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[Kurzgeschichte] Der Flüchtling


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3 Antworten in diesem Thema

#1 Sandnix

Sandnix

    Mikronaut

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Geschrieben 12 Juli 2005 - 06:53

Einsamkeit und Sehnsucht war alles was er noch empfand. Er musste gegen die Langeweile und die Verzweiflung ankämpfen die ihn zu betäuben, zu töten drohten. Ungeduldig schweiften seine Sinne über das Land. Bald. Bald würde er kommen ...Renao blickte gedankenverloren auf die Häuser der nahen Siedlung hinab. Jedes hatte eine andere Form, wenn auch die typische Kuppelbauweise dominierte. Wie exotisch anmutende Gewächse schmiegten sich die Gebäude an die Hänge der umliegenden Hügel und verschwanden teilweise fast vollständig zwischen Büschen und Bäumen. Hier und da stach aber ein wundervoll angelegter Garten mit seiner Farbenpracht durch das dichte grün und zeugte davon, dass hier auch tatsächlich Menschen lebten.Zu diesen Menschen gehörten nun auch Renaos Eltern. Seit heute hatten sie hier in Rastrana ihr neues Zuhause. Schon vor einer halben Stunde waren sie mit dem vollgepackten, altertümlichen Eselkarren ihres neuen Nachbarn weggefahren, während Renao zurückgeblieben war um den Bahnwagon weiter zu entladen. Eigentlich war keine Eile geboten, denn es gab standartgemäß zwei Haltegleise und der Verkehr war eher gering. Nur wenige Wagons hielten hier, denn die meisten Besucher wollten ohnehin nur zum Strand und kamen daher mit Booten vom Meer her. Dennoch machte er seine Arbeit. Es musste ohnehin getan werden, doch wie so häufig in der letzen Zeit schweiften seine Gedanken ab.Seit er die Zulassung für die Flottenakademie bekommen hatte, war eine seltsame Stimmung über ihn gekommen. Die anfängliche Euphorie war einer eher nachdenklichen, kritischen Haltung gewichen. Renao vermutete, dass es mit der vielen Freizeit zusammenhing. Er hatte kaum etwas zu tun gehabt in der letzten Zeit, eine echte Abwechslung nach dem harten Training und dem Lernen für die Prüfungen. Wieder blickte er hinab auf das kleine Dorf unweit der Felsenküste. Die anschauliche kleine Bucht mit dem weißen Sandstrand war wohl der Grund dafür, dass hier überhaupt jemand lebte. In der Frühzeit waren die Menschen von solchen Geländemarken ebenfalls angezogen worden. Hier, wo man Schutz vor Wind und Wetter fand und zugleich Zugang zur wichtigsten Nahrungsquelle, dem Ozean, hatte. Heute waren wohl eher Kriterien wie das angenehm warme Wasser und der schöne Strand von Bedeutung. Doch irgendwo dazwischen waren sicher noch immer die alten Instinkte, die subtil und unerkannt Einfluss nahmen.Sein eigener Instinkt sagte ihm im Moment jedenfalls, dass er beobachtet wurde. Ein leichtes Kribbeln zwischen seinen Schulterblättern. Er schaute sich um, doch nirgendwo war eine Menschenseele zu sehen. Gleich hinter den halbeingegrabenen, von Pflanzen überwucherten Röhren der Schnellbahn begann ein lichter, für diese Breiten typischer Wald, doch Renao konnte auch kein Tier erkennen, dass ihn aus dem Gestrüpp heraus anstarrte.Vielleicht sind die Instinkte auch schon ein wenig eingerostet, dachte er und wandte sich wieder dem Gepäck zu. Ein schwerer, viel zu voll gepackter Koffer war das letzte, was er aus dem Wagon holte. Ein prüfender Blick ins Abteil, dann gab er dem Wagen den Befehl weiterzufahren. Das System würde ihn automatisch zu einem neuen Bestimmungsort bringen, je nachdem wo er gerade gebraucht wurde. Renao fragte sich gelegentlich warum es überhaupt nötig war, dass zusätzlich zum Computer noch Menschen über das reibungslose Funktionieren der Infrastruktur wachten. Aber die Antwort war immer die gleiche. Jahrtausendelange Erfahrung hatte gezeigt, dass es die effektivste und damit natürlich auch die sicherste Methode war. Doch vielleicht traute man sich auch einfach nicht in die völlige Obhut einer „seelenlosen“ Maschine.Ein Beispiel für mangelndes Vertrauen kam gerade auch den Berg herauf gefahren. Zumindest könnte man das unterstellen wenn man das hölzerne Gefährt erblickte. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts war man ohne solche Fuhrwerke nicht sehr weit gekommen. Doch Renao wusste, dass der neue Nachbar seiner Eltern, Vilkus mit Namen, lediglich ein großer Fan dieser frühen Geschichte war. Sein Haus glich daher auch eher einer Burg als einer Wohnung. Er hatte es mit seinen Eltern schon einmal gesehen, als sie Rastrana das erste Mal besucht hatten. Vilkus und Renaos Vater stiegen ab. Sie sahen fröhlich aus und hatten wohl unterwegs wieder Scherze ausgetauscht.„Schön, du hast den Wagen schon fortgeschickt. Dann wollen wir mal das ganze Zeug auf den Karren packen. Wir für unseren Teil haben schon einen ganz schönen Hunger und Vilkus hat uns für heute Abend zu sich eingeladen.“„Toll, mein Magen knurrt nämlich auch schon.“Das war nicht ganz richtig, Renao hatte in letzter Zeit selten größeren Hunger verspürt. Wenn es an der Zeit war zu essen, hatte er wie bei einem automatischen Vorgang das Nötige in sich hinein geschaufelt. Vielleicht kam das auch davon, dass er aus purer Langeweile fast den ganzen Tag Kleinigkeiten zu sich nahm und Knabberzeug in Massen vertilgte. Von jenem früheren Besuch kannte er jedoch schon die exotische, sehr fleischlastige Küche von Vilkus und verspürte daher einen gewissen Appetit.Eine knappe Viertelstunde später waren sie, mit den restlichen Gepäckstücken auf dem Wagen, vor dem neuen Haus von Renaos Eltern angelangt. Es hatte eine ovale, weißlich glänzende Hauptkuppel mit dem Eingang zum Meer hin. Der Garten war etwas verwildert und wirkte auf den ersten Blick eher wie ein Stück Wald. Einige überwucherte Wege und gerade noch erkennbare Beete ließen aber keinen Zweifel daran, dass sein Vater seinem Hobby problemlos würde frönen können.„Geh doch bis zur Dämmerung noch ein wenig an den Strand. Vilkus meinte, es wären um diese Zeit auch viele Leute in deinem Alter dort.“Renao seufzte innerlich. Er war jetzt 30 Jahre alt und immer noch hatte er das Gefühl von seinen Eltern bevormundet zu werden. Immer wieder tröstete er sich damit, dass das wohl ein ganz normales Phänomen war. Das hatten ihm auch seine älteren Geschwister versichert, die sich inzwischen über den ganzen Planeten verflüchtigt hatten. Dennoch würde Renao seine Eltern keinesfalls als streng bezeichnen.„Ok. Dann sehen wir uns später.