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In welcher SF-Welt werden wir leben?


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10 Antworten in diesem Thema

#1 Nanina

Nanina

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Geschrieben 28 August 2008 - 16:44

(Gedanken an einem verregneten Urlaubstag)Alle Literatur, die unter der Flagge SF segelt, beschäftigt sich mehr oder weniger mit Visionen für die Zukunft, seien sie nun utopisch, dystopisch oder vielleicht sogar realistisch. Wobei letzteres wahrscheinlich die uninteressanteste Version ist. Die Zukunft kennt niemand und das ist vielleicht auch gut so.Vom Standpunkt der Gegenwart aus betrachtet, erreichen wir die Mannigfaltigkeit der Zukunft wie über ein Galton-Brett, es gibt viele Wege mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit, um eine bestimmte Zukunft zu erreichen.Eine utopische Zukunft, wie sie gern in der SF-Literatur simuliert wird, ist die des amerikanischen Physikers Michio Kaku (“Physics of the Impossible“). Können wir uns auf seine Vision verlassen, wenn er von der Zukunft behauptet, dass so gut wie alles möglich ist, was man auf der Kinoleinwand sehen kann: Tarnumhänge, Telepathie und Zeitreisen aber auch Teleportation und Antimaterie-Triebwerke?Angenommen, diese Möglichkeiten existieren tatsächlich, können wir sie als Menschheit auch tatsächlich erreichen? Welche Zivilisation kann diese Visionen zur Realität werden lassen?Oder profan ausgedrückt: Haben wir das Geld und die dazu notwenige Lust, so etwas auch wirklich zu wollen? Es wäre ja durchaus auch denkbar, dass unser Zivilisation zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist und für einen “Blick zu den Sternen“ keine Kraft hat. Der auch mögliche Untergang unserer Zivilisation besitzt ja durchaus eine von Null abweichende Wahrscheinlichkeit.Ein Untergangszenario soll hier aber außen vor bleiben. Die Frage, die immer etwas stiefmütterlich dabei behandelt wird, ist diese: Welche Evolution muss der Mensch selbst, nicht seine technische und energetische Basis, noch über sich ergehen lassen, damit er als “weiterentwickelter Mensch“ der “weiterentwickelten Wissenschaft und Technik“ etwas Adäquates entgegenzusetzen hat.Tolkien hat uns mit seinen Elben so etwas wie einen Zukunftsentwurf der Menschheit geliefert. Wäre das eine Vision für die biologische Evolution der Menschheit, zumindest für einen Teil der Menschen? Die praktische Unsterblichkeit und noch einige andere Fähigkeiten der Elben sind schon verlockend für uns Menschen. Doch diese Weiche ist schon lange in eine andere Richtung gestellt. Erinnern wir uns daran, dass die Welt von “Mittelerde“ eine Welt ohne fossile Energieträger ist. Warum?Die Zwerge haben sehr tief in den Bergen geschürft, aber Steinkohle haben sie nicht gefunden, so dass die Orks den ganzen Fangornwald abholzen mussten, um ihre Armee mit mittelalterlich primitiven Waffen aufrüsten zu können.Nur mit Holzkohle, Wasser- und Windrädern ist keine technische Zivilisation unseres Formates zu erreichen. Ist aber die Evolution einer “magischen Zivilisation“, wie die der Elben in einer Welt ohne fossile Energieträger möglich, wenn sie nur lange genug anhält?Wenn Michio Kaku für eine hochentwickelte technische Zivilisation behauptet, alles, wovon wir träumen, ist möglich, warum soll dann in einer rein biologisch hochentwickelten Zivilisation nicht auch alles möglich sein, wovon wir träumen? Natürlich keine Raumschiffe! Aber Telepathie und ein wenig Magie vielleicht?Sarkastisch könnte man ja sagen: Eine Welt ohne fossile Energieträger ist auch unsere Zukunft und die Armeen in Tausend Jahren müssen ihre mittelalterlich primitiven Waffen wieder mit Holzkohle schmieden.Nein, das müsste nicht so sein, wir haben ja dann das Solarzeitalter erreicht und unsere Welt ist voll von Solarpanelen, Windrädern und Wasserturbinen. Außerdem haben wir auf jedem Kontinent einen Fusionsreaktor stehen, dessen Kühlwasserbedarf die Flüsse zum Verdampfen bringt. Nur befürchte ich, dass wir diese schöne neue Welt nicht erreichen werden, wenn wir uns als Menschen in unserer Evolution immer noch so nahe am Tierreich halten. LGNanina
  • (Buch) gerade am lesen:Die Kreatur von Jekyll Island

