Utopie und Science Fiction
#1
Geschrieben 23 September 2004 - 21:19
#2
Geschrieben 23 September 2004 - 21:33
uiuiui...da kannst du mal die Suchmaschine anwerfen und OnBoard ein bisschen stöbern. Ich kann mich da an einige heisse Diskussionen erinnern, zumindestens über die Definition der SF zb "Ansichten zur Phantastik" http://www.scifinet....?showtopic=1704 oder "Hard-SF oder Soft-SF oder was? http://www.scifinet....?showtopic=1985 oder "Was ist gute SF" http://www.scifinet....?showtopic=1777 oder "SF-Definitionen gesammelt... http://www.scifinet....?showtopic=1849 oder "subgenres - SF, Fantasy, Horror - Was will man mehr http://www.scifinet....?showtopic=1818 und noch einiges das ich jetzt nicht finde Gruß Thomas...Und wie genau sind die Utopie- und Science Fiction-Definitionen? Gibt es in der Utopieforschung mehr Versuche konkrete Begrffsdefinitionen zu finden, während es in der SF nicht so ist...Interessiert mich, weil ich dazu nichts weiß.
Thomas Sebesta/Neunkirchen/Austria
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#3
Geschrieben 23 September 2004 - 21:40
das war das thema der schreibwerkstatt welche einige forumsmitglieder im frühjahr besuchten
(auch meine wenigkeit)
LINK
da steht zB:
Science-Fiction-Romane- und Erzählungen wurden im deutschsprachigen Raum früher oft als "utopische Literatur" bezeichnet. In den meisten Fällen entsprachen die so bezeichneten Texte nicht dem eng gefassten Begriff der "Utopie", wie er sich nach Thomas Morus' Roman "Utopia" eingebürgert hatte. Sie entwarfen nur selten eine "ideale" zukünftige Gesellschaft - oder im Fall der Antiutopie (auch Dystopie) deren Pervertierung und Gegenteil. Soziale (auch künstlerische, politische, religiöse) Utopien spielten und spielen in der Science Fiction eine geringere Rolle als technische Utopien - aber sie spielen eine Rolle, und sei es nur in wenigen Sätzen. Mögliche zukünftige (in Alternativweltgeschichten oder Uchronien auch denkbare vergangene) Entwicklungen einer oder mehrerer Gesellschaften sind ein unverzichtbarer Bestandteil von SF-Geschichten. Sie sind eine der grundlegenden Prämissen. Sie sind die Bühne, auf der sich die Figuren bewegen und entwickeln können, auf der sie ihre Konflikte austragen und dem Leser ein imaginäres Schaupspiel liefern, das ihn im Idealfall in eine andere Welt entführt.
Richtig eingesetzt, sind Utopien ein mächtiges Werkzeug zur Entwicklung komplexer, spannender und - nicht zuletzt - unterhaltsamer Science-Fiction-Geschichten.
lg joe
#4
Geschrieben 24 September 2004 - 08:18
#6
Geschrieben 24 September 2004 - 09:35
I have loved the stars too fondly to be fearful of the night.
(Sarah Williams: The Old Astronomer To His Pupil)
#7
Geschrieben 24 September 2004 - 11:04
Bearbeitet von ThK, 24 September 2004 - 11:13.
#8
Geschrieben 24 September 2004 - 11:34
#9
Geschrieben 24 September 2004 - 13:08
#10
Geschrieben 24 September 2004 - 14:52
Genau das sind eben keine Utopien. Eine Utopie ist die Beschreibung eines fiktionalen, idealen Gesellschaftszustands, der übrigens nicht zwingend in der Zukunft angesiedelt sein muß (Um mein früheres Posting etwas zu relativieren ...).Unter eine Utopie verstehe ich Werke wie "A Brave New World", "Fahrenheit 451" oder "1984".
Die alten Griechen sahen siedelten ihre Utopien in der Vergangenheit an, nach einer Mentalität mit dem Tenor "früher war alles besser", "wir sind nur die Erben der wirklichen Größe" und "nix is' mit besser werden". Das zog sich über die mittelalterliche Hermeneutik bis in die Neuzeit.
Erst mit der Moderne, oder sagen wir besser, mit dem Aufkommen einer Fortschrittsgläubigkeit, suchte man Utopia in der Zukunft und machte daraus ein anzustrebendes, ein zu kreierendes Gebilde. Dazu gehörte auch die Schiene, daß eine ausreichende Technisierung ausreichen würde, dieses Utopia zu schaffen.
Und die logische Reaktion darauf waren natürlich die Pessimisten, die den Optimisten vor Augen führten, daß auch diese Paradiese für Manche die Hölle sein würden. Witzigerweise wurden sie damit bekannter und haben überdies die plausibleren Prognosen geliefert. Die Pessimisten von gestern sind eben häufiger die Realisten von heute.
