Nur ein Kind und Du jammerst? Tss, wir sprechen uns bei Nummer 2
Nun also die übrigen Geschichten:
Das Herz der Sonne von Armin Rößler:
Armin Rößler hat mittlerweile einen sehr eigenen Stil einer nicht-technische SF entwickelt. Er stellt dabei meist die Konfrontation künstlerisch oder medial begabter Menschen gegen Mächte, denen sie (zumindest zunächst) weit unterlegen sind. Die Wahl eines SF-Settings ist dabei ein Mittel zur Abstraktion der Handlung, weniger (wie sonst oft in der SF) eine Extrapolation bestehender (technischer) Gegebenheiten.
Rößler steht damit in der Tradition einer dem generellen Rahmen der Phantastik noch nicht entwachsenen SF der 30er bis 40er-Jahre, wie man sie z.B. bei der früher C.L. Moore findet (vor der Heirat mit Kuttner). Diese SF hat wenig mit Hard-SF- und Near-Future-Szenarien gemein, sondern trägt eher mythologische Züge. Standen bei "Faust" und "Entheete" der Konflikt des Einzelnen gegen ein Kollektiv im Vordergrund, so ist es hier die Isolation des Elitären, die thematisiert wird. Die mehr oder weniger freiwillige Entscheidung eines Heranwachsenden für eine elitäre Kleingruppe erweist sich als endgültig und kann - in letzter Konsequenz - nur durch einen weiteren endgültigen Schritt abgelöst werden. Was am Schluss von Entheete noch als Ausflucht wirkte, ist bei vorliegender Geschichte konsequente Entwicklung der Ausgangssituation.
Sehen wir einmal von meinem theoretisierenden Geschwafel ab, so bleibt mir zu sagen, dass mir die Geschichte wieder sehr gut gefallen hat.
Die Formel von Ines Bauer:
Die Idee einer totalen Vorberechnung und Kontrolle gewisser Personen durch ein eigenes Amt gefällt mir sehr gut. Ich finde aber, dass sie in der ansonsten doch recht konventionellen Zeitreisegeschichte etwas untergeht.
Gut, hätte man aber mehr daraus machen können.
KI 21 von Bernhard Schneider:
Eine Detektivgeschichte, die recht routiniert daherkommt. Auch hier beeindruckt mich in erster Linie die Idee. Die Handlung selbst fand ich etwas konfliktarm und daher nur mäßig spannend. Ein Detail: Mir war auch unklar, wie die "zweite Infrastruktur" eine globale Katastrophe überstehen sollte, dies aber nur am Rande.
Die Augen ihrer Mutter von Birgit Erwin:
Wenn es um künstliche Menschen geht, kommt immer jemand um die Ecke, der "Asimov" ruft. Auch hier, wobei die Ähnlichkeiten auf den zweiten Blick gar nicht so groß sind. Birgit Erwin hat es verstanden, ihrer Story genug Konfliktstoff mitzugeben, um sie für mich spannend zu halten. Die angedeutete Liebesgeschichte hätte ich mir etwas klarer gewünscht, aber auch so hat mir die Geschichte ausgezeichnet gefallen.
und schließlich
Böses Erwachen von Axel Bicker:
Das haben die Herausgeber gut eingefädelt, denn so, wie die Anthologie mit einem Paukenschlag beginnt endet sie auch. Hatten wir dort ein dichtes, psychologisches Kammerspiel, so ist Axel Bickers Story ein perfides Konstrukt über egoistische Pläne und deren Auswirkungen im Zusammenspiel mit relativistischen Zeiteffekten. Klassische Vergleiche? Schwierig, aber mir gingen irgendwie die Namen A.E. van Vogt und Frederic Pohl durch den Kopf.
Die Geschichte hätte rihig in der Vergangenheit geschrieben sein können, wenn schon klassisch, dann auch richtig, aber das mag mein geschmack sein.
Auf jeden Fall ein toller Schluss für eine hervorragende Sammlung.
Insgesamt ist
Tabula Rasa wirklich eine mehr als lohnende Zusammenstellung. Zwar bin ich versucht, in die alte Leier einzustimmen (so nach dem Motto: keine neuen Ideen, bla blubb, knüpft in puncto Innovation nicht an die 90er an, hält nicht den Standard von "Synergy" oder "Internationale SF"), aber die vorliegende Sammlung demonstriert doch recht eindrucksvoll, dass die jüngere Generation der deutschsprachigen SF zumindest ihr Handwerk verstehen und erzähltechnisch mit den Klassikern gleichauf liegen. Sicher wünsche ich mir auch thematische Innovationen, aber man sollte bedenken, dass diese "Marktlücke" ja eigentlich von NOVA besetzt wird/sein sollte, wogegen der Schwerpunkt der Wurdack-Sammlungen immer mehr auf soliden und unterhaltsamen Geschichten lag. (Ich träume schon wieder von einem eigenen Magazin, einem deutschen "cheap truth", aber nein, noch nicht ...)
Absolutes Highlight des Buches ist für mich die Geschichte von Heidrun Jänchen, der ich wärmstens die eine oder andere Nominierung wünsche.
Insgesamt ist das Buch sicher für jeden Leser von SF-Kurzgeschichten zu empfehlen.
Und das sage ich nicht nur, weil eine Geschichte von mir dabei ist.
Bearbeitet von Naut, 09 Oktober 2006 - 14:53.