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Frankfurt-Höchst und der neue Anachronismus


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#1 Yoscha

Yoscha

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Geschrieben 30 November 2006 - 22:12

Small Talk - Frankfurt-Höchst und der neue Anachronismus
Yoscha - 13.01.2006, 17:39 Uhr
Titel: Frankfurt-Höchst und der neue Anachronismus

Über den modernen Anachronismus
Wie titulierte die BILD vor 2 Monaten so schön, "Früher war alles besser!". Grundlage des Artikels war eine repräsentative Umfrage des IAEIAE-Instituts unter 20.000 Menschen aller sozialen Schichten. 20% waren der Meinung, dass da Leben früher deutlich besser gewesen sei als heute im Jahr 2042; 40% waren immerhin der Meinung, dass es früher in gewissen Einzelbereichen deutlich besser gewesen sei; 30% sahen keinen wirklichen Unterschied zwischen der heutigen und der vergangegen Lebensqualität; und nur 10% waren der Überzeugung zur bestmöglichen Zeit zu leben.
So mag es nicht verwunderlich sein, wenn anachronistische Lebensstile, Moden und auch Weltansichten weltweit wieder auf dem Vormarsch sind.
Seien es die Neo-Viktorianer, Altschotten und Arthurianer in Großbritannien, die Luis XLII Bewegung in Frankreich, das neue Maurentum in Spanien oder die Leonardi in Italien, Europa erweist sich als einer der besten Nährgründe für das Anachronistentum.
In Deutschland sind vor allem drei anachronistische Strömungen verbreitet, das Mittelaltertum mit seinen Zentrem in Thürigen und im Rheinland, die DDR-Ostalgie in den östlichen Bundenländern und das neue Biedermeier.

Frankfurt-Höchst
Werther, Droschken und Banker
Die Energiekrise des frühen 21. Jahrhunderts traf auch den Großraum Frankfurt. Viele Pendler, die sich bisher im Umland angesiedelt hatten, sahen sich gezwungen ihre Wohnungen im Umland aufzugeben und nach Frankfurt zu ziehen.
Frankfurt-Höchst mit seiner gut erhaltenen Altstaddt wurde schnell zum Anlaufspunkt für wohlhabendere Ex-Pendler besonders aus den Taunusstädten. Die Immobilienpreise stiegen schnell und die bisherigen Bewohner wurden langsam aber sicher von den Neuzuzügen verdrängt.
Unter eben diesen Neuzuzüglern begann sich nun in den 30ern das neue Biedermeier auszubreiten. Gestresste Banker, Mittelständler und andere suchten ihr Heil in der Rückkehr zu den ihrer meiner nach sozial gefestigten Zeiten des Biedermeiers, die ihnen gleichzeitig Erholung von der rasenden Technisierung des Alltags versprachen.
Unter ihrem Einfluss wandelte sich Höchst zu einer Enklave der "guten alten Zeit" inmitten des gnadenlos progressivistisch-modernistischen Frankfurter Großraums.
Zwischen den alten Fachwerkhäusern der Höchster Altstadt brennen seit 2024 gusseiserne Gaslaternen, seit 2031 wurden die Asphaltdecken der Straßen durch Kopfsteinpflaster ausgetauscht, seit 2037 ist es Kraftfahrzeugen ohne Sondergenehmigung nicht mehr erlaubt die Höchster Altstadt zu befahren, nachdem bereits 2035 der Öffentliche Nahverkehr in der Höchster Innenstadt auf Pferdekutschen umgestellt worden war.
Zwar ging die "Rückführung" des restlichen Höchst nicht so weit, wie im Bereich der Altstadt, ein Bummel durch die Höchster Fußgängerzone und ein Blick in die Läden zeigt jedoch deutlich, was in Höchst angesagt ist.
Die Buchhandlung "Goethe" führt die gesammelten Werke deutscher Dichter der Romantik im Angebot, die aktuellen Bestseller finden sich lediglich im hintersten Winkel, "Werther Moden" bietet Herrenkleidung bevorzugt in der Farbkombination Blau-Gelb, die "Höchster Hausangestelltenagentur" vermittelt Haushälterinnen, Gärtner und anderes Hauspersonal und "von Hagen Droschkendienste" hieß vor 15 Jahren noch "Gabi's Taxi-Ruf".

