nicht bewegt, weil seine Batterien leer waren. Bei den beiden übrig gebliebenen Teilnehmern leuchten dagegen immer noch die Kontrolllampen.«
»Dachte mir doch, dass die schummeln!«, schimpfte Patrik. Und Miriam grummelte: »Mist. Ich habe auf R631-372 gesetzt.«
Dann – endlich! - kam der Wetterbericht: »Weather forecast for Southern Bavaria: Partly cloudy sky and heavy thunderstorms.« gefolgt von einer langen Pause und den verdatterten Gesichtsausdrücken der beiden Zuhörer. Dann: »Nein, war ein Witz um euch alle wieder aufzuwecken. Heute Mittag klettern die Temperaturen auf 38°C, Wolken sind keine in Sicht, Wind auch nicht, aber der UV Index ist gemein hoch. Regenwahrscheinlichkeit kleiner 0,01%. Geht also nicht ins Freie. Zumindest nicht tagsüber. Wozu auch? München hat so ein gigantisches Nachtleben …«
›Stimmt‹, dachte Miriam, ›Aber für die größte Großstadt Bayerns mit 20.000 bis 30.000 Einwohnern durfte man das auch erwarten.‹, und Patrik dachte: ›Wie gigantisch muss das vor den beiden Tropenfieber Pandemien gewesen sein, als hier noch eine Million Menschen lebten.‹
An Heimgehen dachten sie aber trotzdem nicht. Das hatte Zeit bis nach dem Picknick. Sie hatten Brote mitgenommen, dazu Marmelade aus Süßalgen, die eigentlich gar keine Algen waren, sondern Tang, dazu Essiggurken und Tomaten aus eigener Zucht, einen Proteinaufstrich aus panierten Mehlwürmern, der mit den richtigen Gewürzen so lecker schmeckte, dass konservative Kreise bereits befürchteten, dass es sich um ein Suchtmittel handelte. Und natürlich gab es für jeden eine Orange vom Balkon.
Als sie aufgegessen hatten, räumten sie alles zurück in den Korb. Müll gab es eh keinen, da alles in Gläser verpackt war, natürlich aus UKU, und die Orangenschalen waren ein begehrter Rohstoff zur Herstellung von Reinigungsmitteln. Patrik legte den Radio zurück in seine Umhängetasche und faltete den Sonnenschirm zusammen. Miriam schmierte noch eine besonders kleine Portion der Proteinpaste auf einen Stein, da sie wusste, wie scharf die Eidechsen darauf waren. Dann gingen sie zurück in ihre Wohnung.
*
Am Nachmittag trafen sie sich mit ihren Nachbarn, den drei Gruman Schwestern, erzählten von dem Flyer für den Vortrag, aber davon hatten die drei bereits gehört. Stand in der Zeitung. Wovon weder Miriam noch Patrik etwas mitbekommen hatten. Die Schwestern wussten jedoch auch nicht, um welche Insel es sich handeln könnte. Eine vermutete Spitzbergen, das die überlebenden russischen Oligarchen mit ihrer Privatarmee besetzt hatten, eine andere tippte auf Feuerland, wo die chinesischen Oligarchen zuvor das selbe veranstaltet hatten. Die dritte glaubte zwar nicht, dass die Antwort so einfach sein sollte, deshalb schlug sie die Kerguelen vor, wo indische Superreiche, die den Atomschlag im Ausland überlebt hatten, sich angesiedelt und wo Hgnisnomis sich zum Maharadscha von Kerguelistan ausgerufen hatte. Neugierig wie sie nun mal waren, beschlossen sie zum Vortrag mitzukommen.
Die Gruppe hatte es sich im Wohnzimmer / Wintergarten gemütlich gemacht, sie diskutierten über die neue Schmock`N`Roll Band, die Stilelemente aus Rock`n`Roll der 1960er Jahre mit Klezmer aus den 1990ern verband, und dazu tranken sie Zitronenmelisse Tee. Natürlich aus dem Gewächshaus vom Dachgarten. Das nicht wegen der Temperatur, sondern um möglichst wenig Wasser durch Verdunstung entkommen zu lassen gebaut worden war. Und natürlich auch um die Pflanzen vor den seltenen, aber dafür umso heftigeren Starkregen- und Hagelereignissen zu schützen.
Später kam noch Maier dazu, der in der Roboter WG im dritten Stock wohnte, steuerpflichtig war, da er ein Ich-Erlebnis besaß und sich als Comic Zeichner durchschlug. Wovon er mehr schlecht als recht leben – nein, in dem Fall spricht man von existieren – konnte. Maier interessierte sich zwar nicht für Inseln, aber umso mehr für Geheimnisse. Und der Titel des angekündigten Vortrags stellte ein solches da. Zumindest war das seine Meinung zum Thema, und da alle wussten, dass er gelegentlich ein klein wenig beratungsresistent war, versucht auch niemand ihm die Ansicht auszureden. Patrik schloss sich ihm sogar nach einigen Überlegungen an.
Nach einigen weiteren Tassen Tee und Maschinenöl – für Maier stand immer eine Flasche davon bereit – beschlossen sie eine Runde Papinek, Brodnik, Gromek und Schaschlik zu spielen. Das Brettspiel, übrigens seit bald 20 Jahren das beliebteste Spiel in Bayern, war von einer Gruppe Tubepunks in einem Bunker im ehemaligen Truderinger Wald erfunden worden, wo sie sich während der ersten Tropenfieberpandemie verbarrikadiert hatten. Ohne Kontakt zu anderen Menschen konnten sie dort sicher und bequem überleben, wenn nur die Langeweile nicht gewesen wäre.
