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Theodore Sturgeon - Die Ersten ihrer Art


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80 Antworten in diesem Thema

#61 Henrik Fisch

Henrik Fisch

    Soeinnaut

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Geschrieben 25 August 2005 - 09:12

Ich kam auch erst ins Schleudern, als Theodore etwas über Moral und Ethik erzählte. Für mich war das eigentlich auch immer ein und das Selbe. Allerdings treffen es die Kategorien von Sturgoen dann eigentlich doch ziemlich gut; nämlich dann, wenn man wirklich vom Sprachgebrauch ausgeht. Beide wollen eigentlich das gleiche, nämlich ein harmonisches Miteinander. „Moral“ wird aber von einzelnen †¦ wie soll ich sagen †¦ ausgeübt, oder wie Sturgeon es beschreibt: Moral ist die Verhaltensweise des Einzelnen zum Wohle der Gesellschaft. bei Ethik ist es genau umgekehrt. Ethik bezieht sich auf eine Gruppe von Menschen.

Oder einfacher: Ich sage ja auch nicht „Er hat Ethik“ sondern „Er hat Moral“.

Abgesehen von dieser Unterscheidung sind die beiden Begriffe für mich gleich. Ich habe ein wenig über die von lapismont gemachte Unterscheidung nachgedacht, kann die aber nicht auf mich übertragen. Sowohl Ethik als auch Moral sind immer vom subjektiven Standpunkt abhängig. In Bezug auf meine oben gemachte Feststellung wäre eher von Interesse, wo der Einzelne aufhört und wo die Masse anfängt. Entsprechend müsste man die Begriffe wählen.

Aber eigentlich ist das für mich eher Haarspalterei.

Mir hat das Buch ganz gut gefallen, und zwar alle drei Teile gleichwertig, eben weil sie allesamt so verschieden waren und trotzdem wunderbar zusammenpassten. Im ersten werden ganz hervorragend die Charaktere vorgestellt. Der zweite wird aus der Sichtweise von Gerard erzählt, der beim Psychoanalytiker seine Verhaltensweise rechtfertigen möchte. Und der dritte Teil entwickelt sich durch die einsetzende Erinnerung von Hip. Das fand ich eigentlich sogar äußerst faszinierend zu lesen. Die Sache mit der Moral war nur am Rande interessant. Viel spannender fand ich die Schlussendliche Auflösung mit dem Antigravitations-Gerät und wie geschickt das in der Handlung untergebracht wurde.

Allerdings konnte ich mit der Kategorie des „Homo Gestalt“ nichts anfangen. Ja, es stimmt wohl, dass die Gruppe einen Zusammenhalt durch die verschiedenen Fähigkeiten der einzelnen erfährt. Eben wie die speziellen Organe und Extremitäten eines Menschen. Nur kommt das doch nur deshalb zustande, weil die Einzelpersonen mehr oder minder behindert sind. Nichts weist in der Geschichte darauf hin, dass eine Behinderung notwendig für eine telepathische Begabung ist. Würden die Personen sich ganz normal entwickeln - ich setze voraus, dass sich auch dann eine telepathische Begabung entwickelt - dann wäre die Notwendigkeit für einen „Homo Gestalt“ gleich viel weniger gegeben. Von daher kann man wohl kaum gleich von einer neuen Entwicklungsstufe sprechen, nur weil durch einen Riesen-Zufall ein paar behinderte Telepathen zusammenfinden.

Abgesehen davon empfinde ich den Roman eigentlich auch sonst nicht als Geniestreich. Sprachlich ist er gut, aber nicht so gut, dass ich mit dem Lesen nicht mehr aufhören könnte. Die Idee der Telepathie hat nun auch ein wenig Staub angesetzt; wir leben halt 50 Jahre später. Zu seiner Zeit ganz hervorragend und sicherlich seiner Zeit voraus aber heute eben doch ein wenig ausgelatscht. Was darin resultiert, dass ich als Leser nicht mehr so zum Denken angeregt werde, wie es vor 50 Jahren noch der Fall war. Und - tut mir Leid - aber das muss ich in eine Bewertung auch eingehen lassen. Von daher:

Wertung: 7 von 10 Punkten

Bis dennen,
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#62 Rusch

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Geschrieben 25 August 2005 - 10:14

Vielleicht kommt das mit dem Ethos daher, dass man Ethics mit Ethos und nicht mit Ethik übersetzt hat? Ethos ist ein Synonym für Moral, Ethik nicht.

#63 lapismont

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Geschrieben 25 August 2005 - 10:29

Dieser Homo Gestalt ist aber eine sehr interessante Idee. Vernor Vinge hat in "Ein Feuer auf der Tiefe" so etwas ähnliches dargestellt. Da war es ein Rudelwesen. Im Prinzip gelten dort aber ähnliche Abgrenzungen zwischen dem Vollwesen und dem Inidividuum.Telepathie ist doch so out, dass sie bei Sturgeon schon wieder neu ist. :blink:

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#64 Henrik Fisch

Henrik Fisch

    Soeinnaut

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Geschrieben 25 August 2005 - 10:38

@Rusch:

Vielleicht kommt das mit dem Ethos daher, dass man Ethics mit Ethos und nicht mit Ethik übersetzt hat? Ethos ist ein Synonym für Moral, Ethik nicht.

