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Die binäre Logik als Irrweg, zwei Geschlechter ein Handicap


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5 Antworten in diesem Thema

#1 Beverly

Beverly

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Geschrieben 21 September 2006 - 10:02

Ausgangpunkt meiner Überlegungen ist ein Aspekt aus DAS SPIEL AZAD von Iain Banks. Darin begegnet die technisch und zivilisatorisch hochstehende "Kultur" den Bewohnern des Planeten Ea, die das barbarische "Imperium Azad" errichtet haben. Die Eaner herrschen mit Unterdrückung, Krieg und Gewalt und der Roman schildert den Fall ihres Imperiums. Nun haben die Eaner allerdings eine Besonderheit: sie haben drei Geschlechter, Mann, Frau und Apex. Ich denke, Banks hat ihnen drei Geschlechter gegeben, um sie ein bisschen interessanter zu machen, aber ohne die Konsequenzen zuende zu denken. Meines Erachtens würde sich eine auf drei Geschlechtern basierende Zivilisation viel schneller entwickeln als eine mit nur zwei, so dass die Eaner auch bei "einer Eiszeit mehr" (Banks Erklärung für ihre Rückständigkeit) gleichauf mit der Kultur wären. Vielleicht ist sogar Dreigeschlechtlichkeit eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg einer Zivilisation und zweigeschlechtliche Wesen haben ein schweres Handicap.Dieses Handicap ist die binäre Logik. Da Menschen zwei Geschlechter haben und diese Zweigeschlechtlichkeit als Mann-Frau-Gegensatz sehr intensiv erfahren, basiert auch ihre Logik darauf. Analog zu Mann-Frau gibt es ja-nein, wahr und falsch, im Binärcode 0 und 1, entweder-oder, in der Gesellschaft Oben und Unten, im politischen Diskurs Gewinner und Verlierer, Linke und Rechte, in der Wirtschaft Kapitalismus oder Sozialismus, in der Philosophie Realisten und Idealisten, Schwarz und Weiß, in der Religion Gott und Teufel, es gibt nur Leben oder Tod und nach dem Tode Himmel oder Hölle ... so wird die ganze Welt in unvereinbare Gegensatzpaare aufgelöst.Nur scheint es so zu sein, dass ab einer bestimmten Entwicklung des Denkens sich die binäre Logik als untauglich erweist. So hat schon Kant nachgewiesen, dass die Welt weder endlich ist - weil es ja auch nach einem "Ende" noch etwas dahinter gibt - noch unendlich - da nichts eine unendliche Welt zusammenhalten kann. Hegel verdanken wir den Dreisatz These-Antithese-Synthese und seit Schrödingers Gedankenexperiment wissen wir, dass eine Katze zugleich tot und lebendig sein kann. Besonders die Quantenphysik mit ihren sich "überlappenden" Zuständen scheint mir mit herkömmlicher binärer Logik unvereinbar zu sein. Die Welt an sich besteht ihr zufolge nicht aus "entweder-oder" sondern "sowohl als auch" und ein eindeutiger Zustand ist nur das Resultat bewusster Beobachtung ("Kollaps der Wellenfunktion"). Was die Politik betrifft, kann ich mich noch aus den Anfängen der Grünen um 1980 an die zaghafte Suche nach "Dritten Wegen" ("weder Kapitalismus noch Kommunismus") erinnern, also das Aufbrechen der während der Blockkonfrontation sehr populären binären Logik. Seitdem diese Blockkonfrontation getreu der binären Logik - "es wird Gewinner und Verlierer geben" - mit dem Sieg einer Seite geendet hat, scheint es komischerweise immer mehr Verlierer zu geben. Bei den Grünen hat eine Fraktion, die sich bezeichnenderweise "Realos" nannte, der Suche nach Dritten Wegen den Boden entzogen. Ich finde es interessant, dass sich diese Fraktion durch ihren Namen auch in eine bestimmte erkenntnistheoretische Tradition stellt. Der Streit zwischen "Realos" und "Fundis" sozusagen wie eine Neuauflage des Streites zwischen "Realisten" und "Nominalisten" im Mittelalter.Menschen werden aufgrund ihrer Zweigeschlechtlichkeit mit einer binären Logik sozialisiert und müssen sich eine für das Verständnis der Welt tauglichere "trinäre" Logik erst mühsam und unter vielen Rückschlägen erarbeiten. Aber vielleicht ist sie für Überleben und Weiterentwicklung der Menschen unabdingbar, sozusagen der nächste Schritt in der geistigen Evolution. Wesen mit drei Geschlechtern hätten dann einen Startvorteil. Konzepte in der Art von "0 01 1", "ja jein nein", "Links Linksrechts Rechts", "Kapitalismus Sozialkapitalismus Sozialismus", "Gewinner Gewinnverlierer Verlierer", "lebend halbtot tot" ständen ihnen schon am Anfang ihrer Entwicklung zur Verfügung. Je nach bedarf hätten sie dann sowohl die Eindeutigkeit der binären Logik - "keien faulen Kompromisse", "klare Aussagen", "eindeutige Entscheidungen" - als auch die Möglichkeit zur Synthese von in der binären Logik unvereinbaren Zuständen.

#2 Naut

Naut

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Geschrieben 21 September 2006 - 10:26

Du glaubst ernsthaft, dass die Affinität der Menschen zu binärer Logik mit der zweigeschlechtlichen Sozialisation zusammenhängt? Ich denke nicht, dass ein Kind vor dem zweiten Lebensjahr ein echtes Rollenverständnis hat, zu diesem Zeitpunkt sind binäre Unterscheidungsprozesse aber längst Teil seiner Gedankenwelt (gut/bäh!, hell/dunkel, warm/kalt, ...)Der simple Schwellwert für qunatifizierbare Maße ist nunmal ein universelles und für den Alltag recht taugliches Werkzeug. Nun zu behaupten, die Leute würden alles schwarz-weiß sehen, ist aber zu viel: Ich kann z.B. seit frühester Kindheit durchaus mehr als zwei tierarten unterscheiden, es gibt mehr als zwei Haarfarben (und Farben überhaupt), kleine Jungs (! :D ) können meist eine Unzahl verschiedener Automarken identifizieren, usw. Unser Denken ist voller mehrwertiger Systeme.Wenn überhaupt, dann hat die zweiwertige Logik mit der einfachen Symmetrie unseres Wahrnehmungsapparats zu tun: links/rechts, oben/unten sind direkte Konsequenzen unseres Körperbaus (achsensymmetrisch, zweiäugig). Dies wiederum hat mit biologischer Anpassung zu tun.Fazit? Ich teile fast keine Deiner Thesen. Aber Du wirst sicher auch ein paar Zustimmer finden.
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#3 Jakob

Jakob

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Geschrieben 21 September 2006 - 11:08

Nur scheint es so zu sein, dass ab einer bestimmten Entwicklung des Denkens sich die binäre Logik als untauglich erweist. So hat schon Kant nachgewiesen, dass die Welt weder endlich ist - weil es ja auch nach einem "Ende" noch etwas dahinter gibt - noch unendlich - da nichts eine unendliche Welt zusammenhalten kann. Hegel verdanken wir den Dreisatz These-Antithese-Synthese und seit Schrödingers Gedankenexperiment wissen wir, dass eine Katze zugleich tot und lebendig sein kann. Besonders die Quantenphysik mit ihren sich "überlappenden" Zuständen scheint mir mit herkömmlicher binärer Logik unvereinbar zu sein. Die Welt an sich besteht ihr zufolge nicht aus "entweder-oder" sondern "sowohl als auch" und ein eindeutiger Zustand ist nur das Resultat bewusster Beobachtung ("Kollaps der Wellenfunktion"). Was die Politik betrifft, kann ich mich noch aus den Anfängen der Grünen um 1980 an die zaghafte Suche nach "Dritten Wegen" ("weder Kapitalismus noch Kommunismus") erinnern, also das Aufbrechen der während der Blockkonfrontation sehr populären binären Logik. Seitdem diese Blockkonfrontation getreu der binären Logik - "es wird Gewinner und Verlierer geben" - mit dem Sieg einer Seite geendet hat, scheint es komischerweise immer mehr Verlierer zu geben.

Ich wäre da auch ein bisschen vorsichtig, soviel durcheinanderzuwerfen. Erstmal müsste man genaugenommen die Worte "binär" und "Logik" auseinanderklamüsern, zumindest, wenn man Hegel bemüht. Denn Hegels Denken basiert sehr wohl grundsätzlich auf binären Modellen, auf dem Begriffspaar von "Identität" und "Nichtidentität", im Gegensatz zur herkömmlichen Logik postuliert er aber eine fundamentale "Einheit von Identität und Nichtidentität". Ob in dieser Figur jetzt wirklich ein drittes hinzutritt, wie du andeutest, finde ich erst mal zweifelhaft, bin jetzt gerade aber nicht engagiert genug, das rauszufinden ... jedenfalls: Hegel geht von einem binären Modell aus, das "Dritte" ist wenn dann überhaupt sowas wie eine konstitutive Leerstelle und kann nicht einfach auf eine Ebene mit dem Dualismus gestellt werden. Das mag ja spitzfindig sein, aber man kann Hegel schlicht und einfach nicht für eine Theorie des "Sowohl-als-auch" in Beschlag nehmen, weil die Kategorien, die er verwendet, eben genau auf grundlegender Unterscheidung beruhen. Ich würde die Binarität auch nicht im Geschlechterdualismus begründen - oder noch würde ich den Gedanken umdrehen und sagen, dass die Tradition dualistischen Denkens die Verstärkung von Geschlechterdualismen begünstigt. Zuletzt wäre ich auch mit der politischen Dimension vorsichtigt - Kommunismus und Kapitalismus standen sich vielleicht in der Blockkonfrontation als "entweder/oder" gegenüber, dort aber tatsächlich als grundlegend "gleiche", nämlich einfach als zwei politische Machtblöcke (deshalb sprechenen einige Theorien in Bezug auf den Realsozialismus ja auch vom staatsmonopolistischen Kapitalismus, um die grundsätzliche Verwandtschaft zu den kapitalistischen Staaten hervorzuheben und den Unterschied zur kommunistischen Idee). In der politischen Theorie sieht das aber ganz anders aus, da ist der Kommunismus ja gerade nicht einfach "das andere" des Kapitalismus, sondern die dialektische Aufhebung seiner inneren Widersprüche - wenn überhaupt ist der Kommunismus also das "dritte" jenseits des strukturellen Widerspruchs von Arbeit und Kapital (nicht zu verwechseln mit "Arbeitern" und "Kapitalisten"). Die diversen Entwürfe für "Dritte Wege" (die es wie Sand am Meer gab und gibt) sind dagegen meistens eher Versuche gewesen, diesen Widerspruch zu "vermitteln" statt aufzuheben, meistens im Namen irgendeiner ideologischen Größe, zu deren Gunsten sich jetzt mal alle am Riemen reißen und zusammenarbeiten sollten (der Staat, die Nation, die Umwelt ...) Gegen "dritte Wege" sollte man meines Erachtens erst mal misstrauisch sein - nicht zuletzt war der Nationalsozialismus erklärtermaßen ein Modell des "Dritten Weges" zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Lieber ist mir da die Sozialdemokratie, sofern sie ganz offen sagt, dass ihr an einer sozial verträglicheren Reform des kapitalistischen Status quo gelegen ist, anstatt irgendein "drittes" zu beschwören, was dann doch meistens nur der ideologischen Einschwörung dient.
"If the ideology you read is invisible to you, it usually means that it’s your ideology, by and large."

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#4 Tarantoga

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Geschrieben 21 September 2006 - 13:06

Ein sehr interessanter Denkansatz und zumindest in der Mathematik hat sich ja das Zehnersystem durchgesetzt weil wir 10 Finger haben.Dennoch denke ich du liegst falsch.Wir denken nicht dual weil wir zweigeschlechtlich sind sondern wir sind zweigeschlechtlich weil die Welt dual ist..Ying und Yang halt :D .Ps:Ich halte die Entstehung und das Überleben von Spezies mit drei Geschlechtern für schwierig bis unmöglich, da kann einfach zu viel schief laufen.Stell dir mal Pflanzen mit drei Geschlechtern vor.Da muss die Biene nicht zur zwei Blüten anfliegen sondern drei , die dann auch bitte unterschiedlichen Geschlechts sein müssten.

#5 yiyippeeyippeeyay

yiyippeeyippeeyay

    Interstellargestein

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Geschrieben 21 September 2006 - 13:11

Irgendwie nehmen immer Wortbegriffe wie "dritter Weg" auch nach und nach eine eigene Bedeutung an, unabhängig von ihrem Ursprung... ;) Was die Quantenphysik, die oft und gerne zitiert wird um Einsteins 100-jahre-alte "Relativierung" des Denkbaren/Erlebbaren noch extrem weiter zu treiben (so sehr, dass sie Einstein irgendwann unsympathisch wurde, hab ich den Eindruck), darf ich darauf hinweisen, dass die ganzen Quanteneffekte erst ab ca. 10 hoch -23 cm greifen, also eher SELTEN im Erlebbaren, auch wenn wir Sammeleffekte natürlich sehr wohl erleben (Laser in jedem DVD-Laufwerk z.B.). Sogar die Physik trennt also eine makroskopische Welt von einer mikroskopischen; wir sind eher Makroskopen... http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/biggrin.png Binäre Logik hat eh im Alltag wenig zu suchen; ich hab bei Spocks "logischen" Erklärungen beim klassischen Star Trek eh nie so ganz folgen können, warum es da nicht noch andere Möglichkeiten gäbe. Auch in der Informatik ist sie eher eine Abstraktion; bei so etwas Komplexem wie einem modernen mehtausendzeiligen Programm, in einer nicht gerade trivialen/einfachen Programmiersprache mit entspr. großer Funktionsbibliothek geschrieben, ist oft extrem vielfältiges Verhalten Alltag - etwas, dass (auf STTOS aufgepeppelte?) Programmierer oft übersehen. :D

/KB

Yay! SF-Dialog Ende März...
Senator: Und dies ist nun die Epoche der Laser?

Farmer: [..] Die Anzahl der Menschen auf der Erde, die voller Hass/Frustration/Gewalt sind, ist zuletzt furchterregend schnell gewachsen. Dazu kommt die riesige Gefahr, dass das hier in die Hände nur einer Gruppierung oder Nation fällt... (Schulterzucken.) Das hier ist zuviel Macht für eine Person oder Gruppe, in der Hoffnung dass sie vernünftig damit umgehen. Ich durfte nicht warten. Darum hab ich es jetzt in die Welt verstreut und kündige es so breit wie möglich an.

Senator: (erblasst, stockt) Wir werden das nicht überleben.

Farmer: Ich hoffe Sie irren sich, Senator! Ich hatte eben nur eine Sache sicher kapiert - dass wir weniger Chancen dazu morgen haben würden als heute.

(Leiter eines US-Congress-Kommittees vs. Erfinder des effektivsten Handlasers, den es je gab, grob übersetzt aus der 1. KG aus Best of Frank Herbert 1965-1970, im Sphere-Verlag, Sn. 38 & 39, by Herbert sr.)


#6 Naut

Naut

    Semantomorph

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Geschrieben 21 September 2006 - 13:58

Ein sehr interessanter Denkansatz und zumindest in der Mathematik hat sich ja das Zehnersystem durchgesetzt weil wir 10 Finger haben.

Leicht OT: Was Du meinst, ist nicht Mathematik, sondern "Rechnen". Die Mathematik kann mit jedem n-adischen System umgehen & tut es auch. :D
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen


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