“Er nickte Vilkus freundlich zu, der die Geste genauso erwiderte.Der Weg hinunter zum Meer führte scheinbar wahllos quer durch das Dorf. Hier und da wusste man kaum, ob man auf einem Gartenweg oder auf der Dorfstraße unterwegs war. Dann konnte er den Strand endlich sehen, der zwischenzeitlich von einer letzten Hügelkuppe verdeckt worden war. Er war nur einige Hundert Meter breit, aber dafür gut zwanzig Meter lang, und wurde von den hochaufragenden Felsenklippen begrenzt. Den Rest des gewundenen Weges ging er mit leichtem Schritt und fühlte schon eine wilde Vorfreude in sich aufsteigen. Es war lange her, dass er im Meer gebadet hatte. Als er den weichen, feinkörnigen Sand betrat, beachtete er die anderen Menschen am Strand gar nicht weiter. Nur auf einige nackt in der Sonne badende Leute musste er aufpassen, als er zum Wasser lief. Dort zog er sich die Schuhe und das Hemd aus, die kurze Hose ließ er an. Dann lief er ins Wasser und schwamm einige Bahnen in der Bucht. Erfreut stellte er fest, dass die antrainierten Muskeln noch immer einiges hergaben. Für die Aufnahmeprüfung hatte er nicht nur seinen Geist, sondern auch seinen Körper trainieren müssen.Mit einem Mal hatte er wieder das Gefühl beobachtet zu werden. Doch nicht vom Strand aus, da war er sich sicher. Leichtes Unbehagen ließ ihn frösteln und mit einem Mal fühlte er sich im offenen Wasser angreifbar und verletzlich. Ein Verlangen abzutauchen und sich zu verstecken stieg in ihm auf. Fast panisch wandte er sich zurück zum Strand und schwamm mit schnellen Zügen auf das Ufer zu. Da fiel das Gefühl genauso schnell von ihm ab, wie es aufgetaucht war, ganz so, als hätte er sich durch die rudernden Bewegungen daraus befreit.Das muss der Klimawechsel sein, er steigt mir zu Kopfe.Etwas erschöpft stieg er aus dem Wasser stieg und ließ sich im Sand nieder. Die Augen geschlossen, genoss er das angenehme Kribbeln des Sandes auf dem er lag und genoss, wie der warme Wind ihn streichelte. Die freudigen Rufe der anderen Menschen am Strand drangen an sein Ohr, im Hintergrund das sanfte Rauschen der Wellen. All das wirkte sehr beruhigend und bald hatte Renao den kleinen Zwischenfall im Wasser vergessen.Nach einer Weile öffnete er die Augen wieder und blickte verträumt zum klaren, beinahe wolkenlosen Himmel empor, wo man die beiden Monde von Mannen†™s Welt im leichten Blauschimmer der Atmosphäre sehen konnte. Vor seinem inneren Auge flogen die Bilder aus der Vergangenheit vorbei, als er von seinem Vater gelernt hatte, wie die beiden Monde sich um Mannen†™s Welt und gleichzeitig noch umeinander drehten. Das hatte ihn fasziniert und oft war er mit dem Teleskop draußen gewesen, um das Schauspiel aus der Nähe zu verfolgen. Bald würde er selbst dort oben sein, zum ersten Mal in seinem Leben. Die Interorbitale Fähre würde ihn nach Luna Montana bringen, dem großen Systemraumhafen mit der weitläufigen Handelsstation. Gleich dahinter befanden sich die gewaltigen Produktionsanlagen, die die überall im System gesammelten Rohstoffe weiterverarbeiteten. Im Moment waren ihre Strukturen auf der Tagseite nur als dünne Linien erkennbar, doch auf der Nachtseite des größeren der beiden Monde erkannte man ganz deutlich die vielen Lichter, die wie ein großes silbernes Spinnennetz aussahen ...Druck. Ein unglaublich schwerer Druck lastete auf ihm. Wie ein unbekannter Feind der versuchte ihn zu zerquetschen. Tausende und Abertausende kleine Ärmchen und Tentakel schabten an seiner Haut und versuchten vergeblich Halt zu finden. Ihre Mühen nahm er als penetrantes Kitzeln wahr und tief in seinem Inneren verspürte er eine unbändige Wut, das Verlangen die kleinen Wesen in Stücke zu schlagen, jedes einzelne von ihnen auszulöschen. Nur sein gepeinigter aber immer noch starker Verstand hielt ihn davor zurück. Weit würde er ohnehin nicht kommen, denn er fühlte die Wunden in seinem Körper, die ihn an diesen Ort fesselten. An den Schmerz hatte er sich inzwischen gewöhnt und sich damit abgefunden, doch die Verzweiflung zerrte an den letzten Bastionen der Hoffnung.Gesang drang an sein Ohr ...Renao erwachte und kalter Angstschweiß lief ihm den Rücken herunter. Der weiche Sand kitzelte auf seiner Haut und für einen kurzen Augenblick verspürte er wieder dieses unbändige Verlangen sich davon zu befreien. Hektisch rieb er die kleinen Sandkörnchen von seiner Haut, merkte kaum, dass er sich dabei fast zerkratzte.Was war das, dachte er und versuchte sich zu sammeln. Nicht reiben, nicht kratzen, ganz ruhig, sagte er zu sich selbst. Nervös schaute er sich um. Keiner der Umliegenden schien etwas bemerkt zu haben. Langsam beruhigte sich sein Herzschlag und sein Atem wurde langsamer. Renao hatte früher Alpträume gehabt, doch dieser war mit keinem vergleichbar. Er hatte nichts gesehen. Nur sein Tastsinn war in diesem Traum angeregt worden. Bis der Gesang erklungen war. Er erinnerte sich nun auch wieder an das Gefühl der Unsicherheit, dass er beim Schwimmen verspürt hatte. Irgendetwas war hier draußen, beobachtete, verfolgte ihn. Verdammte Hitze, welchen Horrorfilm habe ich geschaut, der ...Ein Schatten trat plötzlich vor die Sonne und Renao erschrak sichtlich.„Dich kenne ich noch nicht.“Die Stimme klang weiblich und außerordentlich angenehm. Mit rasendem Herzen wandte sich Renao um und erkannte ein hochgewachsene Frau, wohl in seinem Alter. Sie hatte langes blondes Haar, vom Meerwasser verklebt. Ihr athletischer Körper steckte in einem bauchfreien, schwarzen Badeanzug und ihre Haut war von der Sonne zu einem gesunden braun gebrannt worden.„Ich ..., ich bin Renao.“ Schamesröte stieg ihm ins Gesicht. Noch nie hatte er sich einer Frau gegenüber so hilflos gefühlt. Hatte sie ihn eben beobachtet? Unsicherheit zerfraß Renaos Selbstbewusstsein und er fühlte ein ihm bisher völlig fremdes Gefühl: Feindseligkeit.„Du kommst nicht von hier oder?“ Die Frau setzte sich neben Renao in den Sand und er musste zugeben, dass sie außerordentlich attraktiv war. Ihr Gesicht war genauso glatt und wohl proportioniert wie ihr Körper und die haselnussbraunen Augen waren so durchdringend wie wunderschön.„Äh, nein. Ich komme von weiter aus dem Norden. Wir wohnen am Fuß der Vengeten.“Sie sieht aus wie eine Göttin, dachte Renao. Er fühlte sich zu ihr hingezogen, obwohl er sie noch nicht eine Minute kannte. Liebe, Sehnsucht?„Achso, dachte ich es mir doch. Deine Haut ist so hell, das ist hier eher selten und wenn, dann sind es Auswärtige. Ich bin übrigens Vana.“Sie reichte ihm die Hand und bevor ihm die Geste überhaupt bewusst wurde hatte er seine schon hineingelegt. Ihre Haut war angenehm weich, doch der Händedruck kräftig. Ein Schauer durchlief ihn. Der Druck, er empfand es fast als unangenehm, doch ihre Berührung stillte ein merkwürdiges Verlangen. Dennoch zog er seine Hand schnell wieder zurück.„Ist etwas?“ Vana blickte ihn etwas verdutzt an.„Nein, nein. Entschuldige, ich glaube die Hitze drückt mir ein bisschen auf den Verstand. Ich bin selten im Süden, war in meinem Leben glaube ich nur ein halbes Duzend Mal überhaupt am Meer.“„Ha, das kann ich dir nachfühlen. Mir ging es anfangs genauso.“„Du bist also auch nicht von hier?“ Renao entspannte sich wieder, doch das Gefühl der Unsicherheit blieb. Er war nicht Herr seiner selbst und damit kam er überhaupt nicht zurecht. Dazu kam die entwaffnende Art von Vana. Er fühlte sich wie ein Stück Vieh auf dem Weg zur Schlachtbank.„Nein, ich komme aus Norderwer. Dort ist es noch um einiges kühler als bei euch. Aber ich lebe inzwischen schon seit zehn Jahren hier und hab†™ mich an das Klima gewöhnt. Und du? Gehörst du zu dem Paar, das hierher zieht?“„Ja, und nein. Ich bin der Sohn.“ Wieder spürte er, wie er rot wurde. Dabei war doch nichts dabei, der Sohn von irgendjemandem zu sein.„Ja und nein? Na ja, ich will nicht weiter fragen. Entschuldige meine Neugierde aber es kommen im Moment selten neue Leute hierher. Die Saison ist etwas dürftig. Liegt wohl an der Sektormeisterschaft auf Renreacu. Dort gibt es auch schöne Strände und man ist live dabei.“„Ich interessiere mich nicht sehr für Fußball.“ Das war gelogen.„Freut mich, immerhin wärst du sonst wohl nicht hier, was? Du kannst gut schwimmen wie mir scheint. Lust auf eine weitere Runde?