#2 MartinHoyer

MartinHoyer

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Geschrieben 28 August 2008 - 18:20

Bei diesem Thema ist es interessant sich zu vergegenwärtigen, über was für eine Zukunft die Menschen vergangener Tage spekuliert haben - also die Zukunft, die unsere Gegenwart ist.Nun, für eine der Utopien, die längst hätten entstehen sollen, hat es offenbar nicht gereicht. Andererseits sind die unzähligen, in Roman und Film beschriebenen Weltuntergänge auch nicht eingetreten. Wie es scheint, mag die Zukunft keines der Extreme, die wir uns zusammenspinnen, und am dichtesten dran waren diejenigen, die eine Zukunft gezeichnet haben, in der Gutes und Schlechtes nach wie vor nebeneinander existiert - nur mit mehr Spielraum für beides.
Though my soul may set in darkness, it will rise in perfect light;
I have loved the stars too fondly to be fearful of the night.
(Sarah Williams: The Old Astronomer To His Pupil)

#3 Nanina

Nanina

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Geschrieben 15 September 2008 - 08:26

Bei diesem Thema ist es interessant sich zu vergegenwärtigen, über was für eine Zukunft die Menschen vergangener Tage spekuliert haben - also die Zukunft, die unsere Gegenwart ist. Nun, für eine der Utopien, die längst hätten entstehen sollen, hat es offenbar nicht gereicht. Andererseits sind die unzähligen, in Roman und Film beschriebenen Weltuntergänge auch nicht eingetreten. Wie es scheint, mag die Zukunft keines der Extreme, die wir uns zusammenspinnen, und am dichtesten dran waren diejenigen, die eine Zukunft gezeichnet haben, in der Gutes und Schlechtes nach wie vor nebeneinander existiert - nur mit mehr Spielraum für beides.

Ich habe gestern mit einem Physikprofessor dieses Thema besprochen. Er kannte den Star-Physiker Michio Kaku (“Physics of the Impossible“) nicht und war der Meinung, dass die Physiker von solchen Spinnereien, wie er sie verbreitet, nichts hielten. Es mag sein, dass bezüglich der "zukünftigen Möglichkeiten der Wissenschaft" eine gewisse Ernüchterung eingetreten ist, eine Endzeitstimmung - nicht im Sinne einer Apokalypse - sondern eher im Sinne von "Wir stehen am Ende unserer Grundlagenforschung wenn wir den Urknall simuliert und dieses sogenannte "Gottesteilchen", das uns auch noch die widerspenstige Gravitation in die "Theorie von Allem" einbindet, gefunden haben." Insofern muss das ja auch Auswirkungen auf die SF-Literatur haben. Eine ernsthafte SF, die sich als eine Art Extrapolation der Gegenwart in die Zukunft versteht, dürfte da ernsthafte Probleme bekommen. Die Pionierzeit der SF ist ja schon längst vorbei. Als Folge davon sehe ich immer stärker ein Abdriften der SF in die Fahrwasser der Fantasy. Aber das war nicht das Anliegen meiner "Gedanken an einem verregneten Urlaubstag". Das Hauptproblem war die Diskrepanz zwischen beschleunigter wissenschaftlich-technischer Evolution und Stillstand oder kaum merklicher Evolution des Menschen. Wobei einige Zyniker bereits von einer negativen Evolution des Menschen mit Häme sprechen. Das scheint die eigentliche Sackgasse der Evolution zu sein und vielleicht ist es auch eine Sackgasse der SF-Literatur. "Gutes und Schlechtes", wenn es noch vorhanden ist auf dem selben Niveau, wie schon immer, ist es wirklich keine Evolution des Menschen. Widersprüche sind Kräfte der Evolution, nur müssen sich die Widersprüche auch entwickeln sonst kommt die Evolution zum Stillstand, wenn nicht gar zur Umkehr.

