Geschrieben 28 MĂ€rz 2008 - 18:00
Nachdem ich Alberta Rosens Kartoffelauflauf auf Eis gelegt habe, interessiert mich eure Meinung, zu folgendem 1. Kapitel aus dem Roman "Das wĂŒste Land". Endzeit Jugend SF. Momentan bin ich auf Seite 110, Courier New 11 Punkt, 60 Zeichen pro Zeile, 30 Zeilen pro Seite, bei anderhalbfachem Zeilenabstand.Kapitel 1âMeine Kindheit ist zum kotzen, und ihr seid daran Schuld.â Das wollte ich ihnen jedes Mal entgegen brĂŒllen, wenn ich an den Plakaten des Ministeriums vorbeikam, auf denen stand: Hast du eine glĂŒckliche Kindheit? Wenn nicht, dann melde dich bei uns, und melde deine Eltern.Eine unglĂŒckliche Kindheit, das darf nicht sein. Jedes Kind muss glĂŒcklich sein. Denn nur glĂŒckliche Kinder werden rechtschaffene BĂŒrger. Rechtschaffene BĂŒrger, das sind die dressierten Zombies, die mit leerem Gesichtsausdruck der ErfĂŒllung ihrer Pflichten nachgehen. Was wissen Zombies schon von GlĂŒck. Meine Eltern waren keine Zombies. Zumindest nicht immer. Manchmal stahl sich ein LĂ€cheln auf ihre Gesichter; ein ehrliches LĂ€cheln. Nicht so eine antrainierte Fratze, wie man sie in den Kursen des Ministeriums lernte. Ein LĂ€cheln das ansteckte; das den Blutdruck hochtrieb und die fast schon abgestorbenen Endorphine freisetzte. Es war ein gefĂ€hrliches LĂ€cheln, das von rechtschaffenen BĂŒrgern nicht gerne gesehen wurde. Es war ein LĂ€cheln das gemeldet wurde. Ein LĂ€cheln das verborgen wurde, und deshalb umso kostbarer war. Ich sammelte jedes einzelne LĂ€cheln, und bewahrte sie in meinem Herzen auf. Meine Eltern waren einfache Leute, die es vermeiden Schwierigkeiten zu bekommen. Sie lebten in einem der unzĂ€hligen ReihenhĂ€user, die vom Ministerium entworfen wurden. Es sollten glĂŒckliche HĂ€user sein. Alle gleich, damit jeder den gleichen Anteil am GlĂŒck hatte, und kein Neid entstand.Mein Vater war Sachbearbeiter. Nichts vorauf man neidisch sein konnte. Doch eigentlich war jeder Sachbearbeiter, und niemand hatte Grund neidisch zu sein. Ein GroĂteil der Menschen saĂ in BĂŒros und machte, was man eben in BĂŒros so macht. FĂŒr die Drecksarbeit hatte man lĂ€ngst Maschinen erfunden. Denn mit Drecksarbeit wurde niemand glĂŒcklich. Aber ein warmes, ordentliches BĂŒro; was konnte einen glĂŒcklicher machen? Mein Vater ging jeden Morgen um 7:00 Uhr aus dem Haus. Er lĂ€chelte dabei nicht. Ob er auf der Arbeit lĂ€chelte, weiĂ ich nicht, aber er tat es nicht, wenn er abends um zurĂŒckkam.Ich verlieĂ das Haus um 7:15, frisch gekĂ€mmt, mit Pausenbrot und Schuluniform. Manchmal lĂ€chelte ich. Aber nur bis zum Schulbus. Der war immer pĂŒnktlich. Ein mechanischer Bus der nie vom Fahrplan abwich. Ich habe gehört, dass solche Busse frĂŒher von Menschen gefahren wurden. Eine merkwĂŒrdige Vorstellung. Denn wie konnte ein Mensch, ein solch prĂ€zises und kompliziertes GerĂ€t bedienen, und dabei auch noch pĂŒnktlich sein. PĂŒnktlichkeit war wichtig. Der Unterricht begann Punkt 8.00 Uhr, und glĂŒckliche Kinder kamen immer pĂŒnktlich, denn so wurden sie rechtschaffene BĂŒrger. Unsere Schule war ein grauer Klotz, dessen Architektur, uns die Ordnung vermitteln sollte, die unsere Nation aufrecht erhielt. Unsere Lehrer waren ĂŒberaus korrekt und pflichtbewusst. Disziplin und Lerneifer waren ihre vordringlichsten Ziele. Sie lĂ€chelten nie. Unsere Lehrer waren graue Regenwolken, die den ganzen Morgen langweilig ĂŒber unserem Himmel hingen. Bis auf Mrs. Hover. Sie strahlte wie die Sonne, und ab und zu schenkte sie uns ein LĂ€cheln. Sie mochte uns, und wir mochten sie. Sie schaffte, es unsere Neugier zu wecken, und brachte uns dazu, Fragen zu stellen. Neugierde und Fragen waren gefĂ€hrlich.Sie kamen sie am 1. Dezember holen. Es war ein grauer Morgen. Doch Mrs. Hover saĂ strahlend am Pult und erzĂ€hlte uns von Weihnachten. Von einem Weihnachten, wie es ursprĂŒnglich gewesen sein soll.âWeihnachtenâ, erzĂ€hlte sie mit honigsĂŒĂer Stimme, â dass war einmal das Fest der Liebe. Ein Fest, das Freude bereiten sollte und den Kindern Geschenke brachte. Ein Fest der Besinnlichkeit, aber auch der NĂ€chstenliebe. Die Menschen stellten sich einen grĂŒnen Tannenbaum in ihre Wohnzimmer und schmĂŒckten ihn mit bunten Lichtern, kleinen Engelsfiguren und einem goldenen Stern auf der Spitze.â Wir staunten sie unglĂ€ubig an. Peter, der rechtschaffene Sohn eines hohen Ministeriumsmitarbeiters sagte, âSo ein Quatsch. Weihnachten ist das Fest der Ordnung. Schon immer gewesen. Fragen sie meinen Vater, der muss es wissen.ââJa Peter,â, entgegnete Mrs. Hover, mit einem wehmĂŒtigen Klang in der Stimme, âdein Vater muss es wissen. Aber ich sage euchâ, und dabei hielt sie ein Bild von einem dicken, roten Mann mit weiĂem Bart hoch, âfrĂŒher war dieser Mann ein Symbol fĂŒr kindliche Freude und familiĂ€re NĂ€he. Er warâ Š.â In diesem Moment öffnete sich die KlassentĂŒr, und unser Schuldirektor Mr. Munz betrat, begleitet von drei Ordnungsbeamten, den Raum. Oh wie ich Mr. Munz hasste. Ein spindelldĂŒrres Frettchen; stets im grauen Anzug; die wenigen, verbliebenen HaarstrĂ€hnen in schmierigem Glanz quer ĂŒber den SchĂ€del gekĂ€mmt. âDie MĂ€rchenstunde ist nun vorbei, Mrs. Hover. Ich muss sie bitten uns zu begleiten.â Ich konnte die Genugtuung in seiner Stimme deutlich hören. Mrs. Hover war ihm schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Jung, hĂŒbsch, intelligent und - was das gefĂ€hrlichste war - voller eigener Ideen. Ideen waren unerwĂŒnscht. Denn dafĂŒr war das Ministerium zustĂ€ndig. Zwei der Ordnungsbeamten, fĂŒhrten Mrs. Hover bestimmend aus der Klasse, wĂ€hrend der Dritte ihre Tasche nahm. Die HĂŒter der Ordnung, ganz in schwarz; mit langen GummiknĂŒppeln, Elektroschockern und Brechspray bewaffnet. Letzteres setzten sie besonders gerne ein. Wer sich ihnen widersetzte, kotzte sich die Seele aus dem Leib. FĂŒr die Kosten der Reinigung, musste er selbstverstĂ€ndlich aufkommen.Mrs. Hover widersetzte sich nicht. Sie schaute nur noch einmal traurig zurĂŒck zu uns, bevor sie aus der TĂŒr verschwand.âMr. Spitz wird gleich den Unterricht ĂŒbernehmen. So lange bleiben sie bitte ruhig und ordentlich auf ihren PlĂ€tzen. Ich will hier keine Unordnung.â Mr. Munz genoss jedes einzelne dieser Worte sichtlich. Als er die TĂŒr fast erreicht hatte, rief er uns noch zu, âLiebe, meine jungen Herren, ist nur ein Hirngespinst. Eine Illusion die wir schon lange ĂŒberwunden haben. Liebe ist Chaos, und Chaos gehört ausgemerzt. Merken sie sich das.â Die TĂŒr schlug mit einem dumpfen Knall zu, der noch lange in meinem Kopf widerhallte.Sprachlos saĂen wir auf unseren PlĂ€tzen. Niemand wagte es zu sprechen. Wie Wanderer in der Dunkelheit, denen man das Licht gestohlen hatte, versuchten wir uns zu orientieren. Was war da gerade geschehen. Warum hat man Mrs. Hover abgeholt, und wohin wird man sie bringen.âMrs. Hover ist ein subversibles Element, sagt mein Vater.â Wir standen zusammen in der hinteren Ecke des Pausenhofes - dort wo man uns nicht belauschen konnte - und lauschten den Worten von Peter. Oder besser gesagt den Worten seines ministerialen Vaters, der durch den Mund seines Sohnes sprach.âIch glaube das heiĂt subversives Element.â, entgegnete Conrad. Sein Vater war Gelehrter. Also einer der wenigen privilegierten, die eigene Ideen haben konnten, und damit dem Fortschritt unser Nation dienten.âGenau.â, fiel ihm Peter ins Wort. âDas heiĂt sie stört die Ordnung. Und das ist ein Verbrechen.ââMrs. Hover ist doch keine Kriminelle.â, rief ich dazwischen. âSie hat uns doch nur eine Geschichte erzĂ€hlt.ââJa, aber eine Geschichte die nicht vom Ministerium zertifiziert wurde, und somit eine LĂŒge, die die Ordnung stört.â Peter war jetzt eifrig bei der Sache. Denn wenn es um das Ministerium ging, war er ganz der Vater. In Peters Gegenwart, waren wir mit unseren ĂuĂerungen immer vorsichtig. Wir wussten nie, was er alles seinem Vater weitererzĂ€hlte. Bestimmt einiges, war es doch Peters LieblingsbeschĂ€ftigung, sich bei der Obrigkeit einzuschleimen. Somit war er auf dem besten Weg ins Ministerium. Ein Schleimbeutel unter seines Gleichen. Peters UnterwĂŒrfigkeit und sein Denunziantentum machten mich wĂŒtend. Wie gerne wĂŒrde ich diesem rothaarigen Plappermaul eins auswichen. âWo werden sie Mrs. Hover hinbringen.â, fragte Freddy, der bisher geschwiegen hatte. Freddy war mein bester Freund. Wir lebten in der gleichen StraĂe, und unsere Eltern arbeiteten in einer Erziehungsgruppe zusammen. So lautete der Ministeriumsausdruck fĂŒr ein befreundetes Elternpaar. Wenn Zombies sich ĂŒber ihren Nachwuchs austauschen.âBei dem was Mrs. Hover sich hier so alles geleistet hat,â, und dabei zog Peter eine lange Liste hervor und wedelte wichtigtuerisch damit herum, â wird sie wohl hinter die Mauer verbannt werden.âWie schauten ihn schockiert an. Hinter die Mauer; unsere Miss Hover. Eine strahlende Sonne, die in die tiefste Finsternis verbannt werden soll. Ein Schicksal das ihr niemand von uns wĂŒnschte; bis auf Peter. Auch wenn wir nicht wussten was hinter der Mauer lag und wie es dort aussah, die Horrorgeschichten die wir gehört hatten, reichten aus, um uns das Blut in den Adern gefrieren lassen.âGenau dort gehört sie hin.â, giftete Peter, âDort kann sie ihre LĂŒgen so viel verbreiten wie sie will.ââMensch Peter, wie kann man nur so gemein sein.â Jetzt war so gar der ruhige Conrad in Fahrt. âDu kannst sie doch nur nicht leiden, weil du immer die schlechteste Note bekommen hast. Die du ĂŒbrigens auch verdient hast.âPeters Gesicht lief rot an. âIhr solltet vorsichtig sein, sonst mach mir ĂŒber euch auch noch Notizen.