
Eine Welt für jeden
#1
Geschrieben 02 Dezember 2007 - 19:57
#2
Geschrieben 04 Dezember 2007 - 15:07
Gut, dann will ich das mal tun. Das Weltenprojekt, das ich hier kurz vorstellen möchte, läuft unter der Bezeichnung "Solarpunk". Die Bezeichnung steht dafür, dass einerseits erneuerbare Energien und nachhaltige Entwicklung ein großes Thema sind (daher "solar"), andererseits viele Aspekte einer Cyberpunk-Zukunft eine Rolle spielen (daher "punk"). Wir schreiben das Jahr 2020, und es ist wieder Kalter Krieg - diesmal sind es aber nicht zwei Machtblöcke, die sich gegenseitig belauern, sondern deren drei. Die NATO ist an den zunehmenden Gegensätzen zwischen den USA und der Europäischen Union zerbrochen, denn diese beiden Mächte haben unterschiedliche Entwicklungswege eingeschlagen. Die USA machen weiter so wie bisher, betreiben Klimaschutz und Umstellung auf erneuerbare Energien nur halbherzig, setzen stattdessen auf die militärische Sicherung der Erdölregion am Persischen Golf. Auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik (was denn für eine Sozialpolitik bitteschön?) fahren die USA nach wie vor einen knallharten neoliberalen Kurs, mit dem Ergebnis, dass die Schere zwischen Reich und Arm sich immer weiter öffnet (fast 50 Millionen US-Bürger müssen von weniger als 1 Euro am Tag leben). Die USA befinden sich seit fast einem Jahrzehnt in einer tiefen Wirtschaftskrise, weil die Rüstungsausgaben das Nationaleinkommen auffressen und das marode Bildungssystem kaum noch brauchbare Fachkräfte hervorbringt (wer in der Schule lernt, dass die Welt vor 6024 Jahren in sieben Tagen erschaffen wurde, wird wohl kaum noch ein guter Wissenschaftler; und Nachwuchs aus anderen Ländern, z.B. Europa, lässt sich auch nicht mehr anwerben). Verbündete der USA sind das nationalistische Japan und einige weitere asiatische Staaten. Die Europäische Union hingegen hat einen Kurswechsel eingeleitet. Hier setzt man konsequent auf erneuerbare Energiequellen (noch ist die Energiewende aber nicht abgeschlossen, aber es werden bereits rund 30 Prozent des Primärenergiebedarfs aus erneuerbaren Quellen gedeckt, mit stark steigender Tendenz) und hat erkannt, dass Neoliberalismus ins Chaos führt. Man hat ja das warnende Beispiel USA vor Augen. Die Wirtschaftskrise der frühen 10er Jahre ist weitgehend überwunden, der Euro hat den schwachen US-Dollar (der nur noch 10 Euro-Cent wert ist) als Weltleitwährung abgelöst. Die meisten lateinamerikanischen Länder (u.a. Brasilien und Argentinien), Indien, Südafrika, Kanada, Australien, Neuseeland und einige weitere Demokratien hier und dort sind mit der EU verbündet. Der dritte Block wird von Russland und China angeführt. In diesen Ländern, die von Diktaturen mit eiserner Hand regiert werden, klafft die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinander als in den USA. Die meisten Menschen sind bitterarm. Verbündet sind die GUS-Länder, der Iran sowie einige afrikanische und asiatische Kleptokratien. Der Nahe Osten ist immer noch ein Krisenherd ersten Ranges. Als es 2013 einen islamistischen Umsturzversuch in Saudi-Arabien gab, griffen dort die USA ein, was beinahe zu einem größeren Krieg geführt hätte. Seither ist das wichtigste Ölförderland, dessen Ölvorräte wie überall allmählich zur Neige gehen, ein zweiter Irak, der mehr als eine halbe Million US-Soldaten und drei Flugzeugträgerverbände auf Dauer bindet. Dies trieb den Rohölpreis in schwindelnde Höhen und löste eine Weltwirtschaftskrise aus. Israel sah sich auf die