H. G. Wells - Menschen, Göttern gleich
#31
Geschrieben 06 Februar 2005 - 20:40
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#32
Geschrieben 06 Februar 2005 - 22:23
Find ich genial, daß es nach dem Matt Ruff nun mit einem kapitalen Klassiker weitergeht.
Richtig famos wurde es, als ich entdeckte, daß »Men Like Gods« im Original für umme von den Project Gutenberg-Helden angeboten wird.
Kaum eine Stunde reingelesen und schon verliebt in Wells elegante Hemdsärmel-Prosa - typisch Englisch. Der mittelalte Michael Palin schwebt mir als idealer Darsteller für Mr. Barnstable vor.
†¢†¢†¢
SERVICE:
Übersicht zu englischen Netzausgaben der Werke von H. G. Wells. Yeah.
†¢†¢†¢
@Rusch, weil ich auch darüber heute gestolpert bin:
TELEPATHIE, wurde als Fachbegriff geprägt von Frederic William Henry Myers (1843 - 1901) in »Phantasms of the Living« (2 Bd, 1886) und »Human Personality and its Survival of Bodily Death«. Myers war Mitglied der Society for Psychical Research.
Grüße
Alex / molosovsky
Bearbeitet von molosovsky, 07 Februar 2005 - 16:36.
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#33
Geschrieben 06 Februar 2005 - 22:51
#34
Geschrieben 07 Februar 2005 - 16:57
Mit großem Vergnügen les ich »Men Like Gods« seit gestern laut vor mich hin.
In dem großartigen Buch von Brain W. Aldiss »Trillion Year Spree: The History of Science Fiction« gibt es einen erhellenden Vergleich zwischen H.G. Wells und E.R. Burroughs, den ich mit Euch teilen möchte.
NEBENBEI: Es ist eine beklagenswerte Schande, daß »Trillion Year Spree« lediglich antiquarisch erhältlich ist. Ich bin extrem froh, noch meine Bastei-Paperback-Ausgabe »Der Milliarden Jahre Traum« (Übers. v. Michael Görden, Helmut W. Pesch, Michael Kubiak u.a.) aus dem Jahre 1987 zu haben. Dieses Buch begleitet, kommentiert und bereichert meine SF-Lektüre seit über 20 Jahren, und ich kenne bisher keine bessere und umfassendere Literaturgeschichte zum Thema Phantastik.
Im Folgenden finden sich einige allgemeine Spoiler, aber nichts, was einem spannende Szenen oder Konflikte versaut (schätz ich mal). Wie auch immer: seid hiermit also gewarnt.
Nur soviel: für meinen Geschmack schreibt Aldiss glänzend über Literatur. Wie er mit objektiver Geste verschiedene Merkmale und Eigenschaften gegenüberstellen kann und zugleich ohne Hehl seine subjektiven Vorlieben kenntlich macht, ohne sie offen triumphieren zu lassen, ist anregenste Essay-Kunst.Seite 206 ff: Vergleichen wir einen Roman von Wells mit einem von Burroughs, so wird der Unterschied zwischen den Strategien klar. Es trifft sich, daß beide Autoren im Jahre 1923 einen Roman veröffentlichten.
In »Menschen wie Göttern« fährt mir Barnstaple, einer von Wells' kleinen Leuten, seinen Wagen in die vierte Dimension, wo er ein Utopia einen schönen, mächtigen und häufig unbekleideten Volkes findet. Er wird von einer gemischten Gruppe von Zeitgenossen begleitet, die ihr Bestes tun, das Utopia zugrundezurichten. Banstaple besiegt sie mit utopischer Hilfe und kehrt schließlich durch die Dimenionsbarriere in die wirkliche Welt zurück.
»Pellucidar« ist, nach einer kurzen Einleitung, die dazu dient, die »Realität« des Folgenden glaubhaft zu machen, die Geschichte einer Welt im hohlem Zentrum der Erde, in der David Innes nach seiner Herzensdame sucht. Nach vielen seltsamen Abenteuern wird er wieder mit ihr vereint. Zuvor muß er durch wilde Länder reisen, die von Monstern und primitiven Wesen bevölkert werden.
So beschrieben, scheinen sich die beiden Romane nicht unähnlich zu sein. Beide sind phantastisch, benutzen Menschen als Symbole, erzählen eine spannende Geschichte. Aber es gibt doch Unterschiede.
Burroughs' Charaktere sind exotisch und tragen fremdartige und wunderschöne Namen, von denen der von Pellucidar selbst vielleicht der beste ist. Barnstaple darf die ganze Zeit sein »Mr.« führen, während die Charaktere, mit denen er zu tun hat, auf denen von Politikern des damals aktuellen Zeitgeschehens basieren, wie etwa Balfour und Winston Churchill.
Die Handlung schreitet in »Menschen wie Götter« bedächtig voran, so daß es genug Zeit für Diskussionen gibt, die in der Hauptsache dazu dienen, die Nachteile unserer Welt gegenüber dem Utopia und Wells' Ideen zu einer Weltregierung herauszustellen. In »Pellucidar« jagen sich die Ereignisse, eine Bedrohung folgt der anderen; die Unterhaltungen beschränken sich praktisch auf die gerade anstehenden Gefahren oder auf Erklärungen, was gerade passiert ist oder passieren wird. Es geschieht eine Menge, aber die Grundhandlung ist dürftig.
Wenn Barnstaple mit seinem verbeulten Auto in unsere Welt zurückkehrt, ist es eine erkennbare, langweilige Welt mit Hotels, in denen griesgrämige Bedienungen Tee servieren, mit dem Daily Express, The Times, Gesprächen über Polen, die Chinesen und Sport. In »Pellucidar« wird unsere Welt von einem Telegramm aus Algier repräsentiert, das von der Entdeckung eines mysteriösen telegraphischen Instrumentes unter dem Sand der Sahara ebrichtet, einen Ruf zu neuen Taten.
