Hallo zusammen,
ich weiß, ich bin damit spät dran (der Roman ist 2016 erschienen), aber ich hole gerade deutschsprachige SF nach, hier, Der Bahnhof von Plön. Christopher Ecker hat seither zwar einen neueren Roman verfasst, der ist aber keine Phantastik. Ich wollte höflicherweise einen Roman von dem Mann lesen, da ich am 25. April zu einer Veranstaltung in Kiel ins Literaturhaus gehe und er dort moderiert.
Ich erinnere mich dunkel, dass ich auch mal eine Rezension gelesen habe (vielleicht im Quarber Merkur, im SF Jahr war es offenbar nicht, schon geprüft), und das Buch vage auf meine Liste gesetzt hatte, aber meine Liste ist lang und aktuellere Dinge kommen meistens dazwischen.
Jetzt lese ich es doch und bin bei fast der Hälfte.
Da ich seit 2011 in Kiel arbeite und ganz in der Nähe wohne, hat es für mich auch wirklich viele vertraute Ortsnamen oder gar Straßennamen. Ich kenne natürlich die Holtenauer Straße und auch die Schauenburger Straße, in der Teile des Geschehens spielen. Den Bahnhof von Plön kenne ich auch, aber auf den Aufritt warte ich noch.
Es ist nicht ganz einfach, nach etwa der Hälfte zu sagen, worum es in dem Roman eigentlich geht, obwohl ich ihn wirklich gern lese.
Der Ich-Erzähler, Phineas (eine Anspielung auf Phileas Fogg aus In achtzig Tagen um die Welt?) hat offenbar eine stark phantastische Vergangenheit. Seine Familie klingt so, als wäre sie aus irgendeinem düsteren Märchen entstiegen. Mitten im Krieg hat sein Vater ihn an einen vertrauten Diener, den Brückentroll Jérôme, übergeben und der kümmerte sich daraufhin um den Jungen. Im Wald wurde ihnen dann teilweise von den Tieren Nahrung gebracht, später war Phineas in einer Pflegefamilie, Jérôme war zu Besuch, musste sich aber stets auf ein Handtuch setzen, wenn er mitessen durfte. (Nice to know: Der Brückentroll hat übrigens eine Narbe von einer Pockenimpfung, also können Trolle sich mit den Pocken anstecken?)
Sehr schräg und trotzdem glaubhaft.
Später leben die beiden aber wieder zusammen.
Zu Beginn des Romans muss Phineas einen Hotelraum voller Leichen entsorgen, das wird extrem anschaulich und maximal eklig geschildert (ich lese gern Horror und habe noch nie so etwas Ekliges gelesen, sagte sie voller bewundernder Hochachtung), dann bekommt Phineas auch endlich ein konkretes Problem:
Als nächsten Auftrag soll er eine Frau, die in Kiel in der Schauenburger Straße wohnt, für seine Sache akquirieren. Man zeigt ihm ein Foto. Doof nur, dass er ebenjene Frau eben erst eigenhändig getötet hat und in dem Leichenberg versteckt. Well ...
Dabei bleibt es aber nicht und der Roman hat auch massig phantastische Elemente, wobei ich diese nicht unbedingt als lupenreine SF empfinden würde. (Nominiert für den DSFP 2017 hin oder her, wobei ich den Roman mit Sicherheit auch selbst nominiert und vermutlich sehr hoch bepunktet hätte.)
Phineas kann "springen", mit der U-Bahn locker mal von New York nach Paris oder ins Dänische Wohld (hier um die Ecke) fahren. Praktisch. Und es werden auch andere Fähigkeiten angedeutet.
Ich bin ziemlich stark geankert und hätte hinter dem harmlosen Titel niemals ein derartiges Buch vermutet.
Der Stil ist sehr eigen, aber echt stark. Ich gebe mal ein paar Kostproben:
... und das ganze Gebäude allmählich aufzuweichen wie ein Stück Weißbrot, das man für ein Kind in heiße, gezuckerte Milch tunkt.
Im Badezimmermülleimer lag ein weißes Stückchen Porzellan oder Zahn.
Vorsicht, das ist einer von den ekelhaften Sätzen!
Dieses Geräusch, das ich mein Lebtag nie vergessen werde und auch jetzt beim Schreiben dieses Berichts deutlicher erinnere als den Gestand, stammte, wie ich Jahre später beim Vortrag eines forensischen Biologen erfuhr, von den Maden, stammte von den Tausenden auf und inmitten des Leichenbergs umerherkriechender Maden, stammt von Abertausenden hungriger Maden, deren weißliche, wulstig segmentierte Leiber dieses betäubende, fast einlullende Rauschen erzeugten, wenn sie sich auf ihren Fresspfaden begegneten und in blinder Gier und ohne voneinander zu wissen ihre Körper scheuernd aneinander rieben.
Ich scmeckte Verwesung auf der Zunge und beim Schlucken hinten am Gaumen.
Legionen von Fliegen umschwirrten mich, setzten sich mir auf die Lippen und in die Augenwinkel, versuchten in meine schnaubenden Nasenhöhlen zu kriechen, paarten sich in meinen Brauen und versanken im Hitlerbart aus Zahnpasta wie Beeren in einer Quarkspeise.
Ich find's ziemlich geil.
Schöne Grüße, Yvonne