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Theodore Sturgeon: The Skills of Xanadu


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12 Antworten in diesem Thema

#1 Sullivan

Sullivan

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Geschrieben 16 August 2005 - 12:52

Willkommen im Kurzgeschichten Lesezirkel August. Wir lesen diesen Monat Geschichten von Theodore Sturgeon aus dem deutschen Sammelband DIE GOLDENE HELIX (original: Selected Stories of Theodore Sturgeon). Die Geschichten stehen online nicht zur Verfügung, ihr könnt sie auf den üblichen Wegen erwerben:

- die dt. Ausgabe am besten direkt beim Shayol Verlag
- die engl. Ausgabe bei Amazon

Nach der ersten Geschichte Die Goldene Helix setzen wir fort mit

Das Geheimnis von Xanadu (orig. The skills of Xanadu).

Fragen zum KG-Lesezirkel beantwortet die FAQ.

Sullivan und yiyippeeyippeeyay

#2 rockmysoul67

rockmysoul67

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Geschrieben 20 August 2005 - 23:29

(Ich habe mein englisches Exemplar erst am Freitag erhalten und steige jetzt gleich bei der neuen Kurzgeschichte ein.)Irgendwie finde ich den Schreibstil von Sturgeon wie das Haus von Tanyne: wenige Akzente, aber offene Aussicht auf alles. Anders gesagt: Mit wenigen Worten kann Sturgeon so viel erzählen. Ich mag diesen knappen Stil, wenn er so gut gelingt wie bei Sturgeon.Das wichtigste Element der Story ist reine SF. Es gibt eine technische Erfindung (auch wenn sie uns fast eher wie Zauber vorkommt), welche die Menschheit weiterbringt. Irgendwie ist die Uniform von Bril ein primitiver Gürtel: Im Innern der Uniform befindet sich jede Menge Schnickschnack, um Daten zu speichern, zu erhalten und zu senden - gar nicht soviel anders, als was der Gürtel (besser) macht. Ein weiterer Plus: Geschichten über eine Zeit nach der Sonne faszinieren mich. Sturgeon bringt ein interessanter Aspekt. Alle Menschen besitzen ein Protokoll, über das sie noch Jahrtausende lang mit anderen Menschen im Kontakt treten können. Dass dieser Kontakt dann trotzdem aus kulturellen Gründen schief läuft, treibt die Geschichte gut voran. Eine Wendung als Schluss: Das aggressive System wird vom anderen, friedlichen System übernommen. So hatte Bril sich das nicht vorgestellt. Ein gelungenes Ende, finde ich. Die letzten paar Sätze gefallen mir aber nicht. Die Bemerkung von Nina - eine Nebenperson der Story - passt nicht so zur Handlung. Besser wäre es, wenn sie z. B. sagen würde, dass sie ein Spezialgericht von Kit Carson kochen würde (oder so), um nochmals klar zu zeigen, dass die Leute von Xanadu das Wissen von Brils Welt "erobert" haben. Hier das passende Gedicht über Xanadu von Samuel Taylor Coleridge: Kubla Khan In Xanadu did Kubla Khan A stately pleasure-dome decree:Where Alph, the sacred river, ranThrough caverns measureless to man Down to a sunless sea. So twice five miles of fertile groundWith walls and towers were girdled round:And here were gardens bright with sinuous rills,Where blossomed many an incense-bearing tree; And here were forests ancient as the hills, Enfolding sunny spots of greenery. But oh! that deep romantic chasm which slantedDown the green hill athwart a cedarn cover! A savage place! as holy and enchanted As e'er beneath a waning moon was haunted By woman wailing for her demon-lover! And from this chasm, with ceaseless turmoil seething,As if this earth in fast thick pants were breathing, A mighty fountain momently was forced: Amid whose swift half-intermitted burst Huge fragments vaulted like rebounding hail, Or chaffy grain beneath the thresher's flail: And 'mid these dancing rocks at once and ever It flung up momently the sacred river. Five miles meandering with a mazy motion Through wood and dale the sacred river ran, Then reached the caverns measureless to man, And sank in tumult to a lifeless ocean: And 'mid this tumult Kubla heard from far Ancestral voices prophesying war! The shadow of the dome of pleasure Floated midway on the waves; Where was heard the mingled measure From the fountain and the caves, It was a miracle of rare device, A sunny pleasure-dome with caves of ice! A damsel with a dulcimer In a vision once I saw: It was an Abyssinian maid, And on her dulcimer she played,Singing of Mount Abora. Could I revive within me Her symphony and song, To such a deep delight 'twould win me,That with music loud and long, I would build that dome in air,That sunny dome! those caves of ice!And all who heard should see them there,And all should cry, Beware! Beware! His flashing eyes, his floating hair! Weave a circle round him thrice, And close your eyes with holy dread, For he on honey-dew hath fed, And drunk the milk of Paradise. Und hier eine Übersetzung:In Xanadu ließ Kublai Khan ein stattliches Lustschloß errichten, wo Alph, der heilige Fluß, lief durch Höhlen, unermeßlich dem Menschen, hinab zu einem sonnenlosen Meer. So wurden zweimal fünf Meilen fruchtbares Land mit Mauern und Türmen umgürtet. Und dort waren Gärten, blinkend mit gewundenen Bächen, wo zahlreich ein weihrauch-trächtiger Baum blühte; und hier waren Wälder, alt wie die Hügel, die sonnige Flecken grüner Lichtungen in sich bargen. Aber ach, diese tiefe romantische Kluft, die schräg abfiel den grünen Hügel hinab, quer durch ein Zederndach! Ein wilder Ort, so heilig und verwunschen, wie er je unter einem abnehmenden Mond ward heimgesucht von einer Frau, die um ihren Dämonen-Geliebten weinte. Und aus dieser Kluft, in unaufhörlichem Aufruhr kochend, als ob diese Erde in schnellem, schweren Keuchen atmete, ward ein mächtiger Springquell jäh emporgetrieben, inmitten dessen raschen, stoßweisen Ausbrüchen riesige Brocken wirbelten wie prasselnder Hagel, oder wie spreuendes Korn unter dem Dreschflegel: Und inmitten dieser tanzenden Felsen, plötzlich und ewig, schoß jäh empor der heilige Fluß. Fünf Meilen mäandrierend in trägem Lauf durch Wald und Tal lief der heilige Fluß, erreichte dann die Höhlen, unermeßlich dem Menschen, und sank im Tosen zu einem leblosen Ozean hinab. Und inmitten dieses Tosens hörte Kublai von fern Vorväter-Stimmen, prophezeiend Krieg! Der Schatten von dem Lustschloß floß mitten auf den Wellen, wo das vermischte Rauschen zu hören war von dem Springquell und den Höhlen. Es war ein Wunder von seltener Kunstfertigkeit, ein sonniges Lustschloß mit Höhlen von Eis! Ein Mädchen mit einer Harfe sah ich einst in einer Vision: Es war eine äthiopische Maid, und auf ihrer Harfe spielte sie und sang vom Berg Abora. Könnte ich in mir wiederbeleben ihren Wohlklang und Gesang, ein solch tiefes Entzücken würde es mir bereiten, daß mit Musik, laut und lang, ich dieses Schloß in die Luft bauen würde, dieses sonnige Schloß! jene Höhlen von Eis! Und alle, die zuhörten, sollten sie dort schauen, und alle sollten rufen: "Gebt acht! Gebt acht! Seine flammenden Augen, sein fließendes Haar! Webt einen dreifachen Kreis rund um ihn, und schließt eure Augen in heiligem Schauder, denn an Honig-Tau hat er sich gelabt, und getrunken die Milch des Paradieses."

#3 Sullivan

Sullivan

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Geschrieben 25 August 2005 - 07:47

Hallo rockmysoul67,

vielen Dank für das Gedicht, geht ja richtig unter die Haut. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich Samuel Taylor Coleridge noch nicht kannte.

