[Kurzgeschichte] Das Grab
#1
Geschrieben 15 Mai 2005 - 21:25
Das Grab
Ich stand am Grab meines Vaters.
"Ich bin wieder da, Papa", sagte ich.
"Hallo Suzanne", tönte seine Stimme.
"No voice", sagte ich.
Die Stimme - generiert aus früheren Aufnahmen - tönte so echt, so voller Leben, dass es weh tat, auch wenn sie immer nur Banales wie 'ja', 'okay', 'ich liebe dich' oder 'mach dir keine Sorgen' sagte.
"Ich habe ein Foto von Janice und mir mitgenommen."
Ich zog eine Pic-Falte aus meinem Bauchsack und klickte das Foto von meiner Tochter und mir an. Das Bild erschien auf der linken oberen Seite des Granitgrabsteins, das Dutzend anderer Bilder rutschte einen Platz.
Mein Vater hatte ein besonders schönes Grab, wie ich mir immer wehmütig eingestehen musste. Es war belegt worden mit roten Pflastersteinen des Zürcher Paradeplatzes, jenen, die mein Vater als Teenager zu sich genommen hatte, nachdem der Platz asphaltiert worden war.
"Ich mache mir Sorgen um Janice. Sie ist jetzt vierundzwanzig, aber sie macht gar keine Anstalten, einen Mann kennen zu lernen. So in body, meine ich. Dabei darf sie sich ab nächstem Jahr legal befruchten lassen. Aber nein, sie trifft immer nur John, diesen Philippiner, im Virtualnet. Er lebt auf den Philippinen. Ich glaube nicht, dass der sich auf einer dieser langen Flugwartelisten setzen lässt, um sie wirklich zu treffen."
Ich ließ meinen Blick über die Alpenlandschaft schweifen. Die Berggipfel waren noch mit Schnee bedeckt. Eine Frühlingsbrise strich über meine Haut.
"Dabei hat sie ja nur fünf Jahre die Zeit, um ein Urenkelchen zu machen."
Auf beiden Seiten des Grabsteins war je eine Reihe großer Pflanzentöpfe bogenförmig aufgestellt worden; eine Reihe grenzte an eine mannshohe Hecke, parallel zum Grab; die andere reichte bis zu einem grünen Holzbänkchen, auf welches ich mich am liebsten gesetzt hätte: Ich fühlte mich ausgelaugt.
Ich seufzte und sagte: "Hoffentlich lässt sie nicht John seinen Samen schicken! Ich will meinen 'Schwiegersohn' persönlich kennen! Ich bin da etwas altmodisch - so wie du."
Mein Vater hatte Ort und Ausstattung des Grabs selbst festgelegt. Was ich gerade sah, war basiert auf sein erstes (und einziges) Testament, das er im Alter von zweiundvierzig - vierzig Jahre, bevor er starb - hatte aufsetzen lassen.
"Du hattest noch Geschmack, Papa. Und Prinzipien."
Er war sein ganzes Leben gegen die Kremation gewesen und hatte sich ein Begräbnis gewünscht.
"Jetzt muss ich aber schon gehen. Ich darf die S-Bahn nicht verpassen. Glaube mir, in dieser Welt mit seinen 17 Milliarden Menschen ist es nicht sehr einfach, einen Sitzplatz zu reservieren", sagte ich etwas verbittert. "Du hattest es früher viel einfacher."
Ich tat einen Schritt nach hinten. Die Alpen, das Grab, das Bänklein und die Pflanzen waren weg.
Ich sah aber noch die Urne, bevor die Luke sich schloss.
"Bis in etwa einem halben Jahr, Papa", sagte ich. Ich drehte mich um und verließ die Kabine.
#2
Geschrieben 15 Mai 2005 - 22:06
Mir hat deine Geschichte sehr, sehr gut gefallen - wenngleich sie ein mulmiges Gefühl in meinem Bauch hinterlassen hat...wahrscheinlich deswegen, weil sie ein beklemmendes Bild von einer Welt zeichnet, in der sich Menschen nicht mehr wirklich lieben, und Erinnerungen einfach generiert werden.