Bearbeitet von Nanina, 15 September 2008 - 09:05.

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#4 raps

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Geschrieben 15 September 2008 - 09:08

Den Begriff der Evolution zu benutzen, finde ich hier etwas hoch gegriffen.Ich glaube nicht, dass zufällige genetische Mutationen in den nächsten 1000 oder so Jahren unsere Spezies als Ganzes wesentlich verändern werden. (Meintest Du das mit 'Evolution'?) Anders liegt die Sache vielleicht, wenn man sich vorstellt, dass der Mensch selbst an seinem Gen-Pool herumdoktert (z. B. um sich friedlicher zu machen - oder die Bürger stromlinienförmiger/blöder). Auf einem viel niedrigeren Level scheint es mir dagegen selbstverständlich, dass wir immer bestrebt sein müssen, unsere Gesellschaften politisch aufgeklärt/gebildet zu halten, da man wahrscheinlich jeden Stand der Kultur innerhalb von wenigen Jahrzehnten wieder verlieren kann, wenn man zulässt, dass die Leute nicht mehr die politischen Zusammenhänge / Mechanismen sowie den Sinn eines friedlichen, gemeinschaftsorientierten Zusammenlebens begreifen.Eigentlich melde ich mich aber hier zu Wort, um meine Skepsis demgegenüber auszudrücken, was die SF in de facto vor allem auf dem Gebiet der technologischen Vorhersage leistet. Der schottische SF-Autor Ken MacLeod hat das mal folgendermaßen ausgedrückt:SF helps us to foresee the future! No, it does not. SF†™s record of failed predictions, unforeseen events, and overlooked trends was already long when Blish wrote, and has lengthened since.SF painlessly teaches science! No, it does not. SF painlessly teaches pseudoscience, misinformation and imaginary science. Conscientiously worked out hard SF that actually teaches science is as rare as archaeopteryx teeth. SF has been a coruscating tractor beam for psi powers, FTL, race memory, the prevalence of alien intelligence, evolution as a purposeful process, and many more scientific howlers. Today we can add the ease and imminence of the construction of AIs, uploads, and brain-computer interfaces to the dustbin of disrepute.(aus: Emerald City, Nr. 100)Eine Menge gute SF-Texte kann man sicher entweder den Utopien/Dystopien zurechnen bzw. sie sind Versuche, die Gegenwart oder gegenwärtige Entwicklungen darzustellen (jeder Roman wird schließlich für heutige Leser geschrieben). Allerdings finde ich, wie MacLeod, dass SF immer schon etwas Märchenhaftes hatte oder, vielleicht eher, es verstanden hat, Märchenhaftes, das unsere Tagträume beflügelt, 'rational' einzukleiden.Grüße, Rainer

#5 Nanina

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Geschrieben 15 September 2008 - 17:23

Den Begriff der Evolution zu benutzen, finde ich hier etwas hoch gegriffen.Ich glaube nicht, dass zufällige genetische Mutationen in den nächsten 1000 oder so Jahren unsere Spezies als Ganzes wesentlich verändern werden. (Meintest Du das mit 'Evolution'?) Anders liegt die Sache vielleicht, wenn man sich vorstellt, dass der Mensch selbst an seinem Gen-Pool herumdoktert (z. B. um sich friedlicher zu machen - oder die Bürger stromlinienförmiger/blöder). SF helps us to foresee the future! No, it does not. (aus: Emerald City, Nr. 100) Eine Menge gute SF-Texte kann man sicher entweder den Utopien/Dystopien zurechnen bzw. sie sind Versuche, die Gegenwart oder gegenwärtige Entwicklungen darzustellen (jeder Roman wird schließlich für heutige Leser geschrieben). Allerdings finde ich, wie MacLeod, dass SF immer schon etwas Märchenhaftes hatte oder, vielleicht eher, es verstanden hat, Märchenhaftes, das unsere Tagträume beflügelt, 'rational' einzukleiden. Grüße, Rainer