Ich verstehe nicht, wieso immer von einem "knappen Stil" gesprochen wird. Wenn man "mit so wenig Worten so viel erzählen kann", würde ich das nicht als "knappen Stil" bezeichnen sondern lieber das begnadete Erzähltalent hervorheben. Sturgeon fesselt den Leser mit kleinen Gesten, lullt ihn ein und schlägt schließlich geschickt mit der Keule zu.

Besonders gut gefallen hat mir in dieser Geschichte, dass Bril ernst genommen wird und seine Eigenheiten nicht ins Lächerliche gezogen werden. Er mag es nicht, wenn andere Leute ihm beim essen zuschauen? Er will eine eigene Hütte? Okay, kein Problem.

Sehr spannend verläuft auch die Suche nach der "Regierung" und die Erklärungen, was der Senat und die Senatoren sind. Durch solche grundlegenden Unterschiede im Verständnis werden in wenigen Zeilen beide Gesellschaften charakterisiert, ganz große Klasse.

Xanadu ist eindeutig Utopia, ohne jeden Fehler. Es wird zwar angedeutet, dass es in Vergangenheit fast zur Ausrottung gekommen ist, aber diese Phase wurde überwunden. Faszinierend sind die Ursachen für das Utopia: die Fähigkeiten der Menschen gehen nicht verloren, jeder Einzelne hat das gleiche Wissen und Können wie die anderen. Dazu kommt die Sensibilität, instinktiv das Richtige zu tun um Ungleichmäßigkeiten auszugleichen - und zwar auf jeder nur denkbaren Ebene: das kann ein zu erfüllender Wunsch sein, ein Mangel an Rohstoffen etc.

Witzig verläuft die "Eroberung" von Brils Welt. Sie bekommen eben nicht nur die "normalen" Fähigkeiten um das Leben zu verbessern, sondern es werden auch Ideale vermittelt und, was das wichtigste ist, jeder ist plötzlich gleich. Der Möchtegern Eroberer werden selbst erobert...

Die letzten paar Sätze gefallen mir aber nicht.

Der von dir vorgeschlagene Schluss wäre tatsächlich noch stärker, rocky, aber ich kann mit den Sätzen gut leben.

Sullivan

#4 Jueps

Jueps

    Klabauternaut

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Geschrieben 30 August 2005 - 00:55

Mir persönlich hat "Skills of Xanadu" nicht ganz so gut wie die "Goldene Helix" gefallen; nichtsdestotrotz ist es eine clevere, kleine Geschichte mit einem hübschen Ende und einem runden, leserfreundlichen Stil.

Aber im Genauen.
Von Zeile zu Zeile wandelt man durch die wundersame Welt, die Sturgeon kreiert. Wie schon bei Viridis schafft er mit Xanadu einen ganz neuartigen Planeten, der das Herz der SF-Geneigten höher schlagen lässt.
Wie Rockmysoul gefiel mir dabei schon die Ausgangslage: "And the sun went nova" - sofort ist der Leser aufmerksam, eine gute Idee, um von Zeile 1 an zu fesseln.
Probleme hingegen bereitete mir von Anfang an der Protagonist Bril. Sicher ist es für den Lauf der Geschichte notwendig, dass der "hochentwickelte" Besucher den freundlichen und verständnisvollen Leuten von Xanadu stets mit Arroganz und Abneigung gegenübertritt, aber trotzdem machte ihn mir das Schritt für Schritt immer unsympathischer, bis ich ihm nur noch das Schlechteste gönnte...-_-
Und auch sein ach so überlegenes Streben nach Privatsphäre (=sich in einen Metallsarg einsperren) und sein hochnäsiges Herabsehen auf andere Normen, regten mich innerlich ziemlich auf [ich bin nun mal ein Leser, der sehr leicht Emotionen wie Zorn und Mitgefühl bei Charakteren empfindet].
Jedoch schrieb Sturgeon für mich dann das perfekte Ende, das alles in Wohlgefallen auflöst: Brils kriegerisch-arrogante Eroberer-Rasse bekommt die Ideale der "Xanaduren" aufgedrückt und der Spuk hat ein Ende.
Im Gegensatz zu meinen Vorrednern gefielen mir dabei auch Ninas Schlussworte sehr gut. Zuerst lächelt sie mit weiser Überlegenheit über den bevorstehenden, neunzehnten Versuch, Xanadu zu übernehmen und dann offenbart sie, dass das fühlende Verständnis ihres Volkes noch größer sind, als man es eh schon vermutet: Nina hat Brils kurzzeitige Liebesgefühle längst registriert - und doch sieht sie ihn nicht als das arme Würstchen an, das er eigentlich ist, sondern einfach als den "lustigen Bril", einer der vielen Möchtegerneroberer, der am Ende eines Besseren belehrt wird. Diese tolerante Haltung voller Herzensgüte, weder verurteilend noch nachtragend, erscheint mir als idealen Weg, eine Geschichte zu beenden: Durch und durch positiv und angenehm für den wohlgesinnten Leser.