Du schaffst es, deine Vision erstaunlich lebhaft (schluck) rüberzubringen. Elegant flechtest du schöne Details ein und deine Zeilen bergen große Emotionen.
Noch dazu hallt der harte Schluss wie Echo im Kopf nach - sehr gelungen.
Nur Folgendes:
Meine Lieblingsstelle des Textes, aber warum bedient Suzanne den Computer auf Englisch? Kontrollieren wir Systeme in Zukunft nicht in unserer Muttersprache?"No voice", sagte ich.
Wiederum eine schöne Idee, aber da klingt was doppelt-gemoppelt. Ich würde letzteres "Philippinen" streichen. Würde genügen.nur John, diesen Philippiner, im Virtualnet. Er lebt auf den Philippinen. Ich glaube nicht, dass der sich auf einer dieser langen Flugwartelisten setzen lässt, um sie wirklich zu treffen.
Ansonsten top, eine meiner neuen Lieblings-KGs!
Bearbeitet von Jueps, 15 Mai 2005 - 22:07.
»Ich bin nicht besonders helle, und es dauert ein bißchen, bis ich etwas kapiere. Aber wenn du mir Zeit läßt, dann werde ich lernen, dich besser zu verstehen als irgend jemand sonst auf der Welt.«
#3
Geschrieben 16 Mai 2005 - 10:29
Verstehe ich nicht. Wo kommt wo was hin? Auf den Grabstein???"Ich habe ein Foto von Janice und mir mitgenommen." Ich zog eine Pic-Falte aus meinem Bauchsack und klickte das Foto von meiner Tochter und mir an. Das Bild erschien auf der linken oberen Seite des Granitgrabsteins, das Dutzend anderer Bilder rutschte einen Platz.
Ist mir zu aufgesetzt.So in body, meine ich.
Philipp, der PhilippinerAber nein, sie trifft immer nur John, diesen Philippiner, im Virtualnet. Er lebt auf den Philippinen.
Der, die, das - schnelle kleine Boote. Dieser, jene, welches, alte Kähne mit Muscheln an der Gallionsfigur .die andere reichte bis zu einem grünen Holzbänkchen, auf welches ich mich am liebsten gesetzt hätte.
Klingt unfreiwillig komisch.Ich seufzte und sagte: "Hoffentlich lässt sie nicht John seinen Samen schicken! Ich will meinen 'Schwiegersohn' persönlich kennen!
Schöne Pointe, aber: Deine "Geschichte" liest sich wie eine Mischung aus dem "The Final Cut"-Ende mit Robin Williams und dem "Fortress"-Anfang mit unserem allseits geliebten Highlander. Irgendwie. Überbevölkerung, ein enges Zeitfenster, um Kinder in die Welt zu setzen, virtuelle Partnerschaften etc. Das sind alles Mosaiksteine, die du dir geborgt hast, um eine neues Fenster zu machen, das nicht richtig zusammenpassen will... Gut, was viel schwerer wiegt: Du versuchst, durch einen mehr oder minder funktionalen Dialog die Welt und die Gesellschaft zu beschreiben - das wirkt aufgesetzt und sperrig, niemand redet solche Sätze:Ich drehte mich um und verließ die Kabine.
Das musst du schon geschickter anstellen, am besten durch HANDLUNG!!! Menschen, die sich in die Kabine drängeln oder so... "Beeilung, ich will auch meine Tante Friede besuchen!" Als Intro für eine Story nicht schlecht, als Story selbst ist mir das zu wenig. Liebe Grüße FrankGlaube mir, in dieser Weltmit seinen 17 Milliarden Menschen ist es nicht sehr einfach, einen Sitzplatz zu reservieren"
Bearbeitet von Frank, 16 Mai 2005 - 10:31.
#4
Geschrieben 16 Mai 2005 - 10:59
#5
Geschrieben 16 Mai 2005 - 16:44
Thomas Sebesta/Neunkirchen/Austria
Blog zur Sekundärliteratur: http://sebesta-seklit.net/
Online-Bibliothek zur Sekundärliteratur: http://www.librarything.de/catalog/t.sebesta
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#6
Geschrieben 16 Mai 2005 - 17:44
Mal schauen, ob ich dank eurer Hilfe eine reifere Geschichte hinkriege.