Die biologische Evolution ist blind und hat das Rad nicht erfunden. So wie sie bisher beim Menschen funktioniert hat und noch funktioniert ist es leider so, dass die Diskrepanz zwischen einer mehr oder weniger zielgerichteten wissenschaftlich-technischen Evolution und dem langsamen Vehikel der natürlich-biologischen Evolution immer größer wird. Was steht einer zielgerichteten genetischen Evolution des Menschen entgegen? Religiöse und ethische Dogmen, Horrorvisionen - auch aus der SF - von "Sklavenzüchten" und brutal-grausamen genetisch veränderten Menschen lassen allein bei solchen Gedanken einen inneren Zensor wach werden. Doch vergeben wir damit, wenn wir diesen Dogmen und Horrovisionen Glauben schenken, nicht ein Stück unserer Zukunft und erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Apokalypse, die übrigens nicht nur in den herrschenden Religionen eine Rolle spielt sondern auch in den alten Mythen - z. B. der Germanen - enthalten ist? Die momentan tobende globale Finanzkrise ist ja auch nicht förderlich, Zukunftsvisionen für die Menschheit zu entwickeln. Aber irgendwie kommen wir ohne fundierte Utopien nicht weiter. Hier könnte die SF vielleicht wieder eine Pionierfunktion übernehmen, anstatt sich mit der Fantasy zu verheiraten. Aber vielleicht gibt es das ja schon wieder und ich kenne es nur noch nicht :lol:
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#6 pirandot

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Geschrieben 15 September 2008 - 18:32

Hier könnte die SF vielleicht wieder eine Pionierfunktion übernehmen, anstatt sich mit der Fantasy zu verheiraten.

Wer sagt denn eigentlich, dass man eine Utopie nicht in eine Fantasy-Umgebung einbetten kann? Ganz abgesehen davon müssen SF und Fantasy einander sowieso nicht ausschließen. Die richtige Mischung macht das Resultat oft erst interessant. Man denke nur an den Wüstenplaneten oder die Drachenreiter von Pern †¦
An schlechten Tagen, wenn es regnet, glaubst du, du hättest Magengeschwüre. Nur an schönen Tagen, wenn die Sonne scheint, da denkst du, du hättest Krebs. (Die MAD-Fibel des Lebens)
You, especially, I like. Passionate, sincere†¦ †¦goofball. (Three to Tango)

#7 simifilm

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Geschrieben 16 September 2008 - 02:12

Die biologische Evolution ist blind und hat das Rad nicht erfunden. So wie sie bisher beim Menschen funktioniert hat und noch funktioniert ist es leider so, dass die Diskrepanz zwischen einer mehr oder weniger zielgerichteten wissenschaftlich-technischen Evolution und dem langsamen Vehikel der natürlich-biologischen Evolution immer größer wird. Was steht einer zielgerichteten genetischen Evolution des Menschen entgegen? Religiöse und ethische Dogmen, Horrorvisionen - auch aus der SF - von "Sklavenzüchten" und brutal-grausamen genetisch veränderten Menschen lassen allein bei solchen Gedanken einen inneren Zensor wach werden. Doch vergeben wir damit, wenn wir diesen Dogmen und Horrovisionen Glauben schenken, nicht ein Stück unserer Zukunft und erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Apokalypse,

Wieso?

die übrigens nicht nur in den herrschenden Religionen eine Rolle spielt sondern auch in den alten Mythen - z. B. der Germanen - enthalten ist?

Die momentan tobende globale Finanzkrise ist ja auch nicht förderlich, Zukunftsvisionen für die Menschheit zu entwickeln. Aber irgendwie kommen wir ohne fundierte Utopien nicht weiter. Hier könnte die SF vielleicht wieder eine Pionierfunktion übernehmen, anstatt sich mit der Fantasy zu verheiraten. Aber vielleicht gibt es das ja schon wieder und ich kenne es nur noch nicht :lol:

Das Thema scheint ja immer mal wieder hier zu aufzutauchen, und meine Frage bleibt immer dieselbe: Was ist hier mit Utopie gemeint? Ein konkretes Programm oder ein primär literarischer Text? Im ersten Fall sage ich: her damit, im zweiten: Literatur hat nicht die Aufgabe, politische Programme zu entwickeln.

Signatures sagen nie die Wahrheit.