“Sie hat mich doch beobachtet. Für Renao war das nichts neues, daheim hatten ihn mehrmals Mädchen angesprochen. Er hielt sich nicht für überdurchschnittlich attraktiv, aber das sahen die wohl anders. Doch im Moment kam es ihm so vor als könnte ein kleiner Fehler ihn das Leben kosten. Eine beinahe mystische Aura schien Vana zu umgeben und ein Teil von ihm, hatte sie bereits in sein Herz geschlossen. Er stellte sich vor, ihr den Badeanzug auszuziehen...Mit einem Ruck stand er auf und schüttelte die Gedanken aus seinem Kopf. Es war ihm peinlich. Das Wasser wird mich abkühlen, vielleicht kann ich dann endlich wieder klar denken.„Gut, schwimmen wir eine Runde. Die Abkühlung kommt mir gerade recht.“Schon war er losgelaufen und sprang ins Wasser, obwohl es fast noch zu flach war um darin zu schwimmen. Nach einigen raschen Zügen sah er, dass Vana beinahe gleichauf war. Mit kräftigen Kraulbewegungen ruderte er in die Bucht hinaus, doch sie holte weiter auf und schwamm schließlich neben ihm. Ein plötzlicher Ehrgeiz packte ihn und mit dem Mobilisieren seiner Reserven gelang es ihm wieder einen kleinen Vorsprung herauszuholen. Doch das Salzwasser brannte in seinen Augen und in seiner Kehle und nach einer Weile lag Vana uneinholbar vorn. Sie hatten den Eingang zur Bucht und die dort ankernden Boote schon hinter sich gelassen als sich Renao erschöpft auf einem aus dem Wasser ragenden Felsen niederließ. Vana schien noch immer fit zu sein und umkreiste den Felsen wie ein Haifisch. Als er wieder zu Atem kam begann Renao das Gespräch von Neuem.„Was machst du eigentlich hier draußen? Dieses Dorf ist doch eher was für alte Ehepaare oder Leute, die wirklich ihre Ruhe wollen, oder nicht?“Vana befand sich gerade hinter ihm und so war Renao nicht ganz sicher, was ihr glucksen zu bedeuten hatte. Erst als sie wieder in sein Blickfeld kam, sah er, dass sie lachte. „Ganz schön frech. Woher willst du wissen, dass ich nicht doppelt so alt bin wie du?“„Ich hab es in deinen Augen gesehen. Die Augen verraten das Alter.“ Vana hielt inne und schwamm zu seinem Felsen, an dessen Rand sie sich festhielt. Sie schaute ihm direkt in die Augen und einen Moment lang hatte er das Gefühl, eine der Nixen aus dem Märchen vor sich zu haben, die ihn ins Wasser und in die ewige Verdammnis locken wollte. Schnell schüttelte er den Gedanken ab. „Es gibt Kinder hier. Vielleicht hab ich ja welche?“„Hmm, Nein.“„Nein? Was, nein. Woher willst du das wissen?“„Deine Augen...“„Oh, du.“Renao erntete einen Schwall Wasser, doch zugleich wusste er auch, dass er nun die Initiative hatte. Das Wettschwimmen hatte den unangenehmen Traum und die Unsicherheit aus seinen Gedanken vertrieben. Vana lachte und Renao musste unweigerlich miteinstimmen. Noch bevor er sich wieder beruhigt hatte, fing Vana erneut zu reden an.„Na gut, du hast gewonnen. Du hast mit beidem Recht. Ich bin wohl nicht viel älter als du und Kinder hab ich auch keine. Heute ist dein Glückstag.“ Er musste schmunzeln.„Ich bin Forscherin. Seit sechs Jahren bin ich an der Küste unterwegs und erforsche hier das Verhalten der Delfine.“ Verblüfft versuchte Renao die plötzliche Sachlichkeit der Unterhaltung zu verarbeiten.„Ich habe Soziobiologie studiert und Meereskunde. Das Meer ist der Ursprung weißt du? Ich suche nach Antworten.“Damit tauchte sie ab und Renao konnte ihren schlanken Körper unter der Wasseroberfläche gerade noch in Richtung Felsenküste wegflitzen sehen. Mit einem gewagten Kopfsprung, denn es war schwer einzuschätzen, wie tief das Wasser hier war, folgte er ihr und schwamm dabei so schnell er konnte. Überall waren vom Wasser umspülte Felsen und die Steilküste sah hier unten aus wie ein Schwamm, so viele Löcher hatte das Wasser in sie hineingetrieben. Doch Vana sah er nirgends. Aufgrund der Wellen, die mit ihren weißen Schaumkronen an ihm vorbeikamen, war es unmöglich Luftblasen zu erkennen, die ihm vielleicht ihre Position verraten hätten. Renao stieg vorsichtig an einer Klippe aus dem Wasser und beobachtete die Umgebung. Sie waren ein ganzes Stück von der Bucht entfernt und so weit er sehen konnte, bestand die Küste, vom Eingang der Bucht einmal abgesehen, hier nur aus den knapp zwanzig Meter hohen Felswänden. Nun doch etwas beunruhigt, rief Renao ihren Namen, aber außer den Wellen und dem gelegentlichen Kreischen der Seevögel hörte er nichts. Sie kennt sich hier aus, ihr kann unmöglich etwas passiert sein, dachte Renao und fühlte dabei dennoch einen leichten Anflug von Panik.Gerade wollte er wieder rufen, da fiel ihm auf, dass die Steilküste einige Meter weiter vorne etwas seltsam aussah. Er sah genauer hin und ja, da war eine weitere, wenn auch viel kleinere Bucht versteckt. Ohne zu überlegen sprang er ins Wasser und schwamm dorthin. Die Bucht war gar nicht weit entfernt und ihr Eingang war nur deswegen schwer zu sehen gewesen, weil er nur wenige Meter breit war und sofort eine Biegung machte. Doch dann bot sich ihm erst die eigentliche Überraschung. In diesen kleinen Einschnitt in der Felsenküste war ein einzelnes Kugelhaus gebaut, komplett mit Anlegesteg, einem daran befestigen Boot und einer Treppe, die bis zum Rand der Felswand nach oben führte. Langsam schwamm er bis zum Steg, wo eine Leiter angebracht war. Die Sprossen waren trocken, wo das Wasser sie nicht erreichen konnte, also war Vana entweder doch nicht hier, oder aber die Sonne hatte bereits ihr übriges getan. Vorsichtig ging er den Bootsteg entlang, fast so, als würde er eine Falle erwarten und lauschte. Doch wieder war außer den Vögeln und den glucksenden Wellen nichts zu vernehmen. Die ovale Tür des Hauses war offen, nur einige an Schnüren aufgehängte Muscheln behinderten beim Eintreten.„Vana? Bist du hier?“Renao betrat das Innere des Hauses, das überall mit Tüchern verhangen war. Wo die Wände noch zu sehen waren, hingen sie voll mit allerlei Krempel, den man wohl nur im Meer fand. Muscheln, Korallen, sogar ein Fischskelett und die noch recht intakt aussehende Hülle eines zangenbewehrten Schalentiers. Das Haus wirkte von Innen viel größer, trotz der Tücher und Renao vermutete, dass es ein Stück in die Felsenwand hineingebaut war. Gerade wollte er ein weiteres Tuch zur Seite schieben, als er hinter sich Schritte hörte. Er blickte zurück und sah durch das rote Tuch hindurch einen Schatten in der Tür stehen.„Ach, du bist schon hier. Freut mich.“ Der Schatten streckte eine Hand aus, die etwas großes, rundes zu halten schien.„Hier, du musst unbedingt davon probieren. Ich habe sie von einem alten Lehrer und baue sie seitdem selbst an.“ Renao schob das Tuch zur Seite, das ihn und Vana trennte und begutachtete das Obst, dass sie ihm anbot.„Sieht aus wie eine ganz normale Wassermelone. Im übrigen kein sehr komischer Scherz. Einen Moment war ich echt in Sorge.“ Doch Vana lächelte nur und schnitt die Melone mit einem Messer in Scheiben.„Einen ganzen Moment lang? Ich fühle mich geehrt.“„Ach was, gib schon her.“Schweigend aßen sie die doch sehr wohlschmeckende Frucht und schmatzten genüsslich. Hin und wieder blickten sie einander an, schauten aber sofort wieder weg, wenn sich ihre Blicke dabei zufällig trafen.„Was treibst du hier draußen?“ Renao hatte den letzten Bissen heruntergeschluckt und war nun erpicht darauf, ein paar Antworten zu bekommen. Zudem stieg langsam ein Verdacht in ihm auf.„Das hab ich dir doch schon gesagt. Ich forsche hier hauptsächlich an Delfinen. Die Korallenriffe waren aber der Grund, warum ich ursprünglich herkam.“„Und die Delfine haben dich hier gehalten? Aber wieso, es gibt sie doch so gut wie überall.