Geschrieben 17 April 2005 - 15:34
Haydeé TebelinDie Aufzugstüren öffneten sich und ich betrat das Ketzerdock. Derzeit war das Dock, das für ein Geschwader von zwanzig Jägern eingerichtet war so gut wie leer. Nur fünf Schiffe standen auf ihren Stellplätzen und wurden von der Wartungscrew bewaffnet und betankt. Es waren die Ersten. Die Prototypen.Ich ging zu meinen Ketzer und bewunderte seine klare und gerade Form. Kein Cockpit unterbrach die Linienführung. Mit seinen zwei Metern Höhe war er sehr schlank und bot eine geringe Trefferfläche. Zwei große Flügel an Heck und Bug erlaubten Atmosphäreneinsätze. Vier Triebwerke die sowohl zum Bug als auch zum Heck feuern konnten sorgten für eine maximale Beweglichkeit im Raum.„Guardian“, sprach mich einer der Techniker an – die Normalos kannten die Namen von uns Übermenschen nicht.„Ja?“, gab ich zurück.„Ich habe mir gerade Ihre Waffenliste durchgesehen. Sie wollen wirklich vier Atomlaser?“„Ja.“„Ich frage auch nur weil das eine ungewöhnlich schwere Bewaffnung ist.“ An seiner Körpersprache konnte ich deutlich erkennen wie unwohl er sich fühlte. „Wenn Sie stattdessen zwei Atomlaser und zwei Pulser nehmen...“„Stellen Sie etwa die Entscheidung einer Guardian in Frage?“, fuhr ich ihm über den Mund. Es tat mir sofort leid, aber es musste sein.„Nein, natürlich nicht.“„Gut. Wann werden die Jäger abflugbereit sein?“„In etwa einer viertel Stunde.“„Sehr gut. Ich bin im Besprechungsraum“, sagte ich und ließ ihn stehen.Der Besprechungsraum war genauso wie das Dock für mein kleines Geschwader überdimensioniert. „Haydeé!“, grüßte mich Inwabudike und nahm mich in die Arme als hätte er mich seit Jahren nicht mehr gesehen. Dafür erntete ich einen bösen Blick von Liu Tschi-Jan, seiner Lebensgefährtin. Ich grüßte sie und die anderen beiden Mitglieder meines Geschwaders, Maria und Sacajewa, mit einem Kopfnicken, denn der große Schwarzafrikaner wollte mich einfach nicht loslassen. Manche hielten es für eine Schwäche, dass ich mich mit Normalos gemein machte – selbst wenn es Ehemalige waren. Aber sie wussten nichts von dem Einheitsgefühl, das in einem Ketzergeschwader vorherrschte. Wie sollten sie auch, kannten sie doch die Schmerzen nicht die wir alle erdulden mussten und an die wir uns jede einzelne Nacht erinnerten. Nur ein zehntel von uns hatte die Operation ohne bleibenden Schaden überlebt.„Jetzt da wir alle hochoffiziell Übermenschen sind“, fuhr Inwabudike fort als er mich endlich los ließ, „kannst du uns sicher sagen wann wir diese coolen Tattoos kriegen.“ Dabei deutete er auf den Adler, der meine Stirn seit meinem neunten Lebensjahr zierte.„Niemals“, lächelte ich ihn an. „Ihr seit keine Guardians. Aber ich bin sicher das Oberkommando wird sich welche für uns Ketzer ausdenken.“„Sollten sie dich irgendwann einmal nach deiner Meinung fragen“, meinte der einzige Mann in meinem Geschwader, „sag ihnen ich währe für eine Supernova an der Schulter.“„Typisch Mann“, meinte Maria und schob Inwabudike zur Seite. „Hast du schon etwas Neues gehört?