Die Idee zum Spiel kam ihnen wegen der bei Tubepunks üblichen Begrüßung N`Gromek, die sie aus dem Film Knock on Wood übernommen hatten. Zuerst planten sie das Spiel Danny Kaye Game zu nennen, aber das fanden sie bald öd. Also benannten sie es nach den Spionen aus dem Film. Natürlich ging es in dem Spiel um die Pläne von Lafayette X.V. 27. Die Spielfiguren ließen sich ebenso wie alle anderen Requisiten schnell mit einem 3d-Drucker herstellen. Das ging sogar mit ganz altmodischen, die noch keine Elektronik drucken konnten. Nur das Spielfeld musste man auf Papier, inzwischen – mangels Holz für Papier – auf UKU ausdrucken.
Miriam mochte das Spiel zwar, aber eine Kleinigkeit fand sie gruselig. Es gab bei den Requisiten zwei Steine, die sich zufällig über das Spielfeld bewegten. Wenn ein Spieler eine bestimmte Ereigniskarte zog, musste er einen der Steine verschieben. Dabei musste man darauf achten, dass man mit ihm nicht einen Spieler übersprang oder gar auf dem selben Feld wie er landete. Wenn man das mit dem Corona Stein machte, war der entsprechende Spieler krank und musste drei Runden aussetzen, machte man es jedoch mit dem Ebola Stein, starb der Spieler sofort und war damit ausgeschieden. Was Miriam aber wirklich makaber fand, war die Regel, wenn die beiden Virensteine zusammen mit einem Spieler auf dem selben Feld landeten, dann verbanden sie sich, das Tropenfieber, das in den beiden Epidemien rund 90% der Menschheit ausradiert hatte, entstand, alle Spieler starben und das Spiel war ohne Sieger beendet. Das bedeutete, dass die Tubepunks das Spiel erst entwickelten, nachdem die Mikrobiologen herausgefunden hatten, womit man es bei dieser Pandemie eigentlich zu tun hatte. Was sie vermutlich im Radio mitbekommen hatten. Insgeheim bewunderte sie die Nerven der Bunkerbewohner, dass sie trotzdem nicht resignierten. Sie stellte sich vor, nein, sie war sich sicher, dass sie in der selben Situation wahnsinnig geworden wäre. Eine Zombieapokalypse war im Vergleich dazu ein fröhlicher Kindergeburtstag. Ihr lief schon wieder eine kalte Gänsehaut den Rücken herauf und herunter. Mehrfach. Und das trotz der 35°C Raumtemperatur.
Maier sah sie an, verstand, was mit ihr los war und meinte: »Die Vierensteine, hm? Die Gefahr ist vorbei, die Roboter um K91 haben zusammen mit Ömer Davydov und seinen Kollegen einen Impfstoff entwickelt. Und mittlerweile wissen wir, wie man neue Impfstoffe für neue Bedrohungen ganz schnell entwickeln und produzieren kann. Du bist in Sicherheit, genau wie wir alle. Jetzt lass dich schon von Patrik in den Arm nehmen.« Den er unauffällig her gewunken hatte.
Die Gruman Schwestern sahen jetzt ebenfalls, was in Miriam vorging, weshalb Sabine vorschlug, man könne ja einen Impfstein einführen. Wer darauf landet ist automatisch gegen Corona, Ebola und Corobola, der Kombination aus beiden, geschützt. Dafür fand sich jedoch keine Mehrheit. Maier meinte sogar, man solle etwas Perfektes nie verändern, weil in dem Fall jede Änderung einer Verschlechterung gleich kommt. Auch wenn es wie eine rassistische Verallgemeinerung klingt: Roboter legten extremen Wert auf Authentizität. Ein Thema, über das man mit Maier tagelang – und ohne Pause – diskutieren konnte.
Susi, Sabines kleine Schwester meinte: »Wir sind alle geimpft, uns kann wirklich nichts passieren. Und den Toten nachtrauern? 2031 war ich noch nicht einmal geplant, und bei der zweiten Tropenfieberpandemie 10 Jahre danach hat es nur die Impfverweigerer erwischt. Weshalb sie ja auch kollektiv den Darwin Arward bekommen haben.«
»Posthum.« ergänzte Sabine.
Und Susi grunzte: »Der Darwin Award wird immer posthum verliehen.«
In der Zwischenzeit hatte Sandra, Sabines große Schwester, Maiers Kniegelenke mit einer Fettpresse frisch abgeschmiert, da er regelmäßig darüber jammerte, dass seine Gelenke quietschten, wenn er zu lange am Boden saß. Und da er es unglaublich gerne mochte, wenn ein Mensch sich um seine Gelenke kümmerte, hatte Miriam bereits vermutet, dass es sich in Wirklichkeit um Roborotik handelte. Eine Vermutung, die ihr Sandra später mit leicht erröteten Backen und einem wissenden Lächeln bestätigte.
Als sie die Runde dann doch noch zu Ende gespielt hatten, sah Patrik auf die Uhr: »Schon 17 Uhr 20. Wann sollen wir los latschen, um rechtzeitig beim Vortrag zu sein?«
Sabine dachte kurz nach: »Wenn wir ein wenig nach 19 Uhr gehen, sind wir rechtzeitig bei der Kongresshalle.«
»Hm, wenn sehr viele Leute kommen, bekommen wir dann aber vielleicht keinen guten Platz mehr. Daher schlage ich vor, um 18 Uhr 30 aufzubrechen.«, befürchtete Maier.