Dauer doch gezwungen, die Palästinensergebiete aufzugeben, seither herrscht dort einigermaßen Ruhe, auch wenn es Scharfmacher auf beiden Seiten gibt, die die bestehenden Grenzen nicht anerkennen. So viel zur politischen Großwetterlage. Die Technologie hat natürlich weiter Fortschritte gemacht. Dass es (vor allem in der EU und ihren Verbündeten) Bemühungen gibt, erneuerbare Energiequellen weiter zu erschließen, habe ich schon erwähnt. Der Verbrennungsmotor in Kraftfahrzeugen bekommt zunehmend Konkurrenz durch elektrische Antriebe, die entweder durch hocheffiziente Akkus oder wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen mit Strom versorgt werden. Wearable Computer sind in den höher entwickelten Ländern weit verbreitet, mit HUD-Brillen, die Computerdaten dreidimensional ins Gesichtsfeld einspiegeln. So verbindet sich die Virtuelle Realität mit der phsyikalischen Realität zur Erweiterten Realität. Der "Softwarekrieg" zwischen Windows und Linux ist nach wie vor in vollem Gange. Eine neue Entwicklung ist, dass Microsoft es in den USA und einigen anderen Ländern geschafft hat, Linux mittels dubioser Patente in die Illegalität zu verbannen; dagegen haben die EU und viele weitere Länder eine gesetzliche Offenlegungspflicht für Softwarehersteller eingeführt, die Microsoft das Wasser abgrub. Der Weltraum ist nach wie vor weitgehend unbesiedelt. Die Weltraumforschung ist einer der wenigen Bereiche, in dem die drei Machtblöcke konstruktiv zusammenarbeiten, leidet aber unter Geldknappheit. Die Internationale Raumstation ist nach wie vor in Betrieb; sie wurde weiter ausgebaut. Am 20. Juli 2019, genau 50 Jahre nach der ersten bemannten Mondlandung, betrat erstmals wieder seit dem Ende des Apollo-Programms ein Mensch den Mond. Planungen für eine bemannte Marsmission liegen in der Schublade, doch bleibt vor allem die Finanzierung vorerst ungeklärt. Man hat bereits einige Planeten benachbarter Sterne entdeckt, von denen man (aufgrund des Vorhandenseins von flüssigem Wasser und Sauerstoff in der Atmosphäre) annimmt, dass es dort Leben gibt, aber es gibt nach wie vor keine sicheren Anzeichen für außerirdische Intelligenzen (auch wenn es weiterhin UFO-Sichtungen gibt). So, das wär's fürs erste.Hier nun kann jede® sowohl Filme, Romane und Spiele mit Weltentwürfen posten, die ihm oder ihr besonders gut gefallen haben als auch eigene Weltentwürfe zum Besten geben (was ich selbst vorhabe).
... brought to you by the Weeping Elf
#3
Geschrieben 04 Dezember 2007 - 15:23
Wie schade, dass Dir, wie den meisten Weltenentwicklern, zu Afrika mal wieder nichts besseres als die üblichen Klischees eingefallen ist. Hint: Schon heute dürfte der Begriff "Kleptokratie" nur noch auf eine sehr überschaubare Anzahl afrikanischer Staaten zutreffen. Warum das in all den Zukünften schon wieder alles viel schlimmer sein soll, hat mir bisher noch niemand schlüssig erklären können.Der dritte Block wird von Russland und China angeführt. In diesen Ländern, die von Diktaturen mit eiserner Hand regiert werden, klafft die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinander als in den USA. Die meisten Menschen sind bitterarm. Verbündet sind die GUS-Länder, der Iran sowie einige afrikanische und asiatische Kleptokratien.
Bearbeitet von Diboo, 04 Dezember 2007 - 15:23.
"Alles, was es wert ist, getan zu werden, ist es auch wert, für Geld getan zu werden."
(13. Erwerbsregel)
"Anyone who doesn't fight for his own self-interest has volunteered to fight for someone else's."