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Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
 

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#8 raps

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Geschrieben 16 September 2008 - 11:23

"Literatur hat nicht die Aufgabe, politische Programme zu entwickeln."Der Satz stimmt natürlich. Aber genauso korrekt wäre z.B. der Satz:"Literatur hat nicht die Aufgabe, die gruppendynamischen Prozesse im Vorstand von Grasshoppers Zürich zu beschreiben."Oder:"Literatur hat nicht die Aufgabe, die Funktionsweise von elektrischen Bügeleisen zu erläutern."Kann sich ein Werk der Literatur nicht theoretisch mit wirklich jedem Sujet befassen? Utopische Texte können doch sehr unterhaltsam - und manchmal gar aufschlussreich - sein. Dein Satz, Simon, klingt in meinen Ohren immer wie "Literatur und Politik sind unvereinbar", und das finde ich abwegig. Aber vielleicht missverstehe ich Dich ja (und ich weiß, das Thema hatten wir an sich schon seit Deiner Auseinandersetzung mit Beverly durch).Grüße, Rainer

#9 simifilm

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Geschrieben 16 September 2008 - 15:00

"Literatur hat nicht die Aufgabe, politische Programme zu entwickeln." Der Satz stimmt natürlich. Aber genauso korrekt wäre z.B. der Satz: "Literatur hat nicht die Aufgabe, die gruppendynamischen Prozesse im Vorstand von Grasshoppers Zürich zu beschreiben." Oder: "Literatur hat nicht die Aufgabe, die Funktionsweise von elektrischen Bügeleisen zu erläutern." Kann sich ein Werk der Literatur nicht theoretisch mit wirklich jedem Sujet befassen? Utopische Texte können doch sehr unterhaltsam - und manchmal gar aufschlussreich - sein. Dein Satz, Simon, klingt in meinen Ohren immer wie "Literatur und Politik sind unvereinbar", und das finde ich abwegig. Aber vielleicht missverstehe ich Dich ja (und ich weiß, das Thema hatten wir an sich schon seit Deiner Auseinandersetzung mit Beverly durch). Grüße, Rainer

Sagen wir mal so: ich behaupte, dass es kaum ein literarisches Werk gibt, dass wirklich explizit und konkret politisch ist und auch noch literarisch gelungen ist. Literatur kann, darf und soll sich zu politische Themen äussern, aber wenn ein Autor zu einem konkreten politischen Problem einen konkreten Vorschlag hat, dann soll er daraus bitte keinen Roman machen, weil das 1. ziemlich sicher kein guter Roman wird und weil es 2. sehr viel sinnvoller und fruchtbarer wäre, wenn er diesen Vorschlag direkt in die politische Diskussion einbringen würde. Und die meisten (klassischen) Utopien halte ich zwar historisch und ideengeschichtlich für interessant, für gelungene Literatur (im Sinne von: das ist an sich spannend zu lesen) halte ich die wenigsten.

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#10 Nanina

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Geschrieben 16 September 2008 - 16:25

Solche Sätze, die beginnen mit "Literatur hat nicht die Aufgabe..." oder "Literatur hat die Aufgabe..." halte ich für sehr akademisch. Auch solche Aussagen wie "Ein politischer Roman kann keine Literatur sein..." ist in meine Augen nur Schubladendenken.Ich halte einen anderen Aspekt für viel interessanter. Das ist der Aspekt der Realitätsferne. Literatur geht bei mir unter die Haut, wenn sie eine große Realitätsnähe besitzt, wenn sie mir glaubwürdig erscheint als eine realistische Fiktion und wenn sie logisch aufgebaut ist.Literatur, die sich durch Realitätsferne definiert kann spannend und unterhaltsam sein - mehr aber auch nicht. Sie geht nicht unter die Haut.Ich kann das bei Kindern immer wieder gut beobachten. Die Konkurrenz zur Literatur stellen heute oft die Computerspiele dar. Ich meine hier nicht die reinen Ballerspiele sondern mehr die Rollenspiele. Es fällt nicht schwer und es ist unterhaltsam - möchte man fast sagen - irgendwelche Monster, auch außerirdische, abzuknallen. Sind es aber solche Spiele wie crisis, die sich durch eine große Realitätsnähe auszeichnen, sind beim Töten ganz andere Emotionen im Spiel. Emotionen, die es manchen regelrecