Geschrieben 20 Dezember 2004 - 19:19
Was für ein schöner Thread, was für ein schönes Buch!!!! :DDa füge ich gleich noch meine Kritik hinten an:Ken Grimwood: Replay - Das zweite Spiel. - Roman. Überarb. Neuausg. - Heyne, 2004. - 8,- Euro. - 411 S.Es fällt mir schwer Rezensionen über Bücher zu schreiben, die mich begeistern. Es ist sehr viel leichter, die schlechten Dinge zu sehen, als die guten, zumal ein gutes Buch den Leser so sehr miteinbezieht, dass es kaum noch möglich ist darauf zu achten, was denn nun genau das Gute an dem Buch ist. Replay ist so ein Buch.Die Grundidee ist leicht zu erzählen: Jeff Winston stirbt im ersten Satz des Buches im Jahre 1988 und erwacht als junger Mann 1963 in seinem alten Leben, allerdings mit dem Bewusstsein des Jeff Winston von 1988. In Folge erlebt er immer wieder die Zeitspanne bis zu seinem Tod 1988, nur dass er jedes Mal später erwacht, bis sich Erwachen und Sterben überschneiden.Diese Grundidee mag nicht mehr allzu originell erscheinen, war sie vielleicht auch nicht 1986, als dieses Buch erschien, aber die Ausführung lässt mich behaupten, ohne es beweisen zu können, dass es sich sicher um das beste Buch dieser Art handelt. Das Buch überraschte mich nicht nur durch die inhaltliche Behandlung dieses Themas, sondern ebenso sprachlich und emotional. Natürlich beginnt Jeff über Zeitparadoxa nachzudenken und dergleichen. Aber das ist an sich nicht wichtig. Es ist auch nicht wirklich interessant. Was viel interessanter ist, das sind die Themen, die man vielleicht als „Mainstreamthemen“ bezeichnen kann: Was fängt Jeff mit seinem Leben an? Was sagt uns Grimwood über das Leben? Was hat er uns über die Jahrzehnte (Sechziger bis Achtziger) zu erzählen? Es wird nebenbei ein ganzes Panorama der amerikanischen Gesellschaft entworfen, es wird über Politik, Literatur und Kunst nachgedacht, es wird mit Zeitkolorit gearbeitet (z. B. Hitchcock, Pynchon etc. für die Sechziger) - und, und dies ist es, was das Buch groß macht: Es wird das menschliche Leid ernst genommen - und ausgeleuchtet.„Kostbare Unschuld, dachte er, selige süße Ahnungslosigkeit, die nichts von den Wunden weiß, die ein wahnsinnig gewordenes Universum schlagen kann.“ (S. 129)Was dieses Buch eben über die meisten Bücher dieser Art heraus hebt ist, dass es nicht - wie die meisten Bücher über Zeitreisen - das „Bessermachen“ in den Vordergrund stellt, sondern vor allem den Verlust; das, was verloren geht, hier metaphorisch überhöht: Was verloren geht, wenn man stirbt.Natürlich geht es auch um die Frage nach dem Sinn der Anstrengung, wenn am Ende alles wieder verloren wird, was eben besonders durch die ewige Wiederholung von Jeffs Lebenszyklus betont wird (wie ein moderner Sisyphus muss er sich immer wieder von neuem das Glück erkämpfen - um dann wieder alles zu verlieren).„Aber warum überhaupt beginnen, wenn sich all seine Mühen unweigerlich als nutzlos erweisen würden?“ (S. 152)Antwort in einem Leben: Das Lustprinzip. „,Viele Leben†™, flüsterte sie. ,Viele Schmerzen.†™“ Und die kleine Französin fügt hinzu: „Lass uns zur Party gehen. La vie nous attend.“ (S.161)Vermutlich eines der dunkelsten und dennoch attraktivsten Kapitel des Buches. Jeff vögelt sich durch die Zeit, nimmt Drogen und zieht sich schließlich, als auch diese Scheinwelt zusammenbricht, ins Einsiedlerdasein zurück.Einer der besten Einfälle Grimwoods war es vielleicht, Jeff in einem seiner letzten Leben, Schriftsteller werden zu lassen. Jeff interviewt Menschen, die in Situationen großer Einsamkeit waren (Astronauten, Exilanten etc.). Grimwood kann somit über das Thema seines eigenen Buches reflektieren, das er Jeff unterschiebt: „Unser gemeinsames und unentrinnbares Ausgeschlossensein von den Jahren, die wir durchlebt und hinter uns gebracht haben, von den Menschen, die wir einmal waren und kannten und für immer verloren haben.“ (S. 350)Trotz aller Traurigkeit ist es ein Buch, das Mut und Kraft schenkt, gerade weil es die Melancholie heraufbeschwört; gleichzeitig ist es eine Aufforderung, eine Aufforderung zum Leben.La vie nous attend!†¦ nur, dies ist nicht so einfach wie es klingt, und auch das zeigt das Buch.Noch ein paar allgemeine Bemerkungen:Ich habe diverse Kritiken über den Roman gelesen. Und bin immer wieder auf eine Sache gestoßen. Die meisten Leser waren begeistert, aber einige entschuldigten sich und meinten häufig einleitend, dass dies keine große Literatur sei, aber ... (es hat mich gefesselt wie kaum ein anderes Buch, es hat mich zum Nachdenken gebracht, es hat mein Leben verändert, es hat mich tief ergriffen ...)Ich frage mich, was sonst soll „große Literatur“ schaffen, wenn nicht eben das, was dort in den Klammern angegeben ist?Ein weiterer Punkt war der Stil. Es stimmt, dass die ersten Kapitel etwas dünn wirken, fast oberflächlich. Aber spätestens ab Mitte des Buches wurde mir klar, dass es genau so sein musste. Denn aus der Wiederholung der gleichen Zeitabschnitte, potenzierten sich die Bedeutung und die Beziehungsgeflechte der Personen und Ereignisse um ein Vielfaches. Es wäre vermutlich unerträglich gewesen, wenn schon gleich am Anfang eine zu starke Bindung zu den Personen und Ereignissen stattgefunden hätte. Das einzige, was man Grimwood vorwerfen kann, finde ich, ist dieser völlig überflüssige Epilog - eine Ankündigung zu einer Fortsetzung wie man sie aus Filmen kennt: Und das Monster lebt doch noch oder es hat ein Ei gelegt...Abgesehen davon eines der besten Bücher, die ich seit langem gelesen habe.---Grüße,Ralph
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