“„Ja, das mag sein, aber diese Delfine sind etwas besonderes.“ Eine merkwürdige Wandlung war mit der jungen Frau vorgegangen, denn mit einem Mal wirkte sie aufgeregt, fast schon hektisch. Sie nahm Renao bei der Hand und zog ihn mit sich.„Komm, ich zeige es dir.“ Sie führte ihn in die hinteren Bereiche des Hauptraums, wo sich zu seiner Überraschung ein recht komplex aussehendes Computerterminal befand. Bevor er wusste wie ihm geschah, hatte Vana ihn in einen bequemen Sessel gedrückt und setzte ihm mit einer Nackengabel ein Datenkabel auf. Renao spürte das leichte prickeln als die Informationen per Induktion von der Gabel an seinen Nervenknoten am Nacken übertragen wurden und schloss aus Gewohnheit schon mal die Augen. Mit einem Mal umgab ihn kaltes Meerwasser und er hielt unweigerlich die Luft an. Doch ließ der Reflex schnell nach, denn es war nicht das erste Mal, dass Renao eine Unterwassersimulation erlebte. So konnte er sich in aller Ruhe umsehen.Er befand sich sicher einige Meter unter der Wasseroberfläche, denn es drang kaum noch Licht hierher. Dennoch konnte er die schlanken Delfinkörper sehen, die sich um ihn herum bewegten.„Ja, schöne Delfine. Ich kann keinen Unterschied zu anderen erkennen, die ich gesehen habe.“„Du musst nichts sehen, nur hören. Achte auf das, was du hörst.“Er tat wie ihm geheißen wurde und tatsächlich hörte er ein leises Wimmern, zumindest war das der Eindruck, den er von den Lauten hatte. Zu Tode erschrocken riss er die Haltegabel herunter, nahm den Krampf den er sich durch den plötzlichen Abriss der Verbindung einhandelte und auch das Schwindelgefühl in Kauf. Taumelnd versuchte er den Ausgang zu finden, riss dabei eines der Tücher herunter und stieß an diverse Möbelstücke. Ein Knirschen erklang als er in einen Haufen Muscheln trat. Da wurde er urplötzlich von hinten gepackt und zu Boden geworfen.„Was ist denn auf einmal in dich gefahren?“ Er spürte, wie Vana ihn mit ihrem ganzen Gewicht an den Boden drückte und sie war durchaus kein Leichtgewicht wie er feststellte. Da kamen die Gefühle aus seinem Traum wieder nach oben. Er spürte wie Vanas Brüste sich gegen seinen Nacken pressten und ihr Bauch sich hob und senkte, dabei immer wieder seinen Rücken berührte. Ihre Beine versuchten seine ruhig zu halten. Druck. Eine irre Panik überkam Renao und eine ihm uneigene Wut wurde entfesselt. Mit seinem Ellenbogen stieß er heftig nach Vana und ihr erstickter Schrei zeugte von einem Volltreffer. Wie besessen fuhr er herum und packte die Frau am Hals. Sein Knie drückte er ihr in den Bauch um sie zu fixieren, dann drückte er zu. Panik stand in Vanas Augen, doch seine eigene Furcht ließ ihn kaum noch klar denken. Da fiel es ihm plötzlich wie ein Schleier von den Augen. Sofort ließ er los und fühlte wie ihm übel wurde. Vana röchelte, hielt sich den Hals und krümmte sich, Blut lief über den Boden. Renao rannte nach draußen und übergab sich ins Meer. Was war passiert? Irgendetwas hatte ihn fast wahnsinnig gemacht. Beinahe hätte er Vana umgebracht. Panische Angst überkam ihn, doch dieses Mal von einer tiefen Sorge hervorgerufen.Eilig ging er in das Haus zurück und beugte sich zu Vana hinunter. An ihrer Schulter war ein langer Riss, nicht sehr tief aber genug um kräftig zu bluten. Renao hatte sie bei seiner Attacke auf eine versteinerte Koralle geworfen. Rote Druckstellen waren an ihrem Hals, doch im Moment schien der Schmerz in ihrem Bauch stärker zu sein. Sie hustete und spuckte. Renao musste sie mit dem Ellenbogen ordentlich erwischt haben und sein Knie schien seine Wirkung auch nicht verfehlt zu haben. Behutsam nahm er ihre Arme und legte sie nach hinten. Dann zog er denn verkrampften Körper zu sich heran, kniete sich hin und betastete vorsichtig ihren Bauch, zog den Badeanzug ein wenig nach oben um die Seite sehen zu können in die er sie gestoßen hatte. Nirgends war etwas zu sehen, was nicht hieß das er ihr keine inneren Verletzungen zugefügt haben könnte. Vorsichtig bettete er Vanas Kopf auf ein herumliegendes Kissen. Ihre Augen waren geschlossen und nur ein sanftes Stöhnen kam über ihre Lippen.Hektisch lief Renao durch das Zimmer und suchte nach dem Erste-Hilfe Schrank. Neben dem Computer fand er ihn, riss ihn auf und holte das Diagnosegerät hervor. Zurück bei Vana blickte diese ihn an. Mit gebrochener, aber dennoch deutlich wahrnehmbarer Stimme sagte sie: „Lass es sein. So schlimm ist es nicht. Gib mir nur etwas zu trinken.“ Doch Renao wollte sich sicher sein. Er ging neben Vana in die Hocke und fuhr mit dem Gerät über ihren Bauch. Mit einem erleichterten Seufzen betrachtete er das Ergebnis. Das Gerät stellte nur eine leichte Prellung fest. Nichts ernstes. Vanas Hand griff nach der seinen.„Das ist meine Schuld. Ich hab das Gerät nicht auf dich eingestellt. Dein Nervensystem ist überlastet worden.“Renaos anfänglicher Verdachte begann sich zu verflüchtigen. Oder wollte sie ihr Vorgehen einfach nicht eingestehen?„Nein, das war es nicht.“ Renao fragte sich was er mit dieser Aussage bezweckte, immerhin hatte sie das ganze ja vielleicht selbst zu verantworten. Doch sein schlechtes Gewissen war stärker.„Es lag nicht an dem Gerät. Irgendetwas an dem Gesang der Delfine hat mich verrückt gemacht. Vorhin am Strand, da habe ich davon geträumt. Es war grauenhaft.“Er beobachtete Vanas Gesicht genau. Sie war geschwächt und würde sicher nicht so gut lügen können. Oft schon hatte er Filme gesehen oder Bücher gelesen, in denen Telepathen beiderlei Geschlechtes allen Anstand vergasen und ihre Fähigkeiten einsetzten um ihre große Liebe zu erobern. Doch Vanas Gesicht blieb ernst.Das Essen fiel ihm schwer. Immer wieder musste er daran denken, wie er Vana geschlagen und getreten hatte. Ja, sie hatte ihm verziehen, war verständnisvoll gewesen und hatte sogar versucht den Zwischenfall zu verharmlosen. Sie hatten sich noch lange unterhalten, denn Renao hatte nicht gehen wollen, bevor sie sich nicht wieder besser fühlte. Sein Verdacht hatte sich dabei völlig verflüchtigt, denn obwohl er sie nicht direkt gefragt hatte, war er nun ziemlich sicher, dass sie keine Telepathin war. Was er getan hatte war daher unentschuldbar. Tiefste Verachtung war alles, was er in diesem Moment für sich empfinden konnte. Die niedersten menschlichen Instinkte hatten ihn übermannt und zu einem Monster gemacht. soziale Ausgrenzung und Misstrauen wären die unerträgliche Folge, sollte das bekannt werden. Doch Vana hatte ihm versprochen nichts zu sagen.Was Vana dann am Ende erzählt hatte gab ihm dagegen auch zu denken. Die Delfine die sie ihm gezeigt hatte, sie hatten angeblich Namen. Jeder von ihnen, so hatte Vana ganz begeistert berichtet, stimmte ab einem gewissen Alter eine ganz persönliche Melodie an. Die anderen Delfine nahmen diese Melodie auf und aus ihrem Verhalten ließ sich schließen, dass sie sich tatsächlich damit riefen. Vana hatte schnell gemerkt, dass er ihr nicht glaubte und ihm daher die Aufzeichnungen mitgegeben. Doch Renao hatte Angst davor sie sich anzusehen. Natürlich hatte er Angst, dass der Delfingesang tatsächlich wieder so klang wie in seinem Traum. Noch immer versuchte er sich einzureden, dass es alles nur Zufall gewesen war. Doch noch dazu verspürte er eine tiefe, nicht rational erklärbare Furcht, die fest in seinem Unterbewusstsein verankert schien. Irgendetwas war an diesem Ort, dass ihn zutiefst beunruhigte und nun, da er Vana als Quelle ausschließen konnte, fühlte er sich noch unbehaglicher.