Die Überlegung hatte etwas. Daher beschlossen sie, sich um halb Sieben vor dem Haus zu treffen. Als sich alle zum Aufbruch bereit machten, sah Sandra Maier an: »Wie weit ist eigentlich dein neuer Comic?«
Wenn Roboter grinsen könnten, hätte Maier das jetzt getan: »Die Fabbots, Band 8 ist so gut wie fertig. Muss nur noch ein paar Seiten überarbeiten, und am Mittwoch geht er dann zum Verlag. Willst du sehen?«
Was Sandra freudig bejahte, und beide zogen ab ins Maiers Wohnung.
*
Um Punkt halb sieben trafen sich die sechs vor dem Haus in der Aventin Straße und wollten sich schon auf den Weg machen, als Susi in ihre rosa Handtasche griff, eine Bürste heraus holte und sie Sandra entgegen hielt: »Du sieht etwas zerzaust aus.«
Danach zogen sie zusammen mit der frisch gebürsteten Sandra los, Miriam in ihrem dicken Winterkleid, da es in der Nacht empfindlich kalt werden sollte – zumindest laut Wetterbericht. Unter 25°C! Na gut, es war Januar, da durfte es in der Nacht schon mal etwas schattiger werden. Patrik warf einen Blick nach oben: Sternenklar. Kein Wunder, dass es da in der Nacht so stark abkühlte.
Maier hatte sich einen Schal umgebunden, wie es sich für einen berühmten Schriftsteller gehörte, nur Patrik sah aus wie immer. Er mochte keine Veränderungen. Worüber er aber noch nie nachgedacht hatte. Miriam meinte, sprach es aber nicht aus, dass Susi schon ein wenig arg Girlie-Girlie aussah, dafür gefiel ihre Sabines selbstgestrickter Wollhut - oder eigentlich Wollmütze? - wie immer besonders gut.
Auf dem Weg vor zur Ludwigsbrücke kam ihnen ein Rudel Höhlenkatzen entgegen, die meistens um die Tageszeit aufstanden um Mäuse zu jagen. Tagsüber schliefen sie in ihren kühlen Höhlen, um der Hitze zu entgehen. Als die Freunde die Brücke erreichten, bemerkten sie, dass ein leichter Wind aufkam.
»Davon hat der Wetterbericht aber nichts gesagt«, stellte Miriam fest und Patrik antwortete: »Ich hab schon länger den Verdacht, dass das nur eine Aufzeichnung ist, die seit Wochen wiederholt wird. Aber wenn es wirklich einen Gewittersturm geben sollte, werden wir ja von den Sirenen gewarnt.«
Vor der Kongresshalle des Museums stand bereits eine kleine Gruppe von Leuten – Menschen, Roboter und Toons – und man konnte sie leise diskutieren hören. Ein paar von ihnen erkannten Maier, winkten ihm zu, er winkte zurück, aber die sechs wollten erst einmal in die Halle um zu sehen, wie das mit Sitzplätzen, eventuell Karten und so ablief.
Im Vorraum der Kongresshalle gingen sie zum Pförtner, oder wie immer auch seine Berufsbezeichnung lautete, und fragten, ob es noch Sitzplätze gab. Er bejahte das, erklärte der Gruppe, dass sie mit etwa 100 Besuchern rechneten, da die Halle aber in der Vorherzeit gebaut worden war, bietet sie Platz für erheblich mehr Gäste. Sie lag zwar jahrzehntelang brach, aber 2035 hatten ein paar Roboter sie wieder aufgebaut und als neues Kultur und Kongresszentrum geplant. Sogar eine neue Schiffsschraube hatten sie nach den alten Fotos gebaut. Wo die vorige abgeblieben war konnte leider nie geklärt werden. Daher beschlossen die Freunde, wieder nach draußen zu gehen, sich die laue Winterluft um die Ohren wehen zu lassen und mit den anderen Wartenden zu diskutieren.
Susi entdeckte eine Art Straßencafé mit Tischen und Stühlen zwischen dem Eingang und der Schiffsschraube, wo bereits mehrere Leute saßen und etwas tranken. Zielsicher steuerte sie darauf zu, zog ihre Schwestern mit, und die anderen drei folgten gezwungenermaßen. Und, wie Patrik erschnupperte: Es roch tatsächlich nach Kaffee!
