Ich lese auch mal wieder mit
In Ausgabe 14 bin ich irgendwie nicht so gut reingekommen, aber bei dieser hier haben mich schon bei der Premieren-Lesung die meisten angelesenen Texte so gecatched, dass sie nicht lange auf dem Ungelesen-Stapel lag
Die Hummel von Carina Zacharias erzählt von einer Near Future-Dystopie, die unserer Welt beängstigend ähnlich ist: Die Klimakatastrophe ist vorangeschritten, es gibt kaum noch Insekten und der Protagonist Nuhu arbeitet für ein Unternehmen, das Prüfsiegel für menschengeschriebene, KI-freie Bücher vergibt. Da ist es ein außergewöhnlicher Lichtblick, als ihm eines Tages eine Hummel zufliegt. Ich mag es, wie so eine vermeintliche Kleinigkeit Leben in einen tristen Alltag bringen kann, und wie Nuhu darüber eine Art vorsichtiger Freundschaft zu seiner Arbeitskollegin aufbaut, die sich mit Insekten auskennt. Am besten gefallen haben mir aber die satirischen Momente in einer Arbeitswelt, in der durch KI immer stärkerer Druck herrscht: An einer Stelle verkündet Nuhus Chefin z.B. stolz, dass die Arbeit von nun an einfacher wird, weil das Prüfen auf KI-Inhalte nun von einer KI übernommen wird.
Ein ganz normaler Mensch von Hagen Geyer spielt in einer Geister-Welt und wird in einer interessanten Form erzählt: Als Protokoll eines Arztes, dessen Patient bedenkliche Anzeichen von Menschlichkeit zeigt. Ich mag die übernatürliche Metapher auf ein transfeindliches Medizin-System, aber es schwingt auch die allgemeinere Frage danach mit, was als krankhaft und heilungsbedürftig angesehen wird, nur weil es von einer gesellschaftlichen Norm abweicht. Ich mag es auch sehr, dass der Arzt hier nicht einfach „der Böse“ ist, sondern selbst einmal „Symptome“ hat, die er aber erfolgreich unterdrücken konnte und seitdem ein gar fantastisch gutes Leben führt. (Oder etwa doch nicht?)
Das Ende finde ich richtig stark, denn der Arzt hätte in glattgebügelter Friede-Freude-Eierkuchen-Manier einsehen können, dass er zu seinem wahren Ich stehen kann und von nun an alles gut ist. Er steckt aber so tief in diesem System drin, dass das unrealistisch wäre, und so wird sein erster vorsichtiger Versuch, seine Menschlichkeit wieder zuzulassen, begleitet von Ablehnung und Selbsthass. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass es ein absolut pessimistisches Ende ist – denn sein Patient hat ja vorgemacht, dass Selbstakzeptanz und ein Ausbruch aus diesem Mindset möglich sind.
Die Pflicht, alt zu werden von Lian Ay Gee hat richtig reingehauen: Es geht um eine queere Crew, die von einem interdimensionalen Raumschiff aus versucht, über Dimensionsportale eine Realität zu finden, in queere Menschen nicht so gewaltsam unterdrückt werden wie in ihrer eigenen. Es geht um die Pflicht, zu überleben, um den nachfolgenden Generationen ein Vorbild sein zu können – und um die immer drängendere Frage, ob sie die Suche nach einer besseren Welt nicht lieber aufgeben und stattdessen in ihrer eigenen Realität für ein besseres Leben kämpfen sollten. Ein unglaublich starker Text, der mich mit einer Gänsehaut zurückgelassen hat.
Ich finde es allerdings sehr ambitioniert, eine so kurze Geschichte mit einem so großen Figuren-Cast zu schreiben: Es sind zehn Crew-Mitglieder, wenn ich mich nicht verzählt habe, davon bleiben einige nur ein Name und als Personen blass. Andere werden in der Kürze aber ganz gut charakterisiert, und letztendlich geht es auch nicht unbedingt um Einzelpersonen, sondern um eine Community, da passt das wieder einigermaßen.