„Renao, was ist denn los. Du stocherst nur in dem guten Salat herum. Hast du keinen Hunger?“Veren, Renaos Vater, hatte sich zu ihm hinübergebeugt und nachsichtig geflüstert.„Nein, mir will kein rechter Appetit kommen. Ich glaube langsam kommt die Nervosität wegen der Reise.“ Renao hatte die Kunst der Notlüge schon immer gut beherrscht.„Ach, das kenne ich. Das ging mir genauso. Und dabei war es bei mir nur ein relativ kurzer Ausflug. Da fällt mir ein, ich wollte dir ja vorhin noch etwas geben. Ich habe es beim Packen erst wieder gefunden, sonst hättest du es schon früher bekommen.“Er griff in seine Tasche und nahm einen kleinen Datenchip hervor.„Hier. Sieh es dir bei Gelegenheit an. Ich hoffe es gefällt dir.“Renao nahm den Chip entgegen. Er trug keine Beschriftung, doch er war einer von der Art, die mit schönen Mustern verziert waren und häufig für wichtige, oft sehr private Aufzeichnungen verwendet wurden.„Danke. Ich glaube ich werde schon gehen und mich hinlegen. Was ist denn da drauf?“Veren gab keine Antwort, sondern lächelte nur geheimnisvoll. Eilig verabschiedete sich Renao da von Vilkus und seiner Familie, ließ sich aber dazu überreden einen Teil des Essens eingepackt mitzunehmen.Das neue Haus seiner Eltern war geräumiger als das alte und völlig anders geformt. Anstatt mehrerer kleiner Zimmer hatte es wenige große Räume, die in kleinen Nebenkuppeln an die große Hauptkuppel anschlossen. Renao legte sich auf eines der Sofas im Wohnzimmer, holte seine eigene Nackengabel hervor und starrte den kleinen, schwarz-goldenen Datenchip an. Schließlich überwand er sich, legte den Chip in das Laufwerk an der Gabel und setzte sie sich auf. Der integrierte Minicomputer stellte automatisch die Verbindung her und das Programmdisplay erschien, leicht durchscheinend, in seinem Blickfeld. Per Gedankenbefehl startete er die Simulation.Er hatte diesen Ort schon so oft besucht, dass er sich hier fast schon wie Zuhause fühlte. Doch er war noch nie wirklich hier gewesen. Er spürte den kühlen Wind auf der Haut und die wärmenden Strahlen der Sonne, aber diese Empfindungen gaukelte ihm lediglich die Simulation vor. Diese Aufnahme unterschied sich grundsätzlich von den anderen, die er schon so oft gesehen hatte, denn sein Vater hatte sie gemacht, als er lange vor Renaos Geburt auf Vetrennia gewesen war. So hatte sein Vater diesen Planeten erlebt, und gerade diese Tatsache ließ ihn alles noch mal ganz neu entdecken. Vor sich sah er das weitläufige Areal der Akademie, die eher einem riesigen Park glich, der nur hier und da mit einigen weißglänzenden Kuppeln bebaut war. Überall waren Leute zu sehen, die auf den gewundenen, scheinbar chaotisch verlaufenden Pfaden, zwischen Teichen, Baumhainen und hügeligen Rasenflächen, spazieren gingen. Vögel flogen singend von einem Baum zum nächsten, während vom Meer her, welches hinter ihm lag, die Möwen versuchten, das Rauschen der Brandung mit ihrem Kreischen zu übertönen. Eine Erscheinung in seinem Augenwinkel ließ Renao aufschauen.Direkt über ihm, gerade noch durch den blauen Dunst der Atmosphäre erkennbar, schwebte die Orbitalstation Hermes. Sie hing ganz am Ende des Weltraumlifts, der einige Meilen vor der Küste auf einer kleinen, künstlichen Insel festgemacht war und auf dem Weg zur Raumstation immer dünner wurde und schließlich ganz verblasste. Sein Vater, so wusste Renao, hatte in den zwei Wochen Quarantäne auf der Hermes Station jeden Tag den blauen Planeten unter sich gesehen und dem Augenblick der Ankunft entgegengefiebert. Auch ihm würde es hoffentlich eines Tages so ergehen, denn sein sehnlichster Wunsch war es, nach Vetrennia zu kommen und an der Flottenakademie zu lernen.Doch gerade in dem Moment, als dieser Wunsch so klar in seinen Gedanken schwebte, sah er Vana vor sich, wie sie ihn das erste Mal angesehen hatte. Erschrocken fuhr er auf und die Automatik beendete die Simulation augenblicklich. Ein leichtes Kitzeln war die Folge, ansonsten blieb der Abbruch folgenlos. Nicht so wie bei Vana zuhause.Vana. Was hatte sie in der Aufnahme gemacht. Renao starrte auf die Nackengabel. Wieder das Problem. Es war so einfach nachzusehen ob er sich das alles nur vorgestellt hatte. Doch allein die Möglichkeit, dass das Gegenteil der Fall sein könnte, lähmte ihn. Ja, er empfand etwas für Vana. Es war nicht die Liebe auf den ersten Blick, daran glaube er nicht, doch sie war attraktiv, genau sein Typ und das mystische Etwas das sie umgab, zog ihn magisch an. Sie war eine Göttin der Liebe und hatte ihn in ihren Bann gezogen. Er wollte sie berühren, küssen, mit ihr schlafen, sie stundenlang nur anschauen. Scheinbar seit einer Ewigkeit schon sehnte er sich danach.Doch reichte das, um ihn in einer Holosimulation halluzinieren zu lassen? Vorsichtig zog er den Chip von Vana hervor, legte ihn ein und spielte ihn ab. Sie hatte Recht gehabt.In dieser Nacht hatte er wieder einen merkwürdigen Traum. Wieder sah er nichts, doch er fühlte eine schwere, beinahe tödliche Langeweile. Sein ganzes Sein war davon ausgefüllt. Alles Relevante war gedacht, alle Informationen in seinem Unterbewusstsein waren verarbeitet. Es gab nichts mehr. Hilflosigkeit machte sich breit, Verzweiflung. Der Wille zu leben musste sich aufbäumen und mit aller Gewalt um Aufmerksamkeit buhlen um nicht vom Willen zur Erlösung niedergeschrieen zu werden. Renao wünschte sich gerade ein Messer in die Hand, da hörte er von weitem Stimmen. Sie waren undeutlich, doch sprachen sie eindeutig Terran, wenn auch mit einem eigentümlichen, fremdweltlichen Akzent. Nach und nach erkannte er feine Unterschiede. Manche Stimmen stammten von Menschen, Männern und Frauen verschiedenen Alters, andere dagegen waren computergeneriert und tot. Die undeutlichen Gesprächsfetzen waren schwer einzuordnen. Meistens wurden Zahlen diktiert, wiederholt und geprüft. Es ging scheinbar um Planeten, eine Vermessung. Dann dämmerte es Renao. Hier waren Exploratoren bei der Arbeit ein neues System zu erschließen. Irgendwann, das wusste er, würde er das auch machen. Sobald diese Erkenntnis in ihm keimte, verschwand auch die Langeweile. Der Überlebenswille siegte mühelos und alles Streben, alles Denken wurde auf diese Exploratoren ausgerichtet. Ja, kommt hierher, dachte er. Dann waren die Stimmen fort. Urplötzlich war die Verzweiflung wieder da, doch sie war glücklicherweise nur von kurzer Dauer, denn bald darauf kam eine wahre Flut von Stimmen zurück. Sie näherte sich schnell und drang in Renaos Bewusstsein wie ein angenehmer, wärmender Schauer. Und dann, urplötzlich, sagte eine einzelne, klare Männerstimme: „Hier werden wir wohnen. Fehlt nur noch ein Zugang zum Meer. Aber da, sieh nur, diese winzige Bucht dort zwischen den Felsen ...