Hier meldet sich ja niemand! Da muss ich dann doch mal miteinsteigen, denn Parts Per Million ist in der Tat ein erwähnenswerter Roman. Da ich ihn schon vor einiger Zeit gelesen habe, kann ich ein wenig ausholen.
Da unsere Lebensgrundlagen und die der kommenden Generationen schon lange auf dem Spiel stehen, ohne dass konsequent gehandelt würde, fragen sich Klima-Aktivisti seit vielen Jahren, wie weit sich ihr Protest wagen darf, ja, wagen muss. Davon handelt Parts Per Million, emotional, spannend, gut recherchiert und für Leser wie mich besonders interessant, da meine Story Grün im Exodus 48 das gleiche Thema fokussiert und eine der rund 400 Geschichten war, die 2022 am Literaturwettbewerb Klimazukünfte 2050 teilgenommen haben. Es gibt Bücher, in denen extremer Klima-Aktivismus vorkommt, aber die Aktivisti selbst und ihr Dilemma stehen nicht im Vordergrund. Das ist seit Grün und jetzt auch bei PPM anders.
Es gibt denn auch viele Parallelen im Detail, unter anderem Deutschlands rechtslastige Regierung an der Schwelle zur Diktatur, verfolgte Klima-Aktivisti, die eine Mischung aus Akademikerdeutsch, Straßenslang und englischen Einschüben sprechen, und konfliktreiche Dialoge zum Thema, in denen recht unartige Wörter fallen. Theresa hat es beim Tempus der Erzählung anscheinend auch mal mit dem Präteritum probiert, ist dann aber auf den Präsens umgestiegen. Eine gute Entscheidung.
Es gibt auch wesentliche Unterschiede. Theresa wählte eine Klima-Dystopie, weil in den Monaten nach der Veröffentlichung ihres Romans Pantopia ihre Hoffnung enttäuscht worden war, ihre Utopie möge zu einer besseren Welt beitragen. Damals war sie Jurymitglied beim Literaturwettbewerb Klimazukünfte 2050. Sie blieb nah bei einer Lebenswirklichkeit, an die ihre Zielgruppe anknüpfen kann. Dadurch wurde der Text weniger fremd als Grün, wo die Verhältnisse satirisch überzeichnet von unserer heutigen Lebensrealität weiter entfernt sind und einen Mittelweg zwischen Dystopie und Utopie nehmen.
Theresa wollte erst aus der Perspektive der Aktivisti erzählen, fand dann aber keinen rechten Zugang und wich auf eine Perspektive aus, die sie besser kannte, ihre eigene, was den Text ihrer Zielgruppe ebenfalls näherbringen dürfte. Viele Regungen von PPMs Hauptfigur Johanna sind Theresas Recherchetagebuch entnommen. In Grün berichtet ebenfalls eine in die Erzählwelt involvierte Stimme, allerdings eine, die das Lebensgefühl der Aktivisti-Generation teilt.
PPM konzentriert sich auf Terrorismus, also das Erzwingen durch Angst und Schrecken. In Grün geht es hingegen um den Versuch einer Minderheit, eine wesentliche Ursache des mangelnden Umweltschutzes zu beheben, auch wenn der dort gewählte Ansatz problematisch ist. PPM zeigt den Weg in eine Eskalationsspirale. Grün versucht zusätzlich die Tür zu einer Lösung aufzustoßen.
Es gibt Menschen, die Organisationen wie die Letzte Generation heute schon als terroristisch empfinden. Durch seine Gegenwartsnähe und seinen Fokus auf Terrorismus läuft PPM Gefahr, eine verzerrte Wahrnehmung des Klima-Aktivismus als etwas bedrohliches und illegitimes zu bestätigen. Die Verdrängung und Heuchelei in der Gesellschaft werden in PPM ausführlich angesprochen, aber der Roman nähert sich der Situation überwiegend moralisierend. Es gibt jedoch viele Faktoren, die halbherzigen Klimaschutz bestimmen, wie fehlendes Vertrauen, Desinformation, Denkfallen, ineffektive Konfliktlösungen und vieles mehr. PPM konzentriert sich auf wenige Aspekte. Dadurch ist PPM wuchtig, aber auch einseitig.