Sie setzten sich an einen der Tische, ein Kellnerinnen Robot kam vorbei und Patrik konnte nicht anders, er fragte sofort: »Ist das wirklich echter Kaffee?«
»Ja! Die Bohnen kommen aus Deggendorf, werden zwar nicht im Freien angebaut, sondern in Treibhäusern, wegen der Hagelgefahr, ihr wisst schon, aber es ist eine Sorte aus Mittelamerika, die in Bayern prima gedeiht. Der Klimakatastrophe sei Dank.« antwortete die Kellnerin, sah dann Maier an: »Wie haben auch besten Fungiesel.«
Also bestellten sie fünf Kaffee und ein Glas Fungiesel. Maiers Brennstoffzellen brauchten auch etwas zwischen die Membranen, wie er das auszudrücken pflegte. Susi genoss ihren Kaffee, es gab nur selten welchen zu trinken, und fragte dann in die Runde: »Ich habe mal gelesen, dass Kaffee früher ein Allerweltsgetränk war. Es soll sogar Leute gegeben haben, die jeden Tag eine Tasse getrunken haben.«
Maier kannte die Antwort: »Es gäbe schon genügend Kaffeebohnen, aber die werden fast alle vom IDI, dem Institut für Dadaismus und Informatik aufgekauft. Einer Münchner Stadtlegende nach soll das Institut ausschließlich mit Kaffee betrieben werden.«
Patrik nickte: »Stimmt. Ich war schon ein paar mal am Tag der offenen Tür dort, und ich hatte den Eindruck, dass die mehr Kaffeeküchen als Labore haben. Ich werde jedenfalls nach dem Studium versuchen, dort einen Job zu bekommen, und ich denke, als durchgeknallter Mathematiker hab ich da gute Chancen.« Wobei ihm Miriam zustimmte: »Ich habe auch gelesen, dass sie Praktikumsstellen vergeben, sogar Diplomanden und Doktoranden dort tätig sind. Ich habe erst vor ein paar Wochen mit einer Freundin geredet, und wir haben beschlossen, nach der Matura dort ein Jahr als Praktikantinnen zu arbeiten. Angeblich suchen die laufend Maschinenbauerinnern.«
Nach einem Schluck Fungiesel erklärte Maier: »Ein Freund von mir, ein Toon, arbeitet ebenfalls am IDI. Und was er so erzählt, ist das die beste und bedeutendste Forschungseinrichtung in der zivilisierten Welt.« Das rief sofort Susi auf den Plan: »Was ist jetzt eigentlich der Unterschied zwischen Robotern und Toons? Ich hab das immer noch nicht verstanden.«
Maier drehte sich zu ihr: »Das ist ganz einfach: Roboter werden geschraubt, Toons werden ausgedruckt. Nimm zum Beispiel meine Fabbot Comics: Die Fabbots sehen zwar aus wie Roboter, wurden aber von 3d-Druckern ausgedruckt, sind daher Toons.« Worauf Susi den Ausdruck des Verstehens aufsetzte: »Ah, das ist ja wirklich einfach.« Wobei sich alle wunderten, das sie das noch nicht gewusst hatte. Aber sie war ja erst 12.
Nach einer halben Stunde hatten sie ausgetrunken, gezahlt – ja, es gab doch noch Dinge, die Geld kosteten, auch wenn kaum jemand an Geld glaubte, da jeder wusste, dass die Summe aller Guthaben plus der Summe aller Kredite gleich Null war – und gingen zurück zum Eingang, von dort weiter durch die Gänge zum Eingang des Kongresssaals. Und der war wirklich gigantisch! Die wenigen Leute, die sich bereits Plätze gesucht hatten, wirkten fast verloren, aber der Saal stammte eben aus der Zeit als es noch etwa zehn mal so viele Menschen gegeben hatte wie heute. Auf Miriam wirkte das irgendwie bedrückend, aber da Patrik sie an der Hand hielt, fand sie es nicht so schlimm wie befürchtet.
Sie fanden Plätze in der zweiten Reihe Mitte, vor ihnen saß eine Gruppe auffallend kleiner Toons, hinter ihnen Leute die sie nicht kannten. Jedenfalls konzentrierten sich die Zuschauer auf den vorderen Bereich der Halle. Entsprechend laut war die Geräuschkulisse der sich unterhaltenden Besucher.
Nach eine Weile – deren Dauer Miriam nicht abschätzen konnte, Patrik sowieso nicht, mangels Zeitgefühl – verstummten die Gespräche, da ein Robot die Bühne betrat und zu einem Pult in der Mitte stapfte. Wobei er eigentlich nicht stapfte, sondern elegant schritt. Im Zuschauerraum wurde es etwas dämmeriger, die Bühne blieb hell erleuchtet. Der Robot klopfte an das Mikrofon, was die Lautsprecher mit einem Knacken beantworteten und begann zu sprechen:
»Ich bin Marvin der III. Wundert euch nicht über meinen Namen, ich bin nicht depressiv, den Namen hab ich von meinem Entwickler, einem professionellen Scherzkeks.«
Verblüfftes Lachen im Saal. Also zuerst Verblüffung wegen des Namens, dann Lachen wegen der Erklärung dafür. Wegen der verzögerten Reaktion der Gäste gleichzeitig. Daher verblüfftes Lachen.
»Ja, Leute. So funktioniert Situationskomik. Aber das nur nebenbei. Also, ich bin heute ihr Moderator. Oder soll ich sagen: Euer Moderator? Das Gesieze scheint ja inzwischen aus der Mode gekommen zu sein.
Ihr seid alle hier, um etwas über die Insel der Autokraten zu erfahren?«
Pause.
Dann eine einsame Stimme aus einer der hinteren Reihen: »Ja!«
»Und die anderen? Nicht? Das finde ich jetzt aber etwas enttäuschend!«
Worauf zuerst ein Gemurmel einsetzte, dann etwas lautere Stimmen: »Doch! Ich auch!« »Sowieso!« »Klar!« »Logo!« und schließlich konnte man keine einzelnen Sprecher mehr auseinander halten.
Als der akustische Sturm nachließ, sprach Marvin der III weiter: »So gefällt mir das schon besser. Heute stelle ich euch einen ganz besonderen Redner vor. Er ist Mitarbeiter des IDI, von dem ich nicht viel erzählen muss, da das Institut eh jeder kennt. Damit bitte ich jetzt den Leiter der Sozialwissenschaften, Professor Erik Frederiksson auf die Bühne!«
Er ging einen Schritt zur Seite, und ein hochgewachsener Mann mittleren Alters trat hinter dem Vorhang vor und ging zum Pult. Dort blieb er stehen, schüttelte Marvin die Hand. Lange und ausdauernd, was Marvin zu einem »Mann, hat der einen Händedruck!« bewegte.
