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Brian W. Aldiss – Der lange Nachmittag der Erde (1962) : eine Science-Fantasy

Deep time Science-Fantasy Dying earth

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#1 head_in_the_clouds

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    Ufonaut

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Geschrieben 01 Februar 2024 - 17:01

SPOILERFREI

 

Herrliche Fabulierlust zeichnet diese Science-Fantasy von 1962  aus und sie ist sprachlich eines seiner schönsten Werke.

Warum Science-Fantasy? Einerseits findet sich ‚Science‘ insofern der drastische Wechsel der Lebensbedingungen auf einer

Erde in Milliarden Jahren entfernt liegenden Zukunft wissenschaftlich begründet wird. Andererseits wird offenbar das Aldiss

bei manchen Schilderungen in die Fantasy abgleitet – was z.b. den Stillstand der Erde , den Mond und Reisen dazwischen angeht –

welches ihm auch Kritik einbrachte (s.u.). Der Roman lässt sich also durchaus zurecht so einordnen und ist in prominenter Gesellschaft

von Jack Vance’ Episodenroman „The Dying Earth“  (1950) , dt. „Die sterbende Erde“ (1978), die das Paradebeispiel für diese Kategorie darstellt.

Im Ursprung war das Original als „Hothouse“ 1961 im „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ als fünfteilige Kurzromanserie erschienen.

1962 komponierte Aldiss die Teile in den Roman „The Long Afternoon of Earth“ um mit dem zum ersten mal im selben Jahr ein

Nicht-Amerikaner den Hugo Award für die beste Novelle erhielt – die Preise der Jahre vorher gingen ausschließlich an US-Autoren.

 

Ergattern sollte man die Heyne Ausgabe von 1986 oder 2021, die den kompletten Romantext zugrunde legen und zudem ein Vorwort

und Nachwort zur Bedeutsamkeit des Werkes im SF Kanon enthalten.

Die erste Übersetzung von 1964 (“Am Vorabend der Ewigkeit“) war wie damals üblich auf 160 Seiten gekürzt worden.

 

Inhalt

In ferner Zukunft hat die Erde aufgehört sich zu drehen und ist so zu einer Hälfte ein Treibhaus zu anderen eine Eiswüste geworden.

Die letzten Nachkommen der Menschheit leben in der heiss-feuchten Zone in den Zweigen eines riesigen, kontinentalen Baumes

und sind was Körpergröße und Intellekt anbelangen einer Devolution unterlegen.

Die Fauna existiert nur noch in einigen wenigen Spezies, dafür hat die Flora die Welt komplett erobert (im Extrem das Einzelgewächs des

weltumspannenden Baums) – und im Gegensatz zum Mensch und dem kleinen Rest animalischen Lebens eine enorme evolutionäre Entwicklung

hinter sich gebracht.

 

Zum Anfang werden wir in den Überlebenskampf einer Gruppe Ausgestoßener geworfen, welche durch ein schicksalhaftes Ereignis voneinander

getrennt werden: Die Erwachsenen und deren Nachwuchs, wobei das Augenmerk zunehmend auf letztere gerichtet wird.

Hier wird die Komposition aus den Teilen der Serie deutlich: Der Erzählbogen um die Erwachsenen schien Aldiss nicht mehr so zu interessieren.

So sind die ersten paar Kapitel eine Achterbahn aus exotischen Bedrohungen der Menschennachkommen durch eine überaus aggressive und

feindliche , auch sich untereinander bekämpfenden Flora. Dabei steht den Jugendlichen die Begegnung mit dem Hauptfeind noch bevor –

dessen Bedrohlichkeit aber eher aus seiner Fähigkeit zu indoktrinieren und manipulieren herrührt.

 

Die Notwendigkeit zur Überwindung interner Gruppenstreitigkeiten und der Überlebenskampf (insbesondere gegen einen intellektuell überlegenen Feind)

zwingen die jungen Erwachsenen Zusammenhalt zu lernen und damit zur schnellen Reife. So ist auch die getroffene Entscheidung

Gren’s zum Schluss des Romans sehr gut nachvollziehbar.

 

Kritik

Insgesamt ist der Roman stark plotgetrieben – Action ist aber nur Mittel für die eigentlichen Anliegen des Autors. Zwar hat nur die Hauptfigur Gren

(der etwas schneller dazu lernt als der Rest der jungen Gruppe) eine erwähnenswerte Charakterentwicklung.

Aber die Motivation seines Hauptgegners ist anfangs durchaus ambivalent geschildert und nicht in Kategorien gut /schlecht einzuordnen, so das sich

Leser ihre eigene Meinung bilden können.

„Hothouse“ (Aldiss‘ bevorzugter Titel), bringt alle sprachlichen, komischen und erfinderischen Talente des Autors zum Ausdruck.

So erinnern Wortschöpfungen von Pflanzennamen (in der deutschen Übersetzung überaus gut gelungen) teilweise an die Lem’schen skurrilen

Fremdwesenbezeichnungen im Anhang der „Sterntagebüchern“.

Das Werk dramatisiert effektiv ein breites Spektrum an Anliegen: der Konflikt zwischen Wachstum und Niedergang , zwischen Ordnung und Chaos,

zwischen der reichen Vielfalt des Lebens und der Stille des Todes.

Von James Blish wurde dem Text Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen. Berücksichtigt man aber Aldiss’ Intention setzt dieser, auch was den literarischen

Ausdruck betrifft, neue Maßstäbe in der SF und macht ihn deswegen zurecht zum Klassiker.

 

 

Gelesen wurde die deutsche Neuübersetzung des Originaltextes:

 

Title: Der lange Nachmittag der Erde [German] (1986)

Original Title: The Long Afternoon of Earth (1962)

 

Aldiss’ Gesamtwerk in der ISFDB


Bearbeitet von head_in_the_clouds, 01 Februar 2024 - 17:02.

"Why should one be afraid of something merely because it is strange?"

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