SF ist, sofern sie nicht rückwärtsgewandt hommagiert/plagiiert, weder sehr optimistisch noch ganz pessimistisch. Man hat begriffen, daß ein Utopia weder 100%ig möglich, und auch kein Ergebnis, sondern ein Ablauf ist. Kurz: SF beschreibt das Streben nach Utopia, nicht das Leben darin (Utopie) oder dessen Untergang (Dystopie).
I have loved the stars too fondly to be fearful of the night.
(Sarah Williams: The Old Astronomer To His Pupil)
#11
Geschrieben 24 September 2004 - 21:42
Hi Ronni, vielen Dank für diese Links: Diese Seiten kannte ich bisher nicht - noch ein Grund öfter mal bei Epilog.de reinzuschauen...Die wohl umfangreichste Sammlung an deutschsprachigen Texten zum Thema "Geschichte der SF" im Internet findest Du bei epilog.de. Gute Startpunkte sind Die Definition der Science Fiction, das Verzeichnis Essays und Artikel zu SF und die Serie Science Fiction History.
Zu dem Thema dieses Threads: Ich halte nicht viel von ewigen Kategorisierungsversuchen - das überlasse ich gerne den Buchhändlern bzw. Verlags-Marketing-Abteilungen. Bei den Begriffen "Utopie/Dystopie" kommen bei mir am schnellsten immer 2 gern gelesene Werke aus der Versenkung: Le Guin's Dispossessed und Swift's Gulliver - beide eigentlich Mischungen der beiden Konzepte mit einem deftigen Schuss SF/Phantasie drin, also m.E. eigentlich jegliche Begriffsgrenzen sprengend. Vielleicht sind ja die beiden genannten Konzepte im eher "allwissenden" Informationszeitalter einfach veraltet (d.h. aus einer anderen romantischeren oder filosofischeren Epoche)?
/KB
Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.
Da ergriff eins der kleinsten das Wort:
"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,
dann wünschen wir einfach mit Willen
die Wünsche-Erfüllung fort!"
Sie befolgten den Rat und von Stund an war
wieder spannend das Leben und heiter.
Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr
und vielleicht gar ein wenig gescheiter.
(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)
#12
Geschrieben 25 September 2004 - 11:27
Eintrag aus Indexband der »Synchronoptischen Weltgeschichte« von Arno Peters (Zweitausendeins, ein wenig linkslastig, aber ein echtes Wunderbuch).
»Utopie, aus dem Titel einer staatstheoretischen Schrift von Thomas Moorus abgeleitete Bezeichnug für Staatstheorien, die meist auf ein ideales Zusammenleben der Menschen in Gütergemeinschaft und Gleichheit gerichtet sind. Da dem Bürger im kapitalistischen Staat diese kommunistische Staatsvorstellung unwirklich erschien, wurde das Wort zur Bezeichnung für ein wohlgemeintes Hirngesprinst.«
Schön finde ich an dieser Definition, daß sowohl das Wort STAATSTHEORIEN als auch HIRNGESPRINST genannt wird :-)
Altes aber wenig bekanntes Beispiel:
Johann Gottlieb Priber und sein »Paradies« auf dem Gebiet der Cherokee (nahe Savannah), die einzige säkulare, naturrechtlich begründete Kommune des 18. Jahrhunderts. (Lesenswert bis zum Anschlag: Ursula Naumann »Pribers Paradies - Ein deutscher Utopist in der amerikanischen Wildnis«, Eichborn/Andere Bibliothek.)
Aktuelle Beispiele:
Die New American Century-Bewegung;
Tobin-Steuer und andere Korrekturen der Globalität wie von ATTAC und anderen propagiert;
diese komischen Ufo-Sektierer in Kalifornien die am Klonbaby arbeiten, und natürlich die Scientologen mit ihrer Lügendetektor-Gemütlichkeit.
Ich finde, man sollte scharf unterscheiden, zwischen solchartigen *echten Utopien* und den fiktionalen und verulkenden Utopien, die dann eben auch zu Zerrbildern eines idealen Zusammenlebens werden. Hier kommen dann Lukian, Swift und Erben zum Zuge.
Zuletzt noch eine Teilwiedergabe der chronologischen Aufstellung aus dem Indexband von Peters:
449 v.Chr.: Hippodamos' Staatsideal
374 v.Chr.: Plato »Politeia«
320 v.Chr.: Theopompos' Staatsideal
283 v.Chr.: Zenos' Staatsideal
280 v.Chr.: Euhemereos' Staatsideal
224 v.Chr.: Chrysipps' Staatsideal
941 n.Chr.: Al Farabis Staatsideal
945 n.Chr.: Isländisches Staatsideal
1516 n.Chr.: Thomas Moorus »Utopia«
1528 n.Chr.: Ideal der Wiedertäufer
1602 n.Chr.: Campanella »Sonnenstaat«
1625 n.Chr.: F. Bacons Staatsideal
1652 n.Chr.: Winstanleys Staatsideal
1675 n.Chr.: Vairasses Staatsideal
1755 n.Chr.: Morellys Staatsideal
1768 n.Chr.: Mablys Vorstellung
1800 n.Chr.: Fichte »Handelsstaat«
1812 n.Chr.: Owen »Neue Ansicht«
1838 n.Chr.: Weitlings Staatsideal
1840 n.Chr.: Proudhons Vorstellung
1842 n.Chr.: Cabets Entwurf
1888 n.Chr.: Bellamys Utopie
Wieder aus meinen Hirn: Man kann durchaus auch als Utopien begeifen: Augustinus »Gottesstaat«, Hobbes »Leviathan«, Defoes Vorschläge für den Englischen Handel, Roussaues Gesellschaftsvertrag und sein Ideal vom naturbelassenen Menschen usw usf.
