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Der (in)kompetente Leser


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28 Antworten in diesem Thema

#1 Dave

Dave

    Hamannaut

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Geschrieben 08 April 2005 - 10:43

Wenn ich schon beurteilende Kommentare zu Romanen und Autoren abgebe, könnte man mich vielleicht auch einmal mit der Frage konfrontieren, wie es mit meinen Qualitäten als Leser bestellt ist.Kann man darüber diskutieren, ob es gute und schlechte Leser gibt?Ich entsinne mich an eine Diskussion, in der Marcel Reich-Ranicki beiläufig den ersten Satz eines Klassikers ansprach, der eigentlich nicht Gegenstand des Gesprächs war. Helmuth Karasek unterbrach ihn und zitierte eben jenen Satz aus dem Gedächtnis.Wow, dachte ich, das ist wirklich cool! Ich habe auch ein tolles Gedächtnis, es ist sehr nützlich, besonders im Haushalt - nämlich als Sieb.Natürlich bin ich kein Literaturkritiker, aber ich denke, ein guter Leser hat auch ein passables Gedächtnis und natürlich sollte er es auch nutzen.Auch denke ich, dass man leicht Dinge übersieht. So kann womöglich jemand, der sich sehr nüchtern und logisch mit einem Buch auseinandersetzt, völlig blind sein, wenn es um das Miteinander der handelnden Romanfiguren geht.Womöglich kann man sich diese Frage auch nur stellen, wenn es tatsächlich um Kritiker geht und ansonsten ist ein Leser perse ein guter Leser.Oder wie seht Ihr das?(Witze über den inkontinenten Leser zählen nicht) ;)

#2 Rusch

Rusch

    Phantastonaut

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Geschrieben 08 April 2005 - 11:48

Ich habe mir darüber auch schon meine Gedanken gemacht (auch weil meine Meinung nicht immer unangefochten blieb). Meine Rezis sind heute viel besser und aussagekräftiger, als sie es noch vor einem Jahr waren - Übung macht halt doch den Meister.Allerdings kann ich ein Buch immer nur so bewerten wie ich es empfunden habe und das ist ein sehr wichtiger Faktor, denn es ist mir sehr wohl klar, dass allein schon hier ein und das selbe Buch aus unterschiedlichsten Gründen ganz unterschiedlich bewertet wird. Deshalb achte ich ganz besonders darauf, aufzuführen, warum ich ein Buch gut oder schlecht bewerte. Um darzulegen wie extrem die Wertungen der einzelnen Bücher sein können, will aufführen, was mir letzthin bei einer neuen Wertung zum Best of SF Liste aufgefallen ist. Zwei Werke von Lem, die ich mit 10 und 4 Punkten bewertet hatte wurden von dieser Person mit 4 und 9 bewertet, also fast umgekehrt. Das zeigt ganz deutlich, wie sehr Meinungen auseinander gehen können.

#3 deval

deval

    Skeptiker

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Geschrieben 08 April 2005 - 12:15

@RuschWie geht der Spruch nochmal mit dem Eigenlob?? ;) Ein Buch das mich in letzter Zeit sehr zum Nachdenken angeregt hat war -Illuminati- von Dan Brown. Das soll jetzt keine neue Diskussion werden!!!! Viele Leute ließen sich über den Schreibstil von Brown aus. Das Buch sei vorhersehbar und das schriftstellerische Niveau unter aller Kanone. Sehr schlecht geschrieben, geradezu primitiv.Ich hatte es gar nicht so empfunden. Vom Niveau her fand/finde ich es immer noch als recht gut und vorhersehbar war es für mich auch nicht. Da kam natürlich unweigerlich die Frage bei mir auf: Bin ich bereits so niveaulos, unerfahren und so leicht zufriedenzustellen das es mir so gut gefallen hat, während der erfahrenere und niveauvollere Leser es als schlecht empfindet?Von den beliebtesten 50 Büchern der Deutschen hatte ich gerade mal 3 Stück gelesen und 2 oder 3 weitere ungelesen im Schrank. Andere Leser in anderen Foren überschlugen sich mit Kommentaren wie: Von den 50 Büchern habe ich immerhin 34 gelesen.-- und so weiter und so fort.Ich muß feststellen, das ich von den vermeintlich großen deutschen Literaten wie Mann, Hesse, Böll, Grass... noch nie, nichts, nirgends etwas gelesen habe. Kein -Zauberberg-, -Siddhartha- oder -Die Buddenbrocks-, ja mehr noch, ich noch nicht einmal im entferntesten ein Verlangen danach spüre. Auch das hat mir sehr zu denken gegeben und ich habe mich unwillkürlich gefragt: Bin ich noch normal?? Meine einzige Hoffnung ist, das in Zukunft auch mal ein Andreas Eschbach oder Frank Schätzing zu den großen deutschen Schreibern gehört, dann habe ich wenigstens eine kleine Genugtuung.Mein Fazit lautet: Ich lese nur um mich zu unterhalten. Das funktioniert anscheinend bei der Trivialliteratur ganz gut, bei der vermeintlich etwas anspruchsvolleren Literatur scheint es zu versagen. Vielleicht passe ich meine Bücher ja auch nur meiner Leseecke an - ich lese hauptsächlich auf dem Klo. Hätte ein Buch von Thomas Mann diesen Ort wirklich verdient?

"Dein Wort ist meines Fusses Leuchte und ein Licht auf meinem Weg."
Psalm 119, 105

 

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#4 Jueps

Jueps

    Klabauternaut

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Geschrieben 08 April 2005 - 12:43

Kann man darüber diskutieren, ob es gute und schlechte Leser gibt?

Jueps sagt: Nein.
Lesen ist -zumindest zumeist- ein Hobby, dem man alleine nachgeht, um für sich Entspannung/Wissen/Unterhaltung zu gewinnen.
Da hat eine Einteilung in "guter/schlechter Leser" m.E. wenig Sinn. Außer es geht um Geschwindigkeit und Ausdruck beim Lautlesen, also formale Dinge.