Johanna ist Schriftstellerin, in ihrer Ehe frustriert und was ihr Bewusstsein für Nachhaltigkeit angeht eine typische Durchschnittsbürgerin. Dennoch radikalisiert sie sich in kürzester Zeit im Klima-Aktivismus, übernimmt sogar die Führung und weist allen den Weg. Das ist nicht ganz plausibel und das weiß Theresa, denn gefragt, ob sie Bedenken hat, in ihrem Roman jede Menge Ideen zu liefern, wie Aktivisti terroristischen Druck ausüben könnten, antwortet sie, nur eine Schriftstellerin zu sein, die sich wenige Monate mit der Materie beschäftigt habe. Sie nehme an, langjährige Aktivisti seien schon längst auf diese Ideen gekommen. So wird es wohl sein, weshalb Johannas Wandlung zur führenden Ideenlieferantin etwas unglaubwürdig wirkt. Andererseits: Falls die Lage demnächst eskaliert und eine neue Generation von Aktivisti sich doch auf Ideen aus PPM beziehen sollte, stünde die Büchse der Pandora unwiderruflich offen.
Auch an anderen Stellen knirscht es im Glaubwürdigkeitsgebälk. Johanna wird schon bei der ersten Demonstration fotografiert, aber nicht identifiziert, weil alle Aktivisti ihre Gesichter bemalt haben. Es gibt aber schon heute Systeme, die sich von Bemalungen nicht mehr irritieren lassen, und die Suche per Bild ist im Internet Alltag. Social Media und Augmented Reality lassen grüßen. Kurzer Blick nach China genügt.
Die Hauptfigur als Repräsentantin des Aktivismus handelt ihrer Familie gegenüber verantwortungslos und schadet ihr. Welche Mutter würde ihrer Tochter vorschlagen, auf eine Demo mitzugehen, wenn sie dort Misshandlungen erwarten? Der Geheimhaltung verpflichtet fällt Johanna, die Frau der Worte, gegenüber ihrer Familie nichts Besseres ein als beharrliches Schweigen. Am Schluss entgleist Johanna sogar in eine sexuell angetriebene Gewaltspirale. Das ist das Bild eines recht unreifen Charakters. Es ist aber die nicht mehr ganz junge Identifikationsfigur des Romans. Licht und Schatten sind bei Figurenzeichnungen sicherlich interessanter als Stereotype, doch hier geht PPM über eine Grenze, hinter der unerwünschte Nebenwirkungen liegen könnten. Das Gleiche gilt für die Darstellung des Klima-Aktivismus. Am Ende gibt es nur noch tiefes Schwarz. Theresa möchte vor einer Eskalation warnen, doch es könnte sein, dass Leseri, die Ende Gelände und LG bereits mit Argwohn betrachten, PPM als Warnung vor dem Klima-Aktivismus missverstehen.
PPM und Grün verdeutlichen, warum der Versuch, eine Gesellschaft durch gewalttätigen Klima-Aktivismus zu zwingen, wahrscheinlich scheitern wird. Es gibt kein System, das von einer Minderheit bestimmt wird, wenn die Mehrheit es nicht zulässt, weder in Oligarchien noch in Autokratien. In PPM unterstützen am Ende viele Tausend den Terror. Die Spaltung der Gesellschaft schreitet voran und ebenso der Krieg. Grün versucht die Aussicht auf basisdemokratische Einflussmöglichkeiten zu eröffnen und auf den Wandel, wenn der konstruktive Teil unseres menschlichen Potentials verwirklicht würde. Ohne das Engagement eines Großteils der Gesellschaft wird Klimaschutz nicht funktionieren, und dieses Engagement wird nicht durch Gewalt entstehen. Es mag angesichts der aktuellen Notlage bedrückend sein, aber auch der Weg der Gewalt wird uns in der Klimakrise wohl nicht rascher ans Ziel führen.
Ich hoffe, es werden noch viele andere diesen Roman lesen und sich hier zu Wort melden.
Bearbeitet von Christian Hornstein, 26 Oktober 2024 - 15:47.