Frank K.

Frank K. ist Wertpapier-Broker. Ein schnelllebiges Geschäft, seine Zeit ist kostbar, sein Job voller Stress. Tagtäglich sitzt er in seinem durchtechnisierten Büro, kommuniziert mit Kapstadt, Rekyavik, New York, Tokio. Abends steigt er erschöpft in die S-Bahn.
Am Höchster Bahnhof steigt er schließlich aus. Er winkt einen der Kutscher heran, die dort auf Kundschaft warten. Die Kutschen sind aus moderner Produktion und diskret mit allem Komfort ausgestattet, gute Stoßdämpfer lassen die Fahrt selbst aus Kopfsteinpflaster ruhig verlaufen, Innenbeleuchtung, Heizung und Klimaanlage sorgen außerdem für eine angenehme Fahrt.
Frank K. erreicht seine Wohnung in der Höchster Altstadt, die erste Etage eines alten Fachwerkhauses. Angekommen zündet er als erstes die Petroleumlampen, dank moderner Technik geruchlos und bruchsicher, an, um sich anschließend umzuziehen, Anzug und Vatermörder.
Er zieht sein Grammophon auf und legt eine Schallplatte mit klassischer Musik auf, geht in die Küche, wo seine Haushälterin ihm das Abandessen bereitgestellt hat, isst, um sich anschließend bei einem Glas Wein der Lektüre von Goethes Faust zu widmen.
Technische Gegenstände sind wohl versteckt, sei es der Computer im Mahagoni (unecht) Sekretär, die Waschmaschine im Keller, oder das Telefon im Retrolook.
Abends besucht Frank K. noch eine Soirée, wo er der Nichte seines Abteilungsleiters vorgestellt wird, Mina Lotte. Nach einem angenehmen Abend legt sich Frank K. schlafen, um am nächsten Tag wieder zurück in die Moderne der Frankfurter City zu kehren.

Yoscha - 13.01.2006, 17:43 Uhr
So, das sind jetzt ein kleiner Teil der D2042-Beschreibung, die momentan in der Mache ist.

Der neue Anachronismus ist nicht die vorherrschende Gesellschaftsströmung des Jahres 2042, es ist jedoch eine durchaus bedeutsame Minderheit, die auch in den Mainstream hinein Einfluss hat; ähnlich wie heute Goths oder HipHopper.

Was mich sonst noch interessiert, wie lesbar ist der Text, könnt ihr euch unter dem Beschriebenen etwas vorstellen ?

WeepingElf
- 14.01.2006, 12:46 Uhr
Hallo!

Yoscha hat folgendes geschrieben::

So, das sind jetzt ein kleiner Teil der D2042-Beschreibung, die momentan in der Mache ist.

Der neue Anachronismus ist nicht die vorherrschende Gesellschaftsströmung des Jahres 2042, es ist jedoch eine durchaus bedeutsame Minderheit, die auch in den Mainstream hinein Einfluss hat; ähnlich wie heute Goths oder HipHopper.

Was mich sonst noch interessiert, wie lesbar ist der Text, könnt ihr euch unter dem Beschriebenen etwas vorstellen ?


Ja, ist gut lesbar, und ich kann es mir gut und plastisch vorstellen. Eine originelle Idee übrigens.

