Bevor ich jetzt durchs gewissenhaftere Lesen eurer Beiträge abgelenkt werde, erstmal schnell mein Eindruck nach dem erneuten Lesen der Story...
Was für ein Lese-Erlebnis!
Dieses Manuskript ist sehr innovativ. Nicht nur werden SF-Konzepte auf originelle Art zusammengewürfelt (wir lernen was Synästhesie ist, u.a.), sondern auch Stimmungen aus anderen Genren, z.B. dem Südstaatenepos (Eröffnungs-Szene) und dem Film Noir, in dem sich die Protagonisten rauschhaft ins Verderben steigern. Dann geht Bester auch noch sehr innovativ mit Sprache um - ich habe inzwischen z.B. das Gefühl, dass er mit der Sensibilität des SF-Lesers spielt mit den ständigen "Kosewort-Fahrenheit"-Phrasen, die jeden Abschnitt wie ein schillerndes Ausrufezeichen vom nächsten trennen. In letzterem Sinne, ist es mir neu dass in irgendeinem anderen SF-Roman davor oder danach die Perspektive sich sogar innerhalb von einzelnen Sätzen dreht und wendet. Wäre also der Plot hanebüchen, würde schon diese Explosion von Neuartigem die Geschichte hervor heben.
Aber der Plot ist subtil und klever - ein Mörderthriller, der sich auf eine Weise entwickelt wie es nur ein SF-Rahmen erlaubt (ich darf doch inzwischen SPOILERN?): Wir wissen praktisch von Anfang an, wer der Killer ist, aber er steht auf und sagt, Ich bin ein Wesen, dass über jeden Verdacht erhaben ist. Wie eine Maschine besteht er auf diese Sicht, und ganz am Ende bestätigt sie sich ja sogar! Mit jeder Fahrenheitssteigerung wird ein weiterer Puzzleteilgeber des Rätsels weg gerafft, bevor er/sie das Puzzle erklären KANN. Im folgenden Abschnitt bekommt man dann den vorhergehenden halbwegs erklärt, aber bevor man weiter kommt - zack! - bricht die Geschichte wieder auf in den nächsten Zyklus (der natürlich immer kälter beginnt). Alleine diese Erzählmechanik zieht den Lesenden nach vorne wie ein Dampfzug - ich spekuliere mal, dass niemand, der diese Geschichte zu Ende gelesen hat, dafür länger als 2 Stunden brauchte!
Aber wie KANN man sich das Ende erklären? (Hatte ich ja schon mal oben gefragt.) Ich probier's mal, obwohl mich das Gefühl beschleicht, ich hab was übersehen: Der Mensch Vandaleur hat eine ganz besondere Wirkung auf künstliche Humanoide, die sich länger in seiner Nähe aufhalten - er fängt an ihre Wahrnehmung (ihr Gehirn) zu teilen; dies hat u.a. die unangenehme Wirkung auf die programmierten Wesen, dass sie einer Temperaturabweichungs-Synästhesie verfallen. Wird es zu heiß (oder am Ende zu kalt), wandeln diese ihre Empfindung in eine Umkehrung ihres "vernünftigen" Wesens um, fangen an zu singen, zu tanzen und Gewalt an zu wenden, oft auf Menschen, die Vandaleur irgendwie bedrohen (es wird sozusagen das 2. Robotergesetz vor allem anderen umgesetzt). In der darauf folgenden Krise wird die "Gehirnteilung" gefestigt, und tritt danach immer häufiger auf.
Soweit meine Theorie. Jetzt seh ich mir mal die anderen Posts an...
Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 09 Juni 2021 - 16:37.
/KB
Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.
Da ergriff eins der kleinsten das Wort:
"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,
dann wünschen wir einfach mit Willen
die Wünsche-Erfüllung fort!"
Sie befolgten den Rat und von Stund an war
wieder spannend das Leben und heiter.
Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr
und vielleicht gar ein wenig gescheiter.
(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)