“ Ich wusste was sie meinte. Ihr kleiner Bruder arbeitete auf der Janina, einem Großfrachter der Atlas-Klasse. Genauer gesagt hatte er dort gearbeitet, denn der Frachter flog vor einer Woche, kurz vor dem Orbitaleintritt von Alpha in tausend Fetzen. Es gab keine Überlebenden. Das Wrack riss, wenn auch eher zufällig, ein Orbitaldock mit in die Vernichtung. So starben mit der fünfköpfigen Frachterbesatzung auch noch die über tausend Arbeiter auf dem Dock. Es war ein schwerer Schlag gegen die groß-terranische Industrie.Ich kannte Maria mittlerweile gut genug um zu wissen, dass sie ihren Schmerz mit Zorn kompensierte. Zorn gegen diejenigen, die ihr das angetan hatten.„Bis jetzt ist noch kein Bekennerschreiben eingegangen also waren es wahrscheinlich Thoraner.“„Diese verdammten Primitiven“, mischte sich Inwabudike wieder ein. „Wir versuchen die Menschheit zu retten und sie sabotieren uns immer wieder. Neulich habe ich ein Flugblatt gefunden das glatt behauptete der Feind existiere nicht. Die Übermenschen hätten ihn erfunden um ihre Kontrolle über die Menschen zu bewahren.“„Ich wünschte wir würden nach Thor fliegen“, murmelte Maria.„Vergesst es“, gemahnte ich die Beiden, „und jetzt setzt euch. Ich habe zwei Nachrichten. Die Gute ist, wir bekommen in einem halben Jahr sechs neue Piloten.“„Tatsächlich? Wie viele haben sich an die Operation getraut?“, wollte Liu Tschi-Jan wissen.„Dreißig.“„Die Ärzte werden eindeutig besser“, meinte Sacajewa. „Und die Schlechte?“„Wir müssen die Hades verlassen und werden bis auf weiteres auf der Station Nietzsche die orbitale Verteidigung Alphas verstärken. Das Oberkommando hält Alpha für das nächste Ziel des Feindes. Immerhin ist hier die größte Ansammlung an Industrien im gesamten groß-terranischen Reich. Die Hades wird kurz nach unserem Start aus dem System springen.“„Warum bleibt die Hades nicht im System?“, wollte Maria wissen. „Mit ihrer Kampfgruppe könnte sie Alpha viel besser schützen als wir fünf.“„Die Hades wird zusammen mit der Cerberus Präventivschläge gegen Thetis und Bandit 1 führen. Das Oberkommando erhofft sich eine Schwächung der feindlichen Invasionsflotte. Im übrigen wird die Machiavelli in einer Woche hier eintreffen.“„Ist die Machiavelli nicht im Dock von Terra?“, warf Liu Tschi-Jan ein. „Gefechtsschäden und so.“„Deshalb kommt sie erst in einer Woche.“ Ich klopfte mir mit dem Zeigefinger auf die Lippen. Irgendetwas hatte ich vergessen. „Ach ja“, fiel es mir wieder ein, „auf dem Weg zur Nietzsche sollen wir einen Frachter begleiten. Die... Saunière.“„Das heißt dann wieder Tapetenwechsel“, seufzte Inwabudike. „Und ich hatte mich gerade an die Hades gewöhnt.“„Aber du weißt doch, dass du mit mir überall zuhause bist“, meinte Liu Tschi-Jan und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.„Stimmt!“, grinste er.„Ich will ja nicht die Spielverderberin sein“, mischte sich Maria ein, „aber was wird aus unseren Sachen?“Ich blickte auf meine Uhr. „Die sind bereits in einem Shuttle untergebracht, das uns zur Station folgen wird.“„Was?“, riefen alle vier gleichzeitig.„Außerdem sollten wir auch schon aufbrechen“, sagte ich schnell. „Der Frachter müsste bald ankommen.“„Die haben einfach so in meinen Privatsachen herumgestöbert?“, entrüstete sich Sacajewa.