Huch? Laut Wikipedia sind die beiden Begriffe aber sehr verwandt:

†¦ Der moderne Begriff der Ethik leitet sich von der Bedeutung von Ethos im Sinne von Charakter und Moral her. †¦

Weiteres findet man hier:

Ethos bei Wikipedia

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#65 Sullivan

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Geschrieben 25 August 2005 - 12:19

Hallo Henrik,

Einen Unterschied gibt es sehr wohl: angenommen die Gesellschaft möchte, dass du deinen schwarzen Nachbarn tötest. Du verabscheust das Töten, also bist du in einem ethischen Dilemma: es verstößt gegen deine Grundsätze.

Umgekehrt kannst du mit deiner Nachbarin ins Bett steigen (völlig okay für dich), die Gesellschaft sagt aber: du sollst nicht begehren deines Nachbarn Weib. Du handelst unmoralisch.

Wie passt jetzt der "Scham" hinein? Scham empfindet man nur, wenn man bewusst gegen seine Gesinnung verstößt - unabhängig davon, ob sie mit der Moral übereinstimmt oder nicht. Trifft das nun auf den homo gestalt zu, hat er den Menschen Schaden zugefügt (manipuliert) obwohl er wusste, dass das "falsch" ist? Da stimme ich mit morn überein der meinte, dass die Wandlung sehr unrealistisch ist.

Sturgeon lässt jedenfalls auch in anderen Geschichten seine Protagonisten eine bewusst andere Moral vertreten, die Meinungen prallen aufeinander und lassen den Leser darüber nachdenken, ob die Gesellschaft die richtige Moral vertritt. Sehr krass ist es beim Thema "Inzucht", aber man denke auch an sexuelle Freiheiten.

lapismont spricht Vernor Vinge an, an den hatte ich auch gedacht. Der homo gestalt ist aber viel mehr als das Rudelwesen, jeder Mensch steuert eine besondere Fähigkeit zum Ganzen dazu.

Sullivan

#66 molosovsky

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Geschrieben 25 August 2005 - 19:20

Hallo zusammen.

Ich ringe mit MTH mehr als mit allen bisherigen Titeln. Immer wieder Hammerzeilen, aber (für mich) auch schrecklich öde längere Passagen. Bezüglich Filmen floriert in meinem Bekannrtenkreis das Sprüchlein ›einige herrliche Sekunden aber dafür auch einige schreckliche Viertelstunden‹.

†¢†¢†¢
Ha, es zahlt sich aus, daß ich im Ethik-Unterricht war.

Ethik und Moral bedeuten beide ›Sitte, Gewohnheit, Brauch‹ aber nur Moral bedeutet auch ›Wille‹ (weshalb man niemanden ›deethisieren‹, wohl aber ›demoralisieren‹ kann). So zumindest mein ethymologisches Wörterbuch.

Aus dem Bauch raus würde ich vorschlagen, daß Moral sich zu Ethik verhält wie Mathematik zur Zahlentheorie. Ungefähr so: Die Moral beschäftigt sich mit dem Abwägen von ›Gut‹ und ›Böse‹ bei anfälligen Problemen (Entscheidungen), die Ethik aber dreht sich um die grundsätzlichen Möglichkeiten bzgl. Schutz und Bewahrung der menschlichen Würde (was immer auch das heißen mag).

Oder wie der Systhemtheoretiker Luhmann auseinanderdividiert:
†¢ Moral ist »die Gesamtheit der Bedingungen, für Achtung und Mißachtung, die zum Gegenstand der Kommunikation werden, gleichgültig wie konkret oder wie abstrakt sie gemeint sind und unabhängig auch davon, ob im Einzelfall faktisch Konsens erreicht wird oder nicht.«
†¢ Ethik ist »eine Begründungsreflexion, um Sätze, Regeln und Prinzipien, die angeben, was man in Angelegenheiten der Moral zutreffend erwarten und woran man sich halten kann.«

Soweit mein Philosophie-Service.
Grüße
Alex / molosovsky

Bearbeitet von molosovsky, 25 August 2005 - 19:24.

MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.

Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.

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#67 newtype

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Geschrieben 25 August 2005 - 21:27

So dank behobener Internetprobleme ;) kommt mein Fazit etwas später als angekündigt.Also da ich wie gesagt eher selten SF lese der in diese Richtung geht war ich ja zunächst skeptisch. dies hielt auch noch an bis zum Tod des Mädchens und des "Selbstmordes" des Vaters. Danach woööte ich schon wissen wie es weitergeht.Was mich etwas störte waren die aprupten Handlungssprünge. Erst wird über Lein berichtet dann plötzlich über ein Mädchen das "seltsame" Kräfte hat. Dann im 2ten teil ein Psychiatergespräch zwischen einem Gerry und dem Psychiater dem ich am Anfang auch nicht folgen konnte, bis es sich aufklärte im laufe des "Gespräches". Dann im dritten Teil geht es um jemanden der kurz im ersten teil als so dachte ich nebenperson erwähnt wurde. Am Schluss fügte sich jedoch alles zusammen und ergab rückblickend sinn.Zum Inhalt:Gefiel mir dann doch sehr gut. Vor allem die Idee vom GESTALT Menschen fand ich gut. Bei Außerirdischen in anderen Stories trifft man diese "Mehrheitsindividuen" ja häufiger an z.B. auch bei Vernor Vinge, beim Menschen jedoch war mir das relativ neu.So wie ich verstanden hab ging es in dem Buch ja darum einem "neuen" Lebewesen vorstellungen von Moral und Ethik nahezubringen (letztendlich).Das Problem ist nur wer sagt den das die menschliche Vorstellung von Moral und Ethik auch universell sind... nichtsdestotrotz war es auf jeden fall keine verschwendetet Zeit dieses Buch gelesen zu haben!P.S. das Ende war dann noch mal etwas denklastiger von meiner Seite aus. Begrüßten ihn den jetzt nur die Glieder des GESTALT wesens oder auch alle anderen Menschen die längst eine GESTALT waren? Nur er noch nicht? (bzw alle Erfinder/Künstler es werden ja Fermi, Ford, Hayden,... ect aufgeführet)
Auch das schlechteste Buch hat seine gute Seite: die letzte! (John James Osborne)

