So, jetzt komme ich auch ENDLICH mal dazu, auch mit der Anthologie anzufangen. Ohne Übertreibung: Seitdem ich Teil der Autorenszene geworden bin, lese ich fast mehr als damals im Studium ... und nicht einmal ein Zehntel ist Fachliteratur. Wie dem auch sei: Auf einem SuB würde jetzt als nächstes Tokyo: Ghul folgen – und bevor ich mich durch weitere zehn Tankōbon quäle (ernsthaft, wie kann man so ein unglaublich gutes Thema so dermaßen in Langeweile ersticken?), schaue ich mir lieber wieder an, was meine Anthologiegeschwister so gemacht haben.
(Ja, ich weiß, dass das hier kein Lesezirkel ist, aber who cares? Vielleicht findet der eine oder die andere eine Geschichte, die interessant sein könnte oder aber jemand freut sich, dass seine Geschichte reflektiert wurde.)
Kurz vorweg:
Ich kann nicht einschätzen, wo meine Fähigkeiten als Autor liegen. Im mittleren Mittelmaß, würde ich gerne hoffen, aber sicher bin ich mir damit nicht. Marianne Labisch war mir schon bekannt, bevor ich wieder mit dem Schreiben angefangen habe. Tatsächlich wurde sie mir dreimal während der Recherche für kleine Artikel als Quelle empfohlen. Später sollte sie ein Prüfstein werden, ein Lithmustest, wenn man so will. In die NOVA, der sie u.a. vorsteht, muss man wohl gekommen sein, wenn man in der deutschen Science-fiction-Szene weiterkommen will. Das ist mir bisher noch nicht gelungen. Umso mehr erfüllt es mich mit Stolz, bei dieser Anthologie dabei sein zu dürfen – und dann auch noch mit meiner Schwester.
Was ich damit sagen will: Ich bin diesem Projekt nicht unvoreingenommen gegenüber – weil ich Teil davon bin! Ich werde die Geschichten nicht skimmen und versuchen, so objektiv wie möglich zu bewerten. Ob mir das am Ende gelungen ist, könnt ihr selbst beurteilen.
Das Cover:
... ist klasse. Oder sagen wir, das Bild: Ein Fembot mit sichtbarem Brustansatz und offenem Kittel im Klischee einer wissenschaftlichen Arbeit. Das hat bei mir im Freundeskreis (alle Nerds, alle Akademiker, alle gerne am Analysieren) eine kleine Diskussion ausgelöst. Die Farben stimmen und, dass das Bullauge im Hintergrund nicht direkt in der Mitte ist, fügt dem Ganzen auf angenehme Art etwas Unruhe hinzu, ohne sich aber aufzudrängen. Das ist eine der besten Arbeiten von Mario Franke, die ich bisher gesehen habe. Mir gefällt auch, dass die Texturkompression für alle Objekte gleichmäßig eingehalten wurde.
Einen Minuspunkt muss ich allerdings für die Schrift geben: Gelb mit grauem Schlagschatten auf unruhigem Hintergrund. Hätte man da nicht mit einem Kontrastfilter eben jenen herausnehmen und als künstlichen Schein um die Schrift legen können? Oder vielleicht ein bisschen mit dem Weichzeichner spielen? Gerade der Nachname des Mit-Herausgebers Kiran geht doch ein wenig unter. Insbesondere fällt das beim Text auf der Rückseite auf. Oder ist das schlicht der CI von p.machinery geschuldet?
Es wäre aber in jedem Fall ein Cover, das ich aus dem Bücherregal holen würde.
Vorwort:
Kurz und schmerzlos, Sagt exakt und mit gewisser Leichtfüßigkeit, was mich erwartet und wie es dazu kam. Ich muss zugeben, dass ich kein großer Interpret von Vorwörtern bin (ich überspringe sie tatsächlich sehr oft, weil sie eh keinen informationellen Nährwert haben). Umso mehr freut es mich, wenn mich eines so nett empfängt und dann auch gleich weiterschickt.
Wir waren hier
Ralph Alexander Neumüller
Das Szenario an sich ist kein Neues: 2046 kommt die Rechnung des großen Banketts menschlicher Vergeudung. Klimawandel, Armut und Angst prägen eine zunehmend wärmere Erde. Der Wissenschaftler Paul will per KI errechnet haben, dass die Menschheit zum Aussterben verdammt ist – und steht bald den gewohnten Problemen aus Unglaube und Leugnung gegenüber. Dabei kommt ihm allerdings eine Idee ...
Einen ähnlichen Ansatz lieferte Christian Endres mit Es ist nur wichtig, was die Leute glauben in der EXODUS 48, die meines Wissens sogar für den KLP nominiert worden ist. Doch wo Endres zum Autor mit "dem berühmten CGI-Studio mit unendlich Budget" neigte, um Alastair Reynolds zu zitieren, und eher einen Actionfilm aus dem Gedanken der Klima-Irreversibilität machte, bleibt Ralph Alexander Neumüller bis auf das Ende nüchtern erwachsen. Die Charaktere werden mit Distanz, aber realistisch erzählt, die Handlungsorte eher zur Kulisse als Interaktionsfläche. Auch die Technologie fällt nicht aus dem Rahmen. Das kann über manche Absätze langweilig wirken, verleiht der Handlung allerdings den Flair eines Polit-Thrillers, den ich nicht nur genießen konnte, sondern auch den Ton für die Anthologie angibt. Geschrieben ist der Text zudem ausgesprochen gut und flüssig, wenn auch etwas redaktionell zuweilen.
Wir waren hier passt grausam gut in eine Zeit wie unsere, die sich nach Niedergang und einer verlorenen Zukunft anfühlt. Der Herbst der Westlichen Welt wird dabei auf den Rest des Planeten übertragen. Generell verbleibt Neumüller mit dem Gedanken, was nach uns kommen wird. Nicht nur, nach unserem Zeitalter, sondern auch nach unserer Spezies. Ob wir eines Tages einfach nur eine Linie in den Sedimenten sein werden (wie heute die Iridium-Anomalie) oder vielleicht ein Mahnmal. Das Ende war mir dann leider doch etwas zu kitschig, gerade im Kontrast zum Rest der Geschichte, hat aber dieser nicht allzu sehr wehgetan.
Ein eigener Gedanke:
In der Geschichte erklärt eine Wissenschaftlerin, dass sie die LED-Lichter an den Zentraleinheiten mag, andernfalls würden die PCs endgültig zur Blackbox werden. Witzig, weil mein aktueller Arbeits-PC (selbst zusammengebaut) eine Blackbox ist. Ich habe ihn absichtlich mit LEDs ausgestattet, damit er nicht ganz so sehr nur noch ein schwarzer Kasten ohne Persönlichkeit ist.
Die Titel-Illustrationen:
... sind nun, im Gegensatz zu anderen Anthologien, am Schluss zu finden. Ungewöhnlich aber nicht unsympathisch.
Die Grafik für "Wir waren hier" gleicht einem Rendering der ersten beiden Fallout-Spiele. Nett gemacht.
(Weiteres folgt bei Gelegenheit)
Bearbeitet von Maxmilian Wust, 08 Juni 2025 - 19:08.