“Renao erwachte. Was hatte er da geträumt? Es widersprach allem, was er über die Träume und ihre Funktion gelernt hatte. Er musste verrückt geworden sein oder Vana war eine gute Schauspielerin und skrupellos ohnegleichen. Wie betrunken stand er auf und schleppte sich durch das Wohnzimmer. Er hatte noch immer seine Kleider vom letzten Abend an. „Licht,“ sagte er und die Lampen des Wohnzimmer leuchteten gedämpft auf. Renao nahm in einem der bequemen Drehsessel Platz und holte dann die Nackengabel hervor. Er hatte auf ihr geschlafen und musste sie zuerst wieder ein wenig zurecht biegen bevor er sie aufsetzen konnte. Kaum war das geschehen rief er das Programmdisplay auf und stellte die Verbindung zum Netz her. Die regionale Datenbank enthielt eine ganze Fülle von Informationen zu diesem Dorf, doch er suchte nur eine ganz bestimmte. Trinne Rastran und seine Frau Sihera waren es gewesen, die hier als erste gewohnt hatten. Rastrana, daher auch der Name der Siedlung. Vor über Tausend Jahren hatten sie sich hier niedergelassen, augenscheinlich war Vanas Haus also das älteste hier. Interessant war auch, dass die Bucht erst seit siebenhundert Jahren existierte. Sie war auf das Betreiben eines Enkels der Rastrans aus dem Fels gesprengt und hergerichtet worden. Schnell war sie zu einem beliebten Ausflugsziel geworden.Renaos Verstand arbeitete fieberhaft. Wie bei einer komplizierten Rechenaufgabe ersetzte er eine Variable nach der anderen durch eine Zahl, multiplizierte, löste auf und zog Wurzeln. Alles erschien einen Sinn zu ergeben. Wie sich herausstellte waren in den gut 1300 Jahren der Geschichte dieses Dorfes immer wieder Leute hierher gezogen, die ganz offensichtlich Renao und seinem Vater sehr ähnlich waren. Alle hatten sich einmal bei der Flottenakademie beworben oder es, nach eigener Aussage, wenigstens einmal in Erwägung gezogen. Die meisten von Ihnen waren hier geblieben.„Vana, Vana, bist du da?“ Renao klopfte an die Tür, klingelte und klopfte wieder. Schließlich sah er drinnen ein Licht angehen und kurz darauf öffnete sich die Türe. „Renao, was machst du um diese Zeit hier?“ Sie hatte nur ein dünnes Tuch um den Leib geworfen und Renao konnte ganz deutlich ihren nackten Körper darunter erkennen. Ein dunkler Fleck an ihrer Taille zeugte von seiner Untat. Beschämt wurde ihm bewusst, was sie vielleicht denken würde, doch er war viel zu aufgeregt um sich dem weiter zu widmen.„Ich muss zu den Delfinen, jetzt sofort. Kannst du mich hinbringen?“Vana wirkte verdutzt und anscheinend nun auch etwas verärgert.„Zu den Delfinen? Aber warum jetzt?“ Dann änderte sich ihre Miene schlagartig.„Hast du etwas herausgefunden? Etwa eine weitere Deutung der Melodie?“Renao wusste nicht wo er anfangen sollte. Und da begriff er. Vana würde es ihm nicht glauben und wenn, dann würde sie es nicht begreifen, sich vielleicht sogar fürchten. Deswegen war er hier.„Renao, was ist los, du siehst so blass aus.“Vana legte ihm die Hand auf die Schulter und versuchte ihn ins Haus zu ziehen. Langsam und fast nicht mehr hörbar begann er wieder zu sprechen.„Ich muss dort hinaus. Dort wo die Delfine schwimmen, zum Korallenriff.“Vana nahm ihn nun fest an beiden Schultern und blickte ihm mit einem ernsten Ausdruck ins Gesicht.„Renao, wenn du das unbedingt willst, dann fahren wir raus. Aber warte hier eine Minute, ich ziehe mir etwas an.“Damit verschwand sie. Renaos Blick wanderte über das Wasser. Der Himmel war sternenklar und die beiden fast vollen Monde tauchten die Wellen in ein silbriges Licht. Noch immer war er sich im Unklaren darüber, ob ihm sein Verstand einen Streich spielte, oder ob da draußen tatsächlich etwas war, dass seiner Entdeckung harrte. Durch ihn.Das Boot war nicht sonderlich schnell, doch nach Vanas Aussage war der Weg auch nicht besonders weit. Sie hatte jetzt einen strahlend weißen Ganzkörperanzug an, den man gewöhnlich zum Tauchen trug. Im Boot lagen ein weiterer, aber grauer Anzug und Tauchausrüstung für zwei Leute. Damit war immer noch Platz, denn normalerweise nahm Vana viel mehr Leute mit.„Zieh den Taucheranzug an. Wir sind bald da.“Renao tat was sie sagte und merkte dabei kaum, dass er sich überhaupt nicht genierte als er seine Kleider ausgezogen hatte und dann unbeholfen in den Kunststoffanzug stieg. Er wusste, dass sie ihn beobachtete, doch es störte ihn nicht weiter.„Du hast mir noch nichts über dich erzählt, Renao. Ich weiß gar nichts über dich. Aber deine Muskeln scheinen mir auf einen Sportler hinzudeuten.“Renao stand mit dem Rücken zu ihr am Bug des Schiffes. Er konnte ihren Blick förmlich zwischen seinen Schultern fühlen.„Ich wollte Forscher werden, zur Flottenakademie auf Vetrennia gehen.“Erst nach einer kurzen Pause antwortete Vana.„Das ist doch toll.“Doch es klang kaum überzeugend. Eher traurig. Renao drehte sich um und schaute Vana an.„Ich werde aber hier bleiben.“„Was?“ Vana war sichtlich verwirrt, doch in ihren Worten schwang auch ein wenig ungläubige Freude mit.„Ich verstehe nicht. Warum? Wurdest du abgelehnt?“„Nein, man hat mich angenommen. Ich war einer der besten Bewerber aus dem ganzen Unisektor.“„Aber dann ... Wolltest du deswegen hier heraus fahren? Um mir das zu sagen?“Renao überlegte. Er liebte Vana und er würde sie noch mehr lieben wenn er sie besser kannte, irgendetwas gab ihm da eine unglaubliche Gewissheit. Doch wenn er jetzt die Wahrheit sagte würde er sie kränken. Er merkte, dass er auf Vana zugegangen war und auch sie hatte ein paar Schritte nach vorne gemacht. Sie standen nun nur noch wenige Handbreit voneinander entfernt und schwankten ein wenig wie Betrunkene, da sie in dem leicht schaukelnden Boot das Gleichgewicht halten mussten.„Ich liebe dich.“ Renao erschrak über seine eigenen Worte.„Ich liebe dich auch.“Vanas Worte waren wie eine Befreiung für ihn, doch zugleich spürte er auch eine tiefe Traurigkeit von der er aber wusste, dass sie nicht von ihm kam. Langsam glaubte er zu verstehen. Mit einem letzten Schritt trat er nahe an Vana heran und küsste sie. Es war ein langer und leidenschaftlicher Kuss. Eine unendliche Sehnsucht schien mit ihm erfüllt zu werden. Nach einer Weile, Vana lag noch immer in seinen Armen, beschloss er nun auch die letzten Zweifel auszuräumen.„Ich muss zum Riff. Noch heute Nacht und noch in dieser Stunde.“Wie erwartet lies Vana ihn los. Enttäuschung und Verwirrung zeichnete sich auf ihrem hübschen Gesicht ab. Wortlos reichte sie ihm das Atemgerät. Den Umgang damit war er gewohnt und mit wenigen Handgriffen hatte er es einsatzbereit gemacht. Dann zog er die Taucherflossen an und wollte gerade ins Wasser springen, als er sah, dass Vana das gleiche vorhatte. Er setzte die Gesichtsmaske noch einmal ab.„Vana. Bitte, es ist besser wenn ich alleine hinunter gehe.“Doch der Blick dem sie ihn durch die Tauchermaske hindurch zuwarf, sprach Bände. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, sprang er ins Wasser.Das Riff war gewaltig. Die Karte verriet ihm, dass es noch mehrere Kilometer an der Küste entlang weiterlief. Doch die Stelle die er suchte war direkt unter ihm. Vana hatte sie problemlos gefunden, ohne auf die Karte geschaut zu haben. Er schaltete die Anzeige in der Brille wieder aus und erhöhte die Leistung der beiden Taucherlampen an seinem linken Handgelenk. Wie ein kleiner Berg tauchte das Riff vor ihm auf. Überall waren bunte Fische, die durch das Licht aufgeschreckt wurden. Ebenso farbenfroh waren die Korallen selbst, doch Renao hatte kein Auge für sie. Er sah die Lichtkegel von Vanas Lampen kurz neben den seinen. Sie schwamm nur wenige Meter hinter ihm. Vorsichtig ging Renao näher an das Riff heran und begann in die vereinzelten Risse hineinzuleuchten.„Was suchst du? Kann ich dir dabei helfen?“Vanas Stimme drang aus den im Anzug integrierten Lautsprechern. Ihre Stimme war ausdruckslos, was Renao einen Stich ins Herz verpasste.„Ich glaube nicht. Aber ich bin ohnehin kurz davor ...