Mein Fazit: "Xanadu" ist keine außergewöhnliche, aber eine unterhaltsame Geschichte mit gefälliger Moral am Ende und einigen sehr schönen SF-Elementen. Auch beweist Sturgeon weiterhin sein stilistisches Können: Die Dialoge sind lebendig, Handlungen und Dinge werden prägnant und zugleich schön beschrieben.
Ein Autor, der mir in Erinnerung bleiben wird.

Bearbeitet von Jueps, 30 August 2005 - 14:48.

»Ich bin nicht besonders helle, und es dauert ein bißchen, bis ich etwas kapiere. Aber wenn du mir Zeit läßt, dann werde ich lernen, dich besser zu verstehen als irgend jemand sonst auf der Welt.«


#5 Morn

Morn

    Temponaut

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Geschrieben 30 August 2005 - 09:51

Auch Xanadu zeigt, dass Sturgeons Schreibstil einfach phaenomenal ist. Er faengt die (fuer mich) wunderbare Atmosphaere und Lebensweise auf Xanadu in wenigen Worten und Beschreibungen ein genauso wie die niederdrueckende Lebensweise auf Kit Carson, wo es in Fleisch und Blut uebergegangen ist, auf engstem Raum (und allein?) zu leben.

Mich stoert am Ende, dass dort von "Eroberungen" gesprochen wird. Es scheint ja nicht in der Natur der Bewohner von Xanadu zu liegen, erobern zu wollen, auch wenn es in der Natur des Menschen liegt. Aber ist die Eroberungslust immer noch da, wenn man mit sich, den Mitmenschen und der Natur in Einklang lebt? Oder zaehlt es als Selbstverteidigung? Fuer mich waeren Begriffe wie "Befreiung" oder "Bekehrung" passender gewesen, auch wenn sie auch nicht so richtig zutreffend sind (Probleme mit der alten Sprache -_- ). Werden, wie Jueps schreibt, den Eroberten die Ideale von Xanadu aufgedrueckt? Ist es nur eine natuerliche Entwicklung, wenn alle Menschen gleich sind und alles (fast) gleich gut koennen? Oder behalten sie ihre Eigenarten und kulturellen Errungenschaften? Wenn nicht, ist "Eroberung" vielleicht doch nicht so falsch.

@ Sullivan
Wenn Du "Die Tore zu Anubis Reich" ("The Anubis Gates") von Tim Powers gelesen hast, ist Dir Coleridge immerhin mal als Figur in einem Roman ueber den Weg gelaufen.

#6 Jueps

Jueps

    Klabauternaut

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Geschrieben 30 August 2005 - 14:52

Hi Morn,

ja, mein "aufdrücken" war vielleicht eine etwas überspitzte Wortwahl, denn auch ich bezweifle stark, dass die 'Xanaduren' irgendeine Absciht hegten, jemandem etwas aufzuzwingen.

Andererseits: Da Brils Volk die Ideale nicht freiwillig übernimmt [und es wahrscheinlich auch niemals getan hätte, mit Begründungen wie "Niedere Ideale? Niemals!"], sollte man schon ein Wort dieses Kalibers wählen.

