Jakob Schmidt - Das Vermächtnis des Großen Essers
#1
Geschrieben 26 September 2006 - 23:19
jetzt, wo sich die ersten Farbnuancen ins Blattwerk der Bäume hineinflechten, dachte ich mir, wäre es mal wieder an der Zeit für einen gemütlichen, gemeinsamen KG-Lesezirkel!
Keine falsche Scheu, nehmt schon Platz in der gepolsterten Sitzrunde!
Um dieser schönen Boardtradition wieder Leben einzuhauchen, habe mir auch eine besonders schmackhafte Lektüre ausgesucht (Achtung, Wortwitz!): In Absprache mit SFB-Mitglied Jakob widmet sich das gemeinsame Lesen im Oktober seiner Kurzgeschichte
Das Vermächtnis des Großen Essers (Link führt zu epilog.)
Mit etwas Glück gibt es also vielleicht sogar etwas Background-Information vom Autor selbst zu erhaschen...aber wir wollen nichts überstürzen,
erst einmal wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen/Schmökern/Versinken - ich freue mich auf eure Meinungen!
PS: Im November werden wir dann mit einer weiteren Geschichte von Jakob Schmidt fortfahren - jetzt aber erst einmal zum "Vermächtnis des Großen Essers"!
»Ich bin nicht besonders helle, und es dauert ein bißchen, bis ich etwas kapiere. Aber wenn du mir Zeit läßt, dann werde ich lernen, dich besser zu verstehen als irgend jemand sonst auf der Welt.«
#2
Geschrieben 27 September 2006 - 13:34
Oberflächlich präsentiert sich die Geschichte als Endzeitstory. Berlin ist an seiner eignen Technisierung der Ökonomie zusammengebrochen, ein ominöses System hat alle Infrastruktur - vorwiegend aber die öffentlichen Verkehrsmittel - an sich gerissen. Aber schon ein solcher erster Blick offenbart, dass hier mehr dahintersteckt: Das Endzeitszenario erscheint als konsequente Fortschreibung bestehender Tendezen, Bahnhöfe immer mehr zu autarken Sauberzonen auszubauen, die, bewacht von privaten Sherriffs, einer immer kleineren Klientel immer größere (und teurere) Annehmlichkeiten bieten.
Doch wie jedes System hat auch das "System" sein Anderes, hier Kim oder auch die Preller. Ohne das Andere wäre das System nicht das System. Und letztlich ist es oft der Seiteneffekt (unfallhafte Cyborgisierung), die Randbedingung, die stabilisiert.
Es ist symptomatisch, dass es hier einer K.I. bedarf, die sich als M.I. demaskiert, um den verhängnisvollen Mechanismus in Gang zu setzen. Schmidt akzentuiert hier eine klare Gegenposition zur klassischen Dystopie: Mensch gegen Maschine. Denn die moderne Maschine ist auch immer Mensch (ihr Erfinder, Bediener, Techniker), so wie die Menschen in der Geschichte auch Maschinen sind. Die klare Grenze gut/böse wird aufgehoben, obwohl hier das System, dort die Preller stehen, durchdringen sich beide, die Unterscheidung ist ein Akt des Willens, der Position, nicht der Natur; auch die Sherriffs [i>entscheiden<] sich für das System, weil sie an dessen Ideologie glauben.
Am Schluss ist die Geschichte auch eine Antwort auf (linke wie rechte) Kontrollmythen, naive Vorstellungen, dass eine bloße Parole ("ACAB") reichen könnte, etwas zu verändern. Das System erweist sich als zu träge, gefangen in seiner eigenen Masse, um sich durch bloßes Beschwören der Zauberformel aufzulösen.
Doch Hoffnung besteht: Wo ein System ist, ist auch das Anti-System, das Komplement, hier Kim, Kurt und die Preller. Im selben Maße, in dem sie das System stabilisieren, irritieren sie es auch. Und das schafft den Impuls der Veränderung.
#3
Geschrieben 29 September 2006 - 17:33
Angesichts aktueller Entwicklungen - Bahnhöfe als Ziel von Terroranschlägen mit dem Ruf nach mehr Überwachung, bewaffneten Zugbegleitern usw. - kann sich schon ein dicker Kloß im Hals bilden, wenn man die Story liest. Wir schaffen uns Systeme, die wir irgendwann überlisten müssen, um überleben zu können ...
Und die Vorstellung, einem Medizinroboter ausgeliefert zu sein, der nicht mehr so recht weiß, welche Teile denn an einem Menschen nun wirklich menschlich sind, lässt die künftigen Alternativen zu übermüdeten 48-Stunden-Schicht-Ärzten auch nicht gerade verlockend erscheinen ...