“Er verstummte. Aus einem Riss in der Seite des Riffs wurde das Licht seiner Lampen reflektiert, so dass sie ihn beinahe blendeten.„Du hast mich gefunden.“Renao war sich nicht sicher, ob er die Stimme mit seinen Ohren hörte oder ob sie in seinem Kopf erklang. Er hatte schon mit Sensiblen zu tun gehabt, doch die Höflichkeit hatte die telepathische Kontaktaufnahme stets verboten.„Ja.“Hatte er gesprochen? Oder nur gedacht?„Es tut mir Leid für die Unannehmlichkeiten die ich dir bereitet habe. Aber es ist wichtig, dass du mir zuhörst, jetzt da du Gewissheit hast.“Renao war sich dessen bewusst und so fuhr die, auf fast schon unheimliche Weise angenehme Stimme beinahe ohne Unterbrechung fort.„Ich bin eine Gefahr. Meine primitivsten menschlichen Instinkte, meine niederen Gefühle, sie gewinnen in meiner Einsamkeit immer mehr die Kontrolle. Zu lange ist es schon her, dass mir jemand wie du, Renao, Gesellschaft leistete. Nur mühsam kann ich die Kontrolle über mich behalten, denn sollte ich sie eines Tages verlieren, so ist jeder im Dorf und vielleicht auch jeder auf diesem Planeten dem Tod geweiht.“Renao merkte, dass er nickte um sein Verstehen zu signalisieren. Einer wie er, einer der nach dem Unbekannten strebte und es erforschen wollte. Jemand der zur Flotte wollte. Dennoch war er sich noch nicht sicher, mit wem oder was er es hier überhaupt zu tun hatte, geschweige denn, was er durch seine Gesellschaft erreichen konnte.„Was bist du?“„Ich bin geflohen und habe mich hier versteckt. Ich bin ein Mensch, doch nur noch zum Teil. Mein menschlicher Teil ist mein Ich, doch seit meiner Geburt bin ich untrennbar mit einer Maschine verbunden, die nun genauso zu mir gehört wie mein biologischer Körper. Dort draußen gibt es Menschen, die mich töten wollen und jede Erinnerung an mich auslöschen, weil ich ihrer Kontrolle entfloh. Sie gehören nicht zu Deinesgleichen. Niemand in der Sternenunion weiß um ihre Existenz. Sie bestimmen, was die Exploratoren der Flotte entdecken und wann das passiert. Nichts was ihr, was du tust entgeht ihnen.“Renao fühlte, dass eine merkwürdige Beklemmung in ihm aufstieg. Doch er hatte es auf irgendeine Weise auch schon gewusst. Zudem plagte ihn eine ganz andere Frage, die jede Sorge um das große Ganze zur Seite schob.„Du liebst sie. Nicht wahr?“„Ja, ich liebe sie. Eigentlich sollte ich dazu nicht in der Lage sein, doch als Prototyp bin ich unvollständig, fehlerhaft. Liebe, eigentlich sollte ich sie nicht verspüren, denn meine Schöpfer erkannten zurecht, dass sie eine Gefahr für mich darstellt. Ich kann ihr meine Liebe nicht zeigen, wir könnten nie ein Paar sein. Ich bin für immer in diesem nun verwundeten Gehäuse gefangen. Wenn ich es verlasse sterbe ich. Ich, der sie liebt und der ihr diese Liebe zeigen könnte.“Renao nahm die Ausführungen hin, merkte sie sich, doch vermied, darüber jetzt weiter nachzudenken. Viel zu unglaublich und gewaltig waren diese Worte, diese Gedanken.„Du bist mit deinen Gedanken bei mir gewesen. Was waren meine Gedanken und was waren deine? Liebe ich sie denn auch?“„Du bist mir sehr ähnlich Renao. In einer anderen Welt hätte ich vielleicht dein geistiges Ebenbild sein können. Nur weil deine Gedanken und Gefühle so sehr den meinen glichen, konnte ich überhaupt so unbemerkt an deinem Erleben teilhaben. Und nur so konnte ich dich letztlich zu mir führen. Wenn du es nicht gewollt hättest, unbewusst, dann hätte ich große Mühe gehabt unbemerkt zu agieren. Doch nun will ich mich dafür entschuldigen.“Renao hatte ihm schon lange verziehen.„Sage mir, was ich für dich tun kann.“„Sei mein Freund. Sprich mit mir, erzähle mir von deiner Welt, von deinen Träumen. Philosophiere mit mir, erfülle mich mit deinem Geist. Ich bin mit meinem ganzen Gefühl süchtig nach Freundschaft, nach menschlicher Nähe. Das ist es, was meine Erschaffer erreichen wollten. Sie haben einen Gott geschaffen und genau wie ein Gott soll ich nicht ohne die Menschen existieren können.“Renao wunderte sich, dass er kaum überrascht war über diese Enthüllung. Fast war es ihm, dass es selbstverständlich war, dass er mit einem Wesen sprach, dass offensichtlich über gewaltige psionische Kräfte verfügte.„Das ist nicht alles was du willst. Ich weiß es, wenn auch nicht woher. Zudem kommt mir alles was du ... sagst, seltsam vertraut vor.“„Ich habe einen Teil meiner Gefühle und Gedanken auf dich übertragen. Das geschah unbewusst und war unvermeidlich, denn meine Konzentration leidet und die Kontaktaufnahme über eine größere Distanz ist in meinem Zustand sehr anstrengend. Nur weil du jetzt so nahe bist, gelingt es mir die Kontrolle zu behalten und mein Selbst bei mir zu halten. Was du geträumt und gefühlt hast, das war ich und was du Vana angetan hast, das war ich ebenfalls. Ich hoffe mich eines Tages bei ihr dafür entschuldigen zu können.“„Du hast mir immer noch nicht auf die Frage geantwortet.“Renao fühlte ein unbeschreibliches Selbstvertrauen in sich aufsteigen.„Ja. Es ist schwer für mich. Ich liebe Vana. Ich habe sie sofort geliebt als sie hierher kam. Doch wie auch du schon bemerkt hast würde sie Angst vor mir haben. Sie ist eben so, sie hat in ihrem Weltbild keinen Platz für mich. So habe ich ihr die Delfine geschenkt, ich gab ihnen die Namen, damit sie hier bleiben würde. Auch das tut mir Leid. Doch mir fiel kein anderer Weg ein in meiner Verzweiflung. Dich möchte ich nur bitten, lass mich teilhaben an eurer Liebe. Du wirst mich nicht sehen, nicht fühlen, nicht hören. Doch bitte, ich begehre sie mit jeder Faser und doch ist es mir unmöglich sie auch nur zu berühren.“Mitleid war nicht ausreichend um zu erklären was er empfand. Viel eher war es Entsetzen. Entsetzen darüber, welcher Fluch auf diesem Menschen lastete.„Darüber muss ich nachdenken.“„Ja. Denke darüber nach. Ich hätte dich gerne zum Freund. Und sei unbesorgt, nun da ich mich nicht mehr vor dir verstecken muss, wird es nicht mehr geschehen, dass du von meinen Gefühlen beherrscht wirst. Noch dazu wird sich mein Zustand bessern, wenn du mir Gesellschaft leistest und die tödliche Einsamkeit vertreiben hilfst. Viel könnte ich dir erzählen, Dinge die sonst keiner in der Union weiß. Du würdest mehr erfahren als die Flotte jemals herausfinden wird. Doch lass dich davon nicht verleiten. Denke an Vana und denke an dich.“Renao schwamm langsam nach oben. Die Unterhaltung, wenn man das so nennen konnte, hatte weniger lange gedauert, als Vana gebraucht hatte ihn zu fragen, was los sei. „Nichts“, hatte er geantwortet. „Es ist alles wie es sein soll. Lass uns nach oben schwimmen. Ich muss mit dir reden.“Wenig später lagen sie eng beieinander im Boot. Die Wellen plätscherten sanft gegen die Bordwand und das silbrige Mondlicht umriss die Silhouetten ihrer nackten, nassen Körper. Ein warmer Südwind streifte sie. Renao hatte seine Entscheidung gefällt. Kurz, nur kurz hatte er beim Rückweg vom Riff den Wahnsinn gespürt, der wie eine ständig steigende Flut an die Deiche des Verstandes spülte. Verträumt blickte er auf Vana hinab, spürte ihre warme, zarte Haut, ihren gleichmäßigen Puls und ihre langsame Atmung. Ich an seiner Stelle hätte schon lange den Verstand verloren, dachte er. Ein Gefühl von Mitleid und zugleich großer Bewunderung für den einsamen Flüchtling im Korallenriff kam in ihm auf. Liebevoll legte er seinen Arm um Vanas Schulter und strich mit der noch freien Hand über ihren Bauch bis hinauf zur Brust. „Vana, glaubst du an Märchen?“