#68 Dave

Dave

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Geschrieben 26 August 2005 - 20:53

Der erste Teil hat mir schon deutlich am besten gefallen, mit Hip am Schluss konnte ich nicht ganz so viel anfangen. Insgesamt hat das Buch aber einen wirklich guten Eindruck hinterlassen. Wobei ich allerdings sagen muss, dass ich eigentlich nie das Gefühl hatte einen SF-Roman zu lesen.

Ich will nun nicht behaupten, dass ich das Phänomen Homo Gestalt wirklich verstanden habe und eine Idee davon habe, wie es mit seiner Zukunft bestellt ist. Vielleicht weil ich gegen Ende immer mehr mit meiner eigenen Vorstellung von einem Geisteskollektiv beschäftigt gewesen war.
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, ich habe mich gefragt, wie weit das denn nun zutrifft. Für mich ist es eigentlich ähnlich dem Kleinwüchsigen, der auf den Schultern des einfältigen Muskelpakets sagt: Er ist die Muskelkraft, ich bin das Gehirn (Mad Max III).
Das Faszinierende ist doch aber, wenn z.B. aus dem Zusammenspiel von Neuronen etwas völlig Neuartiges entsteht, nämlich das menschliche Bewusstsein. Ebenso interessant könnte es sein, wenn aus dem Zusammenwirken von unterschiedlichen Gehirnen etwas Neues entstehen würde, allerdings ist das bei Homo Gestalt so nicht zu verstehen, glaube ich.
Meiner Ansicht nach hätte man ohne Telekinese und Teleportation ein überzeugenderes und nachdenkenswerteres Szenario schaffen können.

Wenn man sich vergangene Hochkulturen ansieht, so scheint es immer so zu sein, dass nach deren Blütezeit erst einmal alles in Schutt und Asche gehen muss, damit etwas neues entstehen kann. Das könnte der Aspekt sein, der eine Rolle spielte, als Lein sich buchstäblich eine Behausung aus dem Boden stampfte.

Für die geistige Überlegenheit steht der Anti-Schwerkraft-Generator, aber †šBaby†™ blieb mir in dem Buch doch zu sehr unbeleuchtet. Das ist ebenso mysteriös wie die wundersamen Kräfte, auf die ja auch nicht weiter eingegangen wird.
Vielleicht geht es ja auch um einen 'Seelenkollektiv', das deutlich größer ist als eben diese beschrieben Gruppe, was ich allerdings nicht so richtig herauslesen konnte. Wie auch die Sache mit mit der 'Unsterblichkeit' von Homo Gestalt...

Ein Buch zumindest, das interessante Fragen aufwirft und einen stilistisch herausragenden und mitreißenden ersten Teil besitzt.

#69 Kopernikus

Kopernikus

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Geschrieben 27 August 2005 - 09:42

So, kurz vor Toreschluß auch noch mal ein paar Zeilen von mir:Vorweg:Ich habe die Warnung, das die alten Übersetzungen nichts taugen leider zu spät gelesen, sprich nachdem ich bei ebay für die Heyne-Ausgabe von 1970 (Übersetzer: Walter Brumm) geboten und gewonnen hatte.Viel bleibt mir nicht zu sagen, was ihr anderen nicht schon genannt habt. Der Anfang war phänomenal. Ich dachte ja eigentlich, ich hätte ein dickes Fell was sowas angeht, aber die Geschichte der Familie Kew hat mir dann doch etwas auf die Stimmung geschlagen. Ich frage mich, wieviel aus Sturgeons eigener Kindheit in diese Passagen mit eingeflossen sind, zumal sich das Motiv der schlechten Kindheit/Kindesmisshandlung ja als roter Faden quer durch das ganze Buch zieht.Die gesamte Geschichte rund um den Idioten (In meiner Ausgabe war sein Name "Lain")war sehr interessant zu lesen, auch wenn man hier eigentlich kaum das Gefühl hat SF zu lesen.Erste Abstriche an der Qualität (Vermutlich der übersetzung) stelle ich dann im späteren Verlauf fest, wenn die anderen Charaktere nach und nach auftauchen. Hier habe ich teilweise das Gefühl, das wichtige Zusammenhänge fehlen, oder ich habe sie überlesen. Mir ist z.B nicht ganz klar geworden, wann und wie Lain und Alicia Kew nach dem Tod des Vaters noch Kontakt hatten, das wird irgendwie nirgendwo erwähnt. Eine andere Szene, die ich drei mal gelesen habe und immer noch nicht verstanden habe ist die Party bei Janies Mutter, als einer der Gäste meint, das ihr Kind "telepatisch" (Falsch Übersetzt? Müste doch eigentlich telekinetisch heißen?) sei, nachdem irgendetwas passiert ist, es aber nicht klar wird, was.Aber an anderen Stellen finden sich wieder einige wunderschöne Zeilen, die, auch wenn sie etwas so profanes wie einen Pizzeriabesuch beschrieben, mir aufgrund ihrer schlichten Eleganz wohl noch lange im Gedächtnis bleiben und die einem zum weiterlesen aufmuntern.Mäßig interessant fand ich die Exkurse zum Thema Moral vs. Ethik, ich war noch nie ein Freund von langen philosophischen Diskussionen. Hier hätten mich mehr Details zum seiner Idee des "Homo Gestalt" doch wesentlich mehr interessiert. Der Schluß kam dann etwas plötzlich und unspektakulär und fügt sich somit in die stetig abflachende Spannungskurve mit ein.Schade eigentlich, das Buch hätte Potential zu wesentlich mehr, aber aufgrund der verkorksten zweiten Hälfte gebe ich mal 6 von 10 als Abschlusswertung.