Dann beugte sich der Professor zum Mikrofon herunter und sagte: »Hallo erst mal. Ich bin der Erik.« Dann wartete er. Als keine Reaktion vom Publikum kam, meinte er: »Hm, der Kalauer ist wohl schon zu alt. Den kennt keiner mehr.«
Er sah eine Weile das immer ruhiger werdende und mittlerweile leicht verunsicherte Publikum an. Dann drückte er auf einem Knopf am Pult und der Vorhang hinter der Bühne zog sich zurück und gab den Blick frei auf einen bestimmt zehn Quadratmeter großen Bildschirm. Während das geschah, stellte er das Mikrofon etwas höher, damit er sich beim Sprechen nicht vorbeugen musste.
»Der Titel des Vortrags ist kein reines Klickbait – nun, ein bisschen schon – geht aber ein wenig am Kern des Themas vorbei. Womit wollen wir uns heute beschäftigen? Nun, es gibt wohl kaum jemand, den nicht die Frage quält, was die Ursache war für die Probleme, mit denen wir uns zur Zeit herumschlagen müssen.
Versteht mich jetzt aber nicht falsch: Ich suche nicht nach Schuldigen, die uns den Wahnsinn eingebrockt haben – das machen nur dumme Menschen – ich suche nach Lösungen, wie wir derartiges in Zukunft verhindern können. Dabei kommt mir meine Rolle als Sozialwissenschaftler sehr entgegen. Hm. In der Vorherzeit hätte man mich vielleicht als Politologen, Psychologen, Soziologen und dergleichen, oder vielmehr einer Kombination daraus bezeichnet. Auf Grund des Mangels an Wissenschaftlern bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit mehreren Fachgebieten zu befassen, was einige als Nachteil empfinden, was aber in Wirklichkeit ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist: Die – gezwungene – Vielfalt ermöglicht uns einen Blick über den Tellerrand, bewirkt Synergieeffekte, die oft zu ganz neuen Erkenntnissen führen.
Beginnen wir einfach mal mit dem, was wir haben. Vor rund 1.000 Jahren begann in Europa die erkennbare Massenvermehrung von Menschen. Nach damaligen Maßstäben dürfte das bereits eine erste Übervölkerung gewesen sein. Dann kamen mehrere Pest Epidemien, bei denen rund 70% der Europäischen Bevölkerung starb. Ihr seht, solche Massenauslöschungsereignisse wie bei den beiden Tropenfieber Pandemien von 2031 und 2041 sind keine Ausnahmen, sondern treten öfters auf. Der Grund ist zwar jedes mal eine andere Krankheit, aber wenn man tiefer blickt sieht man, dass die Überbevölkerung den entscheidenden Kofaktor darstellt. Dazu kommt fehlendes medizinisches Wissen, unangebrachte Verhaltensweisen und dergleichen. Was bei uns ja die Realitätsverweigerer und Impfgegner eindrucksvoll bewiesen haben. Gut, die sind wir los, und damit auch das Problem der Überbevölkerung. Weniger Menschen bieten den Vieren eben weniger Nährboden, sie mutieren nicht so schnell, finden nicht sofort neue Wirte, ihr Lebenszyklus und damit die Pandemie selbst ist unterbrochen.
Nun aber zu unserem eigentlichen Problem: Der Klimakatastrophe. Die begann streng genommen mit der industriellen Revolution. Damals fingen die Menschen an, Treibhausgase wie CO2 und Methan in riesigen Mengen in die Atmosphäre zu blasen. Spätestens seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war klar, wozu das führen wird. Aber hat sich etwas geändert? Nein. Die Mengen stiegen weiter fast exponentiell, nicht zuletzt wegen der Bevölkerungsexplosion. Selbst als Wissenschaftler immer dringendere Warnungen aussprachen, änderte sich nichts. Der kurzfristige Profit der Industrie und das persönliche Wohlbefinden der Menschen hatte Vorrang. Unabhängig davon, wie lange das noch gutgehen konnte.
Wieso hat niemand etwas unternommen, oder zumindest auf die Wissenschaftler gehört? Nun, es gab damals nicht nur Realitätsverweigerer, sondern auch Realitätsleugner. Und die betrieben Propaganda im großen Stiel, verspotteten die Forscher und Warner als Ökospinner, behaupteten felsenfest, dass alles immer so weiter gehen würde und sich niemand sorgen machen musste. Und diese Aussagen hatten die Eigenschaft von religiösen Dogmen. Diejenigen, die nicht gerne selbst nachdachten, plapperten die Dogmen unkommentiert weiter, gingen teils sogar militant gegen die Warner vor, nicht nur mit Schmähworten und Schriften, sondern manchmal auch mit körperlicher Gewalt. Schlimme Zustände.