Natürlich gibt es auch Menschen, die größere Schwierigkeiten haben als andere, wenn sie den Inhalt eines Buches erfassen und behalten wollen.
Ohne mit dem Finger deuten zu wollen, kenne ich allein in meinem Umfeld mindestens drei Menschen, denen es ziemlich schwer fällt, Strukturen und Zusammenhänge in Texten zu erkennen.

Aber dieses "gute/schlechte" Lesen hat im Endeffekt nur Auswirkungen auf sie selbst, ist daher nur insofern bedeutend, dass sie selbst vielleicht weniger Spaß an der Sache haben.

Bearbeitet von Jueps, 08 April 2005 - 17:34.

»Ich bin nicht besonders helle, und es dauert ein bißchen, bis ich etwas kapiere. Aber wenn du mir Zeit läßt, dann werde ich lernen, dich besser zu verstehen als irgend jemand sonst auf der Welt.«


#5 Rusch

Rusch

    Phantastonaut

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Geschrieben 08 April 2005 - 12:45

@Rusch Wie geht der Spruch nochmal mit dem Eigenlob??  ;)

Wenn Du es so auffassen willst. Ich habe es eigentlich anders gemeint, nämlich, dass ich auf die Rezis, die ich vor über einem Jahr verfasste, nicht mehr so stolz bin. Vielleicht sage ich das selbe in einem Jahr zu den Texten, die ich gerade jetzt verfasse. :blink:

#6 Cloud

Cloud

    Ufonaut

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Geschrieben 08 April 2005 - 12:47

Ein Buch das mich in letzter Zeit sehr zum Nachdenken angeregt hat war -Illuminati- von Dan Brown. Das soll jetzt keine neue Diskussion werden!!!! Viele Leute ließen sich über den Schreibstil von Brown aus. Das Buch sei vorhersehbar und das schriftstellerische Niveau unter aller Kanone. Sehr schlecht geschrieben, geradezu primitiv.

Nunja, es gibt immer wieder Leute, die "leicht zu lesen" mit einem "schlecht geschrieben" u.ä. gleichsetzen, was aber schlichtweg Unfug ist. Angeregt durch die Diskussion in dem anderen Thread, habe ich vor kurzem meinen ersten Dan Brown gelesen ("Deception Point", zu dt. wohl "Meteor"). Und ja, es war wirklich *sehr* leicht zu lesen - aber war es auch schlecht geschrieben? Keineswegs, im Gegenteil. Das, was Dan Brown macht, nämlich leicht zugängliche Spannungsliteratur, macht er wirklich sehr gut. Aber das nur am Rande, es soll jetzt wirklich keine neue Diskussion entstehen ;)

Womöglich kann man sich diese Frage auch nur stellen, wenn es tatsächlich um Kritiker geht und ansonsten ist ein Leser perse ein guter Leser.

Genau so sehe ich das. Auf der anderen Seite: wird nicht jeder Leser zum Kritiker, wenn er seine Meinung kundtut? :blink:

#7 Sullivan

Sullivan

    Autarchonaut

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Geschrieben 08 April 2005 - 13:40

@Vallenton

ich lese hauptsächlich auf dem Klo. Hätte ein Buch von Thomas Mann diesen Ort wirklich verdient?

Solange du die Seiten nicht benutzt um dir den... Aber lassen wir das. ;)

Die "Qualität" eines Lesers könnte man vielleicht danach beurteilen, ob ein Leser das Buch so liest und versteht, wie es der Autor beabsichtigt hat?! Entweder er versteht es nicht ("schlecht") oder er versteht alle Anspielungen ("super") oder irgendwo dazwischen (er versteht nicht alles oder er interpretiert mehr hinein).

Was meint ihr?

Ich finde übrigens ganz gut, was Rusch geschrieben hat: man sollte sich selbst darüber klar sein, wieso ein Buch als gut oder schlecht empfunden wird. Dass die Meinungen auseinandergehen, ist klar, der Grund ist häufig weniger offensichtlich.

Sullivan

#8 Rusch

Rusch

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Geschrieben 08 April 2005 - 14:05

Ich finde übrigens ganz gut, was Rusch geschrieben hat: man sollte sich selbst darüber klar sein, wieso ein Buch als gut oder schlecht empfunden wird. Dass die Meinungen auseinandergehen, ist klar, der Grund ist häufig weniger offensichtlich.

Eben, nichts hasse ich mehr als so nichtssagende Amazon.de Wertungen wie "Das beste Fantasy Buch, das ich je gelesen habe." ;)

Aber man merkt eigentlich recht leicht, ob die Person Ahnung hat oder nicht. Manche Rezensenten formulieren auch bei Amazon aus und das hilf das schon weiter. Vor allem, wenn man eine ganze Reihe von konkreten Wertungen hat. Dann kann man sich langsam ein Bild des Romans machen.

#9 Dave

Dave

    Hamannaut

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Geschrieben 08 April 2005 - 17:21

Die "Qualität" eines Lesers könnte man vielleicht danach beurteilen, ob ein Leser das Buch so liest und versteht, wie es der Autor beabsichtigt hat?! Entweder er versteht es nicht ("schlecht") oder er versteht alle Anspielungen ("super") oder irgendwo dazwischen (er versteht nicht alles oder er interpretiert mehr hinein). Was meint ihr?

Andreas Eschbach hat im Lesezirkel einmal erwähnt, dass man ein Buch als ganzes betrachten sollte. Also nicht streng linear durcharbeiten, sondern auch die verschiedenen Verflechtungen erkennen. Wie Ereignisse ineinander greifen, wobei die anspruchsvolleren Bücher dem Leser wohl nicht alles haarklein unter die Nase reiben. Manchmal bleibt die eigentliche Botschaft sogar gänzlich unausgesprochen.

Genau so sehe ich das. Auf der anderen Seite: wird nicht jeder Leser zum Kritiker, wenn er seine Meinung kundtut? wink.gif

Ja, das hatte ich im Hinterkopf. Sozusagen Kritik am Kritiker. Wobei ich besonders an die Standalone-Rezensionen denke, die ja eine gewisse Bestimmtheit darstellen, finde ich. Trotz einiger Bedenken kann ich hier im Forum doch recht locker drauflos schreiben. Weil ich bei Schnitzern immer sicher sein kann, dass das †šMoooment†™ nicht lange auf sich warten lässt.

#10 Lomax

Lomax

    Illuminaut

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Geschrieben 08 April 2005 - 18:46

Das ist jetzt natürlich ein sehr vielschichtiges Thema, zu dem ich auch nur ein paar Gedankenfetzen einwerfen kann. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit ...

ein guter Leser hat auch ein passables Gedächtnis und natürlich sollte er es auch nutzen.

Ein gutes Gedächtnis ist sicher hilfreich, vor allem für einen Lektor ;) Aber ich stelle immer fest, dass es sehr relativ ist. In vielen Dingen habe ich auch ein Gedächtnis wie ein Sieb, aber dafür kann ich mir an anderer Stelle den größten Blödsinn merken. Warum kann ich mir z.B. die Namen meiner Mitmenschen kaum merken, finde aber regelmäßig falsche Schreibweisen von Eigennamen in Büchern oder rege mich tierisch auf, wenn Eigennamen in verschiedenen Bänden einer Reihe unterschiedlich übersetzt sind? Mitunter schwankt die Gedächtnisleistung so sehr mit dem zufälligen persönlichen Interesse oder persönlichen Eigenarten, dass ich zögern würde, sie als grundsätzlich konstante "Lesereigenschaft" anzusehen.

Die "Qualität" eines Lesers könnte man vielleicht danach beurteilen, ob ein Leser das Buch so liest und versteht, wie es der Autor beabsichtigt hat?!

Dem möchte ich ganz entschieden widersprechen: Es ist ja die Aufgabe des Autors als "Kommunikationsprofi", dem Leser seine Aussagen zu vermitteln. Wenn also ein Leser es nicht versteht, ist eher der Autor gescheitert - wobei man es natürlich auch nicht jedem Leser gleichermaßen Recht machen kann. Zumindest kann man es wohl kaum als "Leistung" eines Lesers ansehen, wenn er selbst die verkorkstesten Aussagen des Autors bzw. die an den Haaren herbeigezogendsten Beziehungen noch versteht. Genau genommen ist das sogar für einen "professionellen Leser", also einen Lektor, eher eine Schwäche. Ich hatte persönlich immer das Talent, sehr genau zu spüren, was ein Autor sagen will - auch wenn es eigentlich gar nicht da steht. Das bringt einem zwar manchmal das Lob des Autors ein, wenn man auf diese Weise genau die Formulierung anbieten kann, die er selbst gerne gewählt hätte, wenn sie ihm eingefallen war - aber man muss bei der Arbeit verdammt vorsichtig sein, um nicht einen Satz zu übersehen, über den 95% der Leser stolpern würden, den man selbst aber für völlig problemlos hält. Ansonsten ist es sehr gefährlich, Leser in "gut" oder "schlecht" aufteilen zu wollen. Ich persönlich sage ja immer: Das Gegenteil von "gut" ist "böse", und wir sind hier ja nicht in der Kirche :blink: Aber die Gefahr einer solchen Bewertung ist immer, dass sich der professionelle Leser von der Basis entfernt und nur noch seine eigenen, theoretischen Vorstellungen als Grundlage von Bewertungen nimmt. Nicht umsonst ist es so, dass Rezensionen von mehr oder minder "erfahrenen" Lesern oft erstaunlich weit an der Publikumsmeinung vorbeigehen, und damit es auch nicht mehr schaffen, die Wirkung eines Werkes wirklich zu beurteilen. Das ist gewiss keine Leistung. Denn was soll "gut" darin sein, wenn man regelmäßig Dinge erwähnt und für wichtig hält, die offenbar sonst niemand sehen kann und die auch niemanden außerhalb eines eingeschworenen Zirkels interessieren?
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)

#11 Rusch

Rusch

    Phantastonaut

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Geschrieben 08 April 2005 - 21:29

Das mit dem Erinnern an ein Buch ist bei mir sehr differenziert. Manche Bücher haben sich so stark in mein Gedächtnis eingeprägt, dass ich sich noch 10 Jahre oder mehr noch sehr gut im Gedächtnis habe. Andere werden schon nach ein, zwei Jahren mehr oder weniger vergessen. Das hat aber nicht unbedingt was mit dem Buch an sich zu tun, sondern auch damit, wie man das Buch unter welche Umständen liest und inwieweit man von der Geschichte mitgerissen wird.@Lomax: Als Kritiker kann man nur seine Meinung wiedergeben, die wie schon gesagt sich sehr von den anderer Leser unterschieden kann. Andererseits hat man auch keine andere Möglichkeit. Wichtig ist deshalb zu schreiben, warum man was gut oder schlecht fand, damit der Leser das ganz werten kann. Aber den perfekten Kritiker gibt es wohl nicht - schon alleine des wegen, weil es keine homogene Leserschaft gibt.

#12 molosovsky

molosovsky

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Geschrieben 09 April 2005 - 07:15

Hallo zusammen.

Zuerst ein Hinweis, auf ein enorm anregendes Buch zum Thema. Ich meine den Klassiker »An Experiment In Reading« (»Über das Lesen von Büchern«) von C. S. Lewis von 1962. Darin versucht Lewis den Spieß der Kritik einmal umzudrehen, und nicht zwischen (qualitativ) schlechten und guten Büchern zu unterscheiden, sondern eben zwischen jeweils ebensolchen Lesern.

Leider gibts dieses enorm gedanken-anregende Buch aber schon lange nur antiquarisch auf Deutsch (aber: immer noch ein schnell und günstig erhältlicher Text im Original).

Gleich zu Beginn scheidet Lewis die vielen (schlechte) und die wenigen (gute) Leser. Die vielen benutzen Bücher wie Streichhölzer oder Fahrkarten; die wenigen lesen große Werke über ihr Leben hin zehn,- zwanzig,- oder dreißigmal. Lewis unterscheidet zwischen Lesern, die Texte nur gebrauchen, und solchen, die sich Texte in sich aufnehmen, sich ihnen gegenüber öffnen.

Zweiteres ist sozusagen eine mystisch-(quasi)-religiöse Haltung gegenüber Kunst, und ich persönlich begegne dieser Haltung wohlgesonnen, auch wenn ich eine gute Gebrauchs-Lektüre ebenso zu schätzen weiß.

Kurze Kapitel, einfachere Sätze, übersichtliche Struktur der Handlungsstränge und Klarheit des dramaturgischen Aufbaues †¦ das sind alles Merkmale von Büchern der kurzweiligen Gebrauchssorte, die aber (zumindest ICH) in der U-Bahn, in Arbeitspausen besser lesen kann, als entsprechend gegenteilig zu charakterisierende, hermeneutischere Werke.

Soviel mal vorläufig.
Grüße
Alex / molosovsky

Bearbeitet von molosovsky, 09 April 2005 - 07:17.

MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.

Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.

Mehr Gesabbel von mir gibts in der molochronik

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#13 yiyippeeyippeeyay

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Geschrieben 09 April 2005 - 09:28

Ich glaub ich hab an diesem Thread entdeckt, dass ich "literaturwissenschaftliche" Untersuchungen allgemein nicht besonders mag: Ich halte diese Kategorisierungen einfach für extrem flüchtig/trivial. Nach Lewis' Vorgabe (danke dafür, molosovsky!) wäre ich ein "schlechter" Leser, denn ich lese selten ein Buch mehr als einmal; natürlich habe ich mein Sanctum Sanctorum mit ca. 50 Titeln, in die ich immer wieder mal hinein schaue - so oft aber nicht.

Das mit dem auf Anhieb zitieren können, und damit beweisen, dass man zu Lewis' "Guten" gehört, habe ich schon immer als extrem lächerlich empfunden.

(<<PREDIGT-ALERT! Bitte Ohrstöpsel zur Hand nehmen!>>) Tut mir Leid wenn ich es etwas brachial formuliere, aber: Was macht der Affe wenn er den gerade gelandeten E.T. mit seiner Weisheit imponieren will? Er trägt etwas auswendig Gelerntes vor! Für die zuschauenden/zuhörenden anderen Affen hat dieser Moment große Faszination und birgt Stärke/Wissen/Coolness, aber ich kann mir vorstellen dass E.T. sich denkt: "Erstkontakt-Verhaltensmuster # 17."

Wenn Menschen zugeben können, dass es reicht den Lieblingstext zur Hand zu haben und darin OHNE EILE nach einer Lieblingspassage suchen zu können, sind sie in meinen Augen annähernd weise. Bildungsstand, evtl. sogar "Güte der Lesefähigkeit", ist für mich keine Funktion des Auswendiglernens.

Allgemeines Fazit: Wilde deutete es schon an - je höher die Bildung empor schwebt, je tiefer lagert die Originalität. Wir Ignoranten, die wir eine einigermaßen "echte" Reaktion auf einen gelesenen Text aufbringen können, sind, so hoffe ich, nach wie vor die Zukunft. Meiner Meinung nach ist das immer eine spezifische Beziehung von Mensch zu Text; wie eine Beziehung zwischen Individuen - jede ist letztendlich sehr einzigartig.

Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 09 April 2005 - 09:59.

/KB

Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.

Da ergriff eins der kleinsten das Wort:

"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,

dann wünschen wir einfach mit Willen

die Wünsche-Erfüllung fort!"

Sie befolgten den Rat und von Stund an war

wieder spannend das Leben und heiter.

Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr

und vielleicht gar ein wenig gescheiter.

(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)


#14 HarryW

HarryW

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Geschrieben 09 April 2005 - 09:50

Qualität des Lesers? Hmm ...Ich denke, dass man mit den Jahren sensibler wird und automatisch gewissen Merkmalen eines Buches mehr Aufmerksamkeit schenkt. Mit dieser Aufmerksamkeit geht aber auch ein grosser Teil der Magie einer Geschichte verloren. Man kann alles zunichte machen, wenn man sich z.B. zu sehr auf die Technik und Sprache einer Geschichte konzentriert - hiermit möchte ich die Wichtigkeit von Technik und Sprache aber nicht schmälern.Daher habe ich in letzter Zeit versucht zu viel bewusstes Denken während des Lesens abzuschalten. Und siehe da, ein kleines Stückchen der alten Magie ist zurückgekehrt und die ganze Angelegenheit macht mir tatsächlich wieder viel mehr Spass.Wahrscheinlich muss man für sich selbst entscheiden, was man eigentlich von einem Buch will. Ist es die Geschichte an sich, oder die Technik, oder vielleicht die Logik zwischen den Zeilen ... Über Geschmack und Interesse lässt sich bekanntlich streiten.In diesem Sinne behaupte ich, dass es ziemlich schwierig sein dürfte, eine sinnvolle Diskussion über die Qualität des Lesers abzuhalten.(Edit: Rechtschreibung)

Bearbeitet von HarryW, 09 April 2005 - 09:50.


#15 Konrad

Konrad

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Geschrieben 09 April 2005 - 15:51

Die "Qualität" eines Lesers könnte man vielleicht danach beurteilen, ob ein Leser das Buch so liest und versteht, wie es der Autor beabsichtigt hat?! Entweder er versteht es nicht ("schlecht") oder er versteht alle Anspielungen ("super") oder irgendwo dazwischen (er versteht nicht alles oder er interpretiert mehr hinein).

Ich bin mir nicht so sicher, ob ein Autor seine Bücher immer ganz versteht. ;) Gute Literatur hat für mich immer einen gewissen Interpretationsspielraum, der durchaus gar nicht in der Absicht des Autors gelegen haben kann. Man sollte dem Leser auch eine gewisse Entwicklung zubilligen. Ich schäme mich nicht, zuzugeben, daß ich in meiner Jugend bei bestimmten Büchern sicherlich nur einen Teil des Inhalts bzw. der gedanklichen Konsequenzen *wirklich* verstanden habe. Aber dies macht doch den Reiz eines guten Buches aus, daß es bei jedem neuen Lesen zusammen mit dem weiterentwickelten eigenen Wissen eine neue Facette öffnet. Konrad

#16 HarryW

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Geschrieben 09 April 2005 - 16:41

Ich bin mir nicht so sicher, ob ein Autor seine Bücher immer ganz versteht. ;) Gute Literatur hat für mich immer einen gewissen Interpretationsspielraum, der durchaus gar nicht in der Absicht des Autors gelegen haben kann.

Hätte man nicht besser sagen können. Schliesse mich dieser Meinung an.

#17 Trurl

Trurl

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Geschrieben 10 April 2005 - 12:34

Gibt es den inkompetenten Leser? Klar gibt es den. Das ist sogar die Mehrzahl aller Leser (mich eingeschlossen), egal ob er in der Phantastik oder in der Mainstream-Literatur beheimatet ist. Und das Interessante daran ist, dass diese Inkompetenz unabhängig vom Intelligenz und Bildungsgrad ist. Es gibt viele Leser, die zwar sehr intelligent, aber vollkommen unempfänglich für Phantastik oder SF im Speziellen sind, unabhängig davon wie anspruchsvoll die Phantastik ist. Eine Inkompetenz, die aus Ignoranz oder Desinteresse entsteht.

Inkompetenz kann aber auch aus einem Nichtverstehen dessen herrühren, was dem Autor am Herzen liegt. Ich glaube es ist eine Irrtum anzunehmen, der Autor würde für den Leser schreiben, er schreibt in erster Linie für sich. Wenn er dann für sein Werk einen oder mehrere Leser gefunden hat, kann er sich glücklich schätzen, aber dass heißt nicht, dass die meisten dieser Leser auch kompetente Interpreten seines Werks sind. Lem hatte sich einmal in einem Interview beklagt, dass die meisten Leser seiner intellektuell anspruchsvolleren späteren Bücher, nur noch seines berühmten Namens wegen kaufen, aber sie nicht mehr lesen und wenn doch, dass sie sie nicht wirklich verstehen. Das machte er an Rezensionen in deutschen SF-Magazinen fest, in der er die Hilflosigkeit des Rezensenten vor der zentralen Kernaussage seines Buchs erkannte. Ich weiß auch, dass er sich einmal zu der Aussage bekannte, der einzige Leser für den schreibe sei er selbst.

Ich bin der Überzeugung, dass ein Autor nicht primär die Aufgabe hat seine Ideen ausgerechnet so umzusetzen, dass ihn möglichst viele Leser verstehen. Ein Schriftsteller ist doch kein Didakt. Es sei denn, er will viel Geld verdienen und primär einen Massengeschmack bedienen. Aber mir geht es um die Autoren, die sich in erster Linie als Künstler, als Intellektuelle verstehen, die etwas sagen möchten und darüber schreiben. Dann geht es eigentlich nur darum die angemessene Form zu finden, wie man seine Gedanken verpackt.

Ich denke, jeder Autor wird früher oder später genau den Leser bekommen, der ihn versteht und der sein Werk schätzt. Der Rest wird die Finger von dem Schriftsteller lassen. Ich glaube auch, dass jeder Leser ein genaues Gespür dafür hat ob er einem literarischen Werk gewachsen ist oder nicht und wird sich wiederum den Autoren suchen der seine Interessenlage trifft und seine Sprache spricht.

Trurl
»Schau dir diese Welt nur richtig an, wie durchsiebt mit riesigen, klaffenden Löchern sie ist, wie voll von Nichts, einem Nichts, das die gähnenden Abgründe zwischen den Sternen ausfüllt; wie alles um uns herum mit diesem Nichts gepolstert ist, das finster hinter jedem Stück Materie lauert.«

Wie die Welt noch einmal davonkam, aus Stanislaw Lem Kyberiade
  • (Buch) gerade am lesen:Jeff VanderMeer - Autorität
  • (Buch) als nächstes geplant:Jeff VanderMeer - Akzeptanz
  • • (Buch) Neuerwerbung: Ramez Naam - Crux, Joe R. Lansdale - Blutiges Echo
  • • (Film) gerade gesehen: Mission Impossible - Rogue Nation

#18 Sullivan

Sullivan

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Geschrieben 10 April 2005 - 12:54

@Lomax:

Zumindest kann man es wohl kaum als "Leistung" eines Lesers ansehen, wenn er selbst die verkorkstesten Aussagen des Autors bzw. die an den Haaren herbeigezogendsten Beziehungen noch versteht.

Wieso nicht? Sicherlich ist es die Aufgabe eines Autoren, seine Ideen verständlich zu vermitteln, aber ein gewisses Mindestniveau muss vorausgesetzt werden. Als Leser muss man sich ebenfalls anstrengen, was bei einem schlechten Autoren sehr anstrengend sein kann... Und Konrad meinte:

Gute Literatur hat für mich immer einen gewissen Interpretationsspielraum, der durchaus gar nicht in der Absicht des Autors gelegen haben kann.

Hast du ein paar Beispiele parat? Pauschal mag ich mich dieser Feststellung nicht anschließen. @yippie:

Das mit dem auf Anhieb zitieren können, und damit beweisen, dass man zu Lewis' "Guten" gehört, habe ich schon immer als extrem lächerlich empfunden.

Du sprichst mir aus dem Herzen. ;) Kann sein dass auch eine Spur Neid mitspielt, aber da das freie Zitieren bei jedem Kritiker eine wichtige Rolle zu spielen scheint, fühlt man sich selbst ganz klein. Sullivan

#19 Konrad

Konrad

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Geschrieben 10 April 2005 - 15:29

Und Konrad meinte:

Gute Literatur hat für mich immer einen gewissen Interpretationsspielraum, der durchaus gar nicht in der Absicht des Autors gelegen haben kann.

Hast du ein paar Beispiele parat? Pauschal mag ich mich dieser Feststellung nicht anschließen.

Es ist natürlich schwierig, darüber zu spekulieren, ob alle Interpretationsvarianten vom Autor vorher durchdacht und kalkuliert wurden, oder nicht. Ich weiß nur, daß z.B. Lem von seinem "Solaris" später sagte, daß er beim Schreiben des Romans selber nicht verstanden habe, was er da geschrieben habe. Nun kann man natürlich behaupten, er kokettiere hier nur mit seiner Unwissenheit. Ich glaube aber tatsächlich, daß geniale Würfe beim Schreiben durch unbewußte Vorgänge entstehen, die sich dem Kalkül entziehen. Gruß, Konrad Edit: Schreibfehler

Bearbeitet von Konrad, 10 April 2005 - 16:53.


#20 djmeister

djmeister

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Geschrieben 10 April 2005 - 16:04

ZU:"QUOTEGute Literatur hat für mich immer einen gewissen Interpretationsspielraum, der durchaus gar nicht in der Absicht des Autors gelegen haben kann.Hast du ein paar Beispiele parat? Pauschal mag ich mich dieser Feststellung nicht anschließen." Von Thomas Mann (glaub ich) erzählt man sich die Anekdote, dass er an einer amerikanischen Unversität ein Seminar besuchte, in dem sich Studenten mit seinen Werken befassten. Als ihn die Studenten mit ihren diversen Thesen konfrontiert haben, soll er angeblich gesagt haben. " Ich bin entsetzt. Sie haben völig recht. Das steht alles wirklich in meinem Buch. Das ist mir noch gar nicht aufgefallen."wenns nicht wahr ist, ists zumindest gut erfunden.lg, stefan

#21 Motörfisch

Motörfisch

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Geschrieben 10 April 2005 - 16:32

Paul Williams zitiert im Nachwort zur deutschen Ausgabe von „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“ aus einem Brief Philip K. Dicks:"Nicht nur, daß ich den Roman [„Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“] beim besten Willen nicht verstehe, [...] ich kann ihn noch nicht mal lesen. Was nicht heißen soll, daß er nichts taugt; im Gegenteil. Aber ich habe nicht den leisesten Schimmer, worum es darin geht. Beim Schreiben ging es mir von der ersten Seite an wie mit dem Ende von †˜MITHC†™ [= „The Man in the High Castle“]. In diesem Fall hat mein Unbewußtes die ganze Arbeit geleistet."Dick, Philip K.: Die drei Stigmata des Palmer Eldritch. München: Heyne 2002. S. 298.
MfG, Motörfisch

#22 Gast_Guest_*

Gast_Guest_*
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Geschrieben 10 April 2005 - 18:02

Ein Roman ist ein Produkt, sollte es im Buchhandel zum Kauf angeboten werden. Der Leser muss sich entscheiden, ob seine Nacfrage dem Angebot entspricht. Nun kann das Buch schlecht geschrieben sein oder der Leser nicht verstehen, wie er damit umzugehen hat. Vielleicht sollte es eine Qualitätskontrolle bei Romanen geben. Auf der anderen Seite möchte der Konsument eine möglichst hohe Souveränität bei der Kaufentscheidung haben. In seinem Ermessen liegt es, wie er mit dem Produkt "Buch" umgeht. Da ein Buch generell kein besonders gefährliches Gut ist (aber Achtung Brandgefahr! und schwere Bücher sollten nicht geworfen werden), ist es nicht unbedingt vonnöten, dass der Käufer eine Prüfung (Universitätsstudium) unterzieht oder Gebrauchsanleitungen (z.B. wie verfasse ich eine Interpretation?) liest. Da eine Gefahr des Buchmissbrauchs bei gleichzeitiger Gefährdung der Mitmenschen kaum besteht, kann ein Leser nicht viel falsch machen. Insofern können Leser kaum inkompetent handeln. Es sei denn er geht einen speziellen Vertrag über die Nutzung ein. Doch es findet sich bestimmt niemand, der beim Vertragsabschluss darauf besteht, dass das Buch "gelesen" werden muss. Für einen Autoren mag das attraktiv erscheinen. Aber bei dieser Gebrauchseinschränkung finden sich erheblich weniger Käufer.

#23 HarryW

HarryW

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Geschrieben 10 April 2005 - 21:31

Sprache ist letzten Endes immer Interpretationssache. Denn sie ist ungenau.Sagt man in einem Saal mit 100 Leuten "Dieser Baum ist braun", so stellen sich 100 Leute etwas Unterschiedliches vor. Sie stellen sich die Beschaffenheit des Baumes anders vor, die Landschaft in der er zwangsläufig stehen muss, selbst die Farbe braun gibts in verschiedenen Varianten.Also ist zwangsläufig jedes Buch eine reine Sache der Interpretation. Ich finde das schön, denn es führt immer wieder zu Diskussionen . Was der Autor aber letzten Endes wirklich aussagen will, weiss wohl nur er selbst.(Edit: Rechtschreibung)

Bearbeitet von HarryW, 10 April 2005 - 21:32.


#24 molosovsky

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Geschrieben 12 April 2005 - 09:16

Hallo zusammen.

Allgemein:
Das Problem berührt meiner Ansicht nach einige äußerst interessante Phänomene.
†¢ Können Bücher mehrere Ebenen haben? - Klares Ja. Einige Werke ermöglichen mehr Metaebenendeutfreude als andere. Lems »Der futurologische Kongreß« begleitet mich zum Beispiel seit 20 Jahren. Als Kid hab ich das Buch überwiegend als Satire verstanden und genossen. Mittlerweile schwingt für mich darüber hinaus eine deutlich kritisch-tragische Qualität beim (Wieder)Lesen mit.

†¢ Texte werden vielleicht vergessen, dann neu entdeckt und auch mehrmals (zum Teil sehr unterschiedlich) übersetzt oder neu editiert (gekürzt und verändert oder so mit Anmerkungen und Nachwort versehen), aber ein Buch verändert sich nicht in dem Maße wie ein Mensch. Im Vergleich miteinander will ich mal sagen, daß Bücher Zeitkapseln oder Narrations-Skulpturen eines Bewußtseins sind (»in Wort gemeißelt für die Ewigkeit«), während sich bei lebenden Menschen das Bewußtsein eher immerbewegter Bildschirmschoner und Handlungs-Mobilé hevortut.

Kurz: Bücher sind im Zeitenfluß ehr die Felsen und das Publikum ist die Brandung. Wir, die Leser, sind das beweglichere Element und haben damit die größere Fähigkeit zur Anpassung.

†¢†¢†¢
Entsprechend läßt sich nun quasi sportiv durchaus zwischen unfähigeren und befähigteren Lesern unterscheiden. Ich bin kein Freund von hierarchischen Qualitätsschichtungen, aber als Gedankenspiel machen diese auch mir Spaß.

†¢ Ganz grundlegend lassen sich langsame von schnellen Lesern unterscheiden. Man kann sich mit den Techniken des konzentrierten Lesens, des gekonnten Querlesens vetraut machen. Chinesische Teenager fächern »Krieg und Frieden« in (ich glaub) einer Stunde durch und können auch noch die Handlung wiedergeben.
†¢ Mit jeder Sprache steigt ein Leser um ein linguistisches Level auf. Das gilt verschärft für verschiedene Schriften. - Ich kann zum Beispiel griechisch nur sehr langsam entschlüsseln. - Beherrscht man eine fremde Sprache nicht, kann man nochmal unterscheiden zwischen a) solchen Lesern, die sich dadurch die Lektüre nicht vergällen lassen (Überlesen von fremdsprachigen Dialogen und dennoch Spaß am Buch haben), und b) solchen, die von fremden Zungen abgetörnt werden.
†¢ Milieu, Jargon, zeitgeschichtlich geprägter Sprachduktus sind weitere typische Feinheiten, an denen sich Leserschaften scheiden. Nicht jeder verkraftet zum Beispiel krasse Leserschockierung wie bei Brett Easton Ellis oder Irving Walsh, andere stoßen sich am Gegenteil der überdehnten Lesertröstung wie sie Tad Williams oder J.R.R. Tolkien betreiben.
†¢ Verschärft führt das zur Unterschiedlichkeit von ideolgischen (oder weltbildlich, geschmacklichen, geschlechtlichen) Standpunkten und der Fahigkeit an den spezifischen Ausdrucksformen mit Genuß andocken zu können (z.B. Insiderjokes, intertextuelle Verweise †¦ Ich kann schmunzeln, wenn der Malteserfalke im Comic »Akria« auftaucht).

Unterm Strich: meiner Meinung kann anhaltende aufgeschlossene Lesetätigkeit zur Toleranz, Geduld und einem feinerem Humor führen, der mehr schmunzelt als losgackert. Kurz: trainiert die Muskeln die uns Stress, Endlichkeit und Entropie ertragen lassen.

Die ästhetisch-literarischen Meinungskonflikte basieren imho weniger auf den unterschiedlichen Eigenschaften von Büchern, als vielmehr auf den jeweiligen Stressherausvorderungen unterschiedlicher Lebensstatdien.

†¢†¢†¢
Lomax schrieb:

Das Gegenteil von "gut" ist "böse", und wir sind hier ja nicht in der Kirche

Ha! Gutes Stück Sprach-/Begriffskritik. Chapeau!

†¢†¢†¢
Trurl sagt, daß ein Schriftsteller erstmal nur für sich selbst schreibt. - Mein ester Reflex ist widersprechen, aber ich will Trurl nicht unnötig hart entgegentreten. Auch ich bevorzuge im Großen und Ganzen eher künstlerischere, oder anspruchvollere Bücher. Dennoch möchte ich vor diesem romantischen Ideal vom Genie und den entsprechenden Kult drum warnen: von wegen, das einsame Ringen mit den Musen.

Wer wirklich nur für sich schreibt, braucht kein Publikum, und keinen Verlag.

†¢†¢†¢
Soweit diesmal
Grüße
Alex / molosovsky

MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.

Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.

Mehr Gesabbel von mir gibts in der molochronik

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#25 Trurl

Trurl

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Geschrieben 12 April 2005 - 10:30

Auch ich bevorzuge im Großen und Ganzen eher künstlerischere, oder anspruchvollere Bücher. Dennoch möchte ich vor diesem romantischen Ideal vom Genie und den entsprechenden Kult drum warnen: von wegen, das einsame Ringen mit den Musen. Wer wirklich nur für sich schreibt, braucht kein Publikum, und keinen Verlag.

Mir ist natürlich bewußt, dass hinter meinen Behauptungen ein Ideal steht und ich werde mich mit Dir nicht auf einen Disput dazu einlassen, den ich - auf diesem Gebiet - nur verlieren kann. Aber als mir dieser Gedanke erstmals begegnet ist, dachte ich, dass da etwas dran ist. Der Prototyp des Autoren der ausschliesslich FÜR den Leser schreibt ist in meinen Augen der Bestseller-Autor, der sich hinsetzt und in 6 Monaten eine massgeschneidertes PRODUKT für einen Massengeschmack abliefert. Typ: Michael Crichton, Tom Clancy, ... Ich habe grundsätzlich nichts dagegen, lese auch selbst Bestseller, meine aber, dass sich "echte" Literatur - egal ob es Mainstream oder Phantastik ist - nicht damit begnügnen sollte nur ein Produkt zu sein. Ein Autor der immerzu den imaginären Leser im Blick hat wird nichts Originäres zu Wege bringen. Natürlich ist jemand der für die Öffentlichkeit schreibt, ein Mensch der ANDEREN etwas mitteilen möchte, darüber braucht man kein Wort zu verlieren. Ein Autor ist ebenfalls in die Regeln des Buchmarktes eingebunden, alles klar, aber dennoch: kein Autor ist per Dekret sozusagen dazu verpflichtet (sozusagen dazu verdammt) so zu schreiben, damit ihn auch noch der durchschnittliche Bildzeitungsleser versteht (klingt arrogant, ich weiß, *seufz*). Das ist doch gerade das Spannende an Literatur, dass sie nicht NUR als unterhaltsame Abendlektüre für wohlige Entspannungsgefühle bzw. spannenden Thrill sorgt, sondern den Leser auch - im günstigsten Fall - in eine geistige Auseinandersetzung mit dem Autor verwickeln kann. Trurl
»Schau dir diese Welt nur richtig an, wie durchsiebt mit riesigen, klaffenden Löchern sie ist, wie voll von Nichts, einem Nichts, das die gähnenden Abgründe zwischen den Sternen ausfüllt; wie alles um uns herum mit diesem Nichts gepolstert ist, das finster hinter jedem Stück Materie lauert.«

Wie die Welt noch einmal davonkam, aus Stanislaw Lem Kyberiade
  • (Buch) gerade am lesen:Jeff VanderMeer - Autorität
  • (Buch) als nächstes geplant:Jeff VanderMeer - Akzeptanz
  • • (Buch) Neuerwerbung: Ramez Naam - Crux, Joe R. Lansdale - Blutiges Echo
  • • (Film) gerade gesehen: Mission Impossible - Rogue Nation

#26 yiyippeeyippeeyay

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Geschrieben 12 April 2005 - 15:10

klingt arrogant, ich weiß, *seufz*

Ja, schon etwas... :D

Crichton einfach als Produzent für den Markt (hoffentlich nicht diesen ominösen, uns überall umgebenden Bild-Lesern) ab zu tun wird ihm z.B. m.E. nicht gerecht. Prey und andere Bücher in letzter Zeit sind sicherlich nicht das Beste was er produziert hat, und nicht unbedingt das Nachahmenswerteste (wenn man eine reicher, gelangweilter Autor ist :confused:). Aber ich fand Airframe bemerkenswert, und im SF-Bereich, Sphere, obwohl man da etwas mehr Fan-Ausdauer braucht bis zur Präsentation der Crichtonschen Erkenntnis-Perlen. Sein Anliegen, unserer Intelligenz immer wieder zu predigen, finde ich schon bewundernswert - der Aufbau der Geschichte drum herum ist eher das Schreibgerüst an dem er sich immer wieder probiert, und es m.E. gelegentlich sehr gut, öfter mäßig hin bekommt. Die Frage, die sich stellt, ist: Kommen die Predigten an? Jedenfalls geht es ihm m.E. NICHT nur um zielgenaues Treffen des Zeitgeistes.

Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 12 April 2005 - 15:34.

/KB

Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.

Da ergriff eins der kleinsten das Wort:

"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,

dann wünschen wir einfach mit Willen

die Wünsche-Erfüllung fort!"

Sie befolgten den Rat und von Stund an war

wieder spannend das Leben und heiter.

Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr

und vielleicht gar ein wenig gescheiter.

(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)


#27 tichy

tichy

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Geschrieben 12 April 2005 - 15:52

Hej!

Ich bin mir nicht so sicher, ob ein Autor seine Bücher immer ganz versteht.

Wie sagte Marcel Reich-Ranicky dazu: "Ein Autor versteht so viel von Literatur wie ein Vogel von Ornithologie." :D

Hast du ein paar Beispiele parat? Pauschal mag ich mich dieser Feststellung nicht anschließen.

Lems "Solaris" ist bereits genannt worden; dazu noch ergänzend: In seiner "Phantastik und Futurologie" schreibt er, dass er mal bei einer Lesung gefragt wurde, ob sein Werk nicht ein Symbol für die "Sprachlosigkeit des Individuums gegenüber der Gesellschaft" sei. Lem meint dazu, dass er es gewiss nicht bewusst so intendiert hat, der Leser aber immer die Freiheit hat, ein Werk anders zu interpretieren als der Autor selbst. -- tichy
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#28 yiyippeeyippeeyay

yiyippeeyippeeyay

    Interstellargestein

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Geschrieben 12 April 2005 - 16:10

Marcel Reich-Ranicky dazu: "Ein Autor versteht so viel von Literatur wie ein Vogel von Ornithologie." ;)

:jumpgrin: (Puh! Lachen hält gesund! :confused:) Da kannn ich ja doch noch getrost versuchen, Autor zu werden... :D (Ob die ganzen Vögel irgendwo in den Bäumen auch gerade einen Thread über Ornithologen mit Titel "der inkompetente Starrer" bearbeiten?)

/KB

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#29 Jueps

Jueps

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Geschrieben 12 April 2005 - 21:03

Genau, und ihr Netzwerk läuft über kabellosen Fink, äh Funk. :D

»Ich bin nicht besonders helle, und es dauert ein bißchen, bis ich etwas kapiere. Aber wenn du mir Zeit läßt, dann werde ich lernen, dich besser zu verstehen als irgend jemand sonst auf der Welt.«



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