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Scott Westerfeld - Weltensturm (2006 , Heyne ebook 2014) - detailreiche, unterschätzte moderne Space Opera mit glaubhaften Charakteren


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Eine Antwort in diesem Thema

#1 head_in_the_clouds

head_in_the_clouds

    Ufonaut

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Geschrieben 13 Januar 2024 - 11:44

Inhalt

 

Die Space Opera handelt von dem kulminierenden Konflikt zwischen einem von unserer Zeit 5000 Jahren entfernten, seit 1600 Jahren autoritär regierten Galaktischen Imperium der Menschen, das von einem unsterblichen Kaiser und ebensolchen Räten regiert wird und seinem jahrhundertealten Erzfeind , den Rix .

Letztere bilden einen Kult fanatischer Cyborgs , die ihre sich selbstentwickelnden künstlichen Intelligenzen (die Hive-Minds) quasi-religiös verehren. Die Rix setzen die KI’s auf imperialen Planeten zuerst unerkannt als 5. Kolonne aus um dort heimlich Computernetzwerke, öffentliche Kommunikationsinfrastrukturen (wie u.a. Verkehrsleitsysteme) , öffentliche Informationsnetzwerke (Westerfeld beschreibt sie in etwa wie ein Mega-Google-Maps der Zukunft über die das Hive-Mind Desinformation streut) bis hin zu geheimen Regierungscomputern, zu übernehmen.

 

Hauptziel der gnadenlosen Rix-Kämpfer ist es den scheinbar unsterblichen, ein düsteres Geheimnis diesbezüglich umgebenden Kaiser und das Imperium zu stürzen: dazu wird neben dem Angriff gleichzeitig eine Geiselnahme der Tochterkaiserin auf ihrer als Sommerresidenz fungierenden Welt vorbereitet. Das entstehende Chaos soll den Rix einen taktischen Vorteil für die bevorstehenden Übernahme durch ihr Hive-Mind verschaffen. Dieses hat u.a. mit sogenannten Berserker- Drohnen eine tödliche Streitmacht in Petto, sollten die Bewohner auf seine Drohungen nicht eingehen und kooperieren.

Ob der Krieg seitens des Imperiums mit den Rix wirklich gerechtfertigt ist und ob das Schema (gut/böse) tatsächlich zutrifft daran lässt uns Westerfeld im Laufe der Handlung immer mehr zweifeln.

Ein bei einem früheren Einsatz zu Unrecht in Ungnade gefallener Offizier der kaiserlichen Marine (der sich dennoch durch seinen Eid gebunden fühlt) soll als Wiedergutmachung den Angriff unter Einsatz seines Lebens und das seiner Schiffscrew aufhalten - was ihm im Lauf der Ereignisse aber zu denken gibt. Derweil eine Rätin aus gutem Hause, mit der er trotz gesellschaftlicher Schranken heimlich liiert und die ihm an Lebensalter gut einige Jahre voraus ist, auf der imperialen Zentralwelt gegen politische Ränkespiele kämpft (1. Teil) .

Im Verlauf der Handlung stellt sie sich gegen das übermächtige kaiserliche Regime und sucht Verbündete um ein monströses Kriegsverbrechen des Kriegsrats , das unter Vorsitz des Kaisers vorbereitet wird , zu verhindern und dabei auch noch ihren jüngeren Geliebten zu retten versucht (2. Teil).

 

 

Kritik

 

Das Buch wird im Klappentext in eine Reihe mit Asimov‘s Foundation oder Herbert‘ s Dune Zyklus gestellt. Was die Latte erst einmal ziemlich hoch hängt.

Zwar sind die Zutaten ähnlich (auch hier gibt’s ein Imperium unter einem tyrannischen Kaiser) aber dafür hat es im Gegensatz zu og. Werken eine extrem detailverliebte Handlung mit sehr präziser Schilderung der Ereignisse an wenigen Orten und spannt auch keinen Bogen über lange Zeiträume. Insgesamt schildern die beiden Handlungsebenen (Rixangriff und Imperialwelt) einen subjektiven Zeitraum von vielleicht ein paar Wochen. Subjektiv - da die Relativitätstheorie ernst genommen wird: auf der Imperial- und Rixwelt vergehen durch Zeitdilatation Jahre...

 

Das ist aber gerade die Stärke des Romans da dadurch die Handlung tatsächlich rasant beschleuingt wird: es gibt zb. den toll geschilderten, minutiösen Versuch der Geiselnahme auf die junge Tochterkaiserin mit verblüffenden Kombatanden der feindlichen Rix und ebenso verblüffenden Abwehrsstrategien ihrer Verteidiger aus der kaiserlichen Marine: im den Planeten umkreisenden Raumschiff steuern Kampfpiloten per Telemetrie über ihre Avatare tödliche Miniaturdrohnen – um so die Geiselnahme zu verhindern. Die Minidrohnen befinden sich dabei in einem Wasserglas(!) aus dem die Tochterkaiserin trinken will. Der geschilderte Kampf umfasst ca. 100+ Seiten - inkl der Mikrophysik wie Turbulenzen oder Lichtbrechungen die die Abwehr erschweren zumal die Geiselnehmer ebenfalls sehr ausgeklügelte Strategien besitzen.

 

Der Ansatz die Invasion der Rix durch ihr Hive-Mind erst einmal unerkannt einzusetzen erlaubt dem Autor einen realistischen Angriffsvektor zu schildern und so nicht einem hirnlosen Laser-Geballere verfällt. Kommt er zum letzteren ist es mitnichten hirnlos: Westerfeld kommt mit wenigen Raumschlachten zwischen sich relativistisch bewegenden kaiserlichen Marine – und Rixschiffen und ihrem Hive Mind aus (zwei Schlachten präzise) und die meines Wissens in keinem anderen Roman physikalisch so korrekt unter Einbeziehung der Einstein’schen Relativitätstheorie geschildert worden sind (außer vielleicht in Haldeman’s „Der ewige Krieg“ ). Zudem schildert er die inneren Konflikte der kaiserlichen Marinepiloten da der Einsatz sich durch den Kapitän mehr und mehr gegen das repressive Imperium richtet.