@ Rowlf
Danke für die Deutschkorrektur! Diese Kurzgeschichte ist nämlich wirklich in mein allerbestes Deutsch (beim Schreiben im Forum, schreibe ich dagegen einfach los). Da sehe ich wieder, dass ich doch noch nicht gut genug bin. Ich muss halt weiterhin jeden "offiziellen" Text korrigieren/lektorieren lassen.
Auch ist dies für mich ein weiteres Zeichen, dass ich längere Texte in Niederländisch schreiben soll.
Es bringt allerdings schon was Kurzgeschichten in einer Fremdsprache zu schreiben, denn schon mit deinen wenigen Korrekturen sehe ich gleich, wo meine heutigen Schwächen liegen.
Ehrlich gesagt, bin ich sehr stolz auf mich selbst, dass ich es endlich schaffe, kurze Geschichten zu schreiben. Früher kam ich selten unter 12 Seiten.schreibt ihr hier immer so kurz?
Jueps bemerkt:
Jetzt sieht man mal wieder, wie wichtig es ist, um seine Sachen von Leuten durchlesen zu lassen: Ich wäre alleine nie draufgekommen, dass hier ein Fehler vorliegt. Beim Einstellen ist übrigens die Kursivschrift rausgefallen. Ich hatte im Original "lebt" als einziges Wort kursiv geschrieben. Es stand also da:QUOTE
nur John, diesen Philippiner, im Virtualnet. Er lebt auf den Philippinen. Ich glaube nicht, dass der sich auf einer dieser langen Flugwartelisten setzen lässt, um sie wirklich zu treffen.
Wiederum eine schöne Idee, aber da klingt was doppelt-gemoppelt. Ich würde letzteres "Philippinen" streichen.
... John, diesen Philippiner, im Virtualnet. Er lebt auf den Philippinen.
Ich hatte dies so gemacht, weil ich klar machen wollte, dass John sehr weit weg wohnt (und nicht etwa ein ausgewanderter Philippiner ist).
Aber natürlich hast du Recht! Es ist unschön.
Ich streiche den zweiten Satz und schreibe den ersten Satz wie folgt:
... John, diesen Philippiner von Manila, im Virtualnet.
und schon ist die Sache elegant gelöst.
(Rowlf kam auch schon mit einer ähnlichen Lösung)
QUOTE
"No voice", sagte ich.
Meine Lieblingsstelle des Textes, aber warum bedient Suzanne den Computer auf Englisch? Kontrollieren wir Systeme in Zukunft nicht in unserer Muttersprache?
Mmmh, deine Lieblingsstelle.
Schauen wir uns mal diese Szene (die Anfangsszene) an.
Ich stand am Grab meines Vaters.
"Ich bin wieder da, Papa", sagte ich.
"Hallo Suzanne", tönte seine Stimme.
"No voice", sagte ich.
Die Stimme - generiert aus früheren Aufnahmen - tönte so echt ...
(Ich überlege mir jetzt, ob ich nicht "Seine Stimme" schreiben soll)
Okay, wir sind in der Zukunft - und die Verenglischung hat ziemlich um sich geschlagen.
Hintergrund 1: Bei dieser Geschichte versuche ich die veränderte Sprache zu zeigen (damit jedermann sofort versteht, dass wir in der Zukunft sind).
Hintergrund 2: Als es sich erstmals durchsetzte, Computer mit der Stimme zu bedienen, hat man gleich englische Basisbefehle eingeführt.
Hintergrund 3: Ich zeige gleich am Anfang einen englischen Ausdruck, damit die Leser nicht über ungewohnte Bezeichnungen, wie "Bauchsack" und "in body", fallen.
Jetzt aber, fällt dir Jueps, dies als unschön auf. Was tun?
Überlegung 1) (für mich selbst): In den künftigen Kurzgeschichten keine Sprachexperimente mehr durchführen! Es wird immer Leute geben, die darüber fallen und meine Geschichten deshalb nicht mögen. So eliminiert man die Anzahl der Leser ...
