Helmuth W. Mommers schrieb am 12 Oct 2006, 09:27:
Was die eigenen Anthologien, die VISIONEN, betrifft, so breche ich auch nicht in Euphorie aus, dazu habe ich - leider - keinen Grund. Es sind immer nur eine Handvoll Storys, die ich als "sehr gut" bezeichne, die meisten übrigen sind eben auch nur "gut", bzw. einige eben nur "nett".
Dabei stellt sich die Frage der Erwartungshaltung. Wenn man hohe, vielleicht
allzu hohe Erwartungen hegt, läuft man Gefahr, dass man nur ganz selten halbwegs zufrieden gestellt wird - und dabei den Spaß an der Sache verliert. Mir ging das auch eine Zeit lang so, als ich jedes Buch, das ich gelesen habe, jeden Film, den ich gesehen habe, mit einem "Best Of" verglichen habe. Als ich gemerkt habe, warum ich kaum noch ein Buch oder einen Film genießen kann, habe ich das umgestellt. Seit ich eher eine mittlere Erwartungshaltung habe - mal etwas höher, mal etwas niedriger - ist der Spaß an der Sache wieder zurückgekehrt.
Ohne Vergleiche bemühen zu wollen (es soll nur mal als Beispiel dienen), seien die kurzen Storys in der SPACE VIEW angesprochen: Ich habe einige davon gelesen und zu einigen auch hier im Forum meine Meinung kundgetan. Meine - eher mittlere - Erwartungshaltung wurde hier meist erfüllt, teils übererfüllt, wodurch es für mich meist unterhaltsame, gute Storys waren. Hätte ich sie einem "Best Of" gegenübergestellt - oder gar einer genialen Novelle, deren Nachhall eine Kurzstory fast zwangsläufig nicht erreichen kann - so hätte ich mir selbst den Spaß am Lesen genommen, wäre vielleicht enttäuscht gewesen und hätte weitere Storys in der SPACE VIEW gar nicht erst gelesen ...
Ich will damit nicht sagen, dass man sich generell niedrige Ziele setzen oder die Messlatte generell niedrig ansetzen sollte - nur sollte man die Erwartungshaltung auch nicht überziehen, finde ich. Jeder muss natürlich für sich selbst entscheiden, was er als Referenz heranzieht, aber wenn die Messlatte extrem hoch gelegt wird, ruft man evtl. genau denselben negativen Effekt hervor, den pure Lobhudeleien erzeugen können: Potentielle Interessenten, potentielle Fans oder Kunden werden abgeschreckt (im einen Fall, weil sie denken, es lohnt sich vor vornherein nicht, ein Buch zu kaufen; im anderen Fall, weil sie nach dem Kauf merken, dass das hochgelobte Werk dieses Lob absolut nicht verdient hat). Und ich wage jetzt mal die provokante These, dass sich der Durchschnittsleser nicht an preisverdächtiger Genialität bzw. dem "Best Of" orientiert, sondern solide, gut gemachte Unterhaltung durchaus zu schätzen weiß. Wobei der eine "gut" oder "sehr gut" eben vielleicht etwas anders definiert als ein anderer. Dass du, Helmuth, im Hinblick auf die Schlussseiten deiner Visionen-Bände die Messlatte höher hängst, ist nachvollziehbar - die Frage ist aber, ob deine sehr hohen Ziele/Erwartungen nicht auch kontraproduktiv sein können;
können wohlgemerkt - wenn sie überall darübergestülpt werden.
Zitat
Es ist schon eigenartig: Je prominenter ein Autor, desto herber die Kritik, wenn er den hochgesteckten Erwartungen nicht gerecht wird; "Jungautoren" scheinen dagegen eine gewisse Narrenfreiheit zu geniessen, wenn sie nur was halbwegs Passables abliefern.
Ein Ansporn zu besseren Leistungen ist gut und nötig, aber vielleicht kann man es auch überziehen - sowohl beim Profi als auch beim Amateur. Und wenn Ansporn zur Verbesserung, dann sollte er auch konkret greifbar sein. Wenn ein Stürmer das Tor nicht trifft, hilft es nicht, ihm zu sagen, dass die Schusstechnik verbessert werden muss - es muss auch aufgezeigt werden, was er falsch macht ...
Aber nun zurück zu dem Buch, um das es hier eigentlich geht - zurück zu
Tabula rasa:
Das Cover gefällt mir ausgesprochen gut - eigentlich jedes Mal sogar noch besser, wenn ich das Buch wieder zur Hand nehme. Zusammen mit dem Cover für den Fantasyroman "Nach Norden!" das bisher beste Wurdack-Cover, soweit es mich betrifft. Ein echter Hingucker.
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Ich habe bisher ca. die Hälfte der Geschichten gelesen und fühle mich gut unterhalten, teils sogar sehr gut. Auch der Storymix sagt mir zu - es wechselt immer wieder zwischen handlungs- und actionbetonten Erzählungen und Geschichten, die eher Wert auf die Atmosphäre und die Stimmung legen. Ernsthaftere Themen wechseln sich mit skurrilen Storyplots ab.
Der Auftakt - "Tabula rasa" von Frank Hose - war für mich nach Maß: Eine Story, die mich von den ersten Sätzen an miträtseln ließ - bis zum Schluss. Die Geschichte erinnerte mich im besten Sinne an die Filme "Memento" und "Event Horizon".
Die Abenteuerstory "Dunkle Tiefen" von Peter Hohmann und Thomas Liss ist so erzählt, wie ich es gern mag: Alles läuft wie ein Film vor dem geistigen Auge ab. Spannend, sehr kurzweilig.
Für die skurrilen Momente sorgt z.B. "Fermente" von Melanie Metzenthin. Die Geschichte wartet neben der augenzwinkernden Erzählweise noch mit einer genialen Idee auf.
Und schon mehrfach angesprochen: "Das Projekt Moa" von Heidrun Jänchen transportiert eine sehr schöne Stimmung, die die Balance zwischen einlullender Melancholie, in die man herrlich versinken kann, und einem stets augenzwinkernden Lächeln herstellt. Erstklassiger Lesestoff in meinen Augen.