â. Er hielt sein kostbares Notizbuch noch einmal demonstrativ hoch, und zog dann mit gerĂŒmpfter Nase von dannen.âBei dem Arsch mĂŒssen wir echt vorsichtig sein. Ein falsches Wort und schon haben wir die Lakaien seines Vaters am Hals. Der wĂŒrde noch seine eigene GroĂmutter anschwĂ€rzen.â Freddy schaute uns besorgt an. Er war immer derjenige von uns, der sich die meisten Gedanken und Sorgen machte. Ohne ihn wĂ€ren wir wohl schon lĂ€ngst hinter der Mauer oder zumindest im Erziehungslager gelandet.âJa wir mĂŒssen vorsichtig sein.â, stimmte Conrad zu. âUnd ich muss mir in Zukunft einen Regenschirm mitbringen. Denn in der ersten Reihe kriege ich die volle Ladung von Mr. Spitzs Speichelfluss mit.â Die Pausenglocke lĂ€utete. Das hieĂ, Abmarsch zurĂŒck in die Klassen, und zwar in Reih und Glied, alphabetisch geordnet. Es lebe die Ordnung. Hurra.Durch den Ausfall von Mrs. Hover hatten wir heute das seltene Privileg, frĂŒher die Schule verlassen zu können. Zusammen mit Freddy zog ich durch die graue Eintönigkeit wildwuchsberfreiter StraĂen. Die Dreiviertelstunde FuĂweg von der Schule zurĂŒck in unser Viertel fĂŒhrte durch immer gleich aussehende Wohngebiete. Jedes Haus - wie aus dem Baukastensatz - weiĂ gestrichen mit rotem Dach. Davor ein kleiner Garten von genau 35 Quadratmetern, ein ebenso groĂer Garten befand sich hinter jedem Haus. Der perfekt grĂŒne Rasen durfte eine LĂ€nge von 3 Zentimetern nicht ĂŒberschreiten. Davor sorgten selbststĂ€ndige MĂ€hmaschinen, die in keinem Haushalt fehlen durften. Nur auf dem schmalen 30 Zentimeter breiten Streifen hinter dem weiĂen Gartenzaun, durften Blumen blĂŒhen. Aber alle nur in einer Farbe; denn Ordnung musste sein.GĂ€be es nicht die Haus- uns StraĂennummern, wir hĂ€tten uns hoffnungslos verlaufen, denn es sah einfach alles Gleich aus. Ăberall glĂŒckliche HĂ€user fĂŒr glĂŒckliche Menschen.Plötzlich blieb Freddy stehen und schaute mich - ganz blass geworden - an. âMensch, was passiert den jetzt mit Emily.â Bei seinen Worten rutschte mir das Herz in die Hose. Emily, an sie hatte ich ja gar nicht gedacht. Mrs. Hovers Tochter war in unserem Alter und ging in die MĂ€dchenklasse. Wie hatten sie alle furchtbar gerne. Ich werde nie vergessen wie sie uns alle deckte, als wir Mr. Spitz den Kleber in die Tasche geschĂŒttet haben, und uns dann auf der MĂ€dchentoilette versteckten. Sie log Mr. Spitz eiskalt ins Gesicht, dass niemand sonst dort drinnen sei. Seitdem gehörte sie zu unserer Bande, die es offiziell natĂŒrlich nicht gab, denn Banden waren verboten. Sie war bei jedem Unfug dabei und hatte selbst die besten Ideen. Unter ihrer wilden LockenmĂ€hne verbarg sich ein bezauberndes LĂ€cheln, bei dem ich immer weiche Knie bekam und anfing sinnlos vor mich hin zu stammeln.âScheiĂe.â, entfuhr es mir. âSie wird doch hoffentlich nicht mit verbannt werden.â Ich schaute Freddy entsetzt an. âWird sie nicht bei ihrem Vater bleiben, und weiter zur Schule gehen können.âFreddy blickte drein. âWenn ihr Vater nicht mit verbannt wird? Ich habe gehört, dass es meist die ganze Familie erwischt, weil sie nicht intakt sind.