#70 molosovsky

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Geschrieben 28 August 2005 - 11:48

Hallo.

Ein abwechselungsreiches Buch!
Drei Teile, aus 72 Abschnitten, auf 233 Seiten für die ich vom 06. bis 27. Aug. benötigte, um mich durchzurobben †¦ ich bin aber (vor allem jetzt zum Ende) auch durchgesprintet, (angenehm) aufgeregt, mit ›Wow!‹ und ›Hihi‹.

Nicht zurechtgekommen bin ich mit den ganzen Alltagskram der mir (zu oft) ellenlang ausgebreitet wird. Das langweilt mich bei jeder Literatur, egal ob phantastisch oder nicht. Vor allem Teil eins und drei warten dabei mit schlimm-langweiligen Passagen auf, z.B. Gollancz-Ausgabe Abschnitt 51, Seite 154ff oder Abschnitt 53, S. 159ff.

Gut gelungen ist die ätzende, beklemmende Athmo der Puritanier im ersten und zweiten Teil. Gut, daß ich da die neue Garbage laufen lassen konnte (»Sex is not the enemy»). Vor allem im ersten Teil aber auch viel Unschulds- & Reinheits-Beschwörung, die ich als zu süßlich empfand. Etabliert wird aber auch das zentrale Thema der Ergänzung, vor allem der ›seelischen‹. Tja, die Römer pflegten noch Plazenta-Seelenbäumchen, heute heizt man mit derartigen ›Klinkabfall‹.

Teil zwei gefiehl mir schon besser als Teil eins. Hier gibts weniger impressionistisches Gesäusel (auch wenns hier immer noch genug von diesem albernen Gereime gibt, aber das soll wohl kindliches Assoziieren und Wort-Klang-Gespiele emulieren) und Alltagsschmu, sondern mehr richtige Dialoge und eine spannende Kammer-, äh Praxis-Thriller-Athmo. Z.B. dem Film »Memento« nicht unähnlich.

Großartig freilich das Hinfortteleportieren von Urin in Abschnitt 32, Seite 92.

Dann (Abschnitt 44, S. 131f) tritt das deutsche Wörtchen Gestalt auf, wird aber nur grob erläutert. Ich hab mal im großen Oxford English Dictionary gecheckt und siehe da: der Begriff wurde über die Psychologie (1890 in dem Artikel »Über Gestaltqualitäten« von C. von Ehrenfels in »Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie«) ins Englische exporiert.

Gestalt †¦ A ›shape‹, ›configuration‹, or ›structure‹ which as an object of perception forms a specific whole or unity incapable of expression simply in terms of its parts (e.g. a melody in distinction from the notes that make it up); cf configuration 6. Freq. attrib., as Gestalt psychology, a school of psychology which holds that perceptions, reactions ect. are Gestalts.

Und ›Gestalttheorie‹ heißt auf Englisch ›Gestaltism‹ †¦ wie cool.†”Vielleicht erinnern sich Neal Stephenson-Leser an die Mäusearmee und die Trommler- & Rudelbums-Gestalt-Society in »The Diamond Age«, sowie den Babbel-Stamm und die Floßgesellschaft in »Snow Crash«. Stephenson hat sich aber wohl ehr von der neueren Biologie anregen lassen (z.B. Staatsquallen) und liefert ehr ungute Varianten einer humanoiden Gestalt-Existenz.

Teil drei fand ich am besten, wenn mich auch hier die anfangs vorkommenden ausführlichen (z.B.) Essensbeschreibungen genervt haben. So ab Abschnitt 58, S. 183 wirds immer spannender und geht auf die Konfrontation Hip/Gerry zu. Die Erinnerung der Entdeckung des Antigravitationsgenerations und der ›Unfall‹ in Abschnitt 60 sind das Startsignal für den Showdown für mich†”eine kraftvolle ›Wow!‹-Passage.

Herausragend auch Hips Alptraum (Abschnitt 61, S. 196). Solche Sprachwucht hats leider für meinen Geschmack zu wenig. Aber für die Fufziger muß das alles schon sehr ungewöhnlich zu Lesen gewesen sein. Das Innovationsleuchten strahlt für mich bis heute durch.

Die letzten 30 Seiten fand ich schlicht köstlich.
Prodds Stolz übers nie vergessene Melken (HiHi).
Fein auch die Unterscheidung zwischen den wenigen ›genuinely interested‹, und den vielen die auf Reichtum, Ruhm, Respekt u.ä. aus sind. Da fühl ich mich getröstet und finde das auch gut so (hört hört: Alex ist mal nicht unglücklich wegen einer Leserverhätschelung).