Ich denke, ein wunderbarer Begriff für den Vorgang am Ende wäre Läuterung gewesen. ["Halt", sagt eine andere Stimme in meinem Kopf, "das klingt zu religiös! 'Eroberung' passt wohl im Endeffekt am besten zur Grundhaltung der KG..."]

Bearbeitet von Jueps, 30 August 2005 - 14:54.

»Ich bin nicht besonders helle, und es dauert ein bißchen, bis ich etwas kapiere. Aber wenn du mir Zeit läßt, dann werde ich lernen, dich besser zu verstehen als irgend jemand sonst auf der Welt.«


#7 Sullivan

Sullivan

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Geschrieben 30 August 2005 - 19:04

Hallo,

@morn:
"Die Anubis Tore" kenne ich noch nicht, hole ich vielleicht bei Gelegenheit mal nach.

Jueps, ich kann dich verstehen. So ähnlich ging es mir bei Cordwainer Smith, die Charaktere waren mir so unsympathisch, dass ich die Story nicht genießen konnte ("Ein Planet namens Shayol" bildet die rühmliche Ausnahme).

Bei Sturgeon mag ich gerade die Charaktere! Sie erwachen zum Leben so dass man sie nicht als lächerliche Parodie abtut sondern ernst nimmt, ihre Ansichten auf sich wirken lässt und dann erst urteilt. Privatsphäre, das Herabsehen auf die Mitmenschen - Bril bedauert sogar schon die Einwohner von Xanadu, dass sie wahrscheinlich ausgerottet werden müssen. Da prallen zwei Gesellschaften aufeinander, die verschiedener nicht sein könnten.

jueps meinte außerdem:

Diese tolerante Haltung voller Herzensgüte, weder verurteilend noch nachtragend, erscheint mir als idealen Weg, eine Geschichte zu beenden: Durch und durch positiv und angenehm für den wohlgesinnten Leser.

Ganz meine Meinung. Die Ideale von Xanadu/Sturgeon verändern die Menschen und öffnen ihnen die Augen. Dieses Motiv findet man auch in anderen Geschichten, am stärksten ist mir "Wenn alle Menschen Brüder wären" in Erinnerung geblieben, die einige Parallelen aufweist. Auch dort haben wir den Konflikt "offene Gedanken, alle sind gleich" und den festgefahrenen, bürokratischen Strukturen, die alle nur das "Beste" für uns wollen.

Was denkt ihr, ist dieser Ansicht von Sturgeon zu naiv? Würde vollkommene Transparenz zu einer besseren Gesellschaft führen oder würde man damit andere Probleme bekommen? Oder liegt es, wie Bril bemerkt, sogar in der Natur des Menschen, Geheimnisse zu haben?

Sullivan

#8 Morn

Morn

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Geschrieben 30 August 2005 - 19:27

Ich glaube nicht, dass es auf Xanadu voellige Transparenz gibt. Wenn ich mich recht erinnere, sagt Nina, dass sie nichts so sehr schaetzen wie die Privatsphaere. Insofern wuerde ich sagen, dass die Gedanken und Gefuehle immer noch geheim bleiben koennen, wenn man sie nicht teilen will. Oder bildet die Bevoelkerung dort ein Kollektivwesen, eine Art Homo Gestalt etwa? Aber warum sollten sie dann miteinander sprechen muessen? In diese Fall sollten sie sich dann auch ueber die Guertel telepathisch o.ae. unterhalten koennen. Ausserdem schiene es mir in dem Fall auf eine Gleichschaltung der Bevoelkerung hinauszulaufen, was Sturgeon sicherlich widerstrebt haette. Und mir auch. In diesem Fall wuerde ich nicht sagen, dass das dann eine bessere Gesellschaft waere. Haette aber tatsaechlich jeder dasselbe Wissen und dasselbe Koennen (auch wenn einer etwas vielleicht besser kann als andere), wuerde es zu einer besseren Gesellschaft fuehren, schaetze ich. Neid wuerde dann nicht aufkommen, da jeder erreichen kann, was er will. Und auch Gier wuerde dann vermutlich mit der Zeit verschwinden. Oder bin ich auch zu naiv?

#9 Sullivan

Sullivan

    Autarchonaut

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Geschrieben 31 August 2005 - 08:12

Hallo morn, du hast doch die dt. Ausgabe, richtig? Wie heißt sie auf deutsch?

Wenn ich mich recht erinnere, sagt Nina, dass sie nichts so sehr schaetzen wie die Privatsphaere.

Stimmt, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Die Einwohner können mit Absicht wegschauen wenn sie merken, dass jemand Privatsphäre braucht. Hier gilt wieder das Balance Prinzip, um Bedürfnisse zu erfüllen: wenn es für das "persönliche Wohlbefinden" notwendig ist, jemandem einen Freiraum zu gewähren, bekommt er ihn auch.

Aber warum sollten sie dann miteinander sprechen muessen?

Ein gutes Argument - sie müssen gar nicht mehr miteinander sprechen. Sturgeon skizziert hier eindeutig eine Gesellschaft, die sich auf empathische/telepathische Weise versteht. Die gemeinsamen Fähigkeiten sehe ich eher als Pool oder Bibliothek, wo sich jeder bedienen kann. Als "Mensch" hat er aber auch noch eigenes kreatives Potential, dass die Gesellschaft letzten Endes weiterbringt. Bleibt die Frage, ob der Ansatz funktionieren würde. Wie sieht es mit der Motivation aus, um das eigene Potential wirklich zu nutzen, mit der "Bezahlung" (wie auch immer, Geld, Anerkennung, Privilegien etc.). Darauf geht Sturgeon nicht ein und bei längerem Nachdenken habe ich so meine Zweifel, ob die "wir haben uns alle lieb" Methode funktioniert. Sullivan

#10 Morn

Morn

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Geschrieben 31 August 2005 - 08:42

Ich habe die deutsche Ausgabe von Shayol: "Die goldene Helix" (und auch den ersten Band "Lichte Augenblicke").

Wie sieht es mit der Motivation aus, um das eigene Potential wirklich zu nutzen, mit der "Bezahlung" (wie auch immer, Geld, Anerkennung, Privilegien etc.). Darauf geht Sturgeon nicht ein und bei längerem Nachdenken habe ich so meine Zweifel, ob die "wir haben uns alle lieb" Methode funktioniert.

Das ist ein guter Punkt. Allerdings koennte Neugier darueber, was alles moeglich ist, schon Motivation genug sein. Ich denke, dass Wissbegier und Forscherdrang wesentliche Eigenschaften des Menschen sind. Und wenn jeder seinen Neigungen nachgehen kann, was auf Xanadu der Fall zu sein scheint, dann koennte dies Bezahlung genug sein.

#11 yiyippeeyippeeyay

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Geschrieben 04 September 2005 - 13:48

Beware! Beware!
His flashing eyes, his floating hair!
Weave a circle round him thrice,
And close your eyes with holy dread,
For he on honey-dew hath fed,
And drunk the milk of Paradise.

So, ich hab endlich die Story noch mal gelesen, nachdem ich sie Mitte August schon durch hatte, und mir nicht ganz klar war, was ich von ihr halten soll. Im Wesentlichen komme ich aber zu dem Schluss, dass Sturgeon schon auch ein wenig warnt vor den Xanadu'schen Fähigkeiten. Deshalb sind die oben zitierten Zeilen am Ende des Coleridge-Gedichts für mich das Motto dieser KG. (Der mit den blitzenden Augen und dem Haar ist für mich Tanyne, der dreifache Kreis der um ihn geWEBT wird, der Gürtel... :huh:)

Denn irgendwie sind diese Gürtel doch auch gruselig. Sie werden als "lebendig" von Tanyne beschrieben, und sie existieren irgendwie symbiotisch mit ihrem Träger, geben ihm eine (wahrscheinlich süchtig machende) Macht bzw. Einklangsgefühl mit allen anderen Trägern. Das erinnert mich an einen der gruseligsten "schöne-weltigen" SF-Romane, über ein zu weit entwickeltes "Herdenhirn" in einem lieblich erscheinenden US-Städtchen: Frank Herberts Santaroga Barrier (dt.?).