â Eine Intakte Familie, das sind mindesten drei, höchstens vier Personen. Vater, Mutter, Sohn und/oder Tochter. Eben eine âglĂŒcklicheâ Familie. Mehr Kinder durfte man nicht haben. Ohne Kinder wurde man geĂ€chtet. Jeder hatte die Pflicht eine Familie zu grĂŒnden, um damit zum Wohle der Nation beizutragen.Wir gingen weiter. âWir sollten rausfinden, was mit ihr passiert.â, sagte Freddy zu mir. âIch werde mal vorsichtig bei meinen Eltern nachhorchen, und du kannst es bei deinen versuchen.ââAlso gut.â Ich nickte ihm zu. Den Rest des Weges gingen wir schweigend. Als mein Haus, Nr. 759 in der StraĂe Nr. 1356 in Sicht kam, stupste mich Freddy mit dem Ellenbogen an. âHey, sie mal. Da scheint jemand bei euch nebenan einzuziehen.âIch blickte vom grauen Asphalt auf, und sah einen Umzugtransporter vor unserem Nachbarhaus stehen. Zwei mechanische Laderoboter brachten groĂe Kisten in das Haus, das seit zwei Monaten leer stand. Nachdem Brian, der Sohn der Hendersons gestorben war, mussten sie aus dem Familienviertel ausziehen und hinterlieĂen ein leeres Haus.Ein Ă€lterer Mann mit weiĂem Haar und Bart, beaufsichtigte die beiden Roboter. Als wir an seinem neuen Garten vorbeigingen, winkte er uns zu. Erstaunt blieben wir vor meinem Haus stehen. Normalerweise winkt man sich nicht zu. Ein höfliches Nicken, war die ĂŒbliche - vom Ministerium empfohlene - GruĂform. Freddy nickte mir zu. âIch gehe weiter. Ich habe das Haus noch zwei Stunden fĂŒr mich alleine. Die Gelegenheit möchte ich nutzen.âIch nickte zurĂŒck. âIst gut. Alles weitere besprechen wir morgen.âDie vorgeschriebene warme Mahlzeit, gab es bei uns, wĂ€hrend der Woche immer abends. Um genau 19.00 Uhr saĂen wir zusammen am Esstisch und aĂen eines, der aus dem Kochbuch des Ministeriums stammenden, âgesundenâ Gerichte. Das waren meistens furchtbar schmeckende Mahlzeiten, mit viel GemĂŒse. Zombiefutter nannten wir das in der Schule. Nur am Wochenende gab es etwas Besonderes, das nicht im Kochbuch stand. HĂ€hnchen mit Pommes zum Beispiel, oder Pizza. Ich liebte die Wochenenden alleine deswegen. Dabei hatte ich noch GlĂŒck. Viele MĂŒtter kochten auch am Wochenende die âgesundenâ Gerichte.Heute gab es Broccoli. Meine Eltern schlangen ihn mit mechanischer GleichgĂŒltigkeit hinunter. Ich fragte mich, ob der ĂŒbermĂ€Ăige Genuss von Broccoli, einen erst zum Zombie machen wĂŒrde. Ich aĂ nicht mehr als nötig.Entgegen ihrer allgemeinen Interesselosigkeit, stellte mir meine Mutter heute tatsĂ€chlich eine Frage, die vom ĂŒblichen Schema - warst du heute FleiĂig?; war es ein glĂŒcklicher Tag? Usw. - abwich. âWarum bist du heute frĂŒher aus der Schule zurĂŒckgekommen?âDas war meine Chance, das heikle Thema anzuschneiden.âMan hat Mrs. Hover heute mitgenommen?â Ich Ă€uĂerte mich bewusst sehr allgemein gehalten, um zu sehen wie meine Eltern darauf reagieren wĂŒrden.âMitgenommen. So, so.â, war alles was mein Vater dazu sagte.âJa mitgenommen. Mr. Munz und drei Ordnungsbeamten kamen einfach mitten in der Stunde rein und nahmen sie mit.ââDas ist nicht gut.â, sagte meine Mutter, âvermutlich stehen jetzt alle SchĂŒler von Mrs. Hover unter besonderer Beobachtung.