Die Leute verteidigten Meinungen genau so wie Besitz. Ich vermute, dass die Floskel, etwas mit Zähnen und Klauen verteidigen aus dieser Zeit stammt. Aber es gab im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts auch eine sehr vielversprechende Entwicklung: Es bildeten sich Grüne Parteien, deren Ziel es war Umweltschutz durchzusetzen, sinnlosen Dauerwachstum durch Nachhaltigkeit zu ersetzen, und die durchaus Ideen vertraten, die wir jetzt zu leben versuchen. Nur fehlten ihnen damals die technischen Mittel und das nötige Wissen. Sie hatten weder 3d-Drucker noch Computer, selbst der Universal Kunststoff, UKU, der mit Hilfe eines Pilzes aus Algen gewonnen wird, war damals noch noch nicht einmal angedacht. Wie auch, die wissenschaftlich Grundlagen dazu fehlten. An dotierten UKU, mit dem man Elektronik drucken konnte, war noch nicht zu denken. So blieben die Grünen im Grau der Politik hängen, versuchten Posten und Ämter zu erlangen und taten dann, was Politiker eben tun: Sobald sie Macht erlangt haben, unternehmen sie alles, um die Macht zu erhalten. Bei vielen war damit Schluss mit den Idealen.
Im einundzwanzigsten Jahrhundert gründete dann Greta Thunberg die Gruppe, oder vielmehr Organisation Fridays for Future. Damit versuchten Kids, die noch zur Schule gingen, aber auch viele ältere Leute, gemeinsam für ihre Zukunft zu kämpfen, die Klimakatastrophe zu stoppen und die Welt wieder lebenswert zu machen. Zum Teil zeigten sich erste Erfolge, dann kam die kleine Pandemie, die einen Corona Virus unter den Menschen verbreitete, woran aber weniger als 10 Millionen starben. Da sich viele Impfgegner nicht impfen ließen, die Realitätsverweigerer sogar glaubten, dass Corona gar nicht existiert, legten sie damit den Grundstein für die Vereinigung von Corona und Ebola. Während der Quarantäne in der Anfangszeit der Pandemie schlief FFF ein wenig ein, aber die Leute gingen nach dem Ende der ersten Quarantänen erneut auf die Straße, was einige Politiker doch zum Nachdenken brachte. Nur gab es sofort ein neues Problem: Vladolf Putler hatte 2022 die Ukraine überfallen, drohte der Welt mit Atomwaffen und stoppte den Export von Gas. Was dazu führte, dass in Europa wieder Kohle, Öl und Atomkraft salonfähig wurden. Die Folgen für das Klima kennt ihr ja alle.
Aber auch bei Fridays for Future lief nicht alles glatt: Wenige Jahre nach der Gründung stieg einigen Mitgliedern bereits der Ruhm zu Kopf, sie wurden zunehmend dogmatischer, was zum Beispiel dazu führte, dass sie eine Künstlerin von einer ihrer Veranstaltungen ausluden, weil sie Dreadlocks hatte. Was die Veranstalter als kulturelle Aneignung betrachteten. Die Aussage von Bill Gates: Wir stehen auf den Schultern eines Riesen kannten sie offensichtlich nicht, geschweige denn deren Bedeutung. Wenn sie sich die Haare nicht abschneiden ließ – was sie natürlich nicht tat – durfte sie nicht auftreten. Bei nicht wenigen Leuten war FFF damit gestorben …«
In dem Moment ging im Saal eine Sirene los: »Hier ist Radio Eule. Hier ist Radio Eule. Das ist eine Wetterwarnung. Von Westen her zieht eine Hagelfront auf, die München in der nächsten halben Stunde erreichen wird. Geht nicht ins Freie! Wenn ihr im Freien seid, rennt um euer Leben, sucht euch einen Unterstand. Viel Zeit habt ihr nicht. «
Die Meldung wurde laufend wiederholt, aber Marvin der III drehte die Lautstärke herunter, er stand, was kaum jemand bemerkt hatte, neben Erik am Pult: »Das ist eine Warnung von Radio Eule, dem Mittelwellensender des Museums. Die Meteorologen haben leider arg spät gemerkt, dass da etwas auf uns zu rollt. Zuerst war es nur leichter Wind, inzwischen hat er sich zu einem Sturm entwickelt. Die Meteorologen behaupten, es werde mit Hagelkörnern von bis zu 15 Zentimeter im Durchmesser gerechnet. Gut, das hält unser UKU Glas aus, die Solarkollektoren ebenfalls. Aber auf den Kopf möchte ich so ein Geschoss nicht bekommen.
Ich schlage daher vor, dass wir alle in der Halle bleiben, bis der Spuk vorüber ist, was erfahrungsgemäß selten länger als eine Stunde dauert, und Erik kann mit seinem Vortrag fortfahren. Lasst euch also nicht aus der Ruhe bringen, hier seid ihr sicher. Und die Schäden draußen werden nicht so heftig ausfallen. Alles ist für solche Wetterereignisse ausgelegt.«
»Wir haben wirklich zu wenig Meteorologen«, stellte Erik fest, »Wenn die jüngeren unter euch sich noch nicht für einen Studiengang entschieden haben: Meteorologie ist ein wirklich spannendes Fach! Es würde schon helfen, wenn der eine oder andere es als Nebenfach belegt.«
»Das wäre etwas für mich!«, rief Susi in die Stille hinein, sah sich aber sofort betreten um, als sie merke, dass jeder sie gehört haben musste. Aber niemand lachte, oder gab irgend eine Art von Kommentar ab.