#2 rockmysoul67

rockmysoul67

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Geschrieben 17 Juli 2005 - 07:41

Meine Hauptkritikpunkte zum Inhalt kennst du ja schon, damit möchte ich dich nicht länger belästigen. Meine Tipps für künftige Kurzgeschichten sind: Fange mit einer packenden Grundidee an und versuche Unlogisches bei der Handlung zu vermeiden. Der Stil. O la la. Sandnix, wenn du diesen Stil künftig so weiterführst, dann werden deine Leser dich lieben. Die Ereignisse hängen jetzt zusammen, die Geschichte lest sich in einem Fluss. Ganz, ganz gut!Zwei kleine Bemerkungen bei der Perspektive:"Das muss der Klimawechsel sein, er steigt mir zu Kopfe."Du bist hier in die erste Person gerutscht. Es sollte ein "dachte Renao" angehängt werden. "Es gibt Kinder hier. Vielleicht habe ich ja welche?"In den vorabgehenden Sätzen wechselst du die Perspektiven. Daher ist es ein bisschen verwirrend, wer anschliessend was sagt. Füge ein "sagt Vana" hinzu und der Rhythmus stimmt.

#3 Sandnix

Sandnix

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Geschrieben 18 Juli 2005 - 23:47

Danke für deine Hilfe Rocky. Schade, dass hier insgesamt so wenig los ist, denn auf anderen Pages, kg.de zB schrecken die 14 Seiten dieser KG wohl viele Leser ab und je mehr Kritiken, desto besser kann man sich natürlich auch ein Bild machen. Wenn ich die Kritiken aber bisher zusammennehme komme ich zu dem Schluss, dass ich alle meine Ziele erreicht habe. Allderings ist es auch so, dass diese Kurzgeschichte inhaltsmäßig auf über 100 Seiten ausbaubar ist. Leider hab ich aber nicht den Mumm das zu machen und hab daher versucht es als Kurzgeschichte zu verpacken. Allgemein fällt mir das Format aber glaube ich gerade deswegen schwer, weil man eben alles so kurz halten muss. Wenn man schnell Kritik bekommen will, dann muss man eben versuchen den Schiebebalken rechts im Browser möglichst groß zu halten, sonst klicken alle wieder weg.So, sorry, hab mich verplappert, is schon spät :P

Bearbeitet von Sandnix, 19 Juli 2005 - 10:07.


#4 rockmysoul67

rockmysoul67

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Geschrieben 19 Juli 2005 - 09:19

komme ich zu dem Schluss, dass ich alle meine Ziele erreicht habe

Schön, dass du dein Ziel erreicht hast. Es ist eine vollständige und runde Geschichte geworden, stilistisch nach allen Regeln der Kunst geschrieben. Du darfst mit Recht stolz auf dem Endresultat sein.


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