(The Cynic's book of wisdom)
Mein Blog
#4
Geschrieben 04 Dezember 2007 - 17:08
Der Eindruck täuscht. Es sind in Solarpunk längst nicht alle afrikanischen Staaten Kleptokratien, sondern nur vielleicht ein halbes Dutzend. Tatsächlich sind in Solarpunk mehr als die Hälfte der afrikanischen Staaten zumindest halbwegs ordentlich funktionierende Demokratien, die mit der EU verbündet sind und von dieser kräftig unterstützt werden. Die meisten afrikanischen Länder sind immer noch arm, aber es geht spürbar aufwärts, und es geht ihnen schon deutlich besser als zu Anfang des Jahrhunderts.Wie schade, dass Dir, wie den meisten Weltenentwicklern, zu Afrika mal wieder nichts besseres als die üblichen Klischees eingefallen ist. Hint: Schon heute dürfte der Begriff "Kleptokratie" nur noch auf eine sehr überschaubare Anzahl afrikanischer Staaten zutreffen. Warum das in all den Zukünften schon wieder alles viel schlimmer sein soll, hat mir bisher noch niemand schlüssig erklären können.
... brought to you by the Weeping Elf
#5
Geschrieben 04 Dezember 2007 - 17:20
"Alles, was es wert ist, getan zu werden, ist es auch wert, für Geld getan zu werden."
(13. Erwerbsregel)
"Anyone who doesn't fight for his own self-interest has volunteered to fight for someone else's."
(The Cynic's book of wisdom)
Mein Blog
#6
Geschrieben 04 Dezember 2007 - 21:03

- • (Buch) gerade am lesen:Walter Jon Williams-Hardwired
-
• (Buch) Neuerwerbung: Neal Stephenson-Confusion
-
• (Film) gerade gesehen: Jin-Roh
-
• (Film) als nächstes geplant: Ghost in the shell SAC
#7
Geschrieben 04 Dezember 2007 - 21:59
Wobei ich glaube, dass mit der Entdeckung vermutlich erdähnlicher Planeten die Karten in der Raumforschung und Raumfahrt neu gemischt werden. Vielleicht sind die Himmelskörper in unserem Sonnensystem zu lebensfeindlich, um massenhaft und dauerhaft Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Die Entdeckung einer "zweiten Erde" könnte das ändern. Deine drei konkurrierenden Machtblöcke, die schon heute alle Raumfahrt betreiben, wären eine gute Grundlage für ein "Space Race" zur neuen Erde. Wobei es wohl erstmal um größere Teleskope und mehr Daten geht, dann um interstellare unbemannte Sonden. Aber auf Dauer ... wer weiß.Man hat bereits einige Planeten benachbarter Sterne entdeckt, von denen man (aufgrund des Vorhandenseins von flüssigem Wasser und Sauerstoff in der Atmosphäre) annimmt, dass es dort Leben gibt, aber es gibt nach wie vor keine sicheren Anzeichen für außerirdische Intelligenzen (auch wenn es weiterhin UFO-Sichtungen gibt).
#8
Geschrieben 04 Dezember 2007 - 22:56
Ja. Die Entdeckung dieser Planeten hat zu einem Boom in der Erforschung extrasolarer Planeten geführt. Um aber dorthin zu gelangen (oder auch nur eine unbemannte Sonde hinzuschicken), ist die Raumfahrttechnologie des Jahres 2020 bei weitem nicht fortgeschritten genug - wir reden hier von Entfernungen von Dutzenden von Lichtjahren. Da wäre alles, was man mit der Technik des Jahres 2020 bauen könnte, mindestens mehrere Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, lang unterwegs.Wobei ich glaube, dass mit der Entdeckung vermutlich erdähnlicher Planeten die Karten in der Raumforschung und Raumfahrt neu gemischt werden. Vielleicht sind die Himmelskörper in unserem Sonnensystem zu lebensfeindlich, um massenhaft und dauerhaft Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Die Entdeckung einer "zweiten Erde" könnte das ändern. Deine drei konkurrierenden Machtblöcke, die schon heute alle Raumfahrt betreiben, wären eine gute Grundlage für ein "Space Race" zur neuen Erde. Wobei es wohl erstmal um größere Teleskope und mehr Daten geht, dann um interstellare unbemannte Sonden. Aber auf Dauer ... wer weiß.
... brought to you by the Weeping Elf
#9
Geschrieben 05 Dezember 2007 - 17:49
Für das Jahr 2020 und deine "Nahe-Zukunft"-Welt stimmt das mit Sicherheit. Dann ist die heute geplante nächste Generation von Weltraumteleskopen "online" und man kann nicht nur Gasriesen und "Super-Erden", sondern auch erdähnliche Planeten und Monde nachweisen.Die Entdeckung dieser Planeten hat zu einem Boom in der Erforschung extrasolarer Planeten geführt. Um aber dorthin zu gelangen (oder auch nur eine unbemannte Sonde hinzuschicken), ist die Raumfahrttechnologie des Jahres 2020 bei weitem nicht fortgeschritten genug - wir reden hier von Entfernungen von Dutzenden von Lichtjahren. Da wäre alles, was man mit der Technik des Jahres 2020 bauen könnte, mindestens mehrere Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, lang unterwegs.
Doch wie die Entdeckung lohnender extrasolarer Ziele die Entwicklung im Rest des 21. Jahrhunderts beeinflussen wird, da bin ich mir sehr unsicher. Es kann gut sein, dass dadurch all die Weltraum-Visionen wieder in Gang kommen, die lange Zeit als völlig unrealistisch galten. Neben dem Pull-Faktor "zweite Erde" kommt dazu als "Push-Faktor", dass eine auf die Erde beschränkte Zukunft ganz ohne Raumfahrt alles andere als idyllisch sein würde.
Womit wir dann aber bei dem von dir in einem anderen Strang angesprochenem Problem sind, ob die Menschheit eine interstellare Zivilisation oder interstellare Heuschreckenplage sein will.
Bearbeitet von Beverly, 05 Dezember 2007 - 17:51.
#10
Geschrieben 06 Dezember 2007 - 21:51
Pirx
- • (Buch) gerade am lesen:Asprin: Tambu
- • (Buch) als nächstes geplant:Heitz: Drachenkaiser
-
• (Buch) Neuerwerbung: Greenland: Sternendieb
-
• (Film) gerade gesehen: Cargo
-
• (Film) als nächstes geplant: Illuminati
-
• (Film) Neuerwerbung: Batman - The Dark Knight
#11
Geschrieben 07 Dezember 2007 - 00:21
Demzufolge reizen dich also "negative" Welten. Kannst du eine SF-Welt nennen, die dir da besonders zusagt?@ WeepingElf Eine schöne "europhile und -zentrierte" Vision. Für meinen Geschmack allzu positiv.
#12
Geschrieben 07 Dezember 2007 - 00:23
Allgemeines
Das Geschichtsbild der Menschen dieser Welt weicht in einigen Punkten von unserem ab. So leben die Menschen unserer Zeit - also des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts - dem Verständnis zukünftiger Historiker zufolge nicht in irgendeiner lichtvollen, modernen Epoche. Wir leben vielmehr in der so genannten „Vormoderne“, die als ebenso barbarisch und finster gilt wie für uns selbst beispielsweise das Mittelalter. Die „Vormoderne“ begann um 1750 und endet irgendwann um die Mitte des 21. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung.
Womit wir beim Kalender sind. Da sich die Menschheit in den Weltraum ausbreiten wird und dort irdische Tage, Monate und Jahre keine Bedeutung haben, wird eine neue Zeitrechnung eingeführt. Die so genannte metrische Zeitrechnung hat mit unserem Kalender nur die Sekunde gemeinsam. Doch in der metischen Zeitrechnung hat eine Minute 100 Sekunden, eine Stunde 100 Minuten und ein Jahr 10 000 Stunden. Das metrische Jahr ist somit über dreimal so lang wie das alte „Erdjahr“.
Der Beginn der metrischen Zeitrechnung ist die Errichtung der ersten dauerhaft besiedelten Weltraumkolonie im Orbit um die Erde in den 2020er Jahren alter Zeitrechnung. Auf der Erde wird auch in Zukunft der alte Kalender verwendet, währen im besiedelten Weltraum die metrische Zeitrechnung benutzt wird.
Die „Future History“
Das Ende der Vormoderne
Dieser Teil meines Szenarios ist so in meinen Romanen nur in Andeutungen vorhanden. Ich habe ihn im Zusammenhang mit der Diskussion um Szenarien für die „nahe Zukunft“ entwickelt, weil ich da etwas wollte, was mehr ist, als die Fortschreibung der jetzigen Trends.