Überlegung 2) (für die vorliegende KG): Ich kann natürlich "keine Stimme, bitte" schreiben, aber dann ... siehe Hintergründe. Vielleicht ändere ich aber das Englisch ab? Damit es weniger hart tönt? Wie wäre es mit "no sound" ? Oder mit einem Sprachmix: "sound weg" oder "sound abschalten, bitte" ?
Okay, jetzt zu Franks Kommentaren ... (Uff, ächz, Stöhn, entspann dich, Henk, offen stehen für Kritik, offen stehen für Kritik, entspann dich, entspanne, beruhige dich, löse langsam die Finger vom Tisch, akzeptiere die Kritik, akzeptiere sie).
Ja, das Foto kommt auf den Grabstein. Das ist doch ganz logisch, oder? Die Fotos, die schon vorhin auf dem Grabstein waren, rutschen einen Platz. Hast du noch nie einen Grabstein mit einem Foto gesehen? Hast du noch nie auf deinem Compi Fotos hin und her geschoben?QUOTE
"Ich habe ein Foto von Janice und mir mitgenommen."Ich zog eine Pic-Falte aus meinem Bauchsack und klickte das Foto von meiner Tochter und mir an. Das Bild erschien auf der linken oberen Seite des Granitgrabsteins, das Dutzend anderer Bilder rutschte einen Platz.
Verstehe ich nicht. Wo kommt wo was hin? Auf den Grabstein???
Okay, ich weiss - dies ist verwirrend.
Aber das ist halt so eine Entscheidung. Ich nenne es die "Staubsauger"-Entscheidung.
Nehmen wir mal an, ich würde eine Kurzgeschichte schreiben, in der eine Hausfrau die Wohnung sauber macht. Sie nehmt den Staubsauger, fängt an zu saugen und findet unter dem Teppich ein Pornoheft. Erkläre ich da, wie der Staubsauger funktioniert? Gebe ich eine technische Erklärung? Nein, denn der Leser UND die Hausfrau wissen, wie ein Staubsauger funktioniert.
Nehmen wir jetzt mal an, ich wäre ein Schriftsteller aus dem 18. Jahrhundert. Ich nehme Feder und Tintengefäss, und schreibe eine Story über eine Frau im 21. Jahrhundert, die einen Staubsauger benutzt. Schreibe ich jetzt eine Erklärung, wie der Staubsauger funktioniert oder lass ich die gute Frau in Ruhe ihre Arbeit machen, bis sie eine merkwürdige Kladde findet - und ich erkläre diese Kladde - bestenfalls durch Handlung, durch die Schockierung der Dame?
Es ist eine Entscheidung: Der Leser kennt den Staubsauger nicht, die Hausfrau (und bis zu einem gewissen Grad auch der Autor) aber wohl. Weil das Heft wichtiger als der Staubsauger ist, erkläre ich nur das Heft ...
Und nehmen wir jetzt wieder den Normalfall an.
Ich sitze jetzt in 2005 über einen Tisch gebogen und versuche ein Ereignis der Zukunft zu schildern. Ein merkwürdiges Gerät taucht auf. Eine Person der Zukunft kennt das Gerät und würde niemals gross Gedanken daran verschwenden, sondern das Gerät einfach benutzen. Was das Gerät dann aber tut, schreibe ich und sollte somit für den Leser klar sein.
Ich bevorzuge diese Arbeitsweise.
Ehrlich gesagt, möchte ich in "das Grab" sogar ein bisschen verwirren. Der Leser soll nicht sofort bemerken, dass Suzanne eine virtuelle Realität vor sich sieht, er soll denken, dass es auf die zukünftigen Grabsteine eine Fläche gibt, auf die man Fotos projektieren kann.
Somit bin ich offen für einen Vorschlag, wie man "diese Sache mit der Projektierfläche auf dem Grabstein" bessern kann, aber ich frage mich auch, ob ich die Stelle nicht einfach so stehen lassen soll und die Vorstellungskraft des Lesers etwas Kredit gewähre.
Das ist das Problem mit dieser Englisch-Zukunftsprache. Es gefällt nicht. Siehe oben. Ich verspreche Besserung.QUOTE
So in body, meine ich.
