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Tom Turtschi - Die blauen Hunde von Lop Nor


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8 Antworten in diesem Thema

#1 rostig

rostig

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Geschrieben 24 Januar 2024 - 16:26

Die blauen Hunde von Lop Nor (AndroSF: Die SF-Reihe für den Science Fiction Club Deutschland e.V. (SFCD))
von Tom Turtschi (Autor)
Herausgeber ‏ : ‎ p.machinery; 1. Edition (17. September 2023)
Sprache ‏ : ‎ Deutsch
Taschenbuch ‏ : ‎ 268 Seiten
ISBN-10 ‏ : ‎ 3957653525

Klappentext
Martin Eberhard hat im Labor mit der »Blue Dragon®« eine Tomate entwickelt, die gegen die weltweit grassierende Tomatenseuche resistent ist. Er reist für den Konzern nach Xinjiang, um bei der Lop Nor Potash Company die Beimischung des notwendigen Zusatzstoffes in den Dünger zu begleiten. China zeichnet für achtzig Prozent der weltweiten Tomatenproduktion verantwortlich, die industrielle Herstellung des Düngers muss vor Ort erfolgen. Der Direktor der Düngemittelfabrik lässt Eberhard warten. Auf Betriebsführungen staunt er über den riesigen Industriekomplex mitten in der Wüste. Über hundert Kilometer lange Kanäle, die die Sole zum Werk führen, Salzbecken mit der vierfachen Fläche der Stadt Paris, gigantische technologische Anlagen. Die Wüste fasziniert ihn, genauso seine forsche Reisebegleiterin. Sie fahren durch imposante Landschaften, besuchen die Ruinen untergegangener Kulturen entlang der Seidenstraße. Sie treffen auf die Krater der Atomtest aus den Sechzigerjahren, auf illegale Goldschürfer, die in der verstrahlten Erde nach dem Glück suchen. Zunehmend beginnt er an seiner Wahrnehmung zu zweifeln: Die Wüste narrt ihn mit Trugbildern, die Absichten seiner Reisebegleiterin werden immer undurchsichtiger. In der alten Ruinenstadt Loulan erscheinen ihm die blauen Hunde von Lop Nor. Sie konfrontieren ihn mit den Auswirkungen seiner Forschung und schicken ihn auf einen Trip durch die Geschichte der Farbe Blau. Die Zeitreise führt ihn vom Mittelalter über die Industrialisierung zum ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart. Schliesslich muss er sich dafür verantworten, was die Spezies Mensch mit dem blauen Planeten angestellt hat.

Kommentar
In bester Karl-May-Manier führt der Autor uns durch eine Landschaft, die er nie selbst gesehen hat: voller realistischer Details (manchmal möchte man den Sand aus dem Buch kippen weil es so knirscht), überzeugender Ortskenntnis und lockender Geheimnisse. Ebenso fundiert deckt er die Widersprüche im chinesischen System umfassender Kontrolle auf, wägt kapitalistische Ausbeutung gegen totalitäre Herrschaft.

Ein Near Future Thriller (?) um menschgemachte (absichtlich?) ökologische Katastrophen und scheinbare Lösungen als Hintergrund für eine Geschichte der Farbe Blau, fachlich sowohl in historischer, künstlerischer und chemischer Sicht detailreich erzählt und interpretiert: so stellt er die Indigosynthese der BASF als Auslöser des ersten Weltkrieges dar.
Die titelgebende Geschichte um blaue, hundeartige Aliens als Richter über die Menschheit wirkt dagegen aufgesetzt und überzeugt nicht. Sie bleibt gewollt eher visionärer Fiebertraum als handfeste SF. Der Autor sah sie wohl als nötig an, um seine umfassende Abwägung und Wertung menschlichen Fortschritts auszuarbeiten - quasi eine aktuelle conditio humana. Er selbst spricht im Nachwort von 95% Science und 5% Fiction.