Irgendwann in den kommenden Jahrzehnten gerät die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks entstandere neue Weltordnung in eine tiefe Krise. Die USA verlieren ihre Rolle als tonangebende „einzige Supermacht“, ohne das sich eine neue Vormacht etablieren kann. Es entsteht auch kein neues multipolares System, da die als Träger in Frage kommenden Staaten und Staatenbünde - USA, EU, Russland, China, Indien - zu instabil sind. Ihre Instabilität hat wesentlich wirtschaftliche Ursachen: Boom un Rezession folgen so schnell und das globale Kapital wandert so schnell um die Welt, dass in einer potenziellen Führungsmacht das Wachstum nicht lange genug andauert, um die wirtschaftliche Grundlage für politische Macht zu geben.
Dazu kommen politisch Instabilität und schwindende Legitimation. So gibt es Proteste gegen Pläne der - nur zeitweiligen - Großmächte, im Weltraum Militär zu stationieren. Auch in Zukunft werden neue und aufwändige Waffensysteme entwickelt, doch mit jeder waffentechnischen Innovation wächst die Ablehnung der Menschen gegen ein Militär, dass sie nicht als Lösung, sondern als Ursache ihrer Probleme ansehen.
Das Jahr 2017 wird zu einem Schock für das politische Establishment. Es ist der hundertste Jahrestag der Oktoberrevolution, die mitsamt ihren Protagonisten vom herrschenden post-, ja antikommunstischen Diskurs in Acht und Bann getan wird. Um so entsetzter sind Politiker und Intellektuelle, als rund um den Globus Millionen Menschen für Lenin und die Bolschewiki demonstrieren. Dass ein subalterner Korrespondent die Demonstranten in Moskau als „extremistisches Pack“ bezeichnet, lässt die bisher friedlichen Kundgebungen eskalieren. Es kommt zu Straßenschlachten und Plünderungen und es scheint, als ob viele Teilnehmer der als „Lenin-Krawalle“ in die Geschichte eingehenden Demonstrationen nur auf eine Provokation gewartet hätten. Die Versuche, die Unruhen mit Gewalt niederzuschlagen, fachen sie nur weiter an. Das Einzige, was die Alte Ordnung noch rettet, ist das Fehlen überzeugender Konzepte für eine andere Ordnung seitens der „Krawallniks“. Ein System wie in der untergegangenen Sowjetunion wollen die wenigsten von ihnen. Nur lehnen sie die Ordnung, die nach dem Ende des Sowjetkommunismus entstanden ist, ebenso ab. Lenin, rote Fahnen, bolschewistische Symbole kamen als Protestvehikel da gerade recht - weil sie von der herrschenden Ordnung so abgelehnt werden.
Dinge wie die Lenin-Krawalle wiederholen sich auf die eine oder andere Weise in den kommenden Jahren und Jahrzehnten. In jedem Land ist es nur eine kleine Minderheit die auf die Straße geht. Doch nicht selten tut sie das sehr laut und unübersehbar und was in einem Land nur ein kleiner Haufen ist, summiert sich weltweit zu einer Millionen Menschen umfassenden Bewegung.
Wer nicht mehr an die Alte Ordnung glaubt und auch keine Hoffnung auf die Weltrevolution hat, flüchtet sich in kleine selbstgenügsame Gemeinwesen. Die so genannten Kommunitaristen errichten in ländlichen Gegenden oder auch Stadtvierteln sich im Wesentlichen selbst tragende soziale und wirtschaftliche Einheiten. Gerade Fortschritte in der technischen Entwicklung, welche eine Abkehr von der Massenproduktion erlauben, begünstigen diese Entwicklung. Computergesteuerte Allzweck-Fertigungsanlagen können das Meiste herstellen, was eine Region zum Leben braucht.
