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Das Schlangenschwert


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Eine Antwort in diesem Thema

#1 TheHutt

TheHutt

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Geschrieben 29 August 2007 - 09:12

Sergej Lukianenko
Das Schlangenschwert
(Tancy na snegu)

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Es war das Jahr 1999, als der russische Autor Sergej Lukianenko die Science-Fiction-Geschichte "Genom" veröffentlichte. Eine Geschichte aus einer Welt, in der genetische Modifikationen am menschlichen Erbgut nicht bloß machbar, sondern geradezu üblich sind, in der die "Naturalen", normale Menschen, als eine verachtenswerte Unterschicht gelten. Der Weltraum-Krimi um eine Crew von Weltraum-"Spezs", genetisch verbesserter Menschen mit individuellen Fähigkeiten, zeigte den Lesern eine Welt, in der wir uns bald selbst wiederfinden könnten, wenn die genetische Forschung an die Spitze getrieben wird. Zwei Jahre, nachdem "Genom" veröffentlicht wurde, kam aus Lukianenkos Feder ein weiterer Roman aus demselben Universum heraus. Jedoch nahm diese Story eine eher überraschende Wendung - denn dabei handelte es sich um eine Art Prequel. Dieser erzählte nämlich, wie diese Welt zu ihren Jugendzeiten war, als sie noch nicht den Zustand aus "Genom" erreicht hatte. Dort sind Klone noch weitestgehend unbekannt, genetische Modifikationen noch ein Novum, und Raumschiffe bedürfen menschlicher "Rechnermodule" zum Navigieren. Und um das junge Alter dieses Universums zu unterstreichen, wird die Geschichte aus dem der Perspektive eines Jungen erzählt - Tikkirej vom Planeten Karijer. Dieses Buch hieß "Das Schlangenschwert".

Der Junge Tikkirej (kurz: Tikki) wird eines Abends unangenehm überrascht, als ihm seine Eltern mitteilen, dass sie morgen sterben werden. Denn die Lebensbedingungen auf Karjer, einem industriellen Planeten, sind hart, und das Lebenspensum pro Einwohner ist begrenzt. Tikkis Eltern, beide arbeitslos, wählen darum den verfassungsrechtlichen Freitod, um das Pensum ihres Sohns zu verlängern. Als Vollwaise muss sich Tikki nun von alleine durch das Leben schlagen. Er fasst den Entschluss, als Rechnermodul eines Raumschiffs den Planeten zu verlassen. Als er es auf den Planeten Neu-Kuwait schafft, glaubt er, es geschafft zu haben - bis er zufällig auf Kapitän Stasj trifft, der zum Orden der Phage gehört. Diese genetisch modifizierten Menschen sind eine Art Friedensmacht der Galaxis, die im Dienste des Imperiums Konflikte zwischen Planeten beilegen. Stasj und Tikki entgehen nur knapp einem Attentat, als Agenten des Planeten Inej unter der Führung der mysteriösen Inna Snow Neu-Kuwait über Nacht erobern. Tikki, Stasj und Tikkis Freund Lion schaffen es gerade noch, auf Avalon, den Planeten der Phage zu fliehen, doch die Ruhe dauert nur kurz. Sie werden als Spione nach Neu-Kuwait zurückgeschickt, um herauszufinden, wie die Gehirnwäsche an den Bewohnern vorgenommen wurde, und wie man Inej auf seinem Expansionskurs stoppen kann...

