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Arkadi & Boris Strugatzki: Picknick am Wegesrand


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135 Antworten in diesem Thema

#91 Gast_Jorge_*

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Geschrieben 11 April 2005 - 17:01

Da mag ich übrigens gleich noch eine Theorie formulieren, die mir beim zweiten mal lesen durch den Kopf schoss und die allerdings in keiner Weise vom Buch gestützt wird: Was ist denn, wenn die Kugel eigentlich das einzige außerirdische Artefakt wäre? Wenn also lediglich ein einziger Gegenstand zur Erde geschickt würde, einer der Wünsche erfüllt? Eine Kugel durchs All zu schicken wäre jedenfalls nicht so wirklich komliziert und der geneigte Perry-Rhodan-Leser wird mir zustimmen, das die Kugelform die optimale für Weltraumreisen ist. Das ganze andere Brimborium ist erst durch die krausen Gedanken und Wünsche der Menschen entstanden. Es gibt halt genug Einfaltspinsel, die sich irgend einen krausen undefinierten Kram zusammendenken, und das hat die Kugel dann leider wahr gemacht. Das würde auch erklären, warum im Laufe der Geschichte immer mehr komische Gegenstände auftauchen. Und auch die Zombies wären damit abgehakt. Nur mal so ein Gedanke ... :D

Interessante Theorie, könnte einiges erklären... Warum eigentlich soll das letzte Kapitel um die Suche nach der Kugel ein Märchen sein und keine SF? Nur weil sie (vermutlich) die Realität im Sinne eines vor ihr stehenden zu verändern mag, allerdings nicht so wie dieser es meint zu wollen, sondern wirklich tief in seinem Unterbewußtsein. So etwas ähnliches gibt es nämlich auch in Crichtons "Die Gedanken des Bösen", wo eine seltsame Kugel(deren Herkunft, Zweck und Entstehung rätselhaft bleibt) den Protagonisten die Fähigkeit verleiht, die Realität umzugestalten(Tiere aus einem Roman tauchen um die Tiefseestation auf, das Innere der Station und des "Raumschiffs" verändern sich -u.a."Besatzungsmitglieder" erscheinen-). Angesichts der Fähigkeiten der Kugel stellt sich hier eine ähnliche Frage: Ist vielleicht das "Raumschiff"(das von einer Erde der Zukunft stammen soll) auch auf die Weise entstanden, indem sich jemand dieses "ausgedacht" hat und nur die (vermutlich) außerirdische Kugel real?

#92 Henrik Fisch

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Geschrieben 11 April 2005 - 20:41

@Jorge:

Hm, stimmt: An Crichtons Roman habe ich gar nicht mehr gedacht, obwohl ich den sehr gut finde. Vergessen wir das wieder; klingt zu sehr nach geklaut.

Obwohl: Vielleicht hat Herr Crichton ja von den Strugatzkis ein klein wenig abgekupfert? :D

Bis dennen,
Henrik
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#93 Trurl

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Geschrieben 12 April 2005 - 10:35

@Jorge:

Warum eigentlich soll das letzte Kapitel um die Suche nach der Kugel ein Märchen sein und keine SF? Nur weil sie (vermutlich) die Realität im Sinne eines vor ihr stehenden zu verändern mag, allerdings nicht so wie dieser es meint zu wollen, sondern wirklich tief in seinem Unterbewußtsein. So etwas ähnliches gibt es nämlich auch in Crichtons "Die Gedanken des Bösen", wo eine seltsame Kugel(deren Herkunft, Zweck und Entstehung rätselhaft bleibt) den Protagonisten die Fähigkeit verleiht, die Realität umzugestalten

Kleine Frage nebenbei: wann fängt eigentlich Realitätsveränderung an? Bereits dann, wenn Objekte oder Personen aus Gedanken erschaffen werden? Oder erst wenn sich ganze, kausal verknüpfte Ereignisketten verändern, beispielsweise die Historie und alle daran gebundene Erinnerungen? Ersteres machen wir ja - in etwas bescheidenerem Maß - ebenfalls schon, wenn wie mit Hilfe unserer instrumentalen Technik, Dinge konstruieren und bauen, Häuser, Brücken, Autos. Diese Dinge entstehen letztendlich auch aus Vorstellungen, die die Realität vorwegnehmen. Aber warum sich mit Kleinkram abgeben? Wenn die Kugel tatsächlich so omnipotent ist und nicht nur Dinge, sondern Realität erschafft, könnte sie buchstäblich alles erschaffen haben, nicht nur die Zone, sondern auch die Welt in der wir Leben und uns selbst gleich mit. :D Sogar die Vorstellung von der Kugel selbst. Ich fürchte wenn wir diesen Gedanken konsequent zu Ende denken, führt er uns früher oder später in einen unendlichen Regress, in der sich Realität und Fiktion untrennbar miteinander vermischen. Das war ein Punkt der mir bei "Sphere" nicht so einleuchten wollte, wo hört die Realität auf und wo fängt die Phantasie an, kann man überhaupt eine Trennlinie ziehen, wenn buchstäblich alles ein Produkt der Phantasie sein könnte. Löst sich unsere Realitätsauffassung damit nichtvollständig auf? Woher wußten die Wisschenschaftler, dass Sie dem Horror entkommen sind? Vielleicht befanden sich immer noch in der Kugel, vielleicht gab es überhaupt keine Kugel? Diese Überlegungen kann man endlos weiterspinnen führen aber letztendlich ins Nirwana. Was nicht heißen sollen, dass es sehr spannend und irritierend sein kann eine fortschreitende Realitätsauflösung zu beschreiben, wie man bei P.K.Dick's UBIK sehen kann. Ich bezweifle aber, dass die Strugatzkis die Absicht hatten solche Assoziationen zu wecken oder sie zur Grundlage ihrer Romankonzeption zu machen, sonst hätten sie deutlichere Hinweise einstreuen müssen. Ein wenig muss der Autor seinen Lesern schon die Richtung vorgeben, wie zum Beispiel mit der Picknick-Theorie. Trurl

Bearbeitet von Trurl, 12 April 2005 - 10:37.

