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Fingerübung 6 - Abhängigkeiten


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3 Antworten in diesem Thema

#1 Mammut

Mammut

    DerErnstFall Michael Schmidt

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Geschrieben 16 Oktober 2025 - 09:05

Im Leben bestehen diverse Formen von Abhängigkeiten. Manche sind offensichtlich, andere eher unterschwellig. Schreibt eine phantastische Szene über eine Abhängigkeit.



#2 Michael Fallik

Michael Fallik

    Ufonaut

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Geschrieben 16 Oktober 2025 - 16:48

Boum Boum von Michael Fallik
 
Gut, legen wir los. Zuerst die harten Fakten, damit hinterher keiner behauptet, hier sei etwas verschwiegen. Im Großraum Hamburg sind dieses Jahr dreiundzwanzig Frauen verschwunden. Klar, wir haben Mitte Dezember – doch das sind deutlich mehr als im Vorjahr. Letztes Jahr waren es sieben. Weiter. Im Januar haben die neuen russischen Betreiber das La Boum übernommen, die ranzigste In-Kneipe auf der Reeperbahn. Warum erzähle ich dir das? Weil ich in beidem bis zum Hals drinstecke.
 
Man sagt, das Personal des La Boum wirke wie verwelktes Gemüse – nehme ich hin, solange ich selbst nicht gemeint bin. Solvan Makarov, der Mann im Hintergrund, sieht aus, als sei er einem schiefen Groschenroman entsprungen: Ex-Boxer mit plattgedrückter Nase und noch platteren Sprüchen. Die Tänzerinnen, die an den Stangen ihre Ärsche verrenken, haben ihre besten Jahre allesamt hinter sich gelassen.
 
Um auf den Punkt zu kommen: In dem Laden bin ich der Messias, der die Gäste zur Techno-Messe ruft. Bruder Solvan kam nicht an mir vorbei, als ich die Gelegenheit ergriff, meine beeindruckende Erscheinung als neuen Türsteher zu präsentieren. Wir haben uns sofort und vollkommen verstanden. Die Russen ahnten, womit der wahre Rubel rollt, und ich war der Anstoß, das Zünglein am G-Punkt, der Mann mit den Connections. 
 
Btw, die Chicks rennen dem La Boum kompromisslos die Türen ein. 
 
Ich stehe draußen und markiere mit meinem „Scanner“ – nenn es, wie du willst – alles, was sich lohnt, weiterzuleiten. Drinnen erledigt Makarov den Rest. La Boum heißt nicht umsonst wie ein Schlag: Die heiße Ware – boum, boum – von der Damentoilette direkt in den Van. Makarov weiß, was er an mir hat – genauso wie die Sondereinheit gegen Frauenhandel, die ihren eigenen, sehr privaten Kellerbetrieb unterhält. Win-Win ist der Lack auf der Abhängigkeit: Eine goldringbehaftete Pranke wäscht die andere …

www.klangbildwort.de
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  • (Buch) als nächstes geplant:Killerbots Tagebuch
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#3 Tse-Eh

Tse-Eh

    Limonaut

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Geschrieben 17 Oktober 2025 - 07:34

Bei uns heißt er immer nur Gott. Natürlich ist er kein Gott, aber es würde keinen großen Unterschied machen, wäre er einer.

 

Franz Müller ist der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens. Oder der CEO, wie es auf Neudeutsch so gerne heißt. Allerdings kenne ich niemand im Unternehmen oder auch außerhalb, der ihn je zu Gesicht bekommen hat. Nun, ich vermute, die anderen Mitglieder des Vorstands werden ihm wohl schon einmal begegnet sein. Wobei ich nicht einmal weiß, wer sonst noch im Vorstand sitzt. Regiert Franz Müller das Unternehmen vielleicht ganz alleine?

 

Unternehmensentscheidungen werden auf einer bestimmten Seite im Intranet bekanntgegeben. Wer diese pflegt, ist auch nicht bekannt. Das Intranet hat auch seine eigene interne Top-Level-Domain: hvn. Das ist natürlich eine Abkürzung des Unternehmensnamens, aber ich lese es immer als "heaven", also Himmel. Natürlich liegen die eigentlichen Server irgendwo in der Cloud.