â Sie sah mich eindringlich an. âIch weiĂ ja, dass du ein rechtschaffener SchĂŒler und Sohn bist, aber in der nĂ€chsten Zeit musst du dir noch mehr MĂŒhe geben. Sonst kann das alles auf uns zurĂŒckfallen. Dein Vater steht kurz vor einer Beförderung, und das darfst du ihm nicht kaputt machen.âIch war schockiert. Da habe ich gerade erzĂ€hlt, dass unsere Lehrerin abgeholt wurde, und alles worum sich meine Mutter Sorgen macht, ist die Beförderung meines Vaters. Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen. Doch da stand meine Mutter auf. âZeit fĂŒr den Abwasch.âMein Vater warf mir einen verschwörerischen Blick zu. âKomm doch mal mit in mein Arbeitszimmer, Sohn. Da gibt es etwas, das ich dir zeigen möchte.âIch folgte meinem Vater, der mir so gut wie nie âetwas zeigteâ. In seinem BĂŒro angekommen schloss er die TĂŒr. âSetz dich Junge.â Er selber setzte sich in seinen BĂŒrostuhl und lĂ€chelte mich nun tatsĂ€chlich an. âDas ist ein Thema, dass wir vor deiner Mutter nicht besprechen sollten. Du musst wissen, ihre Tante wurde auch von Beamten abgeholt. Das war noch vor deiner Geburt. Aber ihre Familie hatte es seitdem sehr schwer. Denn die Leute merken sich so etwas.â Ich starrte meinen Vater ĂŒberrascht an. Er erzĂ€hlte sonst nie etwas aus der Vergangenheit. Mir wurde klar, dass dies ein ganz besonderer Moment war, der vielleicht nicht so bald wiederkommen wĂŒrde. Die ĂŒbliche Distanziertheit war wie weggeblasen. Ich fĂŒhlte mich meinem Vater sehr nahe.âWas passiert mit den Leuten, die abgeholt werden.â, fragte ich ihn.Er sah mich ernst an. âDarĂŒber spricht man nicht, und es ist besser wenn wir das jetzt auch nicht tun.ââAber Emily, Mrs. Hovers Tochter. Was passiert mit ihr? Wird sie weiter zur Schule gehen.â ÂâDas weiĂ ich nicht. Aber das Ministerium wird schon das Richtige tun.â Der kurze Moment der vĂ€terlichen NĂ€he war nun verflogen. In seiner Stimme konnte ich wieder die ĂŒbliche Distanz hören.âZu einer funktionierenden Gesellschaft gehören intakte Familien. Ohne sie geht es nicht. Wenn eine Familie nicht mehr intakt ist, wird das Ministerium ihnen helfen. Wenn sich diese Familien helfen lassen, kann es ein, dass sie die Möglichkeit bekommen, an einem anderen Ort wieder einen nĂŒtzlichen Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Doch das hĂ€ngt von ihrem Willen ab. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen, und es ist besser, wenn du Emily und Miss Hover vergisst. Konzentrier dich lieber auf die Schule und die nĂ€chsten PrĂŒfungen.â Ich war schwer enttĂ€uscht. Mein Vater gab einfach nur den ĂŒblich Ministeriumsmist von sich. Ich hatte gehofft, dass er mir mehr mitteilen wĂŒrde. Doch an seinem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass das GesprĂ€ch beendet war, und es keinen Sinn machen wĂŒrde, weiter nachzufragen.Ich lag an diesem Abend noch lange wach. Die vom Ministerium empfohlene Schlafzeit von 8 Stunden wĂŒrde ich nicht einhalten könne. Immer wieder musste ich an Mrs. Hover und Emily denken. StĂ€ndig hatte ich Emilys lĂ€chelndes Gesicht vor Augen. Es war ein unbeschwertes und freches LĂ€cheln, von dem ich glaubte es wĂŒrde nur mir gelten. Stimmte das? LĂ€chelte sie nur mich so an, oder auch die anderen. Bekamen die genauso weiche Knie, und begannen zu schwitzen.