Westerfeld gewinnt dem Zeitdilatation-Setting eine weitere (unkitschige) Facette ab: Wie schaffen es sich zwei Liebende, der Eine inzwischen als Schiffskapitän zwangsbefördert und bei seiner Ehre ausgenutzt, der subjektiv nur einige Wochen durchlebt , die Andere als hochstehende Politikerin bei der Jahre auf der Imperialwelt zu verbuchen wären , nicht im Abgrund der Zeit zu verlieren? Er hat zwei verblüffende Lösungen dafür, eine die so auch zum Einsatz bei Kolonialisierungen oder halt Konflikten kommt: Wie koordiniert man diese mit der Imperialwelt bei Zeitdilatation?

Es ist dem Autor hoch anzurechnen, das er diesen beschwerlicheren Weg nimmt und wie Haldeman die korrekte phsyikalische Beschränkung , die Lichtgeschwindigkeit tatsächlich Geschwindigkeitsgrenze sein zu lassen, beibehält – und damit die og. Zeitdilatation. Benfords Forderung das jede Hard SF physikalischen Gesetzen gehorchen muss wird hier somit voll erfüllt. Nur die Datenkommunikation ist instantan, da in Westerfeld’s Geschichte mit Quantenverschränkung gearbeitet wird. Zwar ist die Fernwirkung auf Quanteneigenschaften beliebig entfernter, verschränkter Partikel physikalisch nachgewiesen (Nichtlokalität der Quantenmechanik, s.u.) - die Information darüber zwischen den Messenden kann aber weiterhin nur mit maximal Lichtgeschwindigkeit übertragen werden. Hier erlaubt sich Westerfeld eine fiktive Lösung, die es so (noch) nicht gibt. Andererseits würde aber die Liebesgeschichte an den Lichtjahren entfernten Handlungsorten (Schiff bzw. Imperialwelt) nicht funktionieren – und schließlich müssen sich die beiden bezüglich ihrer folgenschweren Handlungen absprechen können.

 

Im übrigen ist dies nicht die einzige romantische Handlung: die andere umfasst das queere Verhältnis einer Rix-Soldatin mit einer Einheimischen des Planeten im 2. Teil. Westerfeld verschafft so den Rix eine unerwartete emotionale Komponente und die Möglichkeit einer facettenreichen Charakterentwicklung. Wenn wir generell von unserer Zeit aus um Jahrtausende weiterentwickelten Zivilisationen reden, wie könnte man da nicht mit Selbstverständlichkeit schildern das Geschlechterbeziehungen sich ebenfalls längst geändert haben – und gleichwertig sind?

In der deutschen Übersetzung Weltensturm sind die beiden Teile gemeinsam enthalten, so das es keinen Cliffhanger in dem Sinne gibt. Durch die zwei Teile ist er aber bequem konsumierbar – da jeder Teil einen befriedigenden Schluss besitzt.

 

 

Fazit

 

Alles in allem eine unterschätzte Space Opera wobei der besondere Kniff bei Westerfeld’s Worldbuilding ist , das der Roman gleichzeitig einen subjektiven betrachteten Zeitraum von einigen Wochen beim Zielplaneten des Rix-Angriffs überbrückt während gleichzeitig Jahre auf der Imperialwelt vergehen. Die Schiffe bewegen sich relativistisch und unterliegen Zeitdilatationen zu den jeweiligen Zentralwelten der beteiligten Reiche.

 

Die Kunst beides zu einer glaubhaften, geschlossenen Handlung zu vereinen , die Detailverliebtheit in einigen Sequenzen und das Schaffen einer so erstaunlichen wie charakterlich tief geschilderten Lebensform wie den Rix macht den Reiz des Romans aus. Leider beließ es Westerfeld bei diesen zwei Romanen. Vielleicht auch gut so – da Fortsetzungen nicht immer den hohen Erwartungen entsprechen, die anfänglich aufgebaut werden.

Gebraucht ist der deutsche Titel günstig zu erstehen. Es gibt eine Neuauflage als Heyne ebook von 2014.

 

 

Gelesen wurde Weltensturm [German] (2006).

Wertung: 9/10 (isfdb)

Succession Serie

 

Scott Westerfeld in der isfdb

 

weiterführender Link Nicht-Lokalität der Quantenmechanik
 


Bearbeitet von head_in_the_clouds, 13 Januar 2024 - 12:22.

"Why should one be afraid of something merely because it is strange?"

  • (Buch) gerade am lesen:Quicksilver- Neal Stephenson
  • • (Film) gerade gesehen: 3 body problem

#2 Cybergnom

Cybergnom

    Nanonaut

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Geschrieben 16 Januar 2024 - 18:09

Das hatte ich damals, als es ganz neu rauskam, in einer lokalen Kleinbuchhandlung ganz schüchtern im Regal versteckt entdeckt... ich war von dem toll spacigen Cover, sowie dem Verweis auf Herbert und Asimov gleich extrem gepackt, hab's also sofort gekauft, sogleich gelesen und war total begeistert. Und obwohl das echt schon eine ordentliche Weile her ist, hat es doch einen starken Platz in meinen Bucherinnerungen.:)
“Still round the corner there may wait / A new road or a secret gate.” (J.R.R. Tolkien)


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