Stilistisch fällt das Fehlen von Anführungszeichen auf; Dialoge, Gedanken und Handlung fließen ineinander, trotzdem bleibt immer ersichtlich welche Person spricht - handwerklich sehr gelungen. Negativ anzumerken ist (mal wieder) das lausige Lektorat: ein Dutzend Rechtschreibfehler stoßen mir auf und ich bin kein sehr aufmerksamer Leser in grammatikalischer Hinsicht.

Fazit: Ich mochte die Erzählung aus der Sicht eines Chemikers, die umfassende Recherche zu unzähligen Details und die plastische Erzählweise. Negativ fallen einige Redundanzen, viele Rechtschreibfehler und eine eigentlich unnötige Rahmengeschichte auf, die wohl den Anspruch rechtfertigen soll, den Roman als SF zu bezeichnen. Als allgemeine Phantastik geht er aber allemal durch und hätte faire Chancen für eine Nominierung für den DSFP 2024, so es denn einen gibt - stillt ruht der See um die Reformierung des DSFP-Komitees.



#2 My.

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Geschrieben 24 Januar 2024 - 16:57

Es wäre natürlich interessant, zu erfahren, welche Rechtschreibfehler das gewesen sein sollen.

 

My.



#3 rostig

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Geschrieben 24 Januar 2024 - 17:00

Hallo My, überwiegend fehlende Buchstaben.



#4 My.

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Geschrieben 24 Januar 2024 - 18:39

Hallo My, überwiegend fehlende Buchstaben.

 

Hast du ein, zwei prägnante Beispiele?

 

My.



#5 rostig

rostig

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Geschrieben 24 Januar 2024 - 19:28

Habe mir keine roten Markierungen oder so gemacht. Was mir in Erinnerung ist: auf Seite 52 wird aus dem Namen Yuande einmal nur Yuan.



#6 My.

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Geschrieben 24 Januar 2024 - 19:47

Habe mir keine roten Markierungen oder so gemacht. Was mir in Erinnerung ist: auf Seite 52 wird aus dem Namen Yuande einmal nur Yuan.

 

Danke.

 

My.



#7 FranzH

FranzH

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Geschrieben 25 Januar 2024 - 10:24

Danke an rostig, das er hier einen Thread zu einem Buch aufmacht, das sonst zu Unrecht ein wenig übersehen würde.

Dann poste ich hier auch einmal einen Schwung Gedanken:

 

Ein stilistisch sehr gut geschriebenes Buch mit einer interessanten Location, einem wichtigen Thema, mit viel Science und leider zu wenig Fiction. 
 
Der Ausgangspunkt des Buches ist, dass ein Virus weltweit die Tomatenkulturen vernichtet hat. Der Ich-Erzähler Martin Eberhard hat eine Tomatenpflanze entwickelt, die gegen dieses Virus resistent ist und reist nun im Auftrag seiner Firma nach Xinjiang in China, um Verträge über die Produktion des notwendigen Düngers abzuschließen. Bei der Anreise liest er ein Buch von Marco Polo, der nämlich sein Zielgebiet angeblich schon vor hunderten von Jahren bereist hat. Martin bezeichnet Marco Polos Bericht als eine “Balance aus Fact und Fiction, bei der ich nie exakt weiß, was Tatsache ist und wo die Flunkerei beginnt” (S. 12). Dies habe ich auch als einen Verweis auf das Buch gelesen. Martin findet sich in der Wüste Taklamakan wieder, mitten im Gebiet der Uiguren und er fragt sich: “Wer begibt sich schon freiwillig in das weltweit größte Gefangenenlager?” (S. 13).
Das Buch hat zwei Handlungsebenen. In der einen erzählt Martin seine Geschichte, die in  der Düngemittelfabrik und in der Wüste spielt. In der anderen erlebt er eine Art Fiebertraum und sieht sich von hundeähnlichen Lebewesen entführt, die ihn stellvertretend für die Menschheit (“Spezies XB-23”) vor ein Tribunal stellen und verurteilen wollen. Außerdem erlebt er die Geschichte der Farbe Blau und deren Bedeutung. Dieser zweite Teil repräsentiert den Science-Fiction Aspekt des Buches und irgendwann gegen Ende des Buches laufen die beiden Ebenen zusammen. Gegen Ende wird der Science-Fiction-Anteil etwas größer, wenn erklärt wird, wie Martin in diese Situation geraten ist. 
Inhaltlich geht es um die Ausbeutung der Uiguren durch die Chinesen und um die Ausbeutung der Erde durch die Menschen, denn vor dem Tribunal muss sich Martin immer wieder rechtfertigen für das Handeln der Menschen, die die Erde zerstören: “Die etablierte Ordnung schützt primär den freien Markt, nicht XB-23 in seinem Ökosystem. Ihr Recht wahrt die Privilegien Einzelner in der Gegenwart und nicht den Anspruch aller auf eine Zukunft - als gäbe es keine Verantwortung für die Langzeitfolgen ihres Handelns" (S. 202).
 