Ist mir zu aufgesetzt.
Tatsächlich habe ich so meine Mühe um "Umgebung" zu schreiben. Meistens versuche ich, die Umwelt in Handlung zu verpacken.QUOTE
die andere reichte bis zu einem grünen Holzbänkchen, auf welches ich mich am liebsten gesetzt hätte.
Der, die, das - schnelle kleine Boote. Dieser, jene, welches, alte Kähne mit Muscheln an der Gallionsfigur
Also nicht: Links stand ein Bänkchen, rechts gab es ein gelbes Blumenbeet.
Sondern: Hans wollte Marie unbedingt heute küssen. Marie wollte Hans endlich sagen, dass sie niemals seine Freundin werden wollte. Sie setzten sich auf das alte Parkbänkchen. "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt", dachten beide.
In dieser Geschichte war's besonders schwer. Es gibt ein besonders schönes Grab - hergestellt nach den Wünschen des Verblichenen. Also MUSS ich das Grab beschreiben, aber weil es eine virtuelle Umgebung ist, habe ich nur limitierte Handlungsmöglichkeiten.
Weiss jemand, wie ich es besser (weniger schwülstig) machen kann? Vorschläge?
Das verstehe ich jetzt nicht. Ist doch ein gelungener Satz?QUOTE
Ich seufzte und sagte: "Hoffentlich lässt sie nicht John seinen Samen schicken! Ich will meinen 'Schwiegersohn' persönlich kennen!
Klingt unfreiwillig komisch.
Ich habe wirklich gegrübelt über deine Bemerkung und ich kann schliesslich nur sagen: we agree to disagree. Für mich behält meine Story eine komplette und zusammenpassende Welt. Was vielleicht in die Hose gegangen ist, ist mein Unvermögen, diese Welt gut zu schildern.Überbevölkerung, ein enges Zeitfenster, um Kinder in die Welt zu setzen, virtuelle Partnerschaften etc. Das sind alles Mosaiksteine, die du dir geborgt hast, um eine neues Fenster zu machen, das nicht richtig zusammenpassen will...
niemand redet solche Sätze:
QUOTE
Glaube mir, in dieser Weltmit seinen 17 Milliarden Menschen ist es nicht sehr einfach, einen Sitzplatz zu reservieren"
Wirklich nicht? Ich finde diesen Satz sehr natürlich. Ich rede solche Sätze ... jedenfalls gegen vor langer Zeit gestorbenen Leuten an ihren Gräbern.
Auch fand ich dieser Satz treffend, um in Dialog gleichzeitig zu zeigen, weshalb sie schon jetzt gehen muss und dass die Welt überbevölkert ist.
Dialog statt Handlung? Nun, du schreibst:
undDu versuchst, durch einen mehr oder minder funktionalen Dialog die Welt und die Gesellschaft zu beschreiben - das wirkt aufgesetzt und sperrig
Rowlf nennt dies:Das musst du schon geschickter anstellen, am besten durch HANDLUNG!!!
mehr Ambiente und Ausarbeitung
Eigentlich bin ich vom "Konzept der Handlung" (show don't tell) überzeugt. Sehr oft schreibe ich auch so. Es geht aber auch anders. Man kann Handlung auch in Dialog widerspiegeln. Es gibt Kurzgeschichten, in welchen dies sehr wohl klappt. Ich habe absichtlich (!) versucht, die Handlung in den Dialog zu bringen.
Ich wundere mich nun: Habe ich einfach versagt und soll ich nun diesen Stil mehr üben oder soll ich rückkehren zur guten alten Handlung? Oder könnte es vielleicht sein, dass wir alle so auf die Handlungsstilregel fixiert sind, dass wir gar nicht mehr sehen, dass es auch anders geht?
t. sebesta schreibt:
Danke für das Kompliment, Thomas. Ja, auch wenn ich machmal in Verführung gerate, etwas Marktgerechtes zu schreiben, gebe meistens meine Erzählungen einen Inhalt, meine Ansichten oder Vorstellungen mit.Ich liebe diesen Versuch schon desshalb, weil er das beinhaltet, was mir sehr, sehr sehr oft in der SF fehlt. Die Verbindung zum wirklichen Leben.
#7
Geschrieben 16 Mai 2005 - 18:01
Ach ja, dieses "Eindrängeln" gefällt mir. Passt gut zu meiner übervölkerten Welt und damit gibt es einen weiteren Grund, weshalb Suzanne früh gehen muss. Der Satz über das Sitzplatzreservieren könnte somit wegfallen. Nur sollte die Pointe nicht vorverlegt werden - aber das kriege ich schon noch hin. Bei Gelegenheit werde ich mit allen Vorschlägen ein bissel rumspielen und mal schauen, was rauskommt.Menschen, die sich in die Kabine drängeln oder so... "Beeilung, ich will auch meine Tante Friede besuchen!"
#8
Geschrieben 16 Mai 2005 - 18:14
Schon klar, aber es wirkt halt aufgesetzt. Ich zeige dir mal einen funktionalen Dialog von mir, der auch nicht funktioniert hat. Er stammt aus einer frühen Version von "Byte the Vampire" (habe ich für den Cyberpunk-Contest geschrieben). Damit wollte ich Pocorns Zuhälter beschreiben, der in einer mittlerweile gestrichenen Szene aufgetaucht ist:Eigentlich bin ich vom "Konzept der Handlung" (show don't tell) überzeugt. Sehr oft schreibe ich auch so. Es geht aber auch anders. Man kann Handlung auch in Dialog widerspiegeln. Es gibt Kurzgeschichten, in welchen dies sehr wohl klappt. Ich habe absichtlich (!) versucht, die Handlung in den Dialog zu bringen.
Und hier die ursprüngliche Szene dazu:Nebel aus Chemikalien und Dampf steigen von den Bordsteinen auf. An einer Hauswand strahlt Liebesreklame, fast sakral in hellen, purpurnen Tönen. Mädchen stehen davor und warten auf Kundschaft, jedes mit einer Tätowierung am Bein - Klapperschlangen, Mambas und Vipern. "Was für ne miese Nacht", raunt eine dickere Hure, deren Brüste bei jedem Wort schaukeln. "Mir steckt heute keiner was rein." Sie schaut zu einer Nische und winkt. "Hey, Popcorn, laß es! Bei dem Regen kannst du deine Ritter vergessen!" "Ich mach noch zwei Stunden!", ruft Popcorn zurück. "Kennst doch Que, wenn ich mit weniger als 200 aufkreuze, wird der paranoid!" "Wo ist der Rest, du Dreckstück? Wo hast du die Kohle versteckt?", zischt eine Asiatin in einem olivgrünen Plastikkleid. "Der totale Kontrollfreak." "Ist er." Popcorn betastet einen blauen Fleck auf der Schulter. "Aber du weißt, was passiert." Neue Dampfwolken wehen herüber und verhüllen die Sicht, nur Silhouetten, rot und weiß. "Ja, der hat schnell den Taser parat!", schallt eine Stimme von den Wänden zurück. "Wenn wir nicht - hey, da steht irgendwer!"
Verständlicher? Über sowas reden diese (meine) Huren nicht, die kuschen und halten die Klappe.Die gefiederte Schlange, ein Bordell für alle Preisklassen, edel bis schnell. Quetzalcoatl führt seinen Laden mit paranoider Härte, hastig reißt er eine der Mamba-Türen auf und marschiert zu Popcorn ins Zimmer. Sie liegt auf dem Bett und raucht; der letzte Freier ist gerade gegangen. "Wo hast du die Kohle versteckt?!", schreit der Bordellbesitzer sie an. "Soll ich den Taser rausholen?!" "Da liegt es", seufzt Popcorn, müde auf einen Plastiktisch zeigend. "Nur 300 Mäuse?" Er greift nach dem Geld. "Und wo ist der Rest?" "Echt, Que, dein Kontrollzwang bringt dich noch um!" "Halt's Maul", brüllt er zur Antwort und zieht den Taser aus der Tasche. "Von dir laß ich mich nicht verarschen!" Blaue Blitze knistern auf den Metallstäben, als Quetzalcoatl den seitlichen Auslöser drückt und die Schockwaffe vorstreckt. "Wo willst du's diesmal hinhaben?!" "Ist das Mädchen frei?", krächzt eine kehlige Stimme hinter ihm. Quetzalcoatl wirbelt herum und läßt langsam den Taser sinken. "Klar, frisch gewaschen." "Dann laß uns allein", fordert der Mann mit den langen, silbernen Haaren; Raven.
#9
Geschrieben 16 Mai 2005 - 18:16
vorab zu...
Quark - dein Deutsch ist (fast) makellos - nur an ein, zwei Formulierungen erkennt man noch, dass du kein Muttersprachler bist.Da sehe ich wieder, dass ich doch noch nicht gut genug bin. [...] Es bringt allerdings schon was Kurzgeschichten in einer Fremdsprache zu schreiben, denn schon mit deinen wenigen Korrekturen sehe ich gleich, wo meine heutigen Schwächen liegen.
Mit "aus Manila" wäre es noch eleganter Am besten fände ich es aber, wenn du einfach schreibst: "John, diesen Jungen aus Manila". Das klingt natürlich und bringt alle nötigen Informationen... John, diesen Philippiner von Manila, im Virtualnet.
Bitte nicht! Dann lieber "no voice"! Das klingt nämlich (i) melodischer und (ii) wäre es wohl die logische Schlussfolgerung, wenn die Kabine englisch zu bedienen wäre.Damit es weniger hart tönt? Wie wäre es mit "no sound" ? Oder mit einem Sprachmix: "sound weg" oder "sound abschalten, bitte" ?
Aber beachte mal: Diese Kabine ist eine öffentliche Dienstleistung. Jemand hat sie doch errichtet, um Geld zu verdienen, oder? Dieser Jemand kann sich - schon rein wirtschaftlich - nicht darauf verlassen, dass jeder deutsche Kunde die andere Sprache beherrscht. Das ist einfach nicht logisch. Eine alte Oma will per Holokabine ihren verstorbenen Mann im alten Wohnzimmer besuchen. Muss sie jetzt extra "nou wois" oder "Änta se ruhm" lernen, um dies zu tun und schließlich dafür zu bezahlen? Ist das Windows von übermorgen englisch?
Ich glaube nicht.
Nein, denn es ist nicht wirklich seine Stimme.Ich überlege mir jetzt, ob ich nicht "Seine Stimme" schreiben soll
Ich fand es gut, wie du es gemacht hast. Ich würde es so lassen [Ich persönlich finde auch "welches" in Ordnung.]Also MUSS ich das Grab beschreiben, aber weil es eine virtuelle Umgebung ist, habe ich nur limitierte Handlungsmöglichkeiten.
Weiss jemand, wie ich es besser (weniger schwülstig) machen kann? Vorschläge?
Und noch einmal versuche ich als Amateur dem Profi Frank zu widersprechenDas verstehe ich jetzt nicht. Ist doch ein gelungener Satz?
Klar ist Handlung meist fesselnder, aber die Grundgeschichte ist hier: Suzanne in der Kabine. Würden sich jetzt wieder Fremde in diese und damit in die Geschichte drängeln, wird der Fokus vom Wesentlichen Inhalt abgelenkt.
Mir gefällt der Satz wie er ist. Suzanne sieht auf das Grab, und lächelt: "Du weißt ja, wie schwer es heutzutage ist..." Nichts zu beanstanden.
Wahrscheinlich hat Frank hier recht, aber meine Meinung steht.
Bearbeitet von Jueps, 16 Mai 2005 - 18:24.
»Ich bin nicht besonders helle, und es dauert ein bißchen, bis ich etwas kapiere. Aber wenn du mir Zeit läßt, dann werde ich lernen, dich besser zu verstehen als irgend jemand sonst auf der Welt.«
#10
Geschrieben 16 Mai 2005 - 18:24
#11
Geschrieben 21 Mai 2005 - 11:47
#12
Geschrieben 22 Mai 2005 - 12:21
Bearbeitet von Frank, 22 Mai 2005 - 12:22.
#13
Geschrieben 12 Juli 2005 - 07:01
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