Gruß,

Jörg a.k.a. WeepingElf

teenage-robot - 16.01.2006, 11:58 Uhr
filmisch übrigens schon umgesetzt. "wild palms" von oliver stone. sämtlich hightech ist gut verpackt.

bildtelefone im bakelit-gehäuse, autos mit chassis aus den 50ern und stehkragen-mode a la 1900

WeepingElf - 16.01.2006, 12:12 Uhr
Hallo!

teenage-robot hat folgendes geschrieben::

filmisch übrigens schon umgesetzt. "wild palms" von oliver stone. sämtlich hightech ist gut verpackt.

bildtelefone im bakelit-gehäuse, autos mit chassis aus den 50ern und stehkragen-mode a la 1900


Mich erinnert das Ganze auch stark an die Neo-Viktorianer in Neal Stephenson's Diamond Age. Die haben die allerneueste Nanotechnik, pflegen aber den Stil des 19. Jahrhunderts.

Gruß,

Jörg a.k.a. WeepingElf

Yoscha - 16.01.2006, 18:24 Uhr
Naja, die wirklichen Hardcore-Anachronisten vermeiden auch jegliche moderne Technologie, und selbst unser Frank K. schließt die auf einen einzigen Multimedia Apparat komprimierte Technologie am liebsten weg.
Im neuen Anachronismus schwingt eine gewisse Technik-Skepsis, teilweise sogar Technik-Feindlichkeit mit; wobei es andererseits natürlich auch wie in jeder Subkultur die Poser gibt, die den Stil übernehmen, ohne die Ideen dahinter, und meistens sind sie in der Überzahl.

Wobei in Eisenach besonders in der Nähe der Wartburg sollte man 2042 auf Handys und Co. lieber verzichten (Wartburg eG, Veranstalter des ersten 24/7/365-Mittelalterspektakels der Welt).

Andererseits sind die neuen Anachronisten schon an solche bekannteren Vorbilder futuristischen Anachronismus angelehnt.

WeepingElf - 17.01.2006, 10:20 Uhr
Hallo!

Yoscha hat folgendes geschrieben::

Naja, die wirklichen Hardcore-Anachronisten vermeiden auch jegliche moderne Technologie, und selbst unser Frank K. schließt die auf einen einzigen Multimedia Apparat komprimierte Technologie am liebsten weg.
Im neuen Anachronismus schwingt eine gewisse Technik-Skepsis, teilweise sogar Technik-Feindlichkeit mit; wobei es andererseits natürlich auch wie in jeder Subkultur die Poser gibt, die den Stil übernehmen, ohne die Ideen dahinter, und meistens sind sie in der Überzahl.

Wobei in Eisenach besonders in der Nähe der Wartburg sollte man 2042 auf Handys und Co. lieber verzichten (Wartburg eG, Veranstalter des ersten 24/7/365-Mittelalterspektakels der Welt).

Andererseits sind die neuen Anachronisten schon an solche bekannteren Vorbilder futuristischen Anachronismus angelehnt.

Fragt sich nur, ob sie auch auf moderne Medizin verzichten - das nenne ich echt Hardcore! Da sah es im 19. Jahrhundert und erst recht im Mittelalter doch recht übel aus. Kein Handy und keinen PC haben ist eine Sache, keine wirksamen medizinischen Behandlungen haben ist eine ganz andere.

Gruß,

Jörg a.k.a. WeepingElf

Yoscha - 18.01.2006, 21:40 Uhr
Es kommmst sehr darauf an. Es gibt einige wirkliche Hardcore Freaks, die außer irgendwelchen angeblich authentischen mittelalterlichen Kräutermischungen keine andere Medizin zu sich nehmen.
Wieder andere lehnen einfach nur übertechnisierte Medizin ab, oder Bluttransfusionen, oder einfach nur jegliche Art von Enhancements.
Die meisten sind jedoch zufrieden wenn ihr Aspirin einfach in einer Holzschatulle steckt und sie so schnell wie möglich aus dem zu modernistischen Krankenhaus wieder draußen sind.
Ideale hören noch immer da auf, wo das eigene Leben anfängt (Ausnahmen bestätigen die Regel).
Willkommen am Teufelsmeer.
Eine nicht ganz ernsthafte Zukunftsvision.
Coming Soon.


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