„Du bist beim Militär. Das Wort Privat existiert da nicht“, meinte Maria.Ehrlichgesagt wusste ich nicht von was die Beiden sprachen. Falls ich jemals so etwas wie eine Privatsphäre gehabt habe, verlor ich sie in meinem neunten Lebensjahr als meine Eltern an dem Lotos-Syndrom starben. Das wusste ich allerdings nur aus den Datenbanken. Ich hatte kaum mehr eine Erinnerung an die Zeit bevor mich die Guardian, wie alle Waisenkinder, aufnahmen.Ich führte mein kleines Geschwader zurück ins Ketzerdock wo wir uns auf unsere Jäger aufteilten. Bei meinem Vogel angekommen berührte ich eine bestimmte Stelle an der braun-schwarz gesprenkelten Panzerung die auf meinen Fingerabdruck reagierte. Der Sarkophag wurde heruntergefahren und öffnete sich. Ich legte mich hinein und fühlte wie die Schnittstelle in das Gegenstück in meinem Rücken einrastete. Als sich der Deckel des Sarkophags wieder schloss schwanden mir bereits die Sinne. Nur kurz noch fühlte ich wie sich die Druckmanschetten meinem Körper anpassten.Als ich meine Sinne wieder bei mir hatte konnte ich im wahrsten Sinne des Wortes alles um mich herum sehen. Selbst das was gerade hinter mir stattfand, während ich gleichzeitig alles vor mir studierte. Wenn ich es wollte konnte ich alle Spektrallinien vom Infraroten bis zur Gamma-Strahlung durchgehen. Derzeit war ich im visuellen Spektrum. Ich wusste die genaue Entfernung eines jeden Objekts in Sichtweite, ich konnte sogar wie aus der Pistole geschossen ihr Volumen und ihre Masse angeben. Auf die sechste Kommastelle genau. Ich kannte unsere genaue Position im System und ebenfalls unsere Geschwindigkeit relativ zu den Fixsternen. Außerdem fühlte ich noch den Techniker, der auf meinem Rücken stand und den Betankungsschlauch entfernte. Nur hören konnte ich nichts.Ich erinnerte mich noch gut an meinen ersten Besuch im Sarkophag. Nach nicht einmal einer Minute musste ich ihn wieder verlassen. Ich schaffte es gerade noch mich hinauszubeugen ehe ich mein halbverdautes Frühstück betrachten durfte. Es dauerte einen Monat bis sich mein Gehirn an diese Fülle an Informationen gewöhnte und ich keine Kopfschmerzen mehr hatte.„Seit ihr bereit für unseren ersten Einsatz mit potentiellen Feindkontakt?“, fragte ich meine Geschwaderkollegen indem ich nur daran dachte.„Jep!“, kam es von Inwabudike.„Ja“, meinte Maria.„Alles klar“, sagte Liu Tschi-Jan.„Von mir aus kann’s los gehen“, fügte Sacajewa hinzu.Ihre gedanklichen Stimmen klangen zuversichtlich doch in ihren Emotionen, die bei der Übertragung zwischen uns nie ausgeschlossen werden konnten, schwang Angst mit. Das war gut so. Wer in so einem kleinen Gefährt in einen Kampf flog sollte Angst haben. Sonst kehrte er womöglich nicht mehr zurück.„Hades-Tower hier ist Ketzer 1“, sagte ich mit der Förmlichkeit und Kühle die sich für eine Guardian geziemte. „Erbitten Starterlaubnis.“„Starterlaubnis erteilt“, meldete der Tower.Ich versank im Boden des Docks. Langsam glitt ich an einem langen Förderband einen Kilometer durch die Eingeweide der Hades. Dann ging es wieder nach oben. Ich kam in einer Seitennische des Hangars heraus und rollte unter Einsatz meiner Steuerdüsen auf das Startfeld – ein drei Kilometer langer Tunnel durch den Schiffsrumpf der an beiden Seiten mit dem Vakuum verbunden war. Als ich in Position war gab ich mit den Hecktriebwerken Vollgas. Ich konnte die Beschleunigung an meinen Flügelspitzen fühlen als ich aus dem Hangar in die sternenübersäte Leere schoss. Ich wendete, glitt an dem riesigen Ungetüm von einem Träger vorbei, sah