Außerdem wird über die Unified Field Theory (siehe Isaacs Bosselei in Miévilles »Perdido Street Station«) spekuliert, was mich aber hier weniger glücklich macht. Ich bin Materialist und kann nicht anfangen mit ›Psyche‹ als etwas Ebenfürtigem zu Materie, Energie, Raum und Zeit. Klingt mir zu sehr nach altbackenen Dualismus. Das Menschenhirn ist ein beeindruckendes Geschwür, aber mehr nicht.

Zustimmen kann aber der Idee, daß Scham den entscheidenden Initialfunken für einen ›moralischen Motor‹ liefern kann. Überhaupt eine sehr schöne und fruchtbare Frage: Wie bringt man ein moralisches ›System‹ zum laufen? Um solche Fragen abzuklopfen eigent sich Phantastik imho besonders.

Ebenfalls ein ›HiHi‹ habe ich notiert am Ende von Abschnitt 65, wenn Hip meint, daß Janie/Gestalt homo sich nicht selbst umbringen muß.

Große Überraschung für mich die mittlerweile fett ausgestaltete Wald-Klause, die als Lones Robinson-Unterschlupf begann; die Gestalt homo-Architektur hat ein Hip verschlingendes Mund-Foyer. Herrlich schräg. Die völlig nahtlos ›verschwindende‹ Tür ist mir einen Tick zu ›magisch‹ und ich ahne bedeutungsschwangeren Symbolismus. Immerhin eine mögliche nette Deutung: Hip wird gegessen. Einverleibung durch Kannibalismus. Viel gute thematische Spannung durchzieht den Roman, wenn man das Wald-Zuhause als einen weiteren Körperteil (z.B. Skelett oder Uterus) von Gestalt homo auffaßt.

Eine waschechte Erfahrungs-Predigt liefert dann Abschnitt 68 (S. 226ff) mit Hips Selbst-Schutz-Plakatierung seiner ›Psyche‹. Fast höhre ich Heinrich Bölls ›höheres Wesen das wir verehren‹ heraus, wenn Hip vom ›ethical being‹ spricht.
Gerry Läuterung ist ein wenig hölzern, aber das entschuldige mit dem damaligen Zeitklima.
Lustig der Gag mit Hips (Gewissen) Ausruf »I'll be damned«.

Das Ende ist deutlich von religiös-mysthischen Raunen durchdrungen. Sympatisch die Absage Sturgeons an streng Dreinblickende Himmelswächter. ›Lachendes Herz‹ laß ich mir gerne reinreiben, aber den ›Geruch frisch gepflügter Erde‹ am Ende als Charakteristikum jenes höheren Gestalt-Engelschores aufzufahren, find ich als Provinzflüchtling schon lächerlich naiv. Gnostische Bauernromantik, püh. Doch auch wenn ich die Vokabeln des Endes nicht innig zu schätzen weiß, so beeindruckt mich die Wucht von Gerrys Klang-Himmelfahrt.

†¢†¢†¢
Fazit: MTH ist eine Herausforderung. Die innovative Struktur ist bis heute originell, die Athmo und Mileus sind aber stellenweise arg bedrückend bieder.

6 Punkte auf der Skala von 0 bis 9.

†¢†¢†¢
FRAGE: Sieht jemand von Euch ebenfalls eine thematische Nähe zwischen MTH und »Ich und die anderen« (Matt Ruffs Lesezirkel-Buch vom Januar)?†”Grob nenn ich das Psycho-Phantastik; Spekulationen auf Bewußtseins-Wissenschaften. Auch in »Naturall History« von Justina Robson wird diese Harmonie an manchen Stellen angeschlagen, dort aber mit ehr buddistischen Obertönen.

†¢†¢†¢
So. Und jetzt zieh ich mir erstmal »Angels & Demons« von Dan Brown rein, als Popcorn-Gegengaroma zur beklemmenden Enge und avantgardistischen Dramaturgie von MTH.

Grüße
Alex / molosovsky

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#71 yiyippeeyippeeyay

yiyippeeyippeeyay

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Geschrieben 28 August 2005 - 17:40

Ich frage mich, wieviel aus Sturgeons eigener Kindheit in diese Passagen mit eingeflossen sind, zumal sich das Motiv der schlechten Kindheit/Kindesmisshandlung ja als roter Faden quer durch das ganze Buch zieht.

Weißt du da Konkreteres? Was ich bisher über Sturgeon las (seit ca. 3 Wochen :)) deutet auf eine "normale" Kindheit hin. Er war als Jugendlicher sehr sportlich und konnte dann später wegen einer milden Behinderung kein Profi-Sportler werden (sondern SF-Autor, yay!), aber ansonsten las ich da wenig Negatives.

Mir ist z.B nicht ganz klar geworden, wann und wie Lain und Alicia Kew nach dem Tod des Vaters noch Kontakt hatten, das wird irgendwie nirgendwo erwähnt.