Kurz gesagt, Wells' Roman ist eine ernsthafte Geschichte, belebt von ein wenig Humor, deren Hauptziel darin besteht, auf vergnügliche Art die Wege zu diskutieren, auf denen die Menschheit ihren Zustand verbessern kann. Während Burroughs' Buch ein reines Fantasy-Abenteuer ist, das wir keine Minute ernst nehmen.
Die Veröffentlichungsgeschichte der beiden Romane zu vergleichen, ist ebenfalls interessant. Wells' Roman erschien als gebundene Ausgabe 1923 und schaffte es erst siebenundvierzig Jahre später, als Taschenbuch aufgelegt zu werden. Burroughs' Roman wurde zuerst 1915 als Fortsetzungsserie in All-Story Cavalier Weekly veröffentlicht, erschien 1923 gebunden und hat seitdem eine ganze Reihe von Taschenbuchausgaben erlebt.
Welchen von den beiden ist das »bessere« Buch? Wenn diese Frage überhaupt irgendeine Bedeutung hat, dann würde ich sagen, es ist »Pellucidar«. Wenn man die Wahl der Gesellschaft eines ermüdenden Schulmeisters oder eines begeisterten Andekdotenerzählers hat, entscheidet man sich wohl besser für den Anekdotenerzähler.
Burroughs schreibt in diesem Buch, so gut er kann, was nicht sehr gut ist, aber sehr seinem Zweck dienlich, während seine fruchtbare Phantasie die reichhaltigen Details seiner albernen Welt heraussprudelt. Wells wirkt trocken neben ihm. Wells' Roman ist anstrengend zu lesen, jetzt jedenfalls, wie immer er auch 1923 gewirkt haben mag, während Burroughs noch immer glatt herunterzulesen ist. Mit Burroughs hat man ein (mäßiges) Vegnügen, Wells liefert das, was Kingsley Amis als »einen einschläfernden Hauch linker Verschrobenheit« bezeichnet.
Warum also wird Wells hartnäckig der größere Respekt entgegengebracht? Es kann nur sein, weil er, worin er auch sonst seine Fehler haben mag, versucht, sich mit dem auseinanderzusetzten, was er für die wirkliche Welt hält, während Burroughs - was für ein packender Erzähler er auch sein mag, und er kann regelrecht hypnotisieren - nur Tagträume verkauft.
Damit verbunden ist ein anderer wichtiger Unterschied zwischen der Art von Literatur, die die beiden Männer geschrieben haben. Wells erwartet von niemanden, sich mit seiner aufgeblasenen Hauptfigur zu identifizieren; Banstaple ist ein einfacher Bursche, der nicht besonders auf Beifall oder Lächerlichkeit angelegt ist. Die Charaktere, die ihn umgeben, tragen leicht satirische Züge, aber keine grotesken. Und all das mag zu den Gründen zählen, warum Wells niemals ein wirklicher Volksautor wie andere Erfolgsschriftsteller war. Dagegen können Burrough's Hauptgestalten für sich den alten Titel »Helden« beanspruchen - nicht nur in den Romanen um Pellucidar, sondern auch in all seinen anderen Büchern, in Tarzans Dschungel, auf Napiers Venus und auf Carters Mars. Burroughs will, daß wir uns identifizieren und in seinen Traumgefilden versinken, während wir die Außenwelt vergessen.
Wells lehrt uns Denken. Burroughs und seine weniger begabten Nachahmer lehren uns, nicht zu denken.
Natürlich lehrt Burroughs und das Wundern. Aber der »Sense of Wonder«, daß Gefühl des Wunderbaren, ist der Essenz nach etwas Religiöses, das jede Kritik ausschließt. Wells blieb dagegen immer ein kritischer Denker, selbst in seinen romantischsten und wunderbarsten Geschichten.
Und damit haben wir, glaube ich, die beiden Pole der modernen Fantasy definiert. An dem einen Ende stehen Wells und seine ehrwürdigen Vorläufer wie Swift, am anderen Burroughs und seine Nachahmer wie Otis Adelbert Kline und danaben Gruselschreiber, die Bewohner des Wolkenkuckuckheims wie H.P. Lovecraft und all die anderen bis zu Tolkien. Mary Shelly steht irgendwo am Äquator dieser Metapher.
Ansonsten will ich selbst den Auszug jetzt noch unkommentiert lassen.
Ich hoffe, das alles taugt, um die Lektüre von, und das Gedankenschieben mit den Ideen von »Men Like Gods« vergnüglicher zu gestalten.
Grüße
Alex / molosovsky
Bearbeitet von molosovsky, 07 Februar 2005 - 17:03.
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#35
Geschrieben 08 Februar 2005 - 16:11
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#36
Geschrieben 08 Februar 2005 - 18:05
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#37
Geschrieben 09 Februar 2005 - 08:55
#38
Geschrieben 09 Februar 2005 - 17:51
ja - es war ein buch genau nach meinem geschmack
ein sozialkritisches werk - das sich dem SF element 4. dimension bedient um einen botschaft rüber zu bringen
natürlich nicht zeitgemäß dialoge aus endlos langen monologen - aber ganau das macht ja spaß an alten romanen - die ander sprache
und natürlich auch die sichtweisen von damals - obwohl sie sich in diesem fall von den heutigen nicht unterscheiden
interesant: der angriff aud rudyard kipling (kapitel 3/5) als barnstable mit catskill streitet
und zu ihm sagt er hätte zu viel kipling gelesen
was sich auf den satz mit den geringeren rassen des nobelpreisträgers bezieht und auf dessen ethnologischen aussagen
lg joe
#39
Geschrieben 09 Februar 2005 - 20:04
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#40
Geschrieben 09 Februar 2005 - 20:50
#41
Geschrieben 09 Februar 2005 - 20:54
Kipling war schon eine besondere Marke. Bei den verschiedenen Urteilen über seine Biographie trau ich mich nicht wirklich, eine Position zu beziehen. Aber ich habe kein Problem damit, ihn zu preisen als einen DER Kurzgeschichten-Autoren überhaupt, und als einen anregenden Lyriker.
Aber ich bin ja anglophil bis zum Hoghart-Bierkrug und zu Elgar-Symphonien :-)
@Joe: Zumindest auf Englisch wirkt die Sprache gar nicht so arg alt, wohl aber Tempo und Strukturierung. Über längere Strecken funktioniert das Buch als »Platonischer Dialog«. Um aber so einen Platonischen Dialog zu einem Roman umzurüsten, brauchts ein gutes Gespür fürs Würzen, und Wells platziert seine kleinen Humor-, Romanz-, Äktion-Einlagen vielleicht etwas offensichtlich für heute Verhältnisse, aber nicht ungeschickt.
Im ersten Abschnitt hat mich am meisten schockiert, daß Mr. Barnstaple bei seinem Traum in Utopia zu bleiben, nicht eine Sekunde, nicht ein Wort lang an seine Frau und seine Kinder denkt. Nada. Dass eine Ehe so völlig gesellschaftlich konventionell und persönlich unbewahrenswert sein kann, erscheint mir hier mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit von Männerhand dargelegt zu werden (dafür, daß diese Hand in den Zwanzigerjahren des letzten Jhds. schrieb).
Grüße
Alex / molosovsky
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#42
Geschrieben 09 Februar 2005 - 21:17
ich hab auch in keiner weise gasagt ob das gut oder schlecht sei - ich nannte es interessantAber selbst Orwell zieht gegen Kipling stark ins Feld und der konnte den aristokratischen Kolonialismus ganz gut beurteilen, denk ich.
hi alex dachte ich auch - aber irgendwie vermisst man das ganze dann auch nicht wenn man das gesammtwerk betrachtet lg joeIm ersten Abschnitt hat mich am meisten schockiert, daß Mr. Barnstaple bei seinem Traum in Utopia zu bleiben, nicht eine Sekunde, nicht ein Wort lang an seine Frau und seine Kinder denkt
#43
Geschrieben 10 Februar 2005 - 08:34
jaja, nee nee Ich finde das auch spannend. Oft erfährt man ja durch solche gegenseitigen Reflexionen der Autoren mehr, als durch das Lesen. Orwell hatte ja den Anspruch, mehr von Ostasien zu verstehen, als Kipling. Insofern ist eine gesunde Skepsis angesagt.ich hab auch in keiner weise gasagt ob das gut oder schlecht sei - ich nannte es interessant
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#44
Geschrieben 10 Februar 2005 - 21:29
Ich muss mich korrigieren, Wells erwähnt William Morris und nicht Moore, was schon ein Unterschied ist. :lookaround: Thomas Morus/Moore hat die Idee eines Staates Utopia begründet, insofern ist Wells da schon vertreten. Morris aber (dtv, S.296) ist vor allem ein Verfechter des "Berufsstolzes". Er definierte die Würde der Kreativen/Werktätigen über die Qualität seiner Arbeit. Das ist den Utopen bei Wells aber auch eigen. Es wird sich nicht mit der Mindestesanforderung zufrieden gegeben, sondern mit dem Bestmöglichen, nur so fühlt der Utope eine Befriedigung in seinem Dienst.Seine Ausrichtung an Moores Utopie, er erwähnt ihn im Buch direkt, hat einen globalen Wissenschaftsstaat im Sinn.
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#45
Geschrieben 10 Februar 2005 - 21:55
@lapismont:
Ich kann die Aussage von Joe - „ein sozialkritisches werk“ - nur zu gut nachvollziehen. Wells beschreibt in seinem Roman eine Gesellschaft, die auf Gegenseitigkeit beruht. Gleichzeitig zieht er Vergleiche zu der damaligen und - ich erwähnte es in vorherigen Postings bereits - damit eigentlich auch zu unserer aktuellen Welt. Den Ausbeutung, Hass, Neid, Gier, alles in sehr ungesundem Maße, existiert bei uns in unserer sogenannten „modernen Welt“ genau so, wenn nicht sogar ausgeprägter. Wells behauptet mit seiner Utopie aber, dass es den Menschen besser gehen könnte, wenn denn alle ein wenig aufeinander achten und alle an einem Strang ziehen. Für mich ist das der Kern von Sozialkritik.
Ich bin einer der eifrigsten Verfechter solch einer Vision, denn haarscharf genau das ist es, woran ich selber intensiv glaube. Es steht völlig außer Frage, dass auch irgendwelche Leute irgendwann einmal die „Dreckarbeit“ erledigen müssen. Aber: Die Frage nach der Organisation solcher niederer Tätigkeiten beantwortet sich eigentlich von selber, wenn man den Ansatz des gegenseitigen Rücksicht-Nehmens auch hier beachtet.
Verstehen wir uns nicht falsch: Ich denke auch, dass es so eine wellssche Welt nicht geben könnte. Auf der anderen Seite: Wenn man es nicht versucht, dann kommt man überhaupt kein Stückchen in die Nähe. Aus diesem Grund muss es extreme Werke geben, damit wenigstens ein ganz klein bischen beim Leser haften bleibt.
@alle:
Mit ist beim Lesen der drei Teile noch etwas aufgefallen: Im zweiten Teil wir das Problem mit den Eindringlingen rigoros gelöst. So nach dem Motto: Wir haben alles probiert und es funktioniert nicht, also weg damit! Das hat mich eigentlich ein wenig gestört. Nachdem der Leser in die überaus friedliche Welt eingeführt wurde, die vor allem der Wissenschaft und der Vernunft und der friedlichen Lösungen gehorcht - wobei natürlich „Vernunft“ auch ein weit dehnbarer Begriff ist - war die brutale Lösung des „aus der Welt Schaffens“ am Ende von Teil zwei für mich wie ein Schock. Wahrscheinlich hat Wells das im Zuge seiner ausführlichen philosophischen Betrachtungen im dritten Teil selber gemerkt und die Urlauber dann kurzerhand wieder herbeigeschrieben. Ging Euch das auch so?
Bis dennen,
Henrik
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#46
Geschrieben 10 Februar 2005 - 23:23
Für mich hat es irgendwie gepasst. So ganz scheint die Vergangenheit bei den Utopien noch nicht ganz überwinden. Besonders bei den Jugendlichen kam immer wieder durch, dass die "Verwirrung" bzw. die Lebensart der "Erdlinge" etwas anziehendes haben. Sie müssen erst noch zu dem richtigen Lebenstil erzogen/geformt werden. Auch sind die Utopen ja sehr rigeros mit den Übeln jeglicher Art umgegangen. Und nach dem die einfache Therapie und Quarantäne nicht fruchtete, gab es nur eins: eine radikale Operation, bevor sich der Herd ausbreitet.Nachdem der Leser in die überaus friedliche Welt eingeführt wurde, die vor allem der Wissenschaft und der Vernunft und der friedlichen Lösungen gehorcht – wobei natürlich „Vernunft“ auch ein weit dehnbarer Begriff ist – war die brutale Lösung des „aus der Welt Schaffens“ am Ende von Teil zwei für mich wie ein Schock.
Dieser Gedanke ist mir nicht gekommen, aber interessant und er hat auch was. Henriks Meinung kann ich mich bei der Gesamtbewertung nur anschließen: Einer der besten SF-Romane seit langem und dann noch mit Langzeitwirkung. Von mir bekommt der Roman volle 10 Punkte. Gab es eigentlich nach Wells noch positive Utopien?? Mir ist keine geläufig, nur die Antiutopien. LG DykeWahrscheinlich hat Wells das im Zuge seiner ausführlichen philosophischen Betrachtungen im dritten Teil selber gemerkt und die Urlauber dann kurzerhand wieder herbeigeschrieben. Ging Euch das auch so?
#47
Geschrieben 11 Februar 2005 - 06:29
Aber sicher. Immerhin gab es in der DDR-SF eher keine Dystopien. "Andymon" war ja erst im Lesezirkel - immerhin eine der ausgefeiltesten Utopien aus der DDR. Und schon erwähnt: Olaf Stapeldons "Sternenschöpfer", wenn Du direkte Bezüge zu Wells haben willst. Ansonsten ist eine Gewichtung in positiv oder negativ immer die Frage. Wells empfand die Zerstörung seiner Welt und eine Umwandlung in etwas anderes als positiv - und genau das ist es aber auch, was der Nährboden in einem Endzeitszenario ist. Nach einer Zeit der Verwirrung beginnt das goldene Zeitalter. @Henrik Ja, der Machteinsatz kam mit großer Heftigkeit. Doch es wird vorher bereits erklärt, dass die Utopen langsam das Interesse an den Menschen verloren. Durch die Epidemie wurden sie zu einer Gefährdung. Humanismus spielt im Wellschen Utopia eine untergeordnete Rolle. Es wird ja das Existenzrecht von Krankem und Hässlichem bezweifelt. Für Wells ist es legitim, unanfechtbar sogar, ein einzelnes Leben der Idee von Utopia zu opfern. Nicht umsonst hat Barnstaple auch Angst vor den Utopen. Es sind eben Menschen, die Göttern gleich sind. Grausamkeit ist ein Urteil über sie, das nur von Außen getroffen werden kann, mit unserer Ethik. Insofern ist die Frage interessant, ob es tatsächlich eine positive Utopie ist.Gab es eigentlich nach Wells noch positive Utopien?? Mir ist keine geläufig, nur die Antiutopien.
Bearbeitet von lapismont, 11 Februar 2005 - 06:31.
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#48
Geschrieben 11 Februar 2005 - 10:29
Ich war auch überrascht, dass die Utopen die Burg einfach "abrasiert" hatten. Allerdings kann ich mir durchaus vorstellen, dass Wells so verdeutlichen wollte, dass Barnstaple nichts versteht. Zusätzlich gibt es noch den Ansatz, dass die Utopen eben nicht perfekt sind. Da war ja die Geschichte der Frau, die mit ihrem Ehrgeiz den Tod ihrer Kinder und ihres Mannes verursachte. Das zeigt, dass eben nicht alles eitler Sonnenschein ist. Außerdem scheinen sie einem emotional gedämpft (wie Vulkanier). Ist Euch übrigens aufgefallen, dass Barnstaples Vorname nur einmal am Schluss des Buchs von seiner Frau genannt wurde? Wells wollte damit wohl andeuten, dass er jetzt wieder dort ist, wo er sein sollte.Mit ist beim Lesen der drei Teile noch etwas aufgefallen: Im zweiten Teil wir das Problem mit den Eindringlingen rigoros gelöst. So nach dem Motto: Wir haben alles probiert und es funktioniert nicht, also weg damit! Das hat mich eigentlich ein wenig gestört. Nachdem der Leser in die überaus friedliche Welt eingeführt wurde, die vor allem der Wissenschaft und der Vernunft und der friedlichen Lösungen gehorcht - wobei natürlich „Vernunft“ auch ein weit dehnbarer Begriff ist - war die brutale Lösung des „aus der Welt Schaffens“ am Ende von Teil zwei für mich wie ein Schock. Wahrscheinlich hat Wells das im Zuge seiner ausführlichen philosophischen Betrachtungen im dritten Teil selber gemerkt und die Urlauber dann kurzerhand wieder herbeigeschrieben. Ging Euch das auch so?
#49
Geschrieben 16 Februar 2005 - 10:43
Rezension bei Rezension bei Fictionfantasy.de
Bearbeitet von Rusch, 16 Februar 2005 - 23:16.
#50
Geschrieben 16 Februar 2005 - 21:40
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#51
Geschrieben 16 Februar 2005 - 23:15
Edit: Jetzt habe ich den Fehler beim Link gefunden. Das war der Artikel zum Editieren. Hat man natürlich nicht die Rechte, dann geht das nicht....Mr. Barnstaple ist Redakteur einer linksliberalen Zeitung. Er fühlt sich ausgebrannt und ein Arzt rät ihm, Urlaub zu machen von der Arbeit, seiner Familie - kurzum von allem. Und so macht er sich mit seinem Auto auf nach London und findet in seinem Bestreben, einen ruhigen Ort zur Entspannung zu suchen, unerwartet Erfolg. Er und ein Dutzend weiterer Menschen fahren durch eine Art Dimensionstor und finden sich in einer wunderbaren Welt wieder. Dieses Utopia verkörpert alles, was Barnstable sich je erträumt hatte, doch seine Reisegefährten, Repräsentanten unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen, finden kein so großen Gefallen an dieser Welt, denn sie haben etwas, was Barnstaple nicht hat: Macht. Auf Utopia hingegen legen die Menschen in Harmonie und mit größtmöglicher Freiheit. Kaum ist die Gruppe angekommen, beginnen die Probleme: Die einen fahren einen Utopen mit dem Auto tot, der Pastor wettert gegen die viel zu freizügige Kleidung und andere wiederum schmieden Pläne, Utopia zu erobern. Einzig und allein Barnstaple scheint diese friedvolle Welt zu geniesen. Doch wie Ruhe finden, wenn die Artgenossen sie einem nicht lassen? Menschen Göttern gleich ist ein Spätwerk des berühmten Autors H. G. Wells, verfasst im Interregium der beiden Weltkriege. Ähnlich wie in Die Zeitmaschine dient Wells dieser Roman als Plattform um Kritik an unserer Gesellschaft zu üben und damit spart der Autor zu keiner Zeit. Er hält dem Menschen so massiv den Spiegel vor, dass man auch heute noch, mehr als 80 Jahre nach erscheinen dieses Buchs, die Wahrheit nicht verleugnen kann. Heute wie damals, so drängt sich einem die Erkenntnis auf, sind wir von Utopia noch sehr, sehr weit entfernt und das Zeitalter der Verwirrtheit, wie Wells seine und wohl auch unsere Zeit bezeichnet, hat gerade erst begonnen. Er ist sehr erstaunlich, dass die Worte des Altmeisters der SF heute immer noch zutreffend sind - ja teilweise treffen sie den Nagel auf den Kopf. Er reisst dem Pastor ebenso die Maske vom Gesicht, wie dem Politiker oder dem Millionär. Mit diesem Buch dürfte H. G. Wells sich viele Feinde gemacht haben. Im Verlauf des Romans konkretisiert H. G. Wells sein Utopia und der Roman dreht in eine mehr und mehr philosophische Richtung. Man merkt, dass es ein Anliegen des Autors war, aus dieser unserer Welt einen besseren Ort zu machen (er sprach mehrfach von einer Hungerkatastrophe in Russland - heute sind wir kein bißchen weiter) und die Leute anzuregen, sich dafür einzusetzen. Und dennoch zeigt er auf, dass sein Utopia nicht perfekt ist und es dem Menschen nie vergönnt sein wird, seine schlechten Seiten für immer abzulegen. Auch in Utopia muss man gegen seine Schwächen kämpfen und den Preis bezahlen, wenn man diesen Kampf verliert. Es ist erstaunlich, dass der Raum nur ganz selten veraltert wirkt. Es wäre sogar vorstellbar, dass ein heutiger Autor diesen Roman ebenfalls in dieser Zeit beginnen läßt und die Menschen mit einer perfekten Welt konfrontiert, mit der sie nicht umgehen können. In diesem Zusammenhang ist faszinierend, dass Wells schon vor dem Siegeszug des Sozialismus ein Scheitern dieses vorhergesagt hatte, wenngleich er die Idee als zukunftsträchtig hielt. Außerdem ließ er nie einen Zweifel daran, dass die Menschheit noch ein weiter Weg aus dem Elend vor sich hat. Auch das hat sich leider bewahrheitet. H. G. Wells hat in der Tat einen großen Weitblick an den Tag gelegt. In einem Bereich hat er allerdings vollkommen daneben gelegen: Wells beschrieb ein Utopia, das die Umwelt vollkommen unterworfen hat. Von einem Leben der Menschen im Einklang mit der Natur war keine Spur. Im Gegenteil: Die Utopen haben sich aller lästigen Lebensformen auf der Erde entledigt. Die spiegelt eindeutig den Fortschrittsglauben der damaligen Zeit wieder. Andererseits: Diesen Glauben haben wir erst vor zwei Jahrzehnten abgelegt und noch von 30 Jahren wären die Aussagen von Wells auch in dieser Hinsicht zeitgemäß gewesen. Fazit: Ein Buch, das getrost als Klassiker der phantastischen Literatur bezeichnet werden kann und auch nach 80 Jahren nichts von seiner Aktualität verloren hat. 8 von 10 Punkten
Bearbeitet von Rusch, 16 Februar 2005 - 23:18.