So ist die Alte Ordnung aufgrund ihrer eigenen wirtschaftlichen und politischen Widersprüche sowie globaler und regionaler Gegenbewegungen an einem Scheideweg angekommen. Nicht wenige in den Think Tanks und Zirkeln der globalen Machteliten würden „dem Spuk“ am liebsten mit Gewalt ein Ende machen. Das bisschen Freiheit, was sich die Menschen auch in wenig demokratischen und sozial ungerechten Ländern erkämpft haben, abschaffen und zur offenen Diktatur übergehen. Doch es bleibt bei Planspielen, weil für eine weltweite offene Diktatur im Interesse einer kleinen Elite der Reichen und Superreichen jede Grundlage fehlt.
Sogar die Wohlhabenden und Reichen verlieren das Vertrauen in die Ordnung, die ihnen jahrzehntelang so viel Vorteil gebracht hat. Die Raumfahrt erlebt einen unerwarteten Aufschwung, weil Reiche Anteile an Orbitalen im Erdorbit erwerben, die im Falle schwerer Krisen eine Zuflucht für sie sein sollen.
Ein Umschwung zeichnet sich ab, als plötzlich alle führenden Staaten einen Vertrag unterzeichnen, der die Stationierung von Militär im Weltraum verbietet. Der wahre Grund für dieses Abkommen ist, dass die Eliten in ihren Wohnsitzen im All nicht von Waffensystemen bedroht werden wollen, die im Falle eines Umsturzes in falsche Hände geraten können. Doch die Bewegung gegen Waffen im Weltraum feiert das als großen Sieg und will mehr. Nun sollen auch die Armeen auf der Erde aufgelöst werden! Es soll allenfalls noch eine „Weltpolizei“ unter Kontrolle der UNO geben und die vierstelligen Milliardensummen für Rüstung sollen zivilen Zwecken zugeführt werden.
Angesichts des inneren und äußeren Druckes sind die globalen politischen und wirtschaftlichen Eliten plötzlich zu Zugeständnissen bereit, die noch vor wenigen Jahrzehnten als „utopisch“ abgetan worden wären. Dabei fürchten viele Eliten-Angehörigen die Scharfmacher in den eigenen Reihen ebenso sehr wie eine Opposition, die bei der nächsten Krise einen gewaltsamen Umsturzversuch unternehmen könnte. So kommt die Revolution weil „die da oben“ nicht mehr weiter können und „die da unten“ nicht mehr weiter wollen. Sie kommt nicht als gewaltsamer Putsch, sondern als tiefgreifender politischer, wirtschaftlicher, sozialer und geistiger Wandel. Manche sind wider Willen und gegen ihre eigentlichen Intentionen Vorreiter der Revolution, andere sind es mit Begeisterung. Auf alle wird in der nahen und ferneren Zukunft noch die eine oder andere böse Überraschung warten.
Die Menschheits-Föderation
Konkret geschieht Folgendes:
1. Die Armeen der Einzelstaaten werden aufgelöst
2. An die Stelle der UNO tritt die so genannte „Menschheits-Föderation“ als weltweiter Staatenbund
3. An der Spitze der Menschheits-Föderation stehen ein gewähltes Parlament, ein Präsident und „Föderationsbeauftragte“
4. So weit wie möglich sollen sich die Einzelstaaten und von den Kommuntaristen gegründete autonome Gemeinschaften selbst verwalten. Die Menschheits-Föderation ist primär für die gesamte Menschheit betreffende Angelegenheiten zuständig und soll in einzelstaatliche Konflikte nur eingreifen, wenn diese sie selbst nicht lösen können
5. Es wird ein den Menschenrechten entsprechender Regelkanon definiert, an den sich die Einzelstaaten und autonomen Gemeinwesen halten müssen. Im Prinzip besagt er nur Folgendes: a. jedes Gemeinwesen kann selbst über seine Ordnung entscheiden b. kein Gemeinwesen darf ein anderes bedrohen c. kein Gemeinwesen darf seine Ordnung Menschen gegen ihren Willen aufzwingen weshalb d. Beitritt zu einem Gemeinwesen nur freiwillig erfolgen darf und man es jederzeit verlassen kann
Soweit das Ende der Vormoderne. Die Moderne folgt in meinem nächsten Posts.
Bearbeitet von Beverly, 07 Dezember 2007 - 19:15.
