(Eine kleine Titelgrafik wird der Wahnsinns-Schraffur-Technik von Kishiro nicht gerecht, deshalb habe ich ein größeres Bild diesem Post ANGEHÄNGT!)
Dieser Klassiker hat die Messlatte für realistische Manga-Zeichentechnik in den 90ern hochgesetzt, und ist, trotz einiger EIGENHEITEN (s. unten) auch in punkto Cyberpunk-Weltenbau ein Meilenstein. Zu dt. würde der japanische Urtitel übrigens "Kanonentraum" heißen.
Story
Von der schwebenden Stadt (so etwas wie ein Ende eines "eingefrorenen" Weltraumlifts), Tiphares, überschattet, tummeln sich in einer fernen Zukunft im darunter liegenden erdgebundenen Schrottplatz die kümmerlichen Reste der Wesen, die von der Stadt ausgeschlossen werden, Menschen, Cyborgs und auch einige wenige verbannte Bürger der Stadt. Unter Letzteren ist Dr. Ido, der Cyborgs wiederherstellt und nachts einem abenteuerlichen Hobby nachgeht. Er findet eines Tages den uralten aber noch intakten Kopf eines Cyborgmädchens auf einem der haushohen Schrotthaufen, und belebt sie wieder inkl. Cyborgkörper aus seinem Depot. Er nennt sie Alita, und schließt sie ins Herz wie eine Tochter; sie kann sich wiederum an nichts aus ihrem Vorleben erinnern. Eines Nachts rettet sie ihm das Leben mit einer legendären Kampftechnik, der "Panzer-Kunst", und ihm wird klar, dass ihre Vergangenheit ein erstaunliches Geheimnis birgt: Sie ist ein erfahrener Kampf-Cyborg besonderer Machart. Ab diesem Zeitpunkt mischt Alita den Schrotthaufen und Umgebung auf, bis sie eines Tages auch die Aufmerksamkeit der Mächtigen aus Tiphares erregt...
Eigenheiten
Vor einer Besprechung meinerseits einige bizarrere Merkmale dieses Mangas, damit ich sie im Weiteren ausklammern kann: Wenn andere Mangas waffenverliebt erscheinen, DIESER Manga ist es; nicht nur - einer der besten Sequenzen über mehrere Hefte ist Alitas "Auszeit" im mörderischen Motorball-Spiel, in dem Projektilwaffen jeglicher Art verboten sind. Wenn andere Mangas brutal wirken, DIESER ist gelegentlich ultrabrutal - weniger in punkto Blut, mehr in punkto Gehirnmasse an der Wand. Und letztlich: In den 90ern war die Verbreitungspolitik aus Japan derart schlecht, dass es MEHRERE Serien in dt. und engl. Sprache gibt, die abgebrochen wurden; ich habe angefangen, die dt. Hefte zu sammeln, gab das auf, sammelte dann die US-Ausgaben von Viz bis auch dort der 9. Band viele Jahre fehlte. Inzwischen gibt es auf dt. und englisch ALLE Ausgaben, wahrscheinlich logistisch aufgepäppelt seitdem James Cameron angekündigt hat, dass ein von ihm produzierter Kinofilm in der Mache ist (in ca. 3 Jahren soll es soweit sein!).
Lob (yes, folks, zu einer echten Kritik bin ich mal wieder nicht in der Lage!)
Der attraktive Zeichenstil führt zu einem mindestens 2-phasigen Konsum dieses Mangas: Zuerst sieht man sich andächtig bei jeder neuen Ausgabe die "visuals" an. Neben der üblichen Kleines-Mädchen-Optik ist z.B. Alita eine interessante Protagonistin - mann vergisst nie, dass sie ein Cyborg ist, denn schon ihre Ohrläppchen sind nicht beringt, sondern verschraubt! Das einzige dauerhaft Weibliche an ihr ist ihr Wahnsinnshaar - alles Andere als ihr Kopf wird regelmäßig gebrochen, eingedrückt, in Kämpfen abgetrennt, verbrannt. Wer also erotischen Anreiz sucht, rennt immer wieder gegen eine Das-ist-kein-Mensch-Wand. Und doch ist es Alitas filosofisch-kommentierter Leidensweg, der der eigentliche Attraktor ist an der Geschichte. Gegen Ende fiebert man mit, dass sie endlich Tiphares zeige, was eine Harke ist, und zur Ruhe kommen möge.
Die 2. Phase ist also das Eintauchen in das, was Adam Roberts den "Text" dieser Geschichte nennen würde - die erstaunliche gut durchdachte, und oft gekonnt die Moderne/Futurologie zitierende, Welt der elitären Stadt, und ihrer "Fabrik" am Boden, die den Schrottplatz und die umliegenden Versorgungs-Einrichtungen beherrscht, und die Quelle allen monetären Reichtums am Boden ist. Selten habe ich eine CP-Welt erlebt, die über Längen derart konsequent hart dargestellt wird: Niemand ist vor totaler Annihilation gefeit, nicht die "Guten", nicht die "Bösen", und jedeR kann jederzeit wieder, cyber-genetisch rekonstruiert, auftauchen. Was also bedeutet es in dieser Welt überhaupt ein fühlendes, denkendes Etwas zu sein?
Da ich noch nicht alles bisher Veröffentlichte kenne, mache ich hier erstmal Schluss. Ich empfehle dieses bewegende Werk aber jedem SF- und/oder Comic-Interessierten mit großem Nachdruck! Vorauss. in den nächsten Monaten lege ich mir auch die Bände der aktuellen Fortsetzung (BAA: Last Order) noch zu, und werde berichten.
Andere Kenner der Serie sollen sich bitte hier äußern. Fandet ihr's zu extrem? Kennt einer von euch das Anime aus 1993?
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Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 02 November 2006 - 23:43.