»Schau dir diese Welt nur richtig an, wie durchsiebt mit riesigen, klaffenden Löchern sie ist, wie voll von Nichts, einem Nichts, das die gähnenden Abgründe zwischen den Sternen ausfüllt; wie alles um uns herum mit diesem Nichts gepolstert ist, das finster hinter jedem Stück Materie lauert.«

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#94 Gast_Jorge_*

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Geschrieben 12 April 2005 - 20:11

Hm, stimmt: An Crichtons Roman habe ich gar nicht mehr gedacht, obwohl ich den sehr gut finde. Vergessen wir das wieder; klingt zu sehr nach geklaut. Obwohl: Vielleicht hat Herr Crichton ja von den Strugatzkis ein klein wenig abgekupfert? :confused:

Auf den Gedanken könnte man leicht kommen: Vage noch bei "Die Gedanken des Bösen", etwas konkreter bei "Jurassic Park"(man denke nur an Silverbergs 1980er Story "Unsere liebe Frau von den Sauriern"(Our Lady of the Sauropods) - Dinosaurierarten werden mittels fossiler DNS rekonstruiert und mit Hilfe von Wirtseiern wieder ins Leben befördert und auf "Dino Island" ausgesetzt; allerdings einer Insel im Weltraum), noch konkreter bei "Beute"("Unbesiegbarer, ick hör dir trapsen" -Was hat Lem eigentlich zu dem Crichtonroman gesagt :jumpgrin: ?). Auch andere hatten schon den Gedanken: "Die "Idee" des Leinwandspektakels(Anmerkung: gemeint ist "Jurassic Park") ist -wie nahezu alle utopischen Filmstoffe Michael Crichtons- schamlos geklaut(in diesem Fall bei Harry Harrison)." aus: Ronald M. Hahn/Volker Jansen "Lexikon des SF-Films" Drücken wir es mal so aus: Die Science Fiction(Buch, Film etc.) ist ein großer Steinbruch, in dem sich jeder nach Herzenslust bedienen kann, der nach Baumaterial für eine Romanwelt sucht :D ;) Bin etwas zu sehr OT geworden, also zurück zum eigentlichen Thema.

Bearbeitet von Jorge, 12 April 2005 - 20:12.


#95 Konrad

Konrad

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Geschrieben 14 April 2005 - 10:08

Roderic ist seelisch am Ende, er ist jetzt sogar bereit einen Mord zu begehen. Soetwas wäre ihm früher nie im Traum eingefallen, wo er sogar den Aasgeier, den er selber für einen Mörder hielt, ohne mit der Wimper zu zucken rettet, weil er einfach nicht anders kann. Diese Verwandlung wird im Schlusskapitel menschlich absolut glaubhaft geschildert.

Die Wandlung Schucharts geschieht allerdings nicht plötzlich, sondern das ganzen Buch hindurch. Er wirft ein Ideal nach dem anderen über Bord. Man darf nicht vergessen, am Ende des 2. Kapitels verkauft er die Sülze an illegale Händler, was er im 1.Kapitel auch nicht getan hätte. Würde mich nicht wundern, wenn es diese Sülze war, die den Unfall in diesem Waffen-Laboratorium verursacht hat. Es klebt also schon vorher Blut an seinen Händen. Gruß, Konrad

#96 Rusch

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Geschrieben 14 April 2005 - 11:31

Würde mich nicht wundern, wenn es diese Sülze war, die den Unfall in diesem Waffen-Laboratorium verursacht hat. Es klebt also schon vorher Blut an seinen Händen. Gruß, Konrad

Das war bestimmt so. Aber tat dies auch, um seine Frau zu versorgen. Interessant: Diese schlechende Entwicklung, diese Korumpierung war mir bisher nicht so bewusst.

#97 Konrad

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Geschrieben 15 April 2005 - 19:09

Was ist nun der verborgene Sinn von "Picknick am Wegesrand" ? Wie bei aller guten Literatur gibt es natürlich mehrere Deutungen. Wenn man Schuchart's Odyssee betrachtet, scheint ein Motiv wie ein roter Faden die Kapitel zu verbinden und sich sogar von Kapitel zu Kapitel zu steigern. Dieses Motiv ist "das Scheitern der Fürsorge". Im 1. Kapitel will Schuchart seinen Freund Kirill moralisch aufrichten, in dem er ihn für die "volle Null" begeistert und bringt ihm in letzter Konsequenz dadurch den Tod. Im 2. Kapitel gilt seine ganze Fürsorge der finanziellen Versorgung seiner Frau bzw. Familie. Als Konsequenz landet er im Kittchen und verursacht indirekt den Tod von 35 Menschen im Currigan-Laboratorium. Im 4. Kapitel will er die Gesundung seiner Tochter erreichen, und plant dafür die Ermordung des seiner Fürsorge anvertrauten Anfängers Arthur. Auch wenn er dessen Tod nur indirekt verursacht, ist hier die Perversion auf die Spitze getrieben. Trotzdem scheitert er auch diesmal in letzter Konsequenz, denn er kann seinen Wunsch vor der goldenen Kugel nicht formulieren. Statt dessen übernimmt er den Fürsorgewunsch seines Opfers, der die ganze Menschheit einschließt und in seiner Banalität kaum zu übertreffen ist. Wenn man den roten Faden fortspinnt, kann man schon erahnen, was mit diesem Wunsch geschehen wird. Für mich ist dieses Buch ein wunderschöner rabenschwarzer "Anschlag" auf einen Grundpfeiler des Sozialismus. http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/cool.png Gruß, Konrad Edit: Schreibfehler

Bearbeitet von Konrad, 16 April 2005 - 10:38.


#98 Rusch

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Geschrieben 15 April 2005 - 22:31

Bravo, Konrad. Das ist eine vollkommen plausible Deutung, die dem Ende einen Sinn gibt. Ich denke so haben es die Strugatzkis auch gemeint. Ich selbst hatte nicht den Weitblick, darauf zu kommen.

#99 Konrad

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Geschrieben 16 April 2005 - 11:07

Hallo Rusch, das ist aber natürlich nur eine der vielen Deutungsmöglichkeiten. Man kann auch anders zu dem Schluß kommen, daß der letzte Wunsch nicht erfüllt wird. Schucharts "Ersatzwunsch" ist nicht erste Wahl, sondern nur ein Gewissensreflex. Da die Kugel gemäß der Legende nur authentische Wünsche erfüllt, wird sie diesen wohl verweigern. http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/wink.png Oder man glaubt nicht daran, daß die Kugel überhaupt Wünsche erfüllen kann. Das Ergebnis ist immer das gleiche. Wenn man das "Scheitern der Fürsorge" als Deutung bevorzugt, ist wohl die nächste Frage, warum diese gescheitert ist und ob das immer so sein muß. Gruß, Konrad

Bearbeitet von Konrad, 16 April 2005 - 13:20.


#100 molosovsky

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Geschrieben 20 April 2005 - 10:43

Hallo zuammen.Nein, ich habe nach drei Monaten nicht die Lust am Lesezirkel verlohren. Nur bin ich beim »Baroque-Cycle« im Endspurt und habe das komplette »Akira«-Manga zum ersten mal zuhause. Deshalb war ich etwas abgelenkt und komme erst jetzt dazu, mal ein paar Worte zu »Picknick« zu schreiben.Bisher keine Beiträge gelesen (mach ich, nachdem ich diesen hier abschicke).Ich bin erst mit dem ersten Viertel des Buches durch.Ich habe ziemlich stark den Eindruck einen Dungeons & Dragons-Plott zu lesen. Schatzgräber und Leute die einen Haufen Knete zahlen, damit sie das Amulett der Macht (äh, eine volle Null oder goldene Kugel) bekommen.Roderic ist ein ganz angenehmer Charakter. Ziemlich glaubhafter Sich-Durchschlager.Der erste Ausflug zur Garage war spannend. Für mich, den an der Phantastik die Seltsamkeiten, Monster und Bzzz-Fupp-Effekte reizen, wars eine nette Fahrt. Die Fliegenklatsche ist da freilich mein Lieblings-*Monster* bisher. Ein bischen platt eingebaut waren die ideolgischen Diskurse über Wissen = Licht und das »Loch der Zukunft« welches die Zone für ein Kaff darstelt.Abgeturnt bin ich auch von dem Arbeiter-Unfall-Pathos, sprich: dem Trauersaufen über Kirills Herzrißtod, und die Schlußszene des ersten Roderic-Teils ließt sich so, wie ich mir sozialistischen-kommunistischen *Kitsch* immer vorgestellt habe: kaputter Typ, schwangere Freundin, beide kratzen verzweifelt ihren Zukunftsmut für das Ungebohrene zusammen.Die letzten paar Bemerkungen lesen sich giftiger, als ich sie meine.Insgesammt find ich den Roman gut geschrieben (und wohl auch übersetzt).Bin mal gespannt, wie es weitergeht mit dem guten Roderic.Grüßemolosovsky / alex

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#101 Henrik Fisch

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Geschrieben 20 April 2005 - 12:57

Nur mal so am Rande: Ich bitte am Ende des Monats wieder mal um eine Abstimmung bezüglich der Qualität des Romans. Die fand ich eigentlich auch immer recht spannend und ebenso hilfreich für Ratsuchende.Bis dennen,Henrik
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#102 lapismont

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Geschrieben 21 April 2005 - 06:59

Den Fürsorge-Ansatz finde ich faszinierend.Irgendwie passt das zur eigenartigen Ritterlichkeit Schucharts.Sein eigener Codex ist ja einer starken Veränderung unterworfen, allerdings enthält er immer dieses Verantwortungsbewusstsein für Andere. Er ist damit auf einer Seite ein strahlender Held, auf der anderen Seite aber auch ein kompromissloser und gerissnener Underdog, ein Mörder. Zerrissen. Genauso wie ich mir einen Russen vorstelle. Was daran liegen mag, dass die Autoren welche sind und sie mir nicht eine kanadische Gesellschaft verkaufen können, oder es auch gar nicht versuchen.Das die Strugatzkis über den Sozialismus schreiben, halte ich für eindeutig. Etwas anderes ist nicht vorstellbar. Es gibt bestimmt nicht viele sowjetische Autoren, denen es nicht um ihr Land und dessen Gesellschaft ging.Vielleicht sind die Zonen ja auch eine Vision der Gebrüder vom Verfall des Superstaates. In ihren anderen Büchern bohren sie immer unter die Oberfläche gefestigter Strukturen und fördern dort die Fresstunnel der Subkultur zu Tage.Die Goldene Kugel mystifiziert den Zukunftsglauben der sozialistischen Utopie und enttarnt ihn zugleich. Distupien sind ja hier eine sehr seltene Ausnahme, zumindest was das veröffentlichte Spektrum anbelangt. Vielleicht musste das Schlusskapitel geschrieben werden und vielleicht wehrten sich die Autoren gegen das optimistische Ende in dem sie es derartig böse darbieten. Mit dem Opfer. Mit der moralischen Zerstörung ihrer Hauptfigur. Brachte die sowjetische Gesellschaft auf dem Weg in die schöne Zukunft nicht ebensolche Opfer? Wurden nicht Millionen umgebracht, um den Weg ins Licht freizuräumen? Kein Wunder, dass den Strugatzkis Tarkowskis Interpretation und Konzentration gefiel.Die ersten drei Teile sind eine spannende SF-Erzählung, aber durch den vierten Teil wird daraus ein Kunstwerk. Denn es atmet.Klingt etwas übertrieben, aber für mnich fühlt es sich so an.10 von 10 für den Poll. :lookaround:

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#103 Konrad

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Geschrieben 21 April 2005 - 08:43

Die Goldene Kugel mystifiziert den Zukunftsglauben der sozialistischen Utopie und enttarnt ihn  zugleich. Distupien sind ja hier eine sehr seltene Ausnahme, zumindest was das veröffentlichte Spektrum anbelangt. Vielleicht musste das Schlusskapitel geschrieben werden und vielleicht wehrten sich die Autoren gegen das optimistische Ende in dem sie es derartig böse darbieten. Mit dem Opfer. Mit der moralischen Zerstörung ihrer Hauptfigur. Brachte die sowjetische Gesellschaft auf dem Weg in die schöne Zukunft nicht ebensolche Opfer? Wurden nicht Millionen umgebracht, um den Weg ins Licht freizuräumen?

Das war auch meine Überlegung, die mich zu dieser Interpretationsvariante geführt hat. Der Auslöser dazu war dieser banale Fürsorgewunsch am Ende, der mich irgendwie an die Naivität gewisser Parteiprogramme erinnert hat. Wenn man über den verborgenen Sinn von "Picknick am Wegesrand" nachdenkt, merkt man in kürzester Zeit, daß es unter der Oberfläche von Assoziationen geradezu brodelt. Ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis von "Picknick" ist wohl die menschliche Entwicklung von Schuchart. Je besser er seine Bewegungen in der Zone beherrscht, desto schlechter scheint er mit dem Leben zurecht zu kommen und desto unglücklicher wird er. Auffallend ist ebenfalls die sich steigernde Besessenheit, sein Glück durch immer mächtigere Objekte der Zone zu beschwören. Gleichzeitig gibt er immer mehr seiner Ideale preis und empfindet sich schließlich als "Tier". Da stellt man sich doch die Frage, wofür steht in diesem Roman die Zone ? Gruß, Konrad Edit:Schreibfehler

Bearbeitet von Konrad, 21 April 2005 - 14:26.


#104 lapismont

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Geschrieben 21 April 2005 - 08:58

Die Tatsache an sich, das sich die Hauptfigur innerhalb weniger (gemessen am heute Üblichen) Seiten verändert, glaubhaft eine Entwicklung durchlebt, zeigt die Qualität im Erzählstil.Die gegenläufige Beziehung von Glück und Glückssuche macht ja das Tragische der Figur aus. Ich glaube nicht, dass Schuchart zum Tier wird. Vielmehr scheint er zum Ende hin vergöttlicht. Als ob er transzendiert. :D

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#105 Konrad

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Geschrieben 21 April 2005 - 09:18

Vielmehr scheint er zum Ende hin vergöttlicht. Als ob er transzendiert.

Kann ich nicht ganz nachvollziehen. Ich glaube eher, daß in der "mystischen" Anrufung der sozialistische "Mythos" entzaubert wird. Da wird die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf den Punkt gebracht. Schuchart beteuert, daß er seine Seele niemanden verkauft hat und nichts Schlechtes wollte, und gleichzeitig verhindert sein eigenes Gewissen, daß er seinen eigenen Wunsch formulieren kann. Wenn das keine Aussage ist. :D

Bearbeitet von Konrad, 21 April 2005 - 09:58.


#106 Rusch

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Geschrieben 21 April 2005 - 10:03

Da stellt man sich doch die Frage, wofür steht in diesem Roman die Zone ?

Gute Frage. Ich würde sagen, nach all dem, was wir schon über die Entwicklung Schucharts geschrieben haben, kann die Zone eigentlich nur der Alltag in der "Sozialistischen Utopie" sein, der den Protagonisten nach und nach korrumpiert und schließlich bricht. So gesehen steckt in dem Roman sehr viel Systemkritik, die allerdings auch beim zweiten Hinsehen nicht offenbar wird. Wenn ich mir "Schnecke am Hang" ansehe, dann findet man einige Paralellen. In diesem Roman kämpft ein Protagonist mit Bürokraten und Menschen werden zu Zombies (= Systemkonforme Mitläufer?). Vielleicht aber interpretieren wir zu viel in die Romane hinein.

#107 Konrad

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Geschrieben 21 April 2005 - 14:35

Vielleicht aber interpretieren wir zu viel in die Romane hinein.

Kann ich mir nicht vorstellen. Die Märchenmotive laden doch geradezu dazu ein. Irgendwie habe ich nur den Eindruck, daß die Diskussionsbeteiligung doch stark nachläßt, wenn es mal nicht um die Farbe eines Waffenlasers geht. ;) Oder irre ich mich da ? :D

#108 Rusch

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Geschrieben 21 April 2005 - 15:21

Also das kann man so nicht sagen. Ich finde wir habe schon lange nicht mehr so tiefschürfen Diskutiert. Und auch einen Thread mit 8 Seiten haben wir es auch das letzte Mal vor Monaten gebracht. Also Qualität und Quantität stimmt, oder?

#109 Henrik Fisch

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Geschrieben 21 April 2005 - 15:42

@alle:

Keine Bange. Ich lese aufmerksam und interessiert mit, hatte aber bisher nicht viel zur weiteren Diskussion beizutragen. Zum Thema „Märchen“ und „Kommunismus“ werde ich nachher - wenn ich zu Hause bin und mich vom Joggen wieder erholt habe - noch etwas schreiben. :D

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#110 molosovsky

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Geschrieben 21 April 2005 - 20:15

So. und in zwei Tagen auch schon fertig mit »Picknick«.Gemischter Eindruck. Schwer beeindruckt bin ich weniger, oder wenn, dann ehr in Richtung »ambivalent«.Die rotzige Blick auf die Gesellschaft, das freakige Schatzgräber-Milieu und die exotischen Dinge, *Monster und Pflanzen* der Zone fand ich schon ganz nett. Auch die Sache mit der Mutation von Kindern (»Äffchen«) und das Rumhängen der Phantome von Verstorbenen als Auswirkung eines außerirdischen Vorbeischauens find ich alles sehr nett, stellenweise sogar richtig geil. Die beiden Ausflüge in die Zone sind sicherlich der Nektar des Romans, der Rest †¦tja, da komm ich zu meinem gemischten Eindruck.Ich wundere mich, daß dieses Buch sich immer noch so hartnäckig bejubelt als Klassiker hält. Okey, im Eingangsinterview läßt Pillman eine kleine Spitze gegen die arg bellezistischen und anthropozentrisch gedachten Begenungen a la »War of the Worlds« los, und »Picknick« wirft einen entschieden ohnmächtigen und xenologisch justierten Blick auf die Frage: Wie könnte ein Erstkontakt mit Außerirdischen auf Erden aussehen? Erfrischend und verwirrend, vor den Kopf stoßend und in seinem ehrlichen Zugestehen der Schlichthinigkeit der Menschheit ein echter moralischer Rüttler.Jedoch:als Roman für mich ungewöhnlich fad. Zwei Kapitel lang gibts den Star des Buches nur als nebenbei Erwähntes. Statt dessen les ich eine wenig orginelle Schmuggler- und Schluri-Einlage. Damals mag vielleicht die offen ausgebreitete Sauferei noch chick gewesen sein, oder anklagent gewirkt haben, als heutiger Leser find ich das Gro der Milieu-Schilderungen nur flach und öd. Allein die Namen: Knochenbrecher, der Heisere †¦ spielt da Eddie Constantine mit?»Picknick« gibt sich redlich mühe mit der Science-Fiction. Man muß nicht viel Phantasie aufbringen, um in »Picknick« ein Gedankenspiel auf die Gefahren des Atomzeitalters zu sehen. Einen Haufen weiterer Dinge kann man in den Roman hineininterpretieren. Auch wenn ich kein großes Lesevergnügen hatte, gefällt mir die Spekulation, das fiktive, phantastische Panorama des Buches.»Picknick« ist vielleicht deshalb immer noch ein Klassiker, weil es eine sehr starke Beschörung des »Ganz Anderen« ist. Wie sehr kann man begreifen, was hier geschildert wird?Soweit mein Eindruck/UrteilGrüßemolosovsky / alex

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Geschrieben 21 April 2005 - 21:23

Sodale,

der Herzklabaster nach dem Laufen ist überstanden und die Hände zittern auch nicht mehr so, das sich noch etwas schreiben kann. :D Also:

Zum Thema „Märchen“ habe ich ja vorher bereits einiges geschrieben. Ja, ok, man kann das Ganze als Märchen sehen. Gebe ich zu. Aber genau so gut, kann man dann einen Großteil der SF in die Märchenecke schieben. Behaupte ich einfach mal. Wobei rein gefühlsmäßig das Picknick irgendwie nicht so recht in die Märchenecke passen will. Dazu gibt es doch noch zu viele fundierte Bezüge zur Realität, als dass es für mich als Märchen durchgehen könnte. Wie zum Beispiel der dritte Teil, der von beruhigend weltlichen Verstrickungen handelt.

Egal: Mir geht es eher darum, dass ich nicht glaube beim Picknick eine versteckte Kritik am sozialistischen System gelesen zu haben. Die Hinweise wären für mich ein wenig zu gut versteckt. Und ein ganz klein wenig muss dann doch die Kritik durchschimmern um als solche wahrgenommen zu werden. Klar, es ist natürlich ganz einfach einem Autoren - oder hier einem Duo - eine entsprechende Intention anzudichten, wenn er denn aus einem entsprechenden politischen Umfeld kommt. Viele Geschichten sind ja auch entsprechend gestrickt. Aber hier glaube ich da einfach nicht dran. Vor allem ist die Interpretation bei etwas abstand dann doch etwas gewagt. Oder anders herum: Mit entsprechender Mühe kann man eigentlich jede Geschichte entsprechend interpretieren; sogar „Hänsel und Gretel“.


@molosovsky:

Die beiden Ausflüge in die Zone sind sicherlich der Nektar des Romans, der Rest †¦ tja, da komm ich zu meinem gemischten Eindruck. ...

Naja, soviel bleibt von dem Roman ja auch gar nicht mehr übrig, wenn Du die Ausflüge in die Zone wegnimmst. Nebenbei bemerkt sind es übrigens drei. Und ich bleibe dabei: Gerade das dritte Kapitel, in dem in der Kneipe über Sinn und Zweck der Zone gefachsimpelt und so ganz nebenbei der Titel des Buches erklärt wird, ist für mich genau so wichtig wie die „Action“-Teile (wenn mir der Ausdruck erlaubt ist).

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#112 molosovsky

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Geschrieben 22 April 2005 - 07:52

Hallo Hernik, hallo alle.Drei Ausflüge in die Zone? Der erste ist der Ausflug zur Garage in Roderic 23 Jahre.Im Teil zwei (Roderic 28 Jahre) wird dann gleich zu Beginn die Zone verlassen, Aasgeier (Barbridge) mit seinen kaputten Haxen gerettet, das restliche Kapitel spielt in Kneipen.In Richards Kapitel dann Institut, Kneipen, Hotels, Cafes und zuhause bei Roderic. Letzter Teil, Ausflug zur Goldenen Kugel.Wenn Du die Rettungsaktion von Barbige als richtigen Zonenbesuch zählst, würd ich sagen, sie kommt zweieinhalbmal im Buch vor.Aber ich bin zu pingelig †¦ versuch mich ja nur rauszureden.Ist jemanden der Lokalname BORSTSCH eigentlich von irgendwoher bekannt? Alan Moore hat sich wohl vor den Strugatzkis verbeugt, indem er eine Fastfooskette aus »Watchmen« so nannte.Zu Märchen und SF:Alle SF ist freilich mit Märchen verwandt. »Picknick« will aber deutlich SF sein, also wissenschaftlich angetriebende Erzählung. Freilich spielt der Text mit Bedeutungs-Ebenen (oder läßt mit sich diesbezüglich spielen) und kann auch nicht verleugnen, wann er wo entstand, und so kann sich diese »knallharte Schmugglergeschichte am Rande eines Lochs zur Zukunft« auch als Parabel auf den Kommunismus, den Sozialismus, die Moderne, die Atomtechnik, internationale Forschung usw gelesenn werden.Mit solcher Märchen-SF wie »Flash Gordon« und solchen Märchen im SF-Gewandt wie »Star Wars« hat »Picknick« - für mich - aber auch (fast schon) gaar nix gemein.Nachtrag zum Eindruck:Hat man die Story erstmal auf sein Hirn downgeloaded, wird »Picknick« immer besser. Seit gestern stell ich die »Picknick«-Idee nach eigenem Vergnügen um und freu mich daran. Vielleicht habe ich schon zu früh Sorokin, Bukowski und ähnliches gelesen, weshalb ich mit der Säufer-Ebene (»†¦ das ist eine harte Welt Brüderchen, bringt mir ein Weib oder Kind, ich muß was Kleines prügeln†¦ «) nicht so zurecht komme. Die Idee der Zonen ist aber so hammergenial, daß es mich wundert sie noch nicht zu einer TV-Serie (oder Comic oder Daddelei) vermodelt zu wissen. Oder bin ich da schlicht ungebildet.Grüßemolosovsky / alex

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#113 Rusch

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Geschrieben 22 April 2005 - 07:58

@molosovsky:Ich fand die Ideen mit den Zonen auch gigantisch. Die Beschreibungen ware zwar spärlich, aber vor meinen geistigen Auge tauchte diese "entrückte" Stadt auf. Und dann diese Schwerkraftfelder, die "Grütze" und all die anderen Gefahren. Das ist wirklich unglaublich gut.Der Rest vom Roman ist aber auch nicht schlecht. Die Beschreibungen am Anfang, das Verhöckern der Objekte und das spekulieren über die Ursache für die Zonen fand ich auch unterhaltsam.

#114 Konrad

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Geschrieben 22 April 2005 - 10:06

Ja, die Idee der Zonen ist wirklich einzigartig. Man darf nicht vergessen, der Roman war deutlich vor Tschernobyl, auch wenn man heutzutage sicherlich eine Assoziation dazu herstellt. Ich habe im Fernsehen mal eine Bilddokumentation über diese naturbelassenen Grenzstreifen der DDR vor der Öffnung gesehen. Da hatte man auch diesen Eindruck, völlig aus der Welt zu sein und gleichzeitig dieses unterschwellige Gefühl der Gefahr. Jetzt gehören diese Streifen ja zu den ganz wertvollen Biotopen in Deutschland. @molosovsky:

Jedoch: als Roman für mich ungewöhnlich fad. Zwei Kapitel lang gibts den Star des Buches nur als nebenbei Erwähntes. Statt dessen les ich eine wenig orginelle Schmuggler- und Schluri-Einlage. Damals mag vielleicht die offen ausgebreitete Sauferei noch chick gewesen sein, oder anklagent gewirkt haben, als heutiger Leser find ich das Gro der Milieu-Schilderungen nur flach und öd. Allein die Namen: Knochenbrecher, der Heisere †¦ spielt da Eddie Constantine mit?

Gehe ich recht in der Annahme, daß du hier etwas hart mit den armen Strugatzkis umspringst. Ich kann mir gut vorstellen, daß das sovietische Milieu tatsächlich so öde war. Ansonsten trifft diese Schilderung genau die Gemütsverfassung Schucharts, was m.E. wohlkalkuliert ist. Was die Namensgebung angeht, erinnert mich diese tatsächlich ein bißchen an die Dreigroschenoper. :P Gruß, Konrad

#115 molosovsky

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Geschrieben 22 April 2005 - 19:36

Hallo.

@Konrad:
Du hast geschrieben:

Ich kann mir gut vorstellen, daß das sov{j}ietische Milieu tatsächlich so öde war.

Und der Roman spielt in Canada. Daher auch mein Unwohlsein mit dem Milieu-Schmu.
Im Grunde habe ich halt folgende Abwägung hinter mir: Es gibt den Weg, das Phantastische voll ins Zentrum zu stellen und auszuwalzen, und den ehr indirekten Weg des in den Hintergrundrückens des Phantastischen, des fragmentarischen Anreißens und Andeutens. »Picknick« geht (in meiner Lesung) überwiegend den zweiteren, diskreteren Weg. Das ist eine feine Methode die viel Können abverlangt und bei der man das Vertrauen haben muß, daß »die Leser« sich darauf einlassen und klug genug dafür sind. (Obwohl, ich habe zweimal hin- und herblättern müssen, um mich zu vergewissern, daß die Tochter von Roderic ganzkörperbehaart ist wie ein Freak aus einer Zirkusshow).

So wie die Strugatzgis es machen beeindruckt mich »Picknick« ungemein, aber der Vordergrund, das Leben in der Stadt und das Milieu von Roderic (und Richard) find ich halt nicht gerade besonders hinreißend geschildert, noch spannend zu lesen. Vergleich das mal mit »Letzte Ausfahrt Brooklyn« oder auch moderne Milieu-Fiktionen wie »Trainspotting« (sowie die z.T. bereits genannten Herren Bukowski, Serner, Burroughs, Orwell und Co) und ähnlich gelagerten Werken. In dieser Beziehung hat »Picknick« meiner Meinung nach kaum noch die Berechtigung als Klassiker zu gelten; aber voll und ganz eben als Blick auf das Ganz Andere.

Nun noch ein paar Worte zum Nachwort von Lem (nebenbei: von dem hab ich mir als Teen glaub ich einen Gutteil meines »Besserwisser«-Stils angelesen, den ich heute nicht mehr ganz loswerde †¦Â naja, pfeiff ich auch drauf:-)

Vollkommen berechtigt und erfrischend Lems Vergleich der SF mit der Theologie, wenn es um das Beschreiben von etwas geht, das »prinzipiell alle unendlichen Eigenschaften« hat - wenn man annimmt, daß das Potential der SF eben ziemlich gewaltig bis unendlich sei.
Ein wichtiger Aspekt aller Phantastik ist das Sprechen vom Wundersamen, dem Ganz Anderen, dem Verborgenen. SF tut dies per Definition (in der Art eines Verne, Wells) in den Parametern der modernen Wissenschaft. Was Lem dabei (wie so oft in seinen Sachtexten) unterschlägt ist die unbequeme Tatsache, daß schon die den Wissenschaften zugrundeliegende Abbildungskunst der Mathematik ihre eigenen Paradoxien und Unklarheiten hat. »Undendlichkeit« ist so ein Begriff, der auch hier sein Chaos verbreitet (Pi, Primzahlen). Er soll also mal nicht so oberobjektiv tun, der Meister.

Was mir noch aufgefallen ist:
Einmal: Nur Menschen werden als Phantome *wiedererweckt*, und die Selbsttätigkeit abgetrennter Gliedmaßen von Phantomen gemahnt an Zombis und dämonenbesessene Hände (siehe »Evil Dead«). Die Anthropozentrik dabei hat auch Lem übersehen. Es werden nämlich nur Menschen wiedererweckt, keine Tiere. Deren Abwesentheit wird sogar besonders erwähnt. Insofern kann man »Picknick« vielleicht sogar als Grotesque auf die Vertreibung aus dem paradisischen Garten lesen. Auf jeden Fall ist die strugatzgische Zone das bisher beste Gegenteil vom Garten Eden, das mir untergekommen ist †¦ in klassischer Denktradition der Vormoderne. In der Moderne gedacht, kenne ich dazu nichts Atemberaubenderes, als den Blick auf die Narbe in »Leviathan/Die Narbe« (»The Scar«) von China Miéville.

Dann: Für mich die vielleicht großartigste Einzelidee des ganzen Buches, viel interessanter als die goldene Kugel: Die Geschichte vom Friseur (S. 139), die Pillman erzählt. Die von einer Zone weggezogenen Menschen verändern die statistische *Normalität* der Todesrate ihres neuen sozialen Umfeldes (Unglück, Unfälle). Das wäre nur in einem modadologischeren Weltbild als dem unsrig-klassischen verständlich erklärbar. Demnach hat das Erscheinen der Zone die *Schicksals-Eigenschaften* der Bevölkerung beeinflußt und dauerhaft verändert. Lustig sich hier auszumalen, mit welchen Theorien und Untersuchungen die Wissenschaftler dem auf die Spur kommen wollen. Ist das ein Virus, eine Strahlung, was Pheromonisches? Ich denke die Strugatzkis haben hier vielleicht ganz bewußt mit einer religiösen Kathegorie wie »Schicksal« gespielt.

Grüße
alex / molsovsky

Bearbeitet von molosovsky, 22 April 2005 - 19:42.

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#116 Konrad

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Geschrieben 23 April 2005 - 10:00

Und der Roman spielt in Canada. Daher auch mein Unwohlsein mit dem Milieu-Schmu.

Hast du das ernst genommen ? Das Mileu paßt doch so deutlich nicht nach Kanada, daß ich die Ortsbezeichnung als Verschleierung für die Zensur aufgefaßt habe.

Es gibt den Weg, das Phantastische voll ins Zentrum zu stellen und auszuwalzen, und den ehr indirekten Weg des in den Hintergrundrückens des Phantastischen, des fragmentarischen Anreißens und Andeutens......So wie die Strugatzgis es machen beeindruckt mich »Picknick« ungemein, aber der Vordergrund, das Leben in der Stadt und das Milieu von Roderic (und Richard) find ich halt nicht gerade besonders hinreißend geschildert, noch spannend zu lesen.

Die Schilderung ist auch sehr holzschnittartig und ähnelt m.E. eher einer russischen Kleinstadt. Aber sie wirkt fremd auf mich und ich hatte den Eindruck, daß dies von den Autoren beabsichtigt ist. Ich denke, hier deuten die Stugatzkis an, daß sich die Zone schon längst im Milieu der Stadt ausgebreitet hat.

Einmal: Nur Menschen werden als Phantome *wiedererweckt*, und die Selbsttätigkeit abgetrennter Gliedmaßen von Phantomen gemahnt an Zombis und dämonenbesessene Hände (siehe »Evil Dead«). Die Anthropozentrik dabei hat auch Lem übersehen. Es werden nämlich nur Menschen wiedererweckt, keine Tiere.

Ich hatte ja schon genau dies in einen Beitrag aufgezeigt und berichtet, daß ich mit diesem Motiv so meine Schwierigkeiten hatte. Es hebelt so eindeutig den ursprünglichen Deutungsansatz (Picknick) aus, der sich immer sehr auf der Grenzzone des "Realistischen" bewegt hat, daß dies etwas bedeuten muß. Über den verborgenen Sinn bin ich mir noch unschlüssig.

Dann: Für mich die vielleicht großartigste Einzelidee des ganzen Buches, viel interessanter als die goldene Kugel: Die Geschichte vom Friseur (S. 139), die Pillman erzählt. Die von einer Zone weggezogenen Menschen verändern die statistische *Normalität* der Todesrate ihres neuen sozialen Umfeldes (Unglück, Unfälle)......Ich denke die Strugatzkis haben hier vielleicht ganz bewußt mit einer religiösen Kathegorie wie »Schicksal« gespielt.

Das halte ich für eine plausible Erklärung. Ich merke, daß du auch inzwischen von dem Fieber angesteckt bist, den brodelnden Assoziationen nachzuspüren, die der Roman weckt. :rolleyes: Gruß, Konrad

#117 Pogopuschel

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Geschrieben 23 April 2005 - 13:22

So, ich bin jetzt durch mit dem "Picknick am Wegesrand. Ich muß sagen, dass mich der Roman nicht so richtig beeindruckt hat. Er war nicht schlecht, aber auch nicht großartig. Postiiv überrascht hat mich der einfache und umgangssprachliche Stil der beiden Russen. Da bin ich von russischen Autoren sonst anderes gewohnt. Auch die Idee mit dem Picknick finde ich klasse. Insgesamt finde ich den Roman aber zu geschwätzig. Vor allem die ersten beiden Teile. Der dritte Teil hat mir durch die Theorien des Dr. Pillmann gut gefallen, und der Vierte durch den ausführlich beschriebenen Besuch in der Zone. Das ganze Schmugglergetue fand ich eher langweilig.Insgesamt bekommt der Roman von mir 7 von 10 Punkten.Gruß Markus

#118 Konrad

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Geschrieben 24 April 2005 - 12:49

Da stellt man sich doch die Frage, wofür steht in diesem Roman die Zone ?

Gute Frage. Ich würde sagen, nach all dem, was wir schon über die Entwicklung Schucharts geschrieben haben, kann die Zone eigentlich nur der Alltag in der "Sozialistischen Utopie" sein, der den Protagonisten nach und nach korrumpiert und schließlich bricht. So gesehen steckt in dem Roman sehr viel Systemkritik, die allerdings auch beim zweiten Hinsehen nicht offenbar wird.

Wenn man die Besessenheit von Schuchart sieht, das Glück mit immer mächtigeren Objekten der Zone zu erzwingen, hatte ich zunächst den Eindruck, es müsse bei der Zone um eine Metapher für den Materialismus im Sowjetischen System gehen. Jetzt ist mir aber der Gedanke gekommen, die Zone könnte auch für den westlichen Kapitalismus stehen. Unter dieser Betrachtung bekommt das Buch noch eine andere Perspektive. Gruß, Konrad

#119 Gast_Jorge_*

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Geschrieben 24 April 2005 - 17:47

Jetzt ist mir aber der Gedanke gekommen, die Zone könnte auch für den westlichen Kapitalismus stehen. Unter dieser Betrachtung bekommt das Buch noch eine andere Perspektive.

Und ob! Die Strugatzkis haben nämlich in diesem Roman ganz eindeutig das Deutschland der Wiedervereinigung beschrieben. Wie im Buch ist auch hier durch ein nicht näher geklärtes Phänomen eine "Zone" entstanden, in der die normalen Naturgesetze nicht mehr gelten: Milliardenbeträge verschwinden spurlos, im Westen tote Politiker erwachen in der Zone zu neuem Leben, schmierige Geschäftsleute und anderes lichtscheues Gesindel bereichern sich schamlos, es herrscht Hoffnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Ratlosigkeit; Zeiten, die man nur noch im Suff ertragen kann... :D Mehr und mehr wird mir die visionäre Kraft und das Vorstellungsvermögen der Gebrüder Strugatzki bewußt :D P.S.: Dies ist eine Satire!

#120 Konrad

Konrad

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Geschrieben 24 April 2005 - 22:20

...es herrscht Hoffnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Ratlosigkeit; Zeiten, die man nur noch im Suff ertragen kann... :) 

Aber glücklicherweise gibt es ja die goldene Kugel Harz_4... ;) PS: Nichts ist leichter, als die Interpretationsversuche einer zweiten Bedeutungsebene als Hirngespinste zu verspotten. Andererseits, was würde man heutzutage zu jemand sagen, der z.B. den Zauberberg nur als Beschreibung eines Lungensanatoriums liest ? Gelle ? :devil:

Bearbeitet von Konrad, 25 April 2005 - 11:24.



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