#13
Geschrieben 07 Dezember 2007 - 19:14
#14
Geschrieben 08 Dezember 2007 - 20:07
#15
Geschrieben 08 Dezember 2007 - 20:41
"Negativ" klingt mir zu negativDemzufolge reizen dich also "negative" Welten. Kannst du eine SF-Welt nennen, die dir da besonders zusagt?


Pirx
- • (Buch) gerade am lesen:Asprin: Tambu
- • (Buch) als nächstes geplant:Heitz: Drachenkaiser
-
• (Buch) Neuerwerbung: Greenland: Sternendieb
-
• (Film) gerade gesehen: Cargo
-
• (Film) als nächstes geplant: Illuminati
-
• (Film) Neuerwerbung: Batman - The Dark Knight
#16
Geschrieben 08 Dezember 2007 - 22:27
Die haben doch eher mehr denn weniger Probleme als die EU. Dehalb gehe ich davon aus, dass bei einer Multipolarität die EU voll dabei ist oder dass die Multipolarität - wie in meinem Szenario - daran scheitert, dass ihre "Pole" nicht stabil sind. Sollte zum Beispiel China nur Dasselbe bevorstehen wie der BRD seit 1945 - nämlich sich aus dem Dreck hoch schuften, um dann nach einem Menschenalter vom Kapital aufgegeben werden, weil es woanders billiger ist - dann gehen wir wirklich "interessanten" Zeiten entgegen, weil dann über ein Milliarde Menschen "in die Röhre schaut" und sich fragt, wie das gekommen ist.Meiner Meinung nach werden andere aufstrebende Wirtschaftsmächte die Weltbühne beherrschen: China, Indien und vielleicht ein wiedererstarktes Rußland sowie die USA.
Bearbeitet von Beverly, 08 Dezember 2007 - 22:32.
#17
Geschrieben 09 Dezember 2007 - 22:02
Die haben vielleicht zur Zeit mehr Probleme als die EU, aber haben definitiv die besseren Chancen und Möglichkeiten diese zu lösen - ob die Mechanismen bzw. Institutionen besser sind, ist eine andere Frage und kommt auf den Blickwinkel an.Die haben doch eher mehr denn weniger Probleme als die EU. Dehalb gehe ich davon aus, dass bei einer Multipolarität die EU voll dabei ist oder dass die Multipolarität - wie in meinem Szenario - daran scheitert, dass ihre "Pole" nicht stabil sind. Sollte zum Beispiel China nur Dasselbe bevorstehen wie der BRD seit 1945 - nämlich sich aus dem Dreck hoch schuften, um dann nach einem Menschenalter vom Kapital aufgegeben werden, weil es woanders billiger ist - dann gehen wir wirklich "interessanten" Zeiten entgegen, weil dann über ein Milliarde Menschen "in die Röhre schaut" und sich fragt, wie das gekommen ist.
Pirx
- • (Buch) gerade am lesen:Asprin: Tambu
- • (Buch) als nächstes geplant:Heitz: Drachenkaiser
-
• (Buch) Neuerwerbung: Greenland: Sternendieb
-
• (Film) gerade gesehen: Cargo
-
• (Film) als nächstes geplant: Illuminati
-
• (Film) Neuerwerbung: Batman - The Dark Knight
#18
Geschrieben 10 Dezember 2007 - 11:49
Beim Anti-Amerikanismus geb ich dir vollkommen recht. Bei Katholizismus wundert mich das ein wenig. Den halte ich dann doch eher für so kulturell eingebettet und staatstragend das die Nationalisten eher Katholen sind als umgekehrt.Ferner haben die nationalistischen und intolleranten Tendenzen in Deutschland ein gesellschaftsfähiges und modernes (hipes) Hintertürchen gefunden: Anti-Amerikanismus und -Katholizismus (respektive Christentum).
Würde dir auch da Recht geben. Mir ist eine "amerikanisch" dominierte, nach allem was ich von EU-Politik (und der einzelner Mitgliedstaaten) weiß, momentan auch um einiges lieber."Negativ" klingt mir zu negativ huh.gif Denn warum sollte eine europäisch dominierte Welt positiv sein?