Einerseits sind die Xanaduer in Sturgeons filosofischer Gegenüberstellung die Seite, die sich nicht mehr mit Maschinen abgibt, damit sie nicht von deren Konsequenzen (erneut) zerstört werden. Andererseits wurde der Gürtel von ihnen ENTWORFEN - wie, ohne bereits vorhandene Gürtel, Forschung, maschinen-unterstützter Entwicklung?! (Und wo wir schon dabei sind - wie kann aus 3 Menschen, eine Gemeinschaft von 12 bis 13 Tausend wachsen ohne fortschreitender Inzucht-Probleme? Bestrahlt der Gürtel etwa auch "gutmütig" die Eier/Spermien der TrägerInnen? :D)

Die Welt von Kit Carson ist glaubhaft angedeutet, auch heute eine Fortentwicklung bestimmter Strömungen der modernen Welt, und Bril ist ein konsequenter Sohn dieser Gesellschaft. Die Szene, in der er die Tür unbekleidet aufmachen MUSS um an den Gürtel zu kommen, ist herrlich.

Letztendlich ist aus meiner Sicht die positiv-progressive Art, in der Sturgeon die Xanaduer darstellt, eine Falle für LeserInnen. Am Ende der KG ist mir etwas mulmig zumute, dass ich die X'er sympathisch fand/finde. Denn wenn ich vor die Wahl gestellt würde, so einen Gürtel an zu ziehen, wissend was er für Nebeneffekte hat, würde ich ihn glaub ich ablehnen.

Fazit: Eine trickreiche, lesenswerte Geschichte. Man lese sie 2 Mal! :ph34r:

Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 04 September 2005 - 14:01.

/KB

Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.

Da ergriff eins der kleinsten das Wort:

"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,

dann wünschen wir einfach mit Willen

die Wünsche-Erfüllung fort!"

Sie befolgten den Rat und von Stund an war

wieder spannend das Leben und heiter.

Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr

und vielleicht gar ein wenig gescheiter.

(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)


#12 Morn

Morn

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Geschrieben 05 September 2005 - 10:08

Mit der neuen Sichtweise, die Yippie aufgeworfen hat, macht die Wahl des Wortes "erobern" am Ende der KG Sinn, finde ich. Vielleicht sind die Xanaduer doch nicht so nett, wie zumindest ich dachte. Oder die Guertel sind die eigentlichen "Eroberer".

#13 Sullivan

Sullivan

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Geschrieben 05 September 2005 - 15:49

Hallo yippie,

eine interessante Standpunkt. Zum einen das Problem Inzucht: hier stimme ich dir zu, obwohl der Gürtel bestimmt seinen Teil dazu beiträgt, die Auswirkungen in Grenzen zu halten. (Gab es den Gürtel damals schon, als bloß noch 3 Leute übrig waren?).

Ich sehe den Gürtel aber nicht als falschen Freund, durch den man letzten Endes an die Kette gelegt wird! Stattdessen sorgt er dafür, dass die Menschen nach Idealen leben können, ohne dass einer den anderen ausnutzt. Das erinnert mich ein wenig an Moulin Rouge: Wahrheit, Freiheit, Schönheit und Liebe.

Sehr interessant ist die Idee, dass jeder Mangel spürbar ist und ein Defizit erzeugt, auf dass die anderen Menschen "ausgleichend" reagieren: emotional, ökonomisch, zwischenmenschlich, ... Wieso überhaupt reagiert wird, bleibt die große Frage, aber es funktioniert überraschend gut. Es scheint auch gar keinen Konflikt von Wünschen zu geben...

Würde ich einen Gürtel besitzen wollen? Hmm, schwere Frage, die Antwort lautet trotz aller Bedenken ja.

Was findest du an den Gürteln gruselig, yippie?

Sullivan


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