Nur der Professor lächelte sie an: »Das ist ein lobenswerter Vorsatz. Es würde mich freuen, wenn du ihn verwirklichen würdest. Gib nachher beim Pförtner deine Adresse ab, wir vom IDI schicken dir dann ein paar einfach gehaltene Bücher zum Thema, die dich sicher interessieren werden.«
›Das nenne ich Nachwuchswerbung.‹, fuhr es Miriam durch den Kopf, ›Genial spontan die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Werde in Zukunft ein Auge auf Susi werfen, ob sie auch wirklich bei der Sache bleibt. Und ich kann mir vorstellen, dass das etwas für sein sein könnte.‹
Inzwischen hatte sich der Professor wieder gesammelt, Marvin war zur Seite getreten, verfolgte anscheinend auf einem kleinen Monitor den Wetterbericht, und Erik begann weiter zu sprechen: »Wenn ich unsere Nachwuchsmeteorologin so ansehe, fällt mit sofort meine Tochter ein. Die liest seit 2028, als die Fix & Foxi wieder gedruckt wurden, jede Woche ihr Heft. Und ihre Tochter macht das ebenfalls. Mein Urgroßvater hat einmal erzählt, dass Rolf Kauka um 1970 eine Umweltschutzaktion in den Heften gestartet hat, die Aktion U. Damit wollte er die Idee und Notwendigkeit des Umweltschutzes seinen jungen Lesern näherbringen, und das Jahre bevor die ersten Grünen Parteien gegründet worden waren. Übrigens sehe ich gerade, dass einer der Autoren und Zeichner anwesend ist: Maier! Er zeichnet für jedes Heft die Fabbot Geschichte auf der letzten Seite, und die lese ich selbst ebenfalls jeden Freitag.«
Gefolgt von einem Ah! von den Leuten, die ihn noch nicht bemerkt hatten. Was Maier damit beantwortete, dass er aufstand, sich mit einer Siegerpose zu den Leuten hin verbeugte und sich dann wieder setzte. Worauf ihm Sandra den Arm um die Schulter – oder wie auch immer man das bei einem Robot nennen soll – legte. Besitzergreifend? Fragte sich Miriam, war sich aber nicht sicher. Es konnte auch einfach nur ein Ausdruck der Zuneigung sein.
Professor Frederiksson nestelte am Mikrofon: »Meine Frau sagt immer, ich soll mich nicht verzetteln. Hallo Annafried!«, wobei er ins Publikum winkte, »Also weiter mit dem eigentlichem Thema. Nachdem wir jetzt ein paar der Ansätze zum Besseren gesehen haben, stellt sich die Frage, wieso ist nichts geschehen? Klar, es gab Klimakonferenzen, die aber eigentlich nur ein gemütliches Zusammentreffen von Politikern waren, die damit ihren Wählern Aktionen vorgaukeln wollten. Gut, vielleicht glaubten einige sogar, damit etwas zu bewirken. Bekanntlich soll man Menschen nicht Bösartigkeit unterstellen, wenn man ihr Verhalten auch mit Unfähigkeit erklären kann. Jedenfalls wurde auf den Konferenzen jedes mal ein Ziel ausgegeben, das bis spätesten 2100 erreicht werden musste – sonst nach uns die Sintflut. Am Anfang war es das 1° Ziel, und als das Anfang der 2020 Jahre erreicht wurde, kam das 1,5° Ziel, dann waren es 2° und so weiter. Zyniker freuten sich jedes mal ein paar Jahre später, wenn das Ziel erreicht wurde. Momentan steuern wir jedenfalls dem 5° Ziel zu. Die Folgen, wenn das jeweilige Ziel überschritten werden würde, wurden jedes mal als katastrophal beschrieben. Aber getan wurde nichts. Der Ausstoß an Treibhausgasen stieg ungebremst weiter an, die Temperaturen und der Meeresspiel erreichte immer höhere Werte, beide sogar deutlich schneller, als ursprünglich angenommen.
Wobei man das relativieren muss: Am IDI lagen die Hochrechnungen schon vor dem Jahr 2000 deutlich höher, als von den offiziellen Klimaforschern prognostiziert. So schätzten wir die mittlere Temperatur von 2100 gegenüber 2000 um 4° bis 8° höher ein, den Anstieg des Meeresspiels um mindesten 1 Meter, maximal 16 Meter, da war die Berechnungsgrundlage noch sehr unsicher. So wie es aussieht, könnte das bei den Temperaturen hin kommen, nur der Meeresspiegel dürfte deutlich schneller steigen. Die Fließgeschwindigkeit des Grönlandeises und des vom Doomsday Gletscher in der Antarktis bis zu dessen Bruch 2025 zurückgestautem Eises liegt erheblich über dem, was man seinerzeit im IDI vermutet hatte. Unsere Zuwanderer aus dem ehemaligen Holland können ein Lied davon singen.
Und wieso haben die Politiker nichts unternommen? Da gibt die Soziologie Antworten. Wenn einer von der Parteimeinung, und die hat mit der Meinung der Wissenschaftler nichts zu tun, abgewichen wäre, wäre er raus geflogen. Und da Politiker sich nun mal in erster Linie ihrem Machterhalt verpflichtet fühlen, haben sie gekuscht. Liebkind gespielt. Und wieso waren ihre Parteien da so rigoros? Nun, ihre Geldgeber, in erster Linie die Industrie und ihre Lobbyisten, wollten um keinen Preis in der Welt auf ihre Profite verzichten. Denen war es weitgehend egal, ob bald die Welt untergehen würde, wenn sie nur jetzt ihre Geschäftchen machen konnten.
Wieso vertreten Industrie und Politik jetzt - oder vielmehr damals – so realitätsferne Meinungen? Nun, jeder überlegt, was wohl die Anderen denken und machen, und das macht er dann ebenfalls. Ohne über den Inhalt nachzudenken. Das nennt man Schwarmdummheit. Und die war noch nie ein guter Ratgeber.