 

Wo Franz Müller sich genau aufhält, ist auch nicht bekannt. Manche vermuten in Monaco, andere in Malta, aber in einem sind sich alle einig: Es ist irgendein Steuerparadies. Ist ja auch passend: Gott wohnt im Paradies.

 

Als Vorstandsvorsitzender hat Franz Müller natürlich die Macht im Unternehmen. In der Tat geht seine Macht angeblich über diejenige hinaus, die er aufgrund seiner Position haben sollte. Es gibt Gerüchte, er habe Zugriff auf alle Daten im Unternehmen, auch auf die, die ihm eigentlich rechtlich nicht zugänglich sein sollten. Aber das sollte man natürlich nicht laut sagen. Letztes Jahr hatte einmal jemand aus der Personalabteilung ungewöhnliche Zugriffe auf die Mitarbeiter-Datenbank festgestellt. Unvorsichtigerweise hatte er das im internen Unternehmensforum geschrieben. Nicht lange danach wurde er gekündigt. Offiziell hatte die Kündigung natürlich nichts damit zu tun. Aber die Koinzidenz war doch auffällig.

 

Gottes Macht reicht auch über die Unternehmensgrenzen hinaus. Das Unternehmen bietet Mitarbeitern zum Beispiel unschlagbar günstige Mietwohnungen an. Natürlich gibt es kaum jemanden, der das Angebot ausschlägt, auch ich wohne mit meiner Familie in so einer Wohnung. Was mir bei Annahme des Angebots noch nicht bewusst war, ist die zusätzliche Abhängigkeit vom Unternehmen, in die ich mich dadurch begeben habe. Der Mietvertrag weist eine viel höhere Miete aus, plus eine Rückzahlung die an verschiedene Bedingungen geknüpft ist. Erst im Nachhinein habe ich begriffen, was das bedeutet: Es erlaubt, die de-facto-Miete kurzfristig weit jenseits des normalerweise erlaubten Umfangs zu erhöhen, weil die Rückzahlung technisch gesehen kein Teil der Miete ist, und daher problemlos bis auf Null reduziert werden kann, zusätzlich zur gesetzlich erlaubten Mieterhöhung. Und ich habe schon gerüchteweise von Fällen gehört, wo dies passiert ist. Genaues kann man nicht erfahren, denn keiner ist so dumm, so etwas offen zu verbreiten.

 

Das ist beileibe nicht die einzige Methode, wie sich das Unternehmen Einfluss auf seine Mitarbeiter verschafft. Ich kenne viele Kollegen, deren Kinder ein Stipendium vom Unternehmen erhalten. Auch dieses kann natürlich leicht wieder verloren gehen, natürlich ebenfalls ohne offiziellen Zusammenhang mit irgendwelchen vom Unternehmen nicht erwünschten Aktionen des betreffenden Mitarbeiters.

 

Gerüchteweise soll es auch schon zu tödlichen Unfällen gekommen sein, wenn ein Mitarbeiter oder Angehöriger negativ über Franz Müller geredet hat. Ob das den Tatsachen entspricht, kann man natürlich nicht wissen, im Einzelfall kann es natürlich auch mal Zufälle geben. Und dem nachzugehen traut sich natürlich keiner. Vor Gott bleibt ja nichts verborgen. Und wenn es stimmen sollte, wären Nachforschungen lebensgefährlich.

 

Aber ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, mich aus der Abhängigkeit Gottes zu befreien. Und ihm dann endgültig das Handwerk zu legen. Irgendwie verlangt das ja auch schon mein Name: Luzia Teufel.


Bearbeitet von Tse-Eh, 17 Oktober 2025 - 07:37.


#4 Mammut

Mammut

    DerErnstFall Michael Schmidt

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Geschrieben 17 Oktober 2025 - 08:08

Gefallen mir beide, die Texte. Coole Ideen.




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