die braunen Panzerplatten, die sich wie Bienenwaben über den Rumpf erstreckten und fühlte für einen Augenblick Stolz auf dieses größte und mächtigste Symbol unserer Macht. Ich sah wie eine Gruppe Jäger in der Hades landeten. Die kleinen X-förmigen Raumschiffe waren so entworfen um dem Piloten ein Minimum an Fliehkräften zuzumuten. Trotzdem waren sie den feindlichen Gegenstücken unterlegen und ihre Tage waren gezählt. Schon bald würden sie von den Ketzern und ihren Nachfolgemodellen abgelöst werden. Auf dem Weg zum Shuttle trieb ich auch noch an zwei Fregatten der Taurus-Klasse vorbei. Diese einhundert Meter langen Kriegsschiffe waren zu klein um selbst von einem System ins Nächste springen zu können. Daher flogen auch sie im Bauch des Trägers mit.Wir erreichten den Treffpunkt. Das Shuttle war ein kleines quaderförmiges Raumschiff, das mit seinen dreißig Metern knapp doppelt so lang war wie mein Jäger.„Shuttle 05 hier Ketzer 1“, gab ich durch. „Behalten Sie ihre Position bei. Wir warten noch auf einen Gast.“„Verstanden Ketzer 1.“„Wie lange werden wir warten müssen, Haydeé?“, wollte Sacajewa wissen.„Wenn ich das wüsste“, war meine Antwort.Tatsächlich mussten wir gar nicht so lange warten. Keine Minute später entstand zwei Kilometer neben uns eine solide, tiefschwarze Kugel. Schon bald löste sich die Kugel auf und der von uns erwartete Frachter nahm, zuerst noch halb durchsichtig, ihren Platz ein. Schließlich ebbte die Gravitationsverzerrung ab und der Frachter wurde vollkommen fest.„Saunière hier Ketzer 1“, rief ich den Großfrachter der Atlas-Klasse. „Gehen Sie in Formation und folgen Sie uns zur Nietzsche.“„Verstanden Ketzer 1“, kam es von der Saunière zurück. „Seid ihr nicht etwas wenige für einen Geleitschutz?“„Wir sind genug“, gab ich zurück. „Rechnen Sie mit fünfzehn Ge.“„So schnell?“„So langsam.“Die Station Nietzsche lag eine Lichtminute von unserer jetzigen Position entfernt. Bei der Beschleunigung die wir an den Tag legten bräuchten wir fünf Stunden dahin, wobei wir dreiundsiebzig Minuten lang mit eintausend Kilometern in der Sekunde im freien Fall schweben würden. Das war zumindest der Plan.Wir alle freuten uns auf einen schön langweiligen Flug. Denn je interessanter es wurde, desto lebensgefährlicher wurde es. Trotzdem ging ich ins Röntgtenspektrum. Dort waren die Schiffe des Feindes einfach am besten zu entdecken. Außerdem musste man immer auf alles vorbereitet sein, wenn man am Leben bleiben wollte.Das Universum sah in diesem Spektrum unglaublich aus. Weiße Nebelschleier schienen das All zu durchziehen. Die Sterne leuchteten irgendwie dunkler. Ich konnte ein seltsames hell-dunkel Muster in der Sonne Alphas ausmachen. Und die Schiffe leuchteten aus ihren Triebwerken während der Rest dunkel und unerhellbar blieb.„Haydeé?“, fragte mich Inwabudike. Ich fühlte die Neugier die von ihm ausging.„Was gibt es?“„Du hast uns nie gesagt warum du dich der Operation unterzogen hast.“Das war unfair. Es war nahezu unmöglich jemanden zu belügen wenn sich beide Gesprächspartner in einem Ketzer befanden. Ich hatte es bisher peinlichst vermieden auf dieses Thema zu kommen. Inwabudike wusste das natürlich darum hatte er mich auch jetzt gefragt.„Warum willst du das wissen?“, fragte ich statt einer Antwort.„Nun, bei uns ist es klar“, meinte Inwabudike. „Wir wurden zu Übermenschen erklärt. Und unsere Familien erhalten eine absolute Vorzugsbehandlung. Das gilt auch für die, die es nicht geschafft haben. Aber du bist bereits ein Übermensch und eine Familie hast du auch nicht. Darum frage ich mich warum du es getan hast.“„Ehre und Pflicht.“ Das war nicht Gelogen. Aber es war auch nicht die Wahrheit.„Dir ist es also befohlen worden?“„Nein.“„Warum hast du es dann gemacht?“ Seine geistige Stimme klang jetzt schon beinahe verzweifelt.Ich schickte ihm ein Lachen. „Ich könnte es dir während des ganzen Fluges über erklären und du würdest nicht ein Wort davon verstehen. Du bist nun einmal kein Guardian.“Jetzt fiel auch Liu Tschi-Jan in mein Lachen ein. „Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass sie so Antworten wird“, meinte sie und begann dann mit ihrem Lebensgefährten über ihre Familienplanung zu diskutieren. Ein Themenwechsel bei dem ich ganz und gar nicht mit kam.Trotzdem war ich froh darüber. Um ein Haar hätte ich an meine wahren Beweggründe gedacht. Etwas, das in einem Ketzer niemals geschehen durfte.In den nächsten zwei Stunden drehte sich das Gesprächsthema meines Geschwaders um allerlei Dinge. Am allermeisten wurde über die Ergebnisse der letzten ASL-Runde, die trotz oder gerade wegen des Krieges weiterbetrieben wurde. Und da jede in meinem Geschwader eine andere Mannschaft bevorzugte barg dieses Thema genug Stoff für einige langweilige Stunden und so manche Schlägerei.„Das solltest du dir ansehen, Haydeé“, sagte plötzlich Sacajewa.„Was?“„Sieh dir den Sektor 047.893.217 im Gammaspektrum an.“Ich tat es. Da war eine ungewöhnliche Spitze im Spektrum. Die lag genau inmitten eines...„Das ist in einem Asteroidenfeld!“„Ganz genau.“„Was soll das?“„Ich habe keine Ahnung.“„In Ordnung.“ Ich schickte das geistige Äquivalent eines Seufzers durch dir Runde. „Maria, du begleitest mich. Ihr anderen beleibt beim Konvoi.“Wir lösten uns vom Konvoi und nahmen Kurs das Asteroidenfeld. Ich war nervös.Mit einem Asteroidenfeld war das so eine Sache. Am besten sollte man es sich als einen Wald bei Nacht vorstellen. Wenn man draußen stand konnte man nur sehr schwer hineinsehen. Und wenn man mit einer Taschenlampe hineinleuchtete wurde man geblendet und sah noch weniger. Aber wer auch immer im Wald war sah alles ohne selbst entdeckt zu werden. Zumindest wenn dieser jemand nahe genug am Waldrand stand.Nach einer kurzen Beschleunigung bremsten wir langsam mit unseren Steuerdüsen. Einerseits durften wir nicht zu schnell in das Asteroidenfeld eindringen. Das würde unsere Panzerung nur unnötig beschädigen. Andererseits sollte uns niemand im Feld entdecken und dafür waren die Steuerdüsen am besten geeignet. Immer vorausgesetzt jemand befand sich zwischen den Asteroiden.Als wir endlich nach einer viertel Stunde in das Asteroidenfeld eintraten waren wir noch immer zu schnell. Ich fühlte den Einschlag winziger Staubkörner wie tausend Nadelstiche auf meiner Haut. Für einen Augenblick war ich instinktiv versucht mit meinen Bugtriebwerken abzubremsen. Dann besah ich mich wieder eines besseren. Sollte sich wirklich etwas hier drinnen befinden durfte es uns auf keinen Fall entdecken. Nur für einen Augenblick sah ich mir die Sterne an, die hier im Feld genauso funkelten als würde man sie durch eine Atmosphäre betrachten. Dann ging ich wieder ins Gammaspektrum. Die Strahlungsquelle war noch immer da.Wir schlichen uns tiefer in das Asteroidenfeld hinein. So knapp wie möglich an den großen rotierenden Felsbrocken vorbei um ja nicht aufzufallen. Wir kamen gerade rechtzeitig um zu sehen wie die Strahlungsquelle verschwand. In diesem Areal befanden sich jetzt...Ich ging ins Röntgtenspektrum um mir ganz sicher zu sein. Ja, in dem weißen Nebel konnte ich tiefschwarze Schatten, fast schon Löcher erkennen.„Ich zähle sechsunddreißig Geistjäger“, wurde ich von Mira informiert.Ich kam auf die selbe Zahl. Offiziell wurden sie ja FJ1 genannt, aber wir Piloten gaben ihnen den Namen Geistjäger, da sie ständig halb durchsichtig waren, als hätten sie gerade einen Sprung hinter sich.Ich schickte alle gesammelten Daten sofort per Richtstrahl an das Hauptquartier auf der Nietzsche. Während wir auf eine Antwort warteten versteckten wir uns in der Nähe eines großen Asteroiden und beobachteten die feindlichen Jäger weiter.Im visuellen Spektrum waren sie unglaublich schön. Jeder der perlmuttfarbenen, tropfenförmigen Jäger war ungefähr sechs Meter lang und hatte drei Ausleger die etwa eineinhalb mal so lang waren wie der Rumpf, an denen ein hauchdünnes Segel befestigt war. Kein Geistjäger sah so aus wie der andere. Der eine war etwas länger, der andere dicker. Beim dritten war ein Ausleger länger als die anderen. Und so weiter und so fort. Ich konnte auch Lebenszeichen in den Schiffen ausmachen, obwohl die Gravitationsverzerrung, die die Jäger durchsichtig werden ließ, mir nicht erlaubte festzustellen wo genau sie sich befanden. Trotzdem sagte mir diese Tatsache, dass sie KI’s genauso sehr verabscheuten wie wir. Der Umstand, das ich kein Cockpit erkennen konnte, sagte mir, dass sie über so etwas ähnliches wie unseren Sarkophag verfügten. Der schieren Anzahl nach, mit der sie diese Jäger einsetzten, war ihrer ausgereifter als unserer.„Du hättest doch Pulser mitnehmen sollen“, sagte plötzlich Maria. „Die Atomlaser funktionieren in all dem Staub so gut wie gar nicht.“Das wusste ich ebenfalls. Atomlaser verschossen Impulse aus kohärenter Materie. Dadurch waren sie ungeheuer mächtig. Aber sie funktionierten nur im Vakuum. Wenn sie auch nur mit einem Staubkorn in Berührung kamen wurde der kohärenter Impuls zu einem gewöhnlichen Materiestrahl, der die hälfte seiner Wirksamkeit verlor und bei weitem nicht mehr die ursprüngliche Reichweite hatte. Aber wer rechnete schon damit während eines Geleitzuges in ein Asteroidenfeld zu kommen.„Wir haben immer noch unsere Raketen“, entgegnete ich.„Ja, wir haben jeder sechzehn Stück davon.“ Sarkasmus und Nervosität waren unüberhörbar. „Und es braucht mindestens vier um einen Geistjäger abzuschießen.“„Wir warten nur noch auf die Antwort vom Oberkommando, dann hauen wir hier ab“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Die Raketen müssen im Notfall reichen bis wir aus dem Asteroidenfeld draußen sind.“Es dauerte noch eine Minute bis die Nachricht kam. Sie besagte, dass wir uns zurückziehen sollten. Sie würden ein Schiff schicken, dass sich darum kümmerte.Maria atmete genauso erleichtert auf wie ich als sie das hörte. Langsam gaben wir mit unseren Steuerdüsen Schub und begannen aus dem Feld hinauszugleiten. Noch deutete nichts in den Bewegungen der Geisterjäger darauf, dass sie uns entdeckt hatten.Hinter dem nächsten Asteroiden tauchten zwei Geistjäger auf. Sie entdeckten uns in dem selben Augenblick wie wir sie, legten ihre Ausleger nach hinten an und wurden dadurch Kampfbereit. Wir warfen uns herum, schickten ihnen je vier Raketen entgegen und gaben mit den Hecktriebwerken Vollgas. Ich fühlte wie die dreißig Ge Beschleunigung an meinen Flügelspitzen zerrten und spürte tausend Nadelstiche von den Staubkörnern. Meine gesamte Konzentration brauchte ich um an den Felsbrocken vorbeizufliegen. Ich hatte keine Ahnung ob meine Raketen getroffen hatten.Dann waren wir aus dem Asteroidenfeld draußen. Ich warf mich um einhundertachtzig Grad herum und beschleunigte mit den Bugtriebwerken. Eine halbe Minute hinter uns schossen ein Dutzend Geistjäger aus dem Asteroidenfeld. Sie folgten uns mit zwanzig Ge. Mehr schafften sie zum Glück nicht. Ich setzte einen Notruf ab und feuerte mit den Atomlasern auf den erstbesten Verfolger. Ich konnte gerade noch erkennen wie sein Schild unter meiner Energie aufleuchtete, dann musste ich schon den blendendweißen Energiestrahlen des Feindes ausweichen. Bei zwei oder drei schaffte ich es auch, doch der nächste traf mich. Wir hatten keine Schilde also traf mich der Strahl mit all seiner Kraft. Zum Glück war es nur ein Streifschuss an einem Bugflügel dennoch fühlte es sich an als würde mir jemand meine Hand mit einem Bunsenbrenner versengen. Sekundenlang trudelte ich in wilder Agonie durch den Raum. Ich befand mich nun unterhalb des Pulks. Vier Jäger hatten sich gelöst und folgten mir. Der Rest blieb Maria auf den Fersen, die noch immer auf den Konvoi zuhielt.„Maria! Kurs ändern!“, rief ich. Hoffentlich befand sich der Konvoi noch außerhalb ihrer Sensoren.Sie befolgte meinen Befehl und der Pulk folgte ihr. Ich war wieder damit beschäftigt am Leben zu bleiben. Meine einzige Chance lag in meinem Beschleunigungsvorteil. Nie und nimmer konnte ich einen Kurvenkampf gegen vier Geistjäger überleben.Plötzlich war da eine riesige solid-schwarze Kugel. Die Kugel löste sich auf und ein Kreuzer der Ares-Klasse hing im Raum. Der ein Kilometer lange Moloch war für kurze Zeit genauso durchsichtig wie meine Verfolger. Als er fest wurde erfüllten zahllose Explosionen der Flak, Impulse der Atomlaser und Rauchspuren der Antiraketen den Raum.„Ketzer-Geschwader hier ist die Weishaupt“, hörte ich. „Kehren sie zum Konvoi zurück. Wir übernehmen hier.“Ich tat wie mir geheißen wurde und machte mich daran die Todeszone zu verlassen. Die Sprengwirkung einer Flak war unvorstellbar. Selbst wenn mich nur eine Druckwelle erwischte konnte ich bewegungsunfähig werden. Und auch war der Atomlaser einer GKS bei weitem stärker als der einer KKS.Ich sah wie ein Jäger von einem Flakvolltreffer zerrissen wurde. Selbst mit seinem vollen Schild hatte er keine Chance gehabt. Zwei weitere gerieten in den Fokus der Atomlaser. Ihre Schilde leuchteten und sie tanzten unter der Energie dieser Waffen. Doch schließlich starben auch sie Flüssigkeiten verspritzend im Vakuum als sie von Antiraketen getroffen wurden.Der letzte Jäger hatte es mit mir aus der Todeszone geschafft. Ich schickte ihm eine Rakete entgegen, die sein von der Flak angeschlagenes Schild herunterholte. Dann nahm ich ihn mit meinen Atomlasern aufs Korn. Ohne dem Schild waren die Geistjäger kaum mehr als bewegliche Zielscheiben, wenn auch sehr wendige. Aus irgendeinem Grund waren sie kaum gepanzert. Ich sah wie weite Teile der Panzerung wegbrachen. Der Geistjäger versuchte sich noch aus meinem Beschuss zu winden als ich einen der Ausleger traf und dieser wegbrach. Das Feindschiff trudelte bewegungsunfähig zum sterben verurteilt in den leeren Raum.Seit dem Auftauchen des Kreuzers waren dreiundvierzig Sekunden vergangen. Länger hatte sie nicht gebraucht um alle zwölf Verfolger auszuschalten. Anschließend machte sich die Weishaupt daran mit ihren Torpedos und Plasmastrahlern das Asteroidenfeld in Atomstaub zu verwandeln.Plötzlich taten mir die feindlichen Piloten im Asteroidenfeld leid. Sie hatten keine Überlebenschance.Das war kein Kampf mehr. Das war ein Schlachten. Ich wollte nur noch weg. So schnell wie möglich zum Konvoi kommen und dann zur Nietzsche. Also befahl ich Maria Vollgas zu geben. Trotzdem dauerte es noch zwanzig Minuten bis wir den Konvoi erreichten.„Wir haben euren Notruf gehört, waren aber schon zu weit weg“, sagte Inwabudike als wir sie endlich erreichten. Ich konnte seine Erleichterung über unser Erscheinen fühlen. „Was ist passiert?“„Plänkler“, antwortete ich.„An die vierzig Stück“, fügte Maria hinzu.„Und was ist nach dem Notruf genau geschehen?“, bohrte er weiter.„Die Weishaupt ist gekommen und hat sie alle ausradiert.“ Er musste meine Abscheu fühlen und wissen, dass ich nicht mehr dazu sagen wollte.„Hast du eine Ahnung was die Gamma-Spitze verursacht hat?“, fragte er stattdessen.„Keine Ahnung“, gestand ich. „Darüber sollen sich die Wissenschaftler den Kopf zerbrechen.“Das Gesprächsthema wandte sich wieder der letzten ASL-Runde zu. Während wir mit unserem Bremsmanöver begannen legten sie sogar die Wetten für die nächste Runde fest.Ich beteiligte mich nicht mehr an den Gesprächen. Ich musste nachdenken. Vielleicht hatten die Flugblätter doch recht und wir hatten den Feind erfunden um die Menschheit besser kontrollieren zu können. Anscheinend besaßen sie so etwas ähnliches wie unseren Sarkophag. Demnach mussten sie KI’s verabscheuen. Es erschien mir unwahrscheinlich das eine andere Zivilisation fast die selbe Ideologie hatte wie wir. Andererseits verfügte sie über Schilde, ein uns weitgehend unbekanntes Antriebs und Waffensystem und wie sie die Abgründe der Lichtjahre überbrückten war uns noch vollkommen unklar. Hätten wir solche Technologien würden wir sie auch einsetzen. Oder vielleicht doch nicht? Und woher nahmen sie die gewaltigen Menschenmassen die sie für ihre Flotten benötigten? Fragen über Fragen. Sie beschäftigten mich während des restlichen Fluges zur Nietzsche. Als ich endlich landete konnte ich sie noch immer nicht beantworten. Wahrscheinlich würde ich das nie können.Ich verließ meinen Ketzer so schnell wie möglich und ging sofort in das mir zugeteilte Quartier. Die Nachbesprechung konnte warten. Ich wollte nur mehr schlafen. Das Schlachten vergessen.
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• (Buch) gerade am lesen:Hammilton: The Dreaming Void