Hallo.
@Konrad:
Du hast geschrieben:
Zitat
Ich kann mir gut vorstellen, daß das sov{j}ietische Milieu tatsächlich so öde war.
Und der Roman spielt in Canada. Daher auch mein Unwohlsein mit dem Milieu-Schmu.
Im Grunde habe ich halt folgende Abwägung hinter mir: Es gibt den Weg, das Phantastische voll ins Zentrum zu stellen und auszuwalzen, und den ehr indirekten Weg des in den Hintergrundrückens des Phantastischen, des fragmentarischen Anreißens und Andeutens. »Picknick« geht (in meiner Lesung) überwiegend den zweiteren, diskreteren Weg. Das ist eine feine Methode die viel Können abverlangt und bei der man das Vertrauen haben muß, daß »die Leser« sich darauf einlassen und klug genug dafür sind. (Obwohl, ich habe zweimal hin- und herblättern müssen, um mich zu vergewissern, daß die Tochter von Roderic ganzkörperbehaart ist wie ein Freak aus einer Zirkusshow).
So wie die Strugatzgis es machen beeindruckt mich »Picknick« ungemein, aber der Vordergrund, das Leben in der Stadt und das Milieu von Roderic (und Richard) find ich halt nicht gerade besonders hinreißend geschildert, noch spannend zu lesen. Vergleich das mal mit »Letzte Ausfahrt Brooklyn« oder auch moderne Milieu-Fiktionen wie »Trainspotting« (sowie die z.T. bereits genannten Herren Bukowski, Serner, Burroughs, Orwell und Co) und ähnlich gelagerten Werken. In dieser Beziehung hat »Picknick« meiner Meinung nach kaum noch die Berechtigung als Klassiker zu gelten; aber voll und ganz eben als Blick auf das Ganz Andere.
Nun noch ein paar Worte zum
Nachwort von Lem (nebenbei: von dem hab ich mir als Teen glaub ich einen Gutteil meines »Besserwisser«-Stils angelesen, den ich heute nicht mehr ganz loswerde †¦Â naja, pfeiff ich auch drauf:-)
Vollkommen berechtigt und erfrischend Lems Vergleich der SF mit der Theologie, wenn es um das Beschreiben von etwas geht, das
»prinzipiell alle unendlichen Eigenschaften« hat - wenn man annimmt, daß das Potential der SF eben ziemlich gewaltig bis unendlich sei.
Ein wichtiger Aspekt aller Phantastik ist das Sprechen vom Wundersamen, dem Ganz Anderen, dem Verborgenen. SF tut dies per Definition (in der Art eines Verne, Wells) in den Parametern der modernen Wissenschaft. Was Lem dabei (wie so oft in seinen Sachtexten) unterschlägt ist die unbequeme Tatsache, daß schon die den Wissenschaften zugrundeliegende Abbildungskunst der Mathematik ihre eigenen Paradoxien und Unklarheiten hat. »Undendlichkeit« ist so ein Begriff, der auch hier sein Chaos verbreitet (Pi, Primzahlen). Er soll also mal nicht so oberobjektiv tun, der Meister.
Was mir noch aufgefallen ist:
Einmal: Nur Menschen werden als Phantome *wiedererweckt*, und die Selbsttätigkeit abgetrennter Gliedmaßen von Phantomen gemahnt an Zombis und dämonenbesessene Hände (siehe »Evil Dead«). Die Anthropozentrik dabei hat auch Lem übersehen. Es werden nämlich nur Menschen wiedererweckt, keine Tiere. Deren Abwesentheit wird sogar besonders erwähnt. Insofern kann man »Picknick« vielleicht sogar als Grotesque auf die Vertreibung aus dem paradisischen Garten lesen. Auf jeden Fall ist die strugatzgische Zone das bisher beste Gegenteil vom Garten Eden, das mir untergekommen ist †¦ in klassischer Denktradition der Vormoderne. In der Moderne gedacht, kenne ich dazu nichts Atemberaubenderes, als den Blick auf die Narbe in »Leviathan/Die Narbe« (»The Scar«) von China Miéville.
Dann: Für mich die vielleicht großartigste Einzelidee des ganzen Buches, viel interessanter als die goldene Kugel: Die Geschichte vom Friseur (S. 139), die Pillman erzählt. Die von einer Zone weggezogenen Menschen verändern die statistische *Normalität* der Todesrate ihres neuen sozialen Umfeldes (Unglück, Unfälle). Das wäre nur in einem modadologischeren Weltbild als dem unsrig-klassischen verständlich erklärbar. Demnach hat das Erscheinen der Zone die *Schicksals-Eigenschaften* der Bevölkerung beeinflußt und dauerhaft verändert. Lustig sich hier auszumalen, mit welchen Theorien und Untersuchungen die Wissenschaftler dem auf die Spur kommen wollen. Ist das ein Virus, eine Strahlung, was Pheromonisches? Ich denke die Strugatzkis haben hier vielleicht ganz bewußt mit einer religiösen Kathegorie wie »Schicksal« gespielt.
Grüße
alex / molsovsky
Bearbeitet von molosovsky, 22 April 2005 - 19:42.