Mir kommt es so vor, als ob man heutzutage nicht mehr so laut und bunt auf die ernstgemeinten Utopien aufmerksam macht. Und ich habe das Gefühl, als ob in Deutschland seit der Wiedervereinigung (die ja 40 Jahre lang eine Utopie war) eine ziemliche Utopie-Impotenz herrscht. Kaum etwas wird so wenig öffentlich verhandelt, wie die Vorstellungen vom Zusammenleben in - sagen wir -Â 100 Jahren.
@ Martin: Deine Bevorzugung von »wissenschaftliche Phantastik« gegenüber »technisch-utopische Literatur« gefällt mir.
@ Dragon: Cyrane de Bergery??? Meinst Du die Langnase Cyrano de Bergerac und seine Reise zum Mond und zur Sonne? Ist keine richtige Utopie, sondern ehr wie Swift eine geistreiche Verulkung.
Und knapp zu »1984«: Ist doch eine Super-Utopie, die den schweren Weg eines Querulanten zum Glück erzählt. Die letzten Sätze der erzählenden Handlung lauten immerhin:
»†¦ Aber nun war es gut, war alles gut, der Kampf beendet. Er {Winston Smith} hatte den Sieg über sich selbst errungen. Er liebte den Großen Bruder.«
Der Selbstbetrug des Menschen kennt keine Grenzen.
2 + 2 = 5
Grüße
Alex / molosovsky
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#13
Geschrieben 29 September 2004 - 20:48
Bearbeitet von Harun Raffael, 29 September 2004 - 21:49.
#14
Geschrieben 29 September 2004 - 21:34
Der Sichtweise stimme ich zu, auch wenn *der Markt* teilweise krass Entgegengesetztes suggeriert. Zudem gibt es Poetik-Traditionen, nach denen DER ROMAN oder DAS SCHREIBEN selbst utopische Aspekte haben (oder haben sollten). So wird DER ROMAN immer wieder beschrieben, als Projekt, in einem Werk, einer Handlung, die Gesamtheit der Welt, der Conditio Humana zu fassen. Dieser Anspruch (oder Anforderung) DES ROMANS ist selbst eine Utopie, oder je nach Haltung, eine Unmöglichkeit, die es zu wiederlegen oder zu überwinden gilt. Alex / molosovskyScience Fiction ist Utopie. Sie erweitert nur die Grenzen des Genres.
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#15
Geschrieben 19 Oktober 2004 - 12:01
#16
Geschrieben 19 Oktober 2004 - 22:15
Man kann es sich auch zu einfach machen. Gewisse Romane, die das absolute Spießer-Weltbild der USA der 50er Jahre auf die ganze Galaxis ausdehnen, wurden von Autor und geneigten Leser sicherlich als optimistisch, hoffnungsvoll und angenehm empfunden - ich und manch anderer empfinden diese Visionen eher als pessimistisch und furchterregend. Bei Anti-Utopien wie "Brave New World" wiederum kann man sich fragen, was daran eigentlich so schlecht ist, wo doch alle darin glücklich sind? Der Markt: etliche Serien, die die meisten hier wohl widerlich finden werden, sind pure Wunscherfüllungsphantasien für ein bestimmtes Publikum, und daher im Empfinden dieser Leser positive Utopien. Und auch die Eroberung der Sterne mit dem Blaster in der Hand ist eine Erweiterung der Grenzen. :eevil:@ Harun Raffael: Ich denke, am einfachsten kann man es sich machen, wenn man ernsthafte Zukunftsentwürfe grob in zwei Gruppen teilt: • optimistische, hoffnungsvolle und angenehme Vorstellungen und Gestaltungs-Ideen vom künftigen Zusammenleben, kurz: eine glückliche, faire, menschliche Zukunft, oder … • pessimistische, furchterfüllte und unangenehme Vorstellungen und Gestaltungs-Ideen vom künftigen Zusammenleben, kurz: eine erdrückende, chaotische, unmenschliche Zukunft.
Der Sichtweise stimme ich zu, auch wenn *der Markt* teilweise krass Entgegengesetztes suggeriert.Science Fiction ist Utopie. Sie erweitert nur die Grenzen des Genres.
Bearbeitet von Harun Raffael, 19 Oktober 2004 - 22:19.
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