Aus irgendeinem Grund konnte ich nicht einschlafen. Ich lag müde, aber schlaflos auf meinem Bett und starrte die Decke an. Ein kühler Luftzug kam vom gekippten Fenster. Aber ich war zu müde, um aufzustehen und es zu schließen. Bald darauf hörte ich die nahe Turmuhr schlagen. Ich zählte die Schläge. Zwölf. Angeblich war der Schlaf vor Mitternacht der beste. Nun, den hatte ich schon verpasst.
Plötzlich fühlte ich eine Präsenz im Raum. Einbrecher? Ich schaltete die Nachttischlampe ein und blickte mich im Raum um. Aber da war niemand. Außer dem Kleiderschrank, ein typisches IKEA-Modell in Hellbraun, dem weißen Tisch, auf dem noch mein Laptop stand, mit dem Bürostuhl davor, und dem Bücherregal war nichts zu sehen. Verstecken konnte man sich in diesem Zimmer nicht. Ich hatte mir das wohl eingebildet.
Aber das Gefühl der Präsenz war immer noch da. Ich glaube nicht an Gespenster. Vielleicht ist jemand im Haus, außerhalb des Zimmers? Ich lausche. Aber außer dem leisen, monotonen Rauschen des Regens vor dem Fenster und dem Ticken der Wanduhr im Flur kann ich kein Geräusch ausmachen.
Du kannst mich nicht sehen oder hören.
Warum hatte ich das gedacht? Es war nicht meine Art, mich in meinen Gedanken mit "du" anzusprechen. Und überhaupt, es hatte sich nicht so angefühlt, wie sich meine Gedanken normalerweise anfühlen.
Das war nicht dein Gedanke, das war ich.
Spielte mir die Müdigkeit einen Streich? Oder warum produzierte mein Gehirn solch dumme Gedanken? Natürlich war das mein Gedanke. Der Gedanke war direkt in meinem Kopf entstanden, wessen Gedanke sollte es denn sonst sein? Ich brauchte definitiv meinen Schlaf.
Ich spreche mit dir über deine Gedanken, aber ich bin nicht du.
Na super, jetzt geht meine Fantasie völlig mit mir durch.
Das ist nicht deine Fantasie. Ich bin ein losgelöstes Bewusstsein. Ich bin nicht an ein bestimmtes Gehirn gebunden, daher kann ich mit jedem Gehirn denken.
Nun, das war nun ganz offensichtlich Unsinn. Ich bin Materialist. Ich glaube nicht an ein Bewusstsein unabhängig vom Gehirn. Die Gedanken kommen ganz klar von meinem Gehirn. Mögen sie auch noch so abstrus sein.
Du irrst dich. Dein Bewusstsein ist nicht Teil deines Gehirns. Es ist nur fest damit gekoppelt.
Ach ja. Aber nehmen wir mal probeweise an, all das wäre real. Was willst du dann?
Ich will deinen Körper.
Was?
Ich will mich an dein Gehirn koppeln. Ich bin die unkörperliche Existenz leid.
Aber das ist mein Gehirn.
Noch. Ich hatte Jahrhunderte Zeit, darüber nachzudenken, wie man ein Bewusstsein von einem Gehirn trennen kann, um es dann selbst zu übernehmen.
Ich werde das nicht zulassen.
Du hast keine Wahl. Ich bin bereits dabei, dich zu lösen.
Und das soll ich glauben?
Lausch doch mal.
Ich lausche.Und ich höre nichts. Keinen Regen. Kein Ticken der Uhr. Wie ist das möglich?
Mit den Sehsinn bin ich auch gleich fertig.
Es wird schwarz vor meinen Augen. Ich fange trotz der Kühle an zu schwitzen. Mein Herz rast. Kann das wirklich wahr sein? Kann ein körperloses Bewusstsein mir einfach meinen Körper stehlen?
Ja.
In diesem Moment hört mein Herz auf zu schlagen. Jedenfalls nehme ich keinen Herzschlag mehr war. Auch mein Schweiß ist weg. Ich versuche mich zu bewegen, aber ich kann meinen Körper nicht mehr spüren.
Geschafft. Jetzt verbinde ich mich mit deinem Körper. Übrigens, dein Herz, nein, mein Herz, schlägt durchaus weiter. Du nimmst es nur nicht mehr wahr.
Ich will aber nicht als körperloses Bewusstsein leben.
Leben ist da ohnehin nicht der richtige Begriff. Aber du kannst es ja machen wie ich: Finde heraus, wie man sich mit fremden Gehirnen koppelt, und dann, wie man sie übernimmt.
Wenn, dann hole ich mir meinen eigenen Körper zurück.
So schnell wirst du das nicht herausfinden, bis dahin ist er längst an Altersschwäche gestorben. Aber jetzt müssen wir uns verabschieden. Ich werde dich auch von den Gedanken meines Gehirns trennen.
Meines Gehirns.
Nein, jetzt ist es meines.
Das war der letzte Gedanke. Seither herrscht Stille in meinem Bewusstsein.
Bearbeitet von Tse-Eh, 04 Oktober 2025 - 09:20.