Rezension

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Die Geschichte von Tikkirej ist ein Entwicklungsroman für Jugendliche. Lukianenko hat bereits mehrere Jugendromane auf dem Buckel und versteht es durchweg, Geschichten aus der Perspektive eines Jungen überzeugend und im entsprechenden Stil zu schreiben. Die Geschichte ist in drei Akten aufgebaut und hat eine durchaus bemerkenswerte ringförmige Erzählstruktur: die auf Karjer aufgenommenen Fäden werden im Epilog aufgegriffen, der erste Besuch auf Neu-Kuwait ist unschuldig und neugierig - im Gegensatz zum zweiten, als die beiden Jungs Tikki und Lion als Undercoveragenten für die Phage tätig werden müssen. Im Mittelteil geht es um das Leben auf dem Quasi-Paradies der Galaxis, der Heimat der Phage, dem Planeten Avalon. Generell aber, ganz abgesehen von den Weltraumabenteuern ist es eine Geschichte des Erwachsenenwerdens eines Jungen, der durch außerordentliche Umstände zu besonderen Leistungen getrieben wird. Andererseits thematisiert der Roman auch, dass man alleine nicht weit kommt - erst durch Hilfe von anderen oder durch glückliche Umstände überwindet man Hindernisse. Der Hauptheld ist kein Superman, der im Alleingang alles erledigt - sondern ein Junge, der vieles erst schafft, wenn man ihm dazu die Chance gibt. Im Laufe der Geschichte lernt er jedoch, eigene Entscheidungen zu treffen, etwa als er das moralisch richtige tut und seine Freunde rettet - gegen den ausdrücklichen Befehl von Stasj, der von globaleren Problemen geleitet wird. Ständig wird Tikki von Selbstzweifeln geplagt, zwischen Pflichtgefühl und eigenen Wahrnehmungen zerrissen - ein typischer reflektierender Lukianenko-Held, auch wenn in jungen Jahren.

Ein weiterer interessanter Aspekt kommt zur Geltung, wenn man "Genom" kennt (was die meisten deutschen Leser leider noch nicht tun). Denn so erfährt man die ersten Schritte der Welt der "Spezs" und "Naturale", findet Anspielungen und Echos an Dinge, die man schon aus der zweihundert Jahre weiter liegenden Zukunft kennt. Und eigentlich ist es ein wenig wie bei Star Wars - wenn die SW-Prequels überhaupt eine Daseinsberechtigung haben, dann um zu zeigen, wie das vorher aussah, was man aus der klassischen Trilogie in späteren Formen kennt - z.B., wie die Sternenzerstörer des Imperiums von den Raumschiffen der Klonarmee abstammen, oder woher die TIE Fighter kommen. Solche Aspekte zu finden macht Spaß, wenn man die Bücher in richtiger Reihenfolge liest - der Autor selbst empfiehlt übrigens diese Reihenfolge.

Allerdings kommt man auch nicht ohne Kritik aus. So kommt das Buch ziemlich spät zur Sache - erst im letzten Drittel. Vorher wird die Welt, die der Junge Tikkirej für sich zu entdecken hat, etabliert - was im Umkehrschluss bedeutet das, dass die spannende Agentenmission etwas ins Hintertreffen gerät. Das ist eigentlich nicht unbedingt ein Nachteil - hilft es doch der Entwicklung des Charakters - doch Liebhaber satter Action werden möglicherweise erst spät im Verlauf der Handlung befriedigt werden.
Ein weitaus erheblicherer Kritikpunkt ist das recht konstruierte Ende, das das Zusammentreffen von Tikkirej mit dem Hauptbösewicht der Geschichte beschreibt. Auch wenn es sich erst häuslich und harmlos präsentiert, kommt das klassische Böse nicht ohne Klischees aus - es wird gedroht und von grandiosen Plänen erzählt, bis... Aber auch das Zusammentreffen mit dem vorher nicht erahnten Erzfeind wirkt irgendwie zufällig und beliebig, irgendwie fast aufgezwungen - obwohl das eigentliche Ende im Epilog dann wieder versöhnlicher stimmt.
Ach ja, dann gibt es ja noch das titelgebende Schlangenschwert. Allerdings nur in der deutschen Fassung, denn eigentlich ist die Waffe der Phage (die von anderen Menschen abfällig als "Jedi" belächelt werden - und da wären wir wieder bei Star Wars) eine Plasmapeitsche - eine organische, beinahe lebendige Peitsche, die einer Schlange ähnelt und nur seinem Herrn gehorcht. Durch einen Zufall nimmt eine als defekt angenommene Plasmapeitsche Tikkirej als ihren Meister an, und er kann nun, obwohl selbst kein Phag, sie behalten. Vermutlich war die ungewöhnliche Form der Waffe so beeindruckend, dass man sie in der deutschen Buchausgabe gleich zu einem Titel erheben musste. Andererseits schien "Tänze auf dem Schnee" dem deutschen Verleger möglicherweise nicht spektakulär genug.