Ja. Die Folgen erleben wir gerade. Und, so wie es aussieht, steht uns schlimmeres bevor. Steven Hawking hat gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts vermutet, dass der Menschheit noch maximal 300 Jahre bleiben. Der alte Optimist. Einzig Jason Ometz hat mit seiner Raketenfirma ARGO das Richtige getan: Er hat angefangen den Mars zu besiedeln, eben weil er verstanden hat was auf der Erde abläuft. Ob das ausreicht, die menschliche Art zu erhalten? Ich weiß es nicht. Man müsste dazu schon den Mars terraformieren, aber das geht nun mal nicht von heute auf morgen.
Andererseits entwickelt sich die Raumfahrt rasant weiter. Gerüchten zu folge scheint sich sogar ein Überlichtantrieb in greifbarer Nähe zu befinden. Sollte es wirklich möglich sein, das Sonnensystem zu verlassen, dann denke ich, dass wir eine Chance haben. Nur müsste das verdammt bald geschehen.
Sollten wir es wirklich schaffen, müssen wir zwangsläufig die Fehler der Vergangenheit vermeiden. Sonst sitzen wir gleich wieder in der selben Sch**ße. Und hier komme ich jetzt zu den aktuellsten Ergebnissen meiner Forschung. Und zum Titel des Vortrags.
Für jeden Beruf ist eine Ausbildung nötig, und die Chefs sehen sich die Zeugnisse und Unterlagen der Bewerber genau an. Für einen Beruf gilt das allerdings nicht. Politiker kann jeder werden, unabhängig davon, wie es in seinem Kopf aussieht. Und wieso ist das so? Die Politiker wehren sich mit den bekannten Zähnen und Klauen dagegen, dass so etwas eine Ausbildung für sie geschieht. Einfach weil sie verstanden haben, dass sie nie einen solchen Job bekommen würden, wenn sie vorher ihre Befähigung nachweisen müssten.
Ein Ausweg wäre es, eine verpflichtende Schulung für Politiker einzuführen, mit einem Abschlusstest, der ebenso wie seine Ergebnisse öffentlich einzusehen ist. Einmal, um Schummeln zu verhindern, das ja bei Politiker sehr beliebt ist oder war, siehe die vielen gefälschten Doktorarbeiten, weshalb man in dem Fall von Doktortitel, nicht von akademischen Grad spricht. Und zum anderen, damit die Chefs der Politiker, also wir, anhand deren Qualifikation entscheiden können, wen wir wählen.
Ja, und vor kurzem habe ich versucht, die politischen Spektren qualitativ einzuordnen. Von ganz rechts bis ganz links, mit den jeweiligen Zusatzparametern wie monarchistisch, stalinistisch, demokratisch und so weiter. Dabei fiel mir auf, dass ganz rechts oft in ganz links übergeht. So wurde beispielsweise ein sehr linker Anwalt von RAF Terroristen irgend wann ein Rechter, hat mit Nazis zusammen gearbeitet und so weiter. Vor nicht einmal 30 Jahren hat eine Vorzeigepolitikerin der Linken praktisch die selbe Rede im damaligen Bundestag gehalten wie einer aus der Nazipartei. Ein Satiriker hat sogar beide Reden zusammen geschnitten, und sie haben sich fast wörtlich ergänzt. Also die Sätze. Wenn einer der beiden angefangen hat, konnte man den anderen zu Ende sprechen lassen, und nichts hat sich am Inhalt geändert. Kein Wunder, dass die Linke bestimmt genau so viele Fans bei den Nazis hatte wie bei den Anhängern ihrer eigen Partei. Auf einer Nazi Demo haben ihre dortigen Fans sogar Sahra, Sahra skandiert.
Daher habe ich das politische Spektrum zu einem geschlossenen Ring gebogen, der an der Stelle ganz Links / ganz Rechts verbunden ist. Und wenn ich jetzt noch die Nebenparameter, etwa Narzissmus, Soziopathie und so weiter darüber lege, bemerkt man etwas erstaunliches: Wenn man in das Diagramm alle bekannten Politiker der jüngeren Vergangenheit, etwa der letzten 200 Jahre einträgt, findet man am Berührungspunkt von Rechts zu Links, etwas versetzt in Richtung Narzissmus, praktisch alle Autokraten, die wir kennen.
Und dieser Häufungspunkt im Diagramm ist Die Insel der Autokraten.«
Damit winkte der Professor dem mit offenen Mündern dasitzendem Publikum zu und verließ die Bühne. Marvin der III trat nun ans Pult und erklärte, dass der Hagelsturm vorüber sei, aber alle noch ein wenig in der Vorhalle warten sollten, damit das Eiswasser in den Straßen Zeit hatte abzufließen.
*
Die sechs Freunde unterhielten sich noch lange mit anderen Besuchern, die ebenso verblüfft waren wie sie selbst. Später auf dem Heimweg warfen sie einen Blick von der Ludwigsbrücke runter in den Isarkanal. Normalerweise knochentrocken, trieben jetzt Eisfluten den Lauf hinunter, dürften aber bereits geschmolzen sein, bevor sie die Donau erreichten. Wenn man das Wasser nur irgendwie speichern könnte …
--------------------------------------
Nun, ich denke, "Neue Ansätze" sind nicht das, was in vielen Ausschreibungen gesucht wird. Es sei denn, man findet den richtigen Verlag ...