Ich sehe den Aufbau des Buches als ein Präludium und 2 Novellen. Die Letzteren stehen fast für sich alleine, aber das Präludium hilft ein wenig (insbes. bei der Anti-G-Konstruktion). Zwischen den 3 Teilen sind immer mehrere Jahre vergangen. Eigentlich ein recht strukturierter Vorgang den auch viele andere Autoren benutzen. Mein persönliches Fazit muss noch warten, denn es ist nun schon über 3 Wochen her, dass ich das Buch las. Ich erinnere mich dass ich den 2. Teil am stärksten fand, und las nachher, dass dieser etwas reduziert die Ur-Kurzgeschichte war, auf die Sturgeon dann den Roman baute. Was den 3. Teil angeht, geht es m.E. Sturgeon weniger ums Filosofieren an sich, als dem starken Ende des 2. Teils noch einen Dreh ins Positive zu geben, anhand einer Untersuchung wie das neue multiple Wesen trotz allen Missachtungen/Misshandlungen der "homo sapiens"-Gesellschaft so etwas wie eine eigene Ethik entwickeln kann. Das Ende deutet an, dass diese schmerzhafte Suche der normale Werdegang des neuen Wesens sein muss, bevor die "Anderen" sich überhaupt melden. Aber ich werde den Roman noch mal im Englischen lesen, und dann (in fernerer Zukunft) hier noch mal als Ganzes kommentieren. Auch dann werde ich wahrscheinlich zum Schluss kommen, dass dies der beeindruckendste SF-Roman ist, den ich in den letzten 10 Jahren las. ;) P.S.: Zum Thema Ethik in der SF lese ich gerade dieses ca. 10 Jahre alte Usenet-Protokoll. P.P.S. @molo: Obwohl ich im G&G deine Beiträge immer noch lesenswert finde, bewegst du dich m.E. inzwischen etwas in Richtung eremitischen Monolog, sorry. (Man spricht dies wohl auch in Angst an, denselben Weg eingeschlagen zu haben ohne es zu bemerken... :lookaround:) Den 3. und 4. Absätzen deines Postings heute habe ich jedenfalls teils nur noch syntaktisch folgen können.

Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 28 August 2005 - 18:51.

/KB

Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.

Da ergriff eins der kleinsten das Wort:

"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,

dann wünschen wir einfach mit Willen

die Wünsche-Erfüllung fort!"

Sie befolgten den Rat und von Stund an war

wieder spannend das Leben und heiter.

Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr

und vielleicht gar ein wenig gescheiter.

(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)


#72 rockmysoul67

rockmysoul67

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Geschrieben 28 August 2005 - 22:10

Weißt du da Konkreteres? Was ich bisher über Sturgeon las (seit ca. 3 Wochen :)) deutet auf eine "normale" Kindheit hin.

Lese doch mal dieses Essay auf Epilog (Link im ersten Posting). Da stehen Sachen wie:
"Einmal bastelt Theodore eine raffinierte Radioempfangsanlage auf ein Brett, das er unter die Federung seines Betts montiert. Voller Stolz besucht er einen lokalen Radiosender und berichtet von seiner großartigen Konstruktion. Am selben Abend liegt er im Bett, den Hörer im Ohr, und vernimmt voller Entsetzen, wie Argyll im Wohnzimmer völlig gegen seine Gewohnheit just diesen Sender einstellt. Dann hören beide, wie in der gerade laufenden Sendung über diesen jungen Elektronikfan und sein clever ausgetüfteltes Radio berichtet wird. Argyll wirft die technische Meisterleistung kommentarlos auf den Müll."

Sein Stiefvater liebte und herrschte wohl ein bisschen zu viel; die Parallelen zwischen Buch und Biographie sind unübersehbar.

Zum Postingsstil von Molosovsky. Ich gehe immer alle Postings durch, wenn ich ein Thread lese und nehme mir dann meistens nicht die Zeit zu sagen: "ja, stimmt" oder "gut formuliert" bzw. gehe gar nicht auf die guten Bemerkungen ein. (Die meisten Postings sind hier interessant und lesenswert.) Mit Molovsky habe ich auch immer ein bisschen Mühe und muss oft zum Verstehen zwei mal lesen - aber sein Stil ist auch erfrischend anders.

#73 Rusch

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Geschrieben 29 August 2005 - 07:53

Weißt du da Konkreteres? Was ich bisher über Sturgeon las (seit ca. 3 Wochen :)) deutet auf eine "normale" Kindheit hin.

Lese doch mal dieses Essay auf Epilog (Link im ersten Posting). Da stehen Sachen wie: "Einmal bastelt Theodore eine raffinierte Radioempfangsanlage auf ein Brett, das er unter die Federung seines Betts montiert. Voller Stolz besucht er einen lokalen Radiosender und berichtet von seiner großartigen Konstruktion. Am selben Abend liegt er im Bett, den Hörer im Ohr, und vernimmt voller Entsetzen, wie Argyll im Wohnzimmer völlig gegen seine Gewohnheit just diesen Sender einstellt. Dann hören beide, wie in der gerade laufenden Sendung über diesen jungen Elektronikfan und sein clever ausgetüfteltes Radio berichtet wird. Argyll wirft die technische Meisterleistung kommentarlos auf den Müll." Sein Stiefvater liebte und herrschte wohl ein bisschen zu viel; die Parallelen zwischen Buch und Biographie sind unübersehbar.

Wow, das ist eine Interessante Angabe. Ich hatte mich damals über die Härte, mit der die Protagonisten miteinander umgingen, gewundert. Aber wenn das ganze eine Art Verarbeitung oder Abrechnung mit seinem Stiefvater war, dannn macht das Sinn. @Molosovsky: Du liest Angels & Demons? Mich würde Deine Meinung dazu brennend interessieren, auch wenn ich die Chancen 50:50 sehe, dass Du das Buch nicht zu Ende bringst. ;)

#74 molosovsky

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Geschrieben 29 August 2005 - 08:55

Hi yiyippee. Wegen nicht ›folgen können‹. Meinst Du aus meinem letzten Beitrag die (Ab-)Sätze von:

Gut gelungen ist die ätzende, beklemmende Athmo †¦ »Memento« nicht unähnlich.

Wenn mein ›Stil‹ richtiggehend nervt oder Ärgerniß beschwört, dann hau(t) mir ruhig auf's virtuelle Maul. Ich geb zu, manchmal erschrecke ich selber über meine Wirrniss. :-)

Wie Rocky (danke für das ›erfrischend‹) schon schrieb, finde auch ich so gut wie alle Beiträge im Lesezirkel interessant, kann mich aber ähnlich wie er seltener zusammenreißen, um z.B. ›nur‹ Konsens abzunicken.
Nochmal zu yiyippee

Man spricht dies wohl auch in Angst an, denselben Weg eingeschlagen zu haben ohne es zu bemerken.

Also ich mag Deine Beiträge, (eben) vor allem wenn Du Dich weiter aus dem Fenster lehnst.

Dieser Monat mit MTH war bisher der härteste Lesezirkel für mich. Eigentlich hätte ich das Buch nicht in so kurzer Zeit fertiggelesen, denn größtenteils fand ichs doch ziemlich öde und damit (emotionell) anstregend. Aber wie schon bei »Picknick am Wegesrand« ist die Kernidee dermaßen kraftvoll und ihre Aufbereitung herausfordernd, daß ich trotz meiner Abneigung gegenüber die Athmo den Stoff bewundere. Für Herausforderungen lasse ich mir eigentlich gern mehr Zeit, daher rührt vielleicht mein etwas respektloses Abwägen im obigen Beitrag.

Und Yiyippee, laß mich ein klein wenig ›zurückgeben‹:
›Präludium‹ bedeutet ›vorspielen, jemanden ein Vorspiel machen‹. Ich glaube Du meinst dagegen sowas wie ein ›Proludium‹, also ›ein einleitendes, vorangestelltes Spiel‹.

†¢†¢†¢
@Rusch:
Oh, ich gabe »The Da Vinci Code« schon gelesen (wegen des anstehenden Filmes mit Hanks und McKellen) und fands nen ganz guten Lektüre-Big Mäc.

Grüße
Alex / molosovsky

Bearbeitet von molosovsky, 29 August 2005 - 09:01.

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#75 Rusch

Rusch

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Geschrieben 29 August 2005 - 09:09

@Rusch: Oh, ich gabe »The Da Vinci Code« schon gelesen (wegen des anstehenden Filmes mit Hanks und McKellen) und fands nen ganz guten Lektüre-Big Mäc.

Das überrascht mich jetzt. Ich hätte gedacht, dass Du solcher Literatur nichts abgewinnen kannst. Ich lag offensichtlich daneben. Um die Off-Topic Gewässer zu verlassen: Ich fand, dass das Buch keine großen Gemeinsamkeiten zu "Natural History" und "Set this house in order" hatte. Gut, alle drei Werke enthalten zumindest Teilweise Passagen, in denen es um eine Reise in die Gedankenwelt geht, aber ich finde, die Ansätze sind doch sehr unterschiedlich.

#76 yiyippeeyippeeyay

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Geschrieben 29 August 2005 - 09:18

Wegen nicht ›folgen können‹. Meinst Du aus meinem letzten Beitrag die (Ab-)Sätze von:

Gut gelungen ist die ätzende, beklemmende Athmo … »Memento« nicht unähnlich.

Genau.

Du schreibst noch:

Und Yiyippee, laß mich ein klein wenig ›zurückgeben‹:
›Präludium‹ bedeutet ›vorspielen, jemanden ein Vorspiel machen‹. Ich glaube Du meinst dagegen sowas wie ein ›Proludium‹, also ›ein einleitendes, vorangestelltes Spiel‹.

Tja, hatte bei Leo.org "prelude" nachgesehen (das im Kolloquial-Engl. m.E. gut passt). Evtl. muss man denen also "Proludium" noch nach reichen? Danke, jedenfalls! :)

@all: Ich würde vorsichtig sein, aus ein paar Sätzen Sturgeon eine schlimme Kindheit an zu dichten. Ein guter Autor schafft es sich auch in Gesehenes hinein zu versetzen, und was ich bisher von Sturgeon gelesen habe (außer diesem Roman nur KGen) ist das Hineindenken bzw. die menschliche Darstellung eher sein Markenzeichen.

Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 29 August 2005 - 09:18.

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#77 molosovsky

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Geschrieben 29 August 2005 - 09:48

Speziell an yiyippee: Meine Besserwisserei in Sachen Präludium meinte ich nicht ernst (war mir das Wortspiel ›Proludium‹ aber wert, harhar). Ich reite da auf der eigentlichen Barock-Bedeutung herum, die sich aber schnell zu ›vorweg zu spielendes‹, ›einleitendes‹ (Instrumental-)Stück erweiterte.

†¢†¢†¢
Allgemein zu Sturgeon:
Ob MTH eine Verarbeitung traumatischer Kindheitsgreul ist oder nicht, ist eine interessante Frage, aber auch eine heikle. Wenn MTH ein ›selbsttherapeutischer‹ Text ist, dann macht ihn das nur ›unheimlicher‹ und beklemmender (bzw. mit dem erlösenden Ende katharisch wuchtiger = mächtigere Reinigung und Erhebung nach den Tiefen und Engen des Anfangs). Wenn ich den ersten und den letzten Abschnitt miteinander vergleiche, finde ich es schlicht atemberaubend, was für eine emotionelle Reise Gestalt homo zurücklegt. Keine fremden Planeten sondern Bewußtseins-Verfassungen sind Material für das exotisch-phantastische Terrain. Jupp.

Rechnet man MTH eigentlich zu den ›Inner Space‹-SF-Büchern? Schilderungen extremer Bewußtseins-Entwicklungen in phantastischer Manier empfind zumindest ich als lohnendes Thema der SF.


Wie dem auch sei, liegt eine große Leistung von MTH darin, wieviel Nähe für ausgesprochen krasse Außenseiter Sturgeon dem Leser zumutet. Wie schon mehrfach geäußert wurde, ist MTH kein leichter Text, aber sicher einer der die Mühe lohnt.

Grüße
Alex / molosovsky

Bearbeitet von molosovsky, 29 August 2005 - 09:52.

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#78 rockmysoul67

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Geschrieben 29 August 2005 - 10:56

Ein guter Autor schafft es sich auch in Gesehenes hinein zu versetzen, und was ich bisher von Sturgeon gelesen habe (außer diesem Roman nur KGen) ist das Hineindenken bzw. die menschliche Darstellung eher sein Markenzeichen.

Dies widerspricht ja auch niemand. Aber es ist klar, dass er auch Eigenerlebtes verarbeitet. Du schreibst:

"Ich würde vorsichtig sein, aus ein paar Sätzen Sturgeon eine schlimme Kindheit an zu dichten."

(Meinst du jetzt Sätze aus dem Essay oder aus dem Roman?) Ich bin da weniger zimperlich. Der Essay ist sehr detailliert und daher nehme ich dies als gesicherte biografische Fakten. Mehrere Ereignisse im Roman sind so nah an dem, was im Essay steht, dass ich beim Lesen des Romans dachte: "Das habe ich schon gelesen, das weiss ich schon, aha hier bezieht Sturgeon sich auf seine Kindheit, seine Armeezeit, etc.".

#79 Sullivan

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Geschrieben 29 August 2005 - 14:00

Wenn die Fakten im Essay stimmen, gibt es überraschend viele Parallelen zwischen Hip und Theodore Sturgeon, da stimme ich rocky zu. Mit der "schlimmen Vergangenheit" ist aber nicht Gewalt gemeint, yippie.

@molosovsky:

FRAGE: Sieht jemand von Euch ebenfalls eine thematische Nähe zwischen MTH und »Ich und die anderen« (Matt Ruffs Lesezirkel-Buch vom Januar)?

Eine Nähe sehe ich nur am Anfang als deutlich wird, wie Mr. Kew seine beiden Töchter erzogen hat. Von da an geht es aber in andere Richtungen.

Zu Justina Robson kann ich überhaupt keinen Bezug finden. Es gibt zwar eine Veränderung zu einem anderen/höheren Wesen, die Motivationen und das Endergebnis sind aber grundverschieden.

Sullivan

#80 yiyippeeyippeeyay

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Geschrieben 29 August 2005 - 14:17

Parallelen zwischen Hip und Theodore Sturgeon, da stimme ich rocky zu. Mit der "schlimmen Vergangenheit" ist aber nicht Gewalt gemeint, yippie.

Von mir schon. Schließlich bezog sich das Theorem der "parallelen" Kindeserlebnisse von Kopernikus oben, auf das ich mich bezog, auf die Fam. Kew, nicht nur auf Hip. Wohl wieder eine Frage klarer zu definieren worüber man genau diskutiert... :) (Ich hatte auch vor einigen Wochen noch einen langen Bericht eines anderen US-Recherchierers zu TS' Jugend gelesen, neben dem von rocky zitierten Essay, weiß leider nicht mehr wo ich das im Web fand...)

Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 29 August 2005 - 14:18.

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#81 c2c4

c2c4

    Hauptsachenaut

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Geschrieben 06 September 2005 - 11:57

Leider hatte ich zwei Wochen keine Zeit zum "Genusslesen" und habe erst jetzt den zweiten Teil beendet.
Bisher finde ich das Buch einfach Meisterklasse in STIL und Inhalt. Durchaus unkonventionell und damal seiner Zeit sicher weit voraus. Da ich gewöhnlich keinen übersinnlichen Kram lese, war das Thema für mich persönlich auch noch unverbraucht.
Weil ich ja nun vielzuspät bin, will ich mich nicht groß auslassen, zumal ihr vieles schon (kontrovers) beleuchtet habt.
Der von euch schwergewichtete Aspekt des Biographiebezugs scheint mir übertrieben, denn ein gutes Werk funktioniert immer ohne sp. Kenntnisse über den Autor, meine ich.
Das Buch schneidet manchmal wie ein Skalpell im Kopf, so funkelnd, scharf, sezierend und öffnend.

154,735 Punkte von mir :(

Im September-Zirkel bin ich nun logisch nicht dabei. Leider. Hatte in Buchhandlung versucht Ilium aus Regal zu stemmen. War aber eindeutig zu schwer. :blink:
Viele Grüße
Dirk


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