Das Motiv von Schnee spielt jedenfalls eine zentralle Rolle im Roman. Der Planet Karijer hat keinen Schnee, dafür aber der Planet Avalon - und Kontakt mit eben diesem Schnee treibt Tikkirej beinahe in den Tod. Tikki und Lion werden in einer Kapsel aus stabilisiertem Eis auf Neu-Kuwait abgeworfen. Die Präsidentin des Planeten Inej heißt Inna Snow, und "Inej" bedeutet übersetzt "Schneereif". Mehr Schneemotive verbergen sich im Buch, werden aber aus Spoilergründen nicht verraten.

Generell bleibt die deutsche Fassung eher zwiespältig in Erinnerung. Die Übersetzerin Ines Worms hatte zwar durchaus mitgedacht, wenn es ums Übersetzen von teilweise woanders entlehnten Namen geht, doch manchmal muss man sich fragen, wieso die eine oder andere Namenswahl getroffen wurde. Die Namen der Charaktere wurden aus dem russischen 1:1 transkribiert, allem voran der Hauptcharakter Tikkirej oder der Phag Stasj. Das gleiche gilt für Planeten, obwohl sie teilweise sprechende Namen haben ("Karijer" bedeutet "Kiesgrube", "Inej" heißt "Schneereif"). Andere Namen werden geändert, etwa "Saschka" zu "Alex" oder "Ada Sneshinskaja" zu "Ada Schnee". An einer Stelle macht die Übersetzerin gar einen groben Schnitzer - und überträgt die russische Transkription "Dschedaj" buchstäblich ins Deutsche - ohne zu erkennen, dass hier die "Jedi" aus Star Wars zitiert werden. Wer SciFi übersetzt, sollte SciFi schon kennen.
Aber andererseits kann man den Sprachstil der Übersetzung loben - er wirkt nicht so hochtrabend wie die Arbeiten der Heyne-Übersetzerin Christiane Pöhlmann, entspricht dem jugendlichen Erzählstil des Hauptdarstellers und liest sich durchaus flüssig.

Im großen Ganzen ist "Das Schlangenschwert" jedenfalls eine gelungene Veröffentlichung vom Beltz-Verlag. Bis auf einige Schnitzer bei der Übersetzung ist "Schlangenschwert" eine spannende und nachdenklich stimmende Sci-Fi-Geschichte für Jugendliche. Das haben übrigens auch Juroren des internationalen Buchpreises CORINE so gesehen, und haben Sergej Lukianenko mit der Auszeichnung "CORINE 2007" für das beste Jugendbuch belohnt. Und, nebenbei bemerkt, ist auch das fesche Hardcover mit glänzendem Schutzumschlag ein hübsches Artefakt fürs Buchregal. Bleibt nur noch zu hoffen, dass der noch fehlende "Genom" auch nachkommt.

Urteil: Spannendes SciFi für Junge und nicht ganz so Junge, intelligent und vielschichtig. Keine Erwachsenenphilosophie, aber auch keine seichte Unterhaltung.

Original veröffentlich auf: ImZwielicht.de

Bearbeitet von TheHutt, 29 August 2007 - 09:18.

Grüße,
Pete
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#2 TheHutt

TheHutt

    Hauptsachenaut

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Geschrieben 18 Januar 2008 - 10:23

Bei uns steigt ab morgen die Leserunde zu Sergej Lukianenkos Das Schlangenschwert. Im Laufe des nächsten Monats soll das dicke Foliant gelesen und durchdiskutiert werden. Wer teilnehmen möchte, ist jederzeit willkommen - Registrierung ist nicht erforderlich.

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Grüße,
Pete
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