Prima Story, hat mir gut gefallen.
Mein Blog: Schreibkram & Bücherwelten
#4
Geschrieben 10 Oktober 2006 - 09:41
#5
Geschrieben 13 Oktober 2006 - 12:30
R. Scott Bakker
"We have failed to uphold Brannigan's Law. However I did make it with a hot alien babe. And in the end, is that not what man has dreamt of since first he looked up at the stars?" - Zapp Brannigan in Futurama
Verlag das Beben
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- • (Buch) gerade am lesen:Zachary Jernigan, No Return/James Tiptree Jr., Zu einem Preis
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#6
Geschrieben 01 November 2006 - 20:18
R. Scott Bakker
"We have failed to uphold Brannigan's Law. However I did make it with a hot alien babe. And in the end, is that not what man has dreamt of since first he looked up at the stars?" - Zapp Brannigan in Futurama
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#7
Geschrieben 01 November 2006 - 21:34
Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 01 November 2006 - 21:34.
/KB
Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.
Da ergriff eins der kleinsten das Wort:
"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,
dann wünschen wir einfach mit Willen
die Wünsche-Erfüllung fort!"
Sie befolgten den Rat und von Stund an war
wieder spannend das Leben und heiter.
Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr
und vielleicht gar ein wenig gescheiter.
(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)
#8
Geschrieben 02 November 2006 - 10:29
Das muss Dir keine Sorgen bereiten, der Grund ist wahrscheinlich einfach der, dass ich 1. ähnliche Ansichten zu "Matrix" habe und 2. manchmal (bei weitem nicht immer) so gut im "Raten" der Autorenintention bin, dass es mir selbst Angst macht. Ich fände es jedenfalls schade, wenn Du - wie anderswo angekündigt - Dich nur noch auf surreale/Horror-Plots verlegst, und damit der SF verloren gingest. Eine gesunde Genre-Mischung finde ich immer am interessantesten.Insofern teile ich eigentlich Nauts Interpretation 100%ig (was bekanntermaßen nicht heißt, dass es die einzig "richtige" ist) - was mir fast schon ein bisschen Sorgen macht, denn eigentlich wollte ich ja nicht allzu offensichtlich "predigen" ...
#9
Geschrieben 02 November 2006 - 17:42
R. Scott Bakker
"We have failed to uphold Brannigan's Law. However I did make it with a hot alien babe. And in the end, is that not what man has dreamt of since first he looked up at the stars?" - Zapp Brannigan in Futurama
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#10
Geschrieben 06 November 2006 - 00:25
Auch sind mir einige "props" zu vage - z.B. die Sheriffs.
Die vielen Zitate sind gelungen, insbes. habe ich ein wenig das Gefühl dass Jakob der Autor Jakob den Menschen gelegentlich auf die Schippe nimmt (z.B. beim Vermächtnis-"Satz"). Der Jargon ist mir gelegentlich etwas wirr/viel; ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man das als Autor ganz schlecht einschätzen kann.
Der humoristische Faden ist auch gelungen. Als der Protagonist sagt, "Ich bin Kurt", musste ich an Frank Zander denken und lachen - gewollt oder nicht, ist das an der Stelle ziemlich schräg. Die Entwicklung bei der K.I. des "Systems" und die spätere Legendenbildung der Menschen dazu fand ich auch eher amüsant. Besonders gefällt mir die Gleichsetzung der gesprochenen Worte "Intelligenz"/"Ignoranz", die in dieser Zukunft im Alltag wohl eh das Gleiche bedeuten. Dass Computersysteme IMMER irgendwie ignorant sind, auch ohne Input übers Kranial-Interface, wird heutzutage nicht oft genug in der SF beschrieben, finde ich.
Der ein oder andere dt. Satz ist mir idiomatisch unklar (lese eben nicht so oft deutsche KGen - lerne noch), z.B.:
Erlöst du uns noch zur Herkunft des "Essers" Eric? Frei erfunden oder doch nicht?Es erwischte die Drohne genau dort, wo er sie vermutet hatte.
(Mehr wenn ich die anderen Posts gelesen habe...)
Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 06 November 2006 - 00:44.
/KB
Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.
Da ergriff eins der kleinsten das Wort:
"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,
dann wünschen wir einfach mit Willen
die Wünsche-Erfüllung fort!"
Sie befolgten den Rat und von Stund an war
wieder spannend das Leben und heiter.
Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr
und vielleicht gar ein wenig gescheiter.
(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)
#11
Geschrieben 08 November 2006 - 10:03
R. Scott Bakker
"We have failed to uphold Brannigan's Law. However I did make it with a hot alien babe. And in the end, is that not what man has dreamt of since first he looked up at the stars?" - Zapp Brannigan in Futurama
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