Interessante Theorie, könnte einiges erklären... Warum eigentlich soll das letzte Kapitel um die Suche nach der Kugel ein Märchen sein und keine SF? Nur weil sie (vermutlich) die Realität im Sinne eines vor ihr stehenden zu verändern mag, allerdings nicht so wie dieser es meint zu wollen, sondern wirklich tief in seinem Unterbewußtsein. So etwas ähnliches gibt es nämlich auch in Crichtons "Die Gedanken des Bösen", wo eine seltsame Kugel(deren Herkunft, Zweck und Entstehung rätselhaft bleibt) den Protagonisten die Fähigkeit verleiht, die Realität umzugestalten(Tiere aus einem Roman tauchen um die Tiefseestation auf, das Innere der Station und des "Raumschiffs" verändern sich -u.a."Besatzungsmitglieder" erscheinen-). Angesichts der Fähigkeiten der Kugel stellt sich hier eine ähnliche Frage: Ist vielleicht das "Raumschiff"(das von einer Erde der Zukunft stammen soll) auch auf die Weise entstanden, indem sich jemand dieses "ausgedacht" hat und nur die (vermutlich) außerirdische Kugel real?Da mag ich übrigens gleich noch eine Theorie formulieren, die mir beim zweiten mal lesen durch den Kopf schoss und die allerdings in keiner Weise vom Buch gestützt wird: Was ist denn, wenn die Kugel eigentlich das einzige außerirdische Artefakt wäre? Wenn also lediglich ein einziger Gegenstand zur Erde geschickt würde, einer der Wünsche erfüllt? Eine Kugel durchs All zu schicken wäre jedenfalls nicht so wirklich komliziert und der geneigte Perry-Rhodan-Leser wird mir zustimmen, das die Kugelform die optimale für Weltraumreisen ist. Das ganze andere Brimborium ist erst durch die krausen Gedanken und Wünsche der Menschen entstanden. Es gibt halt genug Einfaltspinsel, die sich irgend einen krausen undefinierten Kram zusammendenken, und das hat die Kugel dann leider wahr gemacht. Das würde auch erklären, warum im Laufe der Geschichte immer mehr komische Gegenstände auftauchen. Und auch die Zombies wären damit abgehakt. Nur mal so ein Gedanke ...
Arkadi & Boris Strugatzki: Picknick am Wegesrand
#91 Gast_Jorge_*
Geschrieben 11 April 2005 - 17:01
#92
Geschrieben 11 April 2005 - 20:41
Hm, stimmt: An Crichtons Roman habe ich gar nicht mehr gedacht, obwohl ich den sehr gut finde. Vergessen wir das wieder; klingt zu sehr nach geklaut.
Obwohl: Vielleicht hat Herr Crichton ja von den Strugatzkis ein klein wenig abgekupfert?
Bis dennen,
Henrik
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#93
Geschrieben 12 April 2005 - 10:35
Kleine Frage nebenbei: wann fängt eigentlich Realitätsveränderung an? Bereits dann, wenn Objekte oder Personen aus Gedanken erschaffen werden? Oder erst wenn sich ganze, kausal verknüpfte Ereignisketten verändern, beispielsweise die Historie und alle daran gebundene Erinnerungen? Ersteres machen wir ja - in etwas bescheidenerem Maß - ebenfalls schon, wenn wie mit Hilfe unserer instrumentalen Technik, Dinge konstruieren und bauen, Häuser, Brücken, Autos. Diese Dinge entstehen letztendlich auch aus Vorstellungen, die die Realität vorwegnehmen. Aber warum sich mit Kleinkram abgeben? Wenn die Kugel tatsächlich so omnipotent ist und nicht nur Dinge, sondern Realität erschafft, könnte sie buchstäblich alles erschaffen haben, nicht nur die Zone, sondern auch die Welt in der wir Leben und uns selbst gleich mit. Sogar die Vorstellung von der Kugel selbst. Ich fürchte wenn wir diesen Gedanken konsequent zu Ende denken, führt er uns früher oder später in einen unendlichen Regress, in der sich Realität und Fiktion untrennbar miteinander vermischen. Das war ein Punkt der mir bei "Sphere" nicht so einleuchten wollte, wo hört die Realität auf und wo fängt die Phantasie an, kann man überhaupt eine Trennlinie ziehen, wenn buchstäblich alles ein Produkt der Phantasie sein könnte. Löst sich unsere Realitätsauffassung damit nichtvollständig auf? Woher wußten die Wisschenschaftler, dass Sie dem Horror entkommen sind? Vielleicht befanden sich immer noch in der Kugel, vielleicht gab es überhaupt keine Kugel? Diese Überlegungen kann man endlos weiterspinnen führen aber letztendlich ins Nirwana. Was nicht heißen sollen, dass es sehr spannend und irritierend sein kann eine fortschreitende Realitätsauflösung zu beschreiben, wie man bei P.K.Dick's UBIK sehen kann. Ich bezweifle aber, dass die Strugatzkis die Absicht hatten solche Assoziationen zu wecken oder sie zur Grundlage ihrer Romankonzeption zu machen, sonst hätten sie deutlichere Hinweise einstreuen müssen. Ein wenig muss der Autor seinen Lesern schon die Richtung vorgeben, wie zum Beispiel mit der Picknick-Theorie. TrurlWarum eigentlich soll das letzte Kapitel um die Suche nach der Kugel ein Märchen sein und keine SF? Nur weil sie (vermutlich) die Realität im Sinne eines vor ihr stehenden zu verändern mag, allerdings nicht so wie dieser es meint zu wollen, sondern wirklich tief in seinem Unterbewußtsein. So etwas ähnliches gibt es nämlich auch in Crichtons "Die Gedanken des Bösen", wo eine seltsame Kugel(deren Herkunft, Zweck und Entstehung rätselhaft bleibt) den Protagonisten die Fähigkeit verleiht, die Realität umzugestalten
Bearbeitet von Trurl, 12 April 2005 - 10:37.
Wie die Welt noch einmal davonkam, aus Stanislaw Lem Kyberiade
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#94 Gast_Jorge_*
Geschrieben 12 April 2005 - 20:11
Auf den Gedanken könnte man leicht kommen: Vage noch bei "Die Gedanken des Bösen", etwas konkreter bei "Jurassic Park"(man denke nur an Silverbergs 1980er Story "Unsere liebe Frau von den Sauriern"(Our Lady of the Sauropods) - Dinosaurierarten werden mittels fossiler DNS rekonstruiert und mit Hilfe von Wirtseiern wieder ins Leben befördert und auf "Dino Island" ausgesetzt; allerdings einer Insel im Weltraum), noch konkreter bei "Beute"("Unbesiegbarer, ick hör dir trapsen" -Was hat Lem eigentlich zu dem Crichtonroman gesagt ?). Auch andere hatten schon den Gedanken: "Die "Idee" des Leinwandspektakels(Anmerkung: gemeint ist "Jurassic Park") ist -wie nahezu alle utopischen Filmstoffe Michael Crichtons- schamlos geklaut(in diesem Fall bei Harry Harrison)." aus: Ronald M. Hahn/Volker Jansen "Lexikon des SF-Films" Drücken wir es mal so aus: Die Science Fiction(Buch, Film etc.) ist ein großer Steinbruch, in dem sich jeder nach Herzenslust bedienen kann, der nach Baumaterial für eine Romanwelt sucht Bin etwas zu sehr OT geworden, also zurück zum eigentlichen Thema.Hm, stimmt: An Crichtons Roman habe ich gar nicht mehr gedacht, obwohl ich den sehr gut finde. Vergessen wir das wieder; klingt zu sehr nach geklaut. Obwohl: Vielleicht hat Herr Crichton ja von den Strugatzkis ein klein wenig abgekupfert?
Bearbeitet von Jorge, 12 April 2005 - 20:12.
#95
Geschrieben 14 April 2005 - 10:08
Die Wandlung Schucharts geschieht allerdings nicht plötzlich, sondern das ganzen Buch hindurch. Er wirft ein Ideal nach dem anderen über Bord. Man darf nicht vergessen, am Ende des 2. Kapitels verkauft er die Sülze an illegale Händler, was er im 1.Kapitel auch nicht getan hätte. Würde mich nicht wundern, wenn es diese Sülze war, die den Unfall in diesem Waffen-Laboratorium verursacht hat. Es klebt also schon vorher Blut an seinen Händen. Gruß, KonradRoderic ist seelisch am Ende, er ist jetzt sogar bereit einen Mord zu begehen. Soetwas wäre ihm früher nie im Traum eingefallen, wo er sogar den Aasgeier, den er selber für einen Mörder hielt, ohne mit der Wimper zu zucken rettet, weil er einfach nicht anders kann. Diese Verwandlung wird im Schlusskapitel menschlich absolut glaubhaft geschildert.
#96
Geschrieben 14 April 2005 - 11:31
Das war bestimmt so. Aber tat dies auch, um seine Frau zu versorgen. Interessant: Diese schlechende Entwicklung, diese Korumpierung war mir bisher nicht so bewusst.Würde mich nicht wundern, wenn es diese Sülze war, die den Unfall in diesem Waffen-Laboratorium verursacht hat. Es klebt also schon vorher Blut an seinen Händen. Gruß, Konrad
#97
Geschrieben 15 April 2005 - 19:09
Bearbeitet von Konrad, 16 April 2005 - 10:38.
#98
Geschrieben 15 April 2005 - 22:31
#99
Geschrieben 16 April 2005 - 11:07
Bearbeitet von Konrad, 16 April 2005 - 13:20.
#100
Geschrieben 20 April 2005 - 10:43
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#101
Geschrieben 20 April 2005 - 12:57
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#102
Geschrieben 21 April 2005 - 06:59
Überlicht und Beamen wird von Elfen verhindert.
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#103
Geschrieben 21 April 2005 - 08:43
Das war auch meine Überlegung, die mich zu dieser Interpretationsvariante geführt hat. Der Auslöser dazu war dieser banale Fürsorgewunsch am Ende, der mich irgendwie an die Naivität gewisser Parteiprogramme erinnert hat. Wenn man über den verborgenen Sinn von "Picknick am Wegesrand" nachdenkt, merkt man in kürzester Zeit, daß es unter der Oberfläche von Assoziationen geradezu brodelt. Ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis von "Picknick" ist wohl die menschliche Entwicklung von Schuchart. Je besser er seine Bewegungen in der Zone beherrscht, desto schlechter scheint er mit dem Leben zurecht zu kommen und desto unglücklicher wird er. Auffallend ist ebenfalls die sich steigernde Besessenheit, sein Glück durch immer mächtigere Objekte der Zone zu beschwören. Gleichzeitig gibt er immer mehr seiner Ideale preis und empfindet sich schließlich als "Tier". Da stellt man sich doch die Frage, wofür steht in diesem Roman die Zone ? Gruß, Konrad Edit:SchreibfehlerDie Goldene Kugel mystifiziert den Zukunftsglauben der sozialistischen Utopie und enttarnt ihn zugleich. Distupien sind ja hier eine sehr seltene Ausnahme, zumindest was das veröffentlichte Spektrum anbelangt. Vielleicht musste das Schlusskapitel geschrieben werden und vielleicht wehrten sich die Autoren gegen das optimistische Ende in dem sie es derartig böse darbieten. Mit dem Opfer. Mit der moralischen Zerstörung ihrer Hauptfigur. Brachte die sowjetische Gesellschaft auf dem Weg in die schöne Zukunft nicht ebensolche Opfer? Wurden nicht Millionen umgebracht, um den Weg ins Licht freizuräumen?
Bearbeitet von Konrad, 21 April 2005 - 14:26.
#104
Geschrieben 21 April 2005 - 08:58
Überlicht und Beamen wird von Elfen verhindert.
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#105
Geschrieben 21 April 2005 - 09:18
Kann ich nicht ganz nachvollziehen. Ich glaube eher, daß in der "mystischen" Anrufung der sozialistische "Mythos" entzaubert wird. Da wird die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf den Punkt gebracht. Schuchart beteuert, daß er seine Seele niemanden verkauft hat und nichts Schlechtes wollte, und gleichzeitig verhindert sein eigenes Gewissen, daß er seinen eigenen Wunsch formulieren kann. Wenn das keine Aussage ist.Vielmehr scheint er zum Ende hin vergöttlicht. Als ob er transzendiert.
Bearbeitet von Konrad, 21 April 2005 - 09:58.
#106
Geschrieben 21 April 2005 - 10:03
Gute Frage. Ich würde sagen, nach all dem, was wir schon über die Entwicklung Schucharts geschrieben haben, kann die Zone eigentlich nur der Alltag in der "Sozialistischen Utopie" sein, der den Protagonisten nach und nach korrumpiert und schließlich bricht. So gesehen steckt in dem Roman sehr viel Systemkritik, die allerdings auch beim zweiten Hinsehen nicht offenbar wird. Wenn ich mir "Schnecke am Hang" ansehe, dann findet man einige Paralellen. In diesem Roman kämpft ein Protagonist mit Bürokraten und Menschen werden zu Zombies (= Systemkonforme Mitläufer?). Vielleicht aber interpretieren wir zu viel in die Romane hinein.Da stellt man sich doch die Frage, wofür steht in diesem Roman die Zone ?
#107
Geschrieben 21 April 2005 - 14:35
Kann ich mir nicht vorstellen. Die Märchenmotive laden doch geradezu dazu ein. Irgendwie habe ich nur den Eindruck, daß die Diskussionsbeteiligung doch stark nachläßt, wenn es mal nicht um die Farbe eines Waffenlasers geht. Oder irre ich mich da ?Vielleicht aber interpretieren wir zu viel in die Romane hinein.
#108
Geschrieben 21 April 2005 - 15:21
#109
Geschrieben 21 April 2005 - 15:42
Keine Bange. Ich lese aufmerksam und interessiert mit, hatte aber bisher nicht viel zur weiteren Diskussion beizutragen. Zum Thema „Märchen“ und „Kommunismus“ werde ich nachher - wenn ich zu Hause bin und mich vom Joggen wieder erholt habe - noch etwas schreiben.
Bis dennen,
Henrik
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#110
Geschrieben 21 April 2005 - 20:15
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#111
Geschrieben 21 April 2005 - 21:23
der Herzklabaster nach dem Laufen ist überstanden und die Hände zittern auch nicht mehr so, das sich noch etwas schreiben kann. Also:
Zum Thema „Märchen“ habe ich ja vorher bereits einiges geschrieben. Ja, ok, man kann das Ganze als Märchen sehen. Gebe ich zu. Aber genau so gut, kann man dann einen Großteil der SF in die Märchenecke schieben. Behaupte ich einfach mal. Wobei rein gefühlsmäßig das Picknick irgendwie nicht so recht in die Märchenecke passen will. Dazu gibt es doch noch zu viele fundierte Bezüge zur Realität, als dass es für mich als Märchen durchgehen könnte. Wie zum Beispiel der dritte Teil, der von beruhigend weltlichen Verstrickungen handelt.
Egal: Mir geht es eher darum, dass ich nicht glaube beim Picknick eine versteckte Kritik am sozialistischen System gelesen zu haben. Die Hinweise wären für mich ein wenig zu gut versteckt. Und ein ganz klein wenig muss dann doch die Kritik durchschimmern um als solche wahrgenommen zu werden. Klar, es ist natürlich ganz einfach einem Autoren - oder hier einem Duo - eine entsprechende Intention anzudichten, wenn er denn aus einem entsprechenden politischen Umfeld kommt. Viele Geschichten sind ja auch entsprechend gestrickt. Aber hier glaube ich da einfach nicht dran. Vor allem ist die Interpretation bei etwas abstand dann doch etwas gewagt. Oder anders herum: Mit entsprechender Mühe kann man eigentlich jede Geschichte entsprechend interpretieren; sogar „Hänsel und Gretel“.
@molosovsky:
Naja, soviel bleibt von dem Roman ja auch gar nicht mehr übrig, wenn Du die Ausflüge in die Zone wegnimmst. Nebenbei bemerkt sind es übrigens drei. Und ich bleibe dabei: Gerade das dritte Kapitel, in dem in der Kneipe über Sinn und Zweck der Zone gefachsimpelt und so ganz nebenbei der Titel des Buches erklärt wird, ist für mich genau so wichtig wie die „Action“-Teile (wenn mir der Ausdruck erlaubt ist).Die beiden Ausflüge in die Zone sind sicherlich der Nektar des Romans, der Rest †¦ tja, da komm ich zu meinem gemischten Eindruck. ...
Bis dennen,
Henrik
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#112
Geschrieben 22 April 2005 - 07:52
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#113
Geschrieben 22 April 2005 - 07:58
#114
Geschrieben 22 April 2005 - 10:06
Gehe ich recht in der Annahme, daß du hier etwas hart mit den armen Strugatzkis umspringst. Ich kann mir gut vorstellen, daß das sovietische Milieu tatsächlich so öde war. Ansonsten trifft diese Schilderung genau die Gemütsverfassung Schucharts, was m.E. wohlkalkuliert ist. Was die Namensgebung angeht, erinnert mich diese tatsächlich ein bißchen an die Dreigroschenoper. Gruß, KonradJedoch: als Roman für mich ungewöhnlich fad. Zwei Kapitel lang gibts den Star des Buches nur als nebenbei Erwähntes. Statt dessen les ich eine wenig orginelle Schmuggler- und Schluri-Einlage. Damals mag vielleicht die offen ausgebreitete Sauferei noch chick gewesen sein, oder anklagent gewirkt haben, als heutiger Leser find ich das Gro der Milieu-Schilderungen nur flach und öd. Allein die Namen: Knochenbrecher, der Heisere †¦ spielt da Eddie Constantine mit?
#115
Geschrieben 22 April 2005 - 19:36
@Konrad:
Du hast geschrieben:
Und der Roman spielt in Canada. Daher auch mein Unwohlsein mit dem Milieu-Schmu.Ich kann mir gut vorstellen, daß das sov{j}ietische Milieu tatsächlich so öde war.
Im Grunde habe ich halt folgende Abwägung hinter mir: Es gibt den Weg, das Phantastische voll ins Zentrum zu stellen und auszuwalzen, und den ehr indirekten Weg des in den Hintergrundrückens des Phantastischen, des fragmentarischen Anreißens und Andeutens. »Picknick« geht (in meiner Lesung) überwiegend den zweiteren, diskreteren Weg. Das ist eine feine Methode die viel Können abverlangt und bei der man das Vertrauen haben muß, daß »die Leser« sich darauf einlassen und klug genug dafür sind. (Obwohl, ich habe zweimal hin- und herblättern müssen, um mich zu vergewissern, daß die Tochter von Roderic ganzkörperbehaart ist wie ein Freak aus einer Zirkusshow).
So wie die Strugatzgis es machen beeindruckt mich »Picknick« ungemein, aber der Vordergrund, das Leben in der Stadt und das Milieu von Roderic (und Richard) find ich halt nicht gerade besonders hinreißend geschildert, noch spannend zu lesen. Vergleich das mal mit »Letzte Ausfahrt Brooklyn« oder auch moderne Milieu-Fiktionen wie »Trainspotting« (sowie die z.T. bereits genannten Herren Bukowski, Serner, Burroughs, Orwell und Co) und ähnlich gelagerten Werken. In dieser Beziehung hat »Picknick« meiner Meinung nach kaum noch die Berechtigung als Klassiker zu gelten; aber voll und ganz eben als Blick auf das Ganz Andere.
Nun noch ein paar Worte zum Nachwort von Lem (nebenbei: von dem hab ich mir als Teen glaub ich einen Gutteil meines »Besserwisser«-Stils angelesen, den ich heute nicht mehr ganz loswerde †¦Â naja, pfeiff ich auch drauf:-)
Vollkommen berechtigt und erfrischend Lems Vergleich der SF mit der Theologie, wenn es um das Beschreiben von etwas geht, das »prinzipiell alle unendlichen Eigenschaften« hat - wenn man annimmt, daß das Potential der SF eben ziemlich gewaltig bis unendlich sei.
Ein wichtiger Aspekt aller Phantastik ist das Sprechen vom Wundersamen, dem Ganz Anderen, dem Verborgenen. SF tut dies per Definition (in der Art eines Verne, Wells) in den Parametern der modernen Wissenschaft. Was Lem dabei (wie so oft in seinen Sachtexten) unterschlägt ist die unbequeme Tatsache, daß schon die den Wissenschaften zugrundeliegende Abbildungskunst der Mathematik ihre eigenen Paradoxien und Unklarheiten hat. »Undendlichkeit« ist so ein Begriff, der auch hier sein Chaos verbreitet (Pi, Primzahlen). Er soll also mal nicht so oberobjektiv tun, der Meister.
Was mir noch aufgefallen ist:
Einmal: Nur Menschen werden als Phantome *wiedererweckt*, und die Selbsttätigkeit abgetrennter Gliedmaßen von Phantomen gemahnt an Zombis und dämonenbesessene Hände (siehe »Evil Dead«). Die Anthropozentrik dabei hat auch Lem übersehen. Es werden nämlich nur Menschen wiedererweckt, keine Tiere. Deren Abwesentheit wird sogar besonders erwähnt. Insofern kann man »Picknick« vielleicht sogar als Grotesque auf die Vertreibung aus dem paradisischen Garten lesen. Auf jeden Fall ist die strugatzgische Zone das bisher beste Gegenteil vom Garten Eden, das mir untergekommen ist †¦ in klassischer Denktradition der Vormoderne. In der Moderne gedacht, kenne ich dazu nichts Atemberaubenderes, als den Blick auf die Narbe in »Leviathan/Die Narbe« (»The Scar«) von China Miéville.
Dann: Für mich die vielleicht großartigste Einzelidee des ganzen Buches, viel interessanter als die goldene Kugel: Die Geschichte vom Friseur (S. 139), die Pillman erzählt. Die von einer Zone weggezogenen Menschen verändern die statistische *Normalität* der Todesrate ihres neuen sozialen Umfeldes (Unglück, Unfälle). Das wäre nur in einem modadologischeren Weltbild als dem unsrig-klassischen verständlich erklärbar. Demnach hat das Erscheinen der Zone die *Schicksals-Eigenschaften* der Bevölkerung beeinflußt und dauerhaft verändert. Lustig sich hier auszumalen, mit welchen Theorien und Untersuchungen die Wissenschaftler dem auf die Spur kommen wollen. Ist das ein Virus, eine Strahlung, was Pheromonisches? Ich denke die Strugatzkis haben hier vielleicht ganz bewußt mit einer religiösen Kathegorie wie »Schicksal« gespielt.
Grüße
alex / molsovsky
Bearbeitet von molosovsky, 22 April 2005 - 19:42.
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#116
Geschrieben 23 April 2005 - 10:00
Hast du das ernst genommen ? Das Mileu paßt doch so deutlich nicht nach Kanada, daß ich die Ortsbezeichnung als Verschleierung für die Zensur aufgefaßt habe.Und der Roman spielt in Canada. Daher auch mein Unwohlsein mit dem Milieu-Schmu.
Die Schilderung ist auch sehr holzschnittartig und ähnelt m.E. eher einer russischen Kleinstadt. Aber sie wirkt fremd auf mich und ich hatte den Eindruck, daß dies von den Autoren beabsichtigt ist. Ich denke, hier deuten die Stugatzkis an, daß sich die Zone schon längst im Milieu der Stadt ausgebreitet hat.Es gibt den Weg, das Phantastische voll ins Zentrum zu stellen und auszuwalzen, und den ehr indirekten Weg des in den Hintergrundrückens des Phantastischen, des fragmentarischen Anreißens und Andeutens......So wie die Strugatzgis es machen beeindruckt mich »Picknick« ungemein, aber der Vordergrund, das Leben in der Stadt und das Milieu von Roderic (und Richard) find ich halt nicht gerade besonders hinreißend geschildert, noch spannend zu lesen.
Ich hatte ja schon genau dies in einen Beitrag aufgezeigt und berichtet, daß ich mit diesem Motiv so meine Schwierigkeiten hatte. Es hebelt so eindeutig den ursprünglichen Deutungsansatz (Picknick) aus, der sich immer sehr auf der Grenzzone des "Realistischen" bewegt hat, daß dies etwas bedeuten muß. Über den verborgenen Sinn bin ich mir noch unschlüssig.Einmal: Nur Menschen werden als Phantome *wiedererweckt*, und die Selbsttätigkeit abgetrennter Gliedmaßen von Phantomen gemahnt an Zombis und dämonenbesessene Hände (siehe »Evil Dead«). Die Anthropozentrik dabei hat auch Lem übersehen. Es werden nämlich nur Menschen wiedererweckt, keine Tiere.
Das halte ich für eine plausible Erklärung. Ich merke, daß du auch inzwischen von dem Fieber angesteckt bist, den brodelnden Assoziationen nachzuspüren, die der Roman weckt. Gruß, KonradDann: Für mich die vielleicht großartigste Einzelidee des ganzen Buches, viel interessanter als die goldene Kugel: Die Geschichte vom Friseur (S. 139), die Pillman erzählt. Die von einer Zone weggezogenen Menschen verändern die statistische *Normalität* der Todesrate ihres neuen sozialen Umfeldes (Unglück, Unfälle)......Ich denke die Strugatzkis haben hier vielleicht ganz bewußt mit einer religiösen Kathegorie wie »Schicksal« gespielt.
#117
Geschrieben 23 April 2005 - 13:22
Mein Blog: http://translateordie.wordpress.com/ Meine Buchbesprechungen: http://lesenswelt.de/
#118
Geschrieben 24 April 2005 - 12:49
Wenn man die Besessenheit von Schuchart sieht, das Glück mit immer mächtigeren Objekten der Zone zu erzwingen, hatte ich zunächst den Eindruck, es müsse bei der Zone um eine Metapher für den Materialismus im Sowjetischen System gehen. Jetzt ist mir aber der Gedanke gekommen, die Zone könnte auch für den westlichen Kapitalismus stehen. Unter dieser Betrachtung bekommt das Buch noch eine andere Perspektive. Gruß, KonradGute Frage. Ich würde sagen, nach all dem, was wir schon über die Entwicklung Schucharts geschrieben haben, kann die Zone eigentlich nur der Alltag in der "Sozialistischen Utopie" sein, der den Protagonisten nach und nach korrumpiert und schließlich bricht. So gesehen steckt in dem Roman sehr viel Systemkritik, die allerdings auch beim zweiten Hinsehen nicht offenbar wird.Da stellt man sich doch die Frage, wofür steht in diesem Roman die Zone ?
#119 Gast_Jorge_*
Geschrieben 24 April 2005 - 17:47
Und ob! Die Strugatzkis haben nämlich in diesem Roman ganz eindeutig das Deutschland der Wiedervereinigung beschrieben. Wie im Buch ist auch hier durch ein nicht näher geklärtes Phänomen eine "Zone" entstanden, in der die normalen Naturgesetze nicht mehr gelten: Milliardenbeträge verschwinden spurlos, im Westen tote Politiker erwachen in der Zone zu neuem Leben, schmierige Geschäftsleute und anderes lichtscheues Gesindel bereichern sich schamlos, es herrscht Hoffnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Ratlosigkeit; Zeiten, die man nur noch im Suff ertragen kann... Mehr und mehr wird mir die visionäre Kraft und das Vorstellungsvermögen der Gebrüder Strugatzki bewußt P.S.: Dies ist eine Satire!Jetzt ist mir aber der Gedanke gekommen, die Zone könnte auch für den westlichen Kapitalismus stehen. Unter dieser Betrachtung bekommt das Buch noch eine andere Perspektive.
#120
Geschrieben 24 April 2005 - 22:20
Aber glücklicherweise gibt es ja die goldene Kugel Harz_4... PS: Nichts ist leichter, als die Interpretationsversuche einer zweiten Bedeutungsebene als Hirngespinste zu verspotten. Andererseits, was würde man heutzutage zu jemand sagen, der z.B. den Zauberberg nur als Beschreibung eines Lungensanatoriums liest ? Gelle ?...es herrscht Hoffnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Ratlosigkeit; Zeiten, die man nur noch im Suff ertragen kann...
Bearbeitet von Konrad, 25 April 2005 - 11:24.
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