#52
Geschrieben 17 Februar 2005 - 17:39
#53
Geschrieben 18 Februar 2005 - 02:18
Vermelde: Bin ebenfalls durch.
Sauberer Spaß, jedoch: Große Überraschungen gabs nicht für mich.
Wells vermittelt Begeisterung, aber der Roman besteht aus wenig mehr als einer gekonnten Mischung aus Propaganda und sozialistisch-erzieherischen Idealen.
Dramaturgische Durststrecke: die Kletterei im Zweiten Teil †¦ kann ich aber als Wehwechen des damaligen Zeitgeschmacks verzeihen.
Aber insgesamt: was KONNTE der Mann schreiben!
Wie bei einem S/W-Film fällt die alte Technik, die altmodische Machart deutlich auf. Viele unbemalte Balken ragen aus der Kulisse, aber es hat auch eine Handvoll hinreißender Matte-Paintings von Utopia.
Ich find aber auch viele Zeitgenossen von Wells entsprechend herrlich: also Conan Doyle, Dunsany, Chesterton, der gute Kipling und so weiter.
Meine letzte Romanlektüre aus dem Segment phantastische Engländer war »The Man Who Was Thursday« von Chesterton, unvergeichlich wirrer und surrealer. Chestertons Humor kann man dadaistisch nennen.
Wells dagegen steht ganz im Bann der feineren bürgerlichen Komödie a la Wilde.
†¢†¢†¢
Bemerkenswerte Stellen hab ich markiert, aber der Monat hat ja noch Tage.
†¢†¢†¢
Da ich auf Englisch gelesen habe:
Im Buch heißt es durchwegs THE GREAT WAR und nix Erster Weltkrieg.
Ach ja: Hippies VORWEGgenommen hat Wells keineswegs. Nackig durch die Auen und über Sanddünen zu hüpfen war 1923 schon ne ganze Weile hip und FKK keine völlig neue Sache. Wells war ja ein sexuell dampfendes und kolbendes Kerlchen, ich verbuche also entsprechende Nuancen in »Men Like Gods« als innige Autorenintention, ewben gegen den Viktorianisch/Edwardischen Muff anzuschreiben.
Ca. 20 Jahre vor »Men Like Gods« hat Wilde ja auch schon antik-griechische und lässige Mode gepriesen, sowie behauptet, daß die Kultiviertesten (oder Schönsten) eh wieder nackt gingen.
Grüße
Alex / molsovsky
Bearbeitet von molosovsky, 18 Februar 2005 - 15:04.
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#54
Geschrieben 18 Februar 2005 - 09:02
Habe ich es doch gewusst. Das war eine Freiheit des Übersetzers. Aber ist nicht so schlimm. Letztendlich wird das Buch dadurch ein wenig "verjüngt." Übrigens: Ich habe jetzt die Narbe und Leviathan durch. Die deutsche Übersetzerin hat solide Arbeit geleistet und dürfte Miévilles Stil gut übertragen. Nur ihre bayrischen Wurzeln konnte sie nicht abschütteln. Wie sonst läßt sich das Wort "großkopferten" erklären.Da ich auf Englisch gelesen habe: Im Buch heißt es durchwegs THE GREAT WAR und nix Erster Weltkrieg.
#55
Geschrieben 18 Februar 2005 - 15:18
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#56
Geschrieben 18 Februar 2005 - 22:10
#57
Geschrieben 22 Februar 2005 - 07:01
Klassiker lesen bringts. Hier zu einem Überblick, was der Lesezirkel-Februar bei mir angerichet hat.
†¢†¢†¢
Gestern hab ich mir die vier großen Romane von Wells ausdrucken lassen.
Zudem ist mir das Buch von Elmar Schenkel »H. G. Wells - Der Prophet im Labyrinth« billig zugelaufen.
Wells selbst ist nicht frei von Meinungen, die zumindest mich überraschen. Laut Biographie hat er sich in seinen Schriften zur Zukunftsgestaltung für eine umfassende Art- und Zuchthygiene ausgesprochen, bis hin zur Sterilisation.
Entsprechende Stellen in »Menschen, Göttern gleich« gibts ja, siehe die Todespolitik gegenüber Krankheitserregern bis hin zu den gloomy Menschen. Auch die Kinderfarmen sind alles andere als eine reine Happy-Happy-Idee.
Die Kriterien der Utopier zur Selbst-Zucht werden nur vage umrissen. »Schönheit« und »Häßlichkeit« sind nun mal keine sehr wissenschaftlichen Unterteilungen †¦ klingen aber ganz nett und optimistisch.
Überhaupt auffällig: Wells gehts allen widrigen Aspekten von Zivilisations-Design tunlichst aus dem Weg. Wie alle positiv und hell daherkommenden Utopien kennen deren Bewohner keinen Stoffwechsel. †” Vielleicht gibts aber in diesem Utopia genug Leute, denen die Arbeit mit Abflußrohren und im Klärwerk Freude macht.
Grüße
Alex / molosovsky
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#58
Geschrieben 22 Februar 2005 - 08:40
Bearbeitet von lapismont, 22 Februar 2005 - 08:40.
Überlicht und Beamen wird von Elfen verhindert.
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#59
Geschrieben 22 Februar 2005 - 09:50
#60
Geschrieben 22 Februar 2005 - 15:46
"Zeitalter der Verwirrung" ist in der Tat einen treffenderen Ausdruck für die heutige Zeit als "Informationszeitalter". Wer weiss, vielleicht geht dieser Begriff (vielleicht als "Verwirrungszeitalter" bald erneut herum. Eigentlich muss dieses Wort nur ein paar Mal in den Medien auftauchen, vielleicht in Zusammenhang mit dem neuen Wells-Film.Zeitalter der Verwirrung. Hm, das finde ich eigentlich besser als Informationszeitalter.
Dies hat mich glatt vom Stuhl gehauen. Aua! Ich finde es übrigens schade, dass die beiden Frauen sich so passiv bzw. naiv benehmen (auch wenn Wells eine Erklärung dafür abgibt). Die Männer vertreten die Welt, die Frauen sind halt 'Blondinen'.Es ist schon ein böser Gedanke, dass sich die 11 Leute sofort zusammenrotten und Weltübernahmepläne schmieden.
+Auch sind die Utopen ja sehr rigeros mit den Übeln jeglicher Art umgegangen. Und nach dem die einfache Therapie und Quarantäne nicht fruchtete, gab es nur eins: eine radikale Operation, bevor sich der Herd ausbreitet.
+Ja, der Machteinsatz kam mit großer Heftigkeit. Doch es wird vorher bereits erklärt, dass die Utopen langsam das Interesse an den Menschen verloren. Durch die Epidemie wurden sie zu einer Gefährdung. Humanismus spielt im Wellschen Utopia eine untergeordnete Rolle. Es wird ja das Existenzrecht von Krankem und Hässlichem bezweifelt. Für Wells ist es legitim, unanfechtbar sogar, ein einzelnes Leben der Idee von Utopia zu opfern. Nicht umsonst hat Barnstaple auch Angst vor den Utopen. Es sind eben Menschen, die Göttern gleich sind. Grausamkeit ist ein Urteil über sie, das nur von Außen getroffen werden kann, mit unserer Ethik.
Ja, die Revolte fand dann ein schnelles Ende; da haben Catskill und seine Kumpane die Utopen doch unterschätzt. Aber ich fand die Reaktion der Utopen nachvollziehbar: Sie reaktivierten eine alte Waffe (oder bauten schnell einen neuen Dimensionsschleuderer) und lösten das Problem ohne Mann-Gegen-Mann-Kämpfe. Natürlich bleibt die nagende Frage offen, wie es wohl abgelaufen wäre, wenn die Geiselnahme gelungen wäre. Immerhin opfern die Utopen auch ihren "Freund" Barnstaple, der ihnen gewarnt hatte (sie wissen ja nicht, dass er geflohen ist).Ich war auch überrascht, dass die Utopen die Burg einfach "abrasiert" hatten.
Einverstanden. Über diese Diskussion, inwiefern Menschen für Gott (Men like God) spielen dürfen, bin ich auf die Seite der Utopen. Gewiss, heute sagen wir oft, dass wir die Natur schätzen und pflegen müssen (auch wenn genau das Gegenteil geschieht). Für den Moment ist dies auch die richtige Vorgehensweise. Aber für die entfernte Zukunft? Falls wir Menschen tatsächlich eines Tages die Macht haben, die Natur zu beherrschen, sollten wir dies auch tun (Stichwort: Tsunami). In der künftigen bemannten Raumfahrt muss man auch jenen Weg finden, um einen verkleinerten Kreislauf herzustellen, nicht um die ganze Erde zu kopieren. Übrigens haben die Utopen ja von allem eine Notfallreserve angelegt.Warum soll die Natur nicht so formbar sein?? Weil es viele gefährliche Insekten nicht mehr und deswegen auch einige Tiere weniger gibt?? Wenn man weiß, was man tut und die Konsequenzen berücksichtigt finde ich es sinnvoll. Es wird immer betont, dass so etwas erst nach reiflichen Beobachten und sorgfältigem Abwägen des für und wider geschieht. In der Natur geschieht so etwas permanent und ohne Überlegung nach dem einfachen Prinzip Try and error.
Sehr treffend gesagt, Henrik Lapismont schreibt:Ich denke auch, dass es so eine wellssche Welt nicht geben könnte. Auf der anderen Seite: Wenn man es nicht versucht, dann kommt man überhaupt kein Stückchen in die Nähe. Aus diesem Grund muss es extreme Werke geben, damit wenigstens ein ganz klein bischen beim Leser haften bleibt.
Molosovsky schreibt dagegen:Beeindruckend finde ich die Todesbetrachtungszene, die ich gerade lese. Sie beschreibt Mr. Barnstaple und sein Selbstempfinden sehr genau. Überhaupt hat der Kampf und Flucht aus der Festung eine vertiefende Charakterisierung gebracht.
Und ob der Mann schreiben konnte! Gerade bei der Kletterei dachte ich mir, dass dies ein ausgezeichnetes Beispiel sei - nicht für diese Runde, sondern für Noch-Nicht-Wells-Leser -, um zu zeigen, wie gut Wells schreiben kann. Barnstaple findet ein originelles Versteck, dann wird er aber frühzeitig entdeckt (unerwartete Wendung), die Flucht gelingt trotzdem (wieder Wendung), dann steckt er aber lebensbedrohlich fest (tödliche Wendung) und dann gibt es eine unerwartete Rettung (Happy-End-Wendung). Während des Anfangs der Kletterei gibt es ein aufschlussreiches Gespräch, kombiniert mit Todesgefahr. Etwas später - in richtigem Moment und unaufdringlich für den Leser - sinniert er über den Tod und die Ereignisse in Utopia nach. Das ist doch keine dramaturgische Durststrecke! Das ist eine literarische Meisterleistung.Wells vermittelt Begeisterung, aber der Roman besteht aus wenig mehr als einer gekonnten Mischung aus Propaganda und sozialistisch-erzieherischen Idealen. Dramaturgische Durststrecke: die Kletterei im Zweiten Teil †¦ kann ich aber als Wehwechen des damaligen Zeitgeschmacks verzeihen. Aber insgesamt: was KONNTE der Mann schreiben!
Ich fand es jedenfalls ganz gut, dass er gerne in Utopia ist und nicht ständig über Heimweh nach seiner Familie jammert. Immerhin hat er ja Ferien von seiner Familie ... Wenn er sich dann in Not befindet (gefangen in einer Felsspalte), denkt er allerdings an sie. Danke, molosovsky, für den Auszug aus Aldiss' Buch. Er schreibt einen interessanten Vergleich und seine Gedanken sind gut nachvollziehbar. Trotzdem möchte ich all das nicht so unkommentiert stehen lassen. Mit der folgenden Bemerkung sind wir wohl alle nicht einverstanden:Im ersten Abschnitt hat mich am meisten schockiert, daß Mr. Barnstaple bei seinem Traum in Utopia zu bleiben, nicht eine Sekunde, nicht ein Wort lang an seine Frau und seine Kinder denkt
Wir im Lesezirkel scheinen dagegen den vorliegenden Wells-Roman ja für sehr leserlich zu halten. Trotzdem hat Aldiss einen Punkt, denn Burroughs lässt sich tatsächlich herrlich lesen. Oh ja, das möchte ich gerne bestätigen. Burroughs konnte sehr lebendig und lebensnah schreiben! "Pellucidar" kenne ich zwar nicht, aber ich werde niemals die "Tarzan"-Lektüre vergessen. So erinnere ich mich sogar nach 25 oder so Jahren noch genau an eine Szene, wo ein Affe, Tarzans Konkurrent in der Liebe, selbstverliebt seine Spiegelung in einer Wasserpfütze erblickt und seine wunderschönen langen, gelben Zähne bewundert. Es gibt aber eine Schattenseite ... Aus uralte Kommentare erinnere ich mich, wie behauptet wurde, wie toll Burroughs wohl war, weil er ohne je Afrika besucht zu haben, jenen Kontinent so treffend beschreiben konnte. Meine Enttäuschung war gross, als ich später (so vor 15-20 Jahren) "entdeckte", dass das Burroughs' Abbild von Afrika kompletter Unsinn ist (siehe auch eine ähnliche Bemerkung von mir im Evolutionsthread). Sein Afrika könnte genauso gut der Mars sein ... Weshalb schwafele ich über Burroughs? Nun, Aldiss schreibt:Wells' Roman ist anstrengend zu lesen, jetzt jedenfalls, wie immer er auch 1923 gewirkt haben mag, während Burroughs noch immer glatt herunterzulesen ist.
Jetzt, mit 37 etwas älter und leseerfahrener geworden*, bin ich nicht mit Aldiss einverstanden. ICH bevorzuge einen Text mit einem Thema, einen Hintergrundgedanken, eine Botschaft, eine wichtige Mitteilung des Autors an den Leser. Natürlich muss eine solche Botschaft gut verpackt werden in einer spannenden Erzählung, denn sonst legt der Leser den Text gelangweilt weg. Und Wells gelingt diese Verpackung! Burroughs mag noch spannender sein, aber Wells kann sehr wohl unterhalten und ist keineswegs ein ermüdender Schulmeister. Teilweise ist Aldiss gleicher Meinung, denn er schreibt Folgendes:Welchen von den beiden ist das »bessere« Buch? ... es ist »Pellucidar«. Wenn man die Wahl der Gesellschaft eines ermüdenden Schulmeisters oder eines begeisterten Andekdotenerzählers hat, entscheidet man sich wohl besser für den Anekdotenerzähler.
Der Knacknuss liegt darin, dass Aldiss findet, dass Wells eben kein packender Erzähler ist (womit ich keinesfalls einverstanden bin). Ich würde eher sagen, dass Burroughs - für die damalige Zeit - Mainstream schrieb, also für ein grösseres Publikum, das nur unterhalten werden wollte. Eine Auseinandersetzung über inwieweit in einer Erzählung eine Botschaft bzw. die Wahrheit vorhanden sein sollte, ist nicht nur auf einen Vergleich Wells-Burroughs beschränkt. Dies gleicht stark der Diskussion / dem Thread, inwiefern Dan Brown (z. B. in Vergleich mit Michael Crichton) sich zu weit aus dem Fenster lehnt. Wie sich alles immer wiederholt ... (* kleines ps: auch mit 12 wollte ich eine "Botschaft" spüren, aber damals hatte ich wohl noch nicht so ein feinfühliges Gespür dafür, dass ich 'Wahrheitsverdreher' wie Brown oder Burroughs gleich auf die Schliche kam.) @ Rusch: Schöne Rezi! Persönliche Feststellung: Ich lese so eine separate Rezi eher, wenn es gleich in den Thread erscheint, anstatt dass es nur einen Link dazu gibt.Warum also wird Wells hartnäckig der größere Respekt entgegengebracht? Es kann nur sein, weil er, worin er auch sonst seine Fehler haben mag, versucht, sich mit dem auseinanderzusetzten, was er für die wirkliche Welt hält, während Burroughs - was für ein packender Erzähler er auch sein mag, und er kann regelrecht hypnotisieren - nur Tagträume verkauft.
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