Geschrieben 14 August 2007 - 12:04
Ich beziehe diese Diskussion ja auch gar nicht auf diese Story. Ich meine das eher allgemein.Meiner Meinung nach ist "es hat bei mir "Klick" gemacht / nicht "Klick" gemacht" keine ausreichende Bewerung einer Story. Oder, besser gesagt: Nur dann, wenn das, was man beim Erstlesen empfindet, die einzige Bewertungsgrundlage ist.Ich habe zum Beispiel Shakespeare gehasst, als ich ihn zum ersten Mal gelesen habe. Ich habe seine blumige, geschraubte, mit Fremdworten und Kunstworten gespickte Sprache gehasst, ich hasste die simplen Handlungen seiner Stücke, bei denen man das Ende immer voraussehen konnte, die aber durch unnötig verkomplizierende Szenen immer wieder in die Länge gezogen wurden. Hätte ich nur aufgrund meines damaligen Eindrucks bewertet, wären diese Klassiker der Weltliteratur spurlos an mir vorbeigezogen. Erst später ist mir klargeworden, dass vieles von dem, was ich ursprünglich gehasst habe, verborgene Qualitäten aufwies, und dass genau darin Shakespeares Genie lag. Es behindert einen beim Lesen, ist einem im Weg, wenn man auf der Suche nach Handlung ist, aber es vertieft z.B. die Charaktere auf ungeahnte Weise oder liefert mythologische Bezüge. Shakespeare enthält einem manchmal den roten Faden absichtlich vor, damit wir uns nicht zu schnell an ihm entlanghangeln, sondern uns erstmal umschauen. Er entlässt den Leser/Zuschauer gewissermaßen auf eine Entdeckungsreise, bei der er frei agieren kann.Was ich damit sagen will: Gerade wenn die literarische Qualität ansteigt, ist häufig mehr als einmal lesen nötig, oder langsamer lesen, damit man Lesevergnügen empfindet. Dieses lesevergnügen ist dafür aber dann auch erfüllender und bleibender. Texte mit höherer literarischer Qualität schöpfen eben ihren Genuß oft aus Querverweisen und Gedankenspielen und variierten Motiven. Sowas überliest man beim ersten Mal gerne. Benedikts und Niklas' und Christians Geschichten und die einiger andererStammgäste hier besitzen so etwas. Ich sage nicht, dass der "Klick" nicht wichtig ist. Ich sage nur, dass man ihm auch Zeit geben muss, vor allem dann, wenn man merkt, dass sich der Autor/die Autorin hier über etwas Gedanken gemacht hat. Literatur nur nach dem "Klick nach den ersten zehn Zeilen" oder nach dem ersten Lesen endgültig zu bewerten, geht nur dann, wenn man sie als eine Art Wegwerfprodukt ansieht: Einmal gebraucht - Aufgabe erfüllt - kein Gedanke mehr daran verschwendet.Für viele Leute ist sie das sicher auch. Der größere Spaß liegt aber eigentlich im Wieder- und Wiederlesen. Zumindest finde ich, dass gute Literatur das bietet. Auch SciFi-Literatur. Z.B. kann ich "Dhalgren" immer und immer wieder lesen und entdecke jedes Mal was neues oder fühle diese tiefe Befriedigung, wenn ich hautnah miterlebe, wie der Autor vorgegangen ist - wie clever er das Story-Gewebe angelegt hat, wie den Subtext, wie die Auflösung vorbereitet wird u.a. Das gilt nicht nur für Epen, sondern auch für Kurzgeschichten, z.B. Philip K. Dicks "Kolonie".Wie gesagt, es geht mir nicht um die Bewertung von dieser oder jener Story. Mein Anliegen ist eher ein genereller Appell an die Community, genauer hinzuschauen. Intensiver zu lesen. Ab und an anspruchsvollere Kost zu schätzen. Es würde auch der nationalen Wertschätzung des Genres guttun, wenn eine in zwei Stunden hingekritzelte Geschichte nicht mit tiefsinnigeren Werken auf einen Sockel gestellt wird, nur weil auf der ersten Seite schon einer erschossen wird. Ich habe ja nichts gegen Storys, die ab der ersten Zeile meine Aufmerksamkeit fesseln, aber es ist nicht alles.