Dagegen sprech würde für mich, das die EU immer weiter gesellschaftlich und kulturell eingebettet wird. Ich weiß ja nicht obs an meiner Nähe zu Luxemburg (eine der drei EU - Hauptstädte) liegt aber hier kann man schon von einer Art aufkeimenden EU-Patriotismus bei vielen Leuten sprechen. Und bei Parlamentariern gibt es den, zumindest verbal geäussert, ja auch schon des längeren. Das momentan einzelne, zentraleuropäische Interessen die treibende Kraft hinter der EU ist muss diese nicht unbedingt zwangsläufig langfristig in ihrer Entwicklung behindern. Ich denke das sind eher "Kinderkrankheiten" als wirklich auseinandertreibende Momente. Aber das bleibt natürlich abzuwarten. Trotzdem hat eine EU - Mitgliedschaft auch eine Menge Vorteile für die Beitrittsländer. Auch wenn die dann teilweise einfach wieder hintenrum ausser Kraft gesetzt werden(siehe Schengen-Abkommen und die Probleme östliche Studenten und Arbeiter in Zentraleuropa) Eine der hauptächlich negativen Tendenzen an der EU, ist für mich die Erschaffung einer sehr distinkten europäischen Identität (weiß, christlich, "pseudo-aufgeklärt") die als Ressentiment vor allem in der Türkei-Beitrittsdebatte auffiel (und imho die realeren Argument wie Menschenrechte etc. überlagerte). Und natürlich der Drang hin zu weitreichender Überwachung und Datenerfassung der sich in Zentralregistern für Flüchtlinge und Kriminelle ankündigt. Auch die hiesige Vorratsdatenspeicherung geht auf eine EU-Richtlinie zurück.Aber ich denke nicht, dass die EU sich innerhalb der nächsten Jahre weiter konsolidieren kann. Allein schon die deutsche Politik, welche die Nachbar- und Partenerstaaten massiv übergeht, weckt in mir nicht den Eindruck einer positiven Entwicklung der EU. Hinzu kommen noch die "zentrifugal" wirkenden Interessen anderer Staaten in der EU (Großbritannien, Frankreich, Polen u.a.). Ich warte gespannt auf die Lösung des Kosovo-Konflikts, welcher für den Balkan und Europa eine große Herausforderung darstellt.
- • (Buch) gerade am lesen:Walter Jon Williams-Hardwired
-
• (Buch) Neuerwerbung: Neal Stephenson-Confusion
-
• (Film) gerade gesehen: Jin-Roh
-
• (Film) als nächstes geplant: Ghost in the shell SAC
#19
Geschrieben 11 Dezember 2007 - 21:03
Ist das Dein Ernst? Zwar ist die EU weit von jeglichem Idealstaat entfernt, aber die USA? Mit Folter und Todesstrafe, einer verantwortungslosen Verweigerungshaltung in Sachen Klimaschutz und anderer globaler Probleme, machtgierigen Konzernen wie Monsanto oder Microsoft, die die Regierung praktisch gekauft haben, einer aggressiven militärischen Interventionspolitik (erst seit dem das mit dem Irak gründlich schiefgegangen ist, sind die USA da vorsichtiger geworden, sonst würden wir womöglich schon mitten im 3. Weltkrieg stecken, weil die USA irgendwann frontal mit Russland und China zusammengerasselt wären etc.) und all dem? Da ist mir die EU selbst so, wie sie derzeit ist, doch lieber. Ich denke außerdem, dass die EU von allen politischen Machtzentren der Welt am besten aufgestellt ist, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern. Ich sehe in Europa eine größere Bereitschaft, im positiven Sinne internationale Verantwortung zu übernehmen und globale Probleme anzugehen, als etwa in den USA oder Japan, von Russland oder China ganz zu schweigen. Ich kann mir schlecht vorstellen, wie eine korrupte, erstarrte Diktatur wie China besser auf neue Herausforderungen reagieren kann als europäische Demokratien.Mir ist eine "amerikanisch" dominierte, nach allem was ich von EU-Politik (und der einzelner Mitgliedstaaten) weiß, momentan auch um einiges lieber.
... brought to you by the Weeping Elf
#20
Geschrieben 12 Dezember 2007 - 23:10
Besucher die dieses Thema lesen: 0
Mitglieder: 0, Gäste: 0, unsichtbare Mitglieder: 0