Von Beginn an faszinierte mich am Buch die Wüste: “Eine Landschaft, wo der Geist mit dem großen Ganzen verbunden ist: Alle Weltreligionen sind in Wüsten entstanden.” (S. 15). Die junge Turkmenin Sahkila Tursan kümmert sich um Martin und - wie erwartbar und etwas klischeehaft - überwacht sie ihn auch und er verliebt sich in sie. Martin lernt - auch durch Sahkilas Hilfe - sein Umfeld besser kennen, er bemerkt die ständige Überwachung und er versteht ein wenig, wie man in einer riesigen Anlage inmitten einer riesigen Wüste lebt.
Da sein Gesprächspartner bei der chinesischen Firma geschäftlich unterwegs ist, wird Sahkila ihm die Umgebung zeigen, die kulturellen Hinterlassenschaften in dieser Gegend im Gebiet der früheren Seidenstraße und sie zeigt ihm natürlich die Wüste: “die Taklamakan ist kein Ort der Einkehr, sie ist ein Gelände der Entgrenzung” (S. 32). 
Gerade die Beschreibungen der Wüstenlandschaft fand ich sehr gelungen. Auch der Himmel über der Wüste ist in der Nacht sehr beeindruckend und lässt Martin an die “bestürzende Weite des Weltalls” denken und Blaise Pascal zitieren: “Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume erschreckt mich” (S. 215).
 
Das Buch wird erst relativ spät wirklich spannend, nämlich erst nach über 200 von den 300 Seiten. So faszinierend ich die Beschreibungen der Wüste und der archäologischen Relikte fand, so lang zogen sich auf der anderen Seite die Beschreibungen zur Farbe Blau. Das Buch erläutert recht genau chemische Prozesse, mit denen die verschiedenen Substanzen wie Lapislazuli, Ultramarin und Indigo hergestellt werden, sowie welche Menschen und Firmen beteiligt waren. In einem kurzen Nachwort erläutert Tom Turtschi, dass sein Buch den Anteil zwischen Science und Fiction, der normalerweise bei 5% zu 95% liege, umkehre: Hier seien 95% Science und nur 5% Fiction. Wahrscheinlich war für mich dabei das Problem, dass der größere Teil der Science eben aus Chemie besteht und diese nicht gerade zu meinen Lieblingsnaturwissenschaften gehört. Auf der anderen Seite stehen spannende Diskussionen mit seiner Begleiterin und ein Geheimnis im Hintergrund.
 
Ich habe die Hardcover Ausgabe des Buches gelesen. Diese ist  wirklich sehr schön gestaltet mit Lesebändchen (natürlich in blau), einer Karte und zwei Bildteilen mit vielen Fotos. 
Mir hat das Buch gut gefallen. Ich hätte mir aber weniger Chemie gewünscht.


#8 fancy

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Geschrieben 25 Januar 2024 - 14:51

In der Verlagsinfo wird der Inhalt des Romans ganz gut zusammengefasst und da ich das Ende nicht verraten möchte, werde ich nicht mehr über den Inhalt verraten.
Dass Tom Turtschi keine »Standardtexte« abliefert, war mir bekannt. Ich kenne einige seiner Kurzgeschichten und Romane. Auch, dass er sich gerne für unsere Breiten ungewöhnliche Orte für seine Handlungen sucht, wusste ich. Wie er das alles aber miteinander verwoben hat, hat mich dann doch erstaunt. Er lässt seinen Roman in China spielen und gesteht im Nachwort, dass er niemals dort gewesen ist. Das tut seiner Erzählung aber keinen Abbruch, denn er schildert die nie gesehene Landschaft so intensiv, dass man den Sand vor Augen hat. Um das tun zu können, hat er sich mit Bildbänden und im Internet schlau gemacht und zwar so, dass man ihm jede Beschreibung völlig abkauft. Nicht nur die Landschaft wird von ihm eindrücklich beschrieben, auch das System, das mit Minderheiten nicht gerade glimpflich umgeht, wird kritisiert. Aber nie mit erhobenem Zeigefinger, sondern mehr als Beschreibung einer Realität.
Was mich aber am meisten erstaunt hat, ist, wie viel ich in diesem Buch lernen konnte. Der Autor unternimmt mit dem Leser eine Zeitreise zurück zu den Anfängen der Farbe Blau. Er schildert, wie welches Blau exakt gewonnen wurde, was es dabei für Risiken für Mensch und Umwelt gab. Er verzahnt beide Erzählstränge so gekonnt, dass man sich nie fragt, was das soll. Allerdings gestehe ich, dass die die Blauausführungen bis fast zum Ende für Erlebnisse im Fieberwahn hielt. Das wird am Schluss völlig anders aufgelöst und mit dieser Wendung bekommt der Autor dann auch den Dreh zur Science-Fiction noch besser hin, als er nur durch die verseuchten Tomaten gelungen wäre.
Es gelingt dem Autor, alle Figuren im Roman lebendig werden zu lassen.
Dieser Roman ist nicht auf die herkömmliche Art und Weise spannend, aber dennoch irgendwie fesselnd. Man möchte wissen, ob Martin gesund wird und man möchte wissen, wie es mit dem Blau weitergeht. Einzig die zitierten Textstellen zum Ende hin, waren mir dann doch zu viel des Guten. Aber das ist mein ganz ureigener persönlicher Geschmack.
Wer bereit ist, sich auf den Text einzulassen, wer gerne mehr über die chinesische Wüste erfahren möchte, und wen die Geschichte der Farbe blau interessiert, der ist mit diesem Roman gut bedient.
 
@rostig: Die Rechtschreibfehler würde ich nicht dem Lektorat, sondern dem Korrektorat (und dem Autor) anlasten. 
@My.: Ich habe die Fehler markiert, die mir aufgefallen sind. Möchtest du sie haben?
@FranzH: Ha, ha, ich weiß, teilweise war der Blau-Stoff trocken, aber chemische Formeln hat uns der Autor ja nicht zugemutet. ;-) 

Fang nicht an, Dinge zu tun, tu sie einfach!
Wer wenig denkt, irrt viel (Leonardo da Vinci)
Meinungsverschiedenheiten über ein Kunstwerk beweisen, dass das Werk neu, komplex und lebenswichtig ist. (Oscar Wilde)
Wenn Kritiker uneins sind, befindet sich der Künstler im Einklang mit sich selbst. (Oscar Wilde)

www.mluniverse.wordpress.com
www.mlpaints.blogspot.com

#9 My.

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Geschrieben 25 Januar 2024 - 15:04

 

@My.: Ich habe die Fehler markiert, die mir aufgefallen sind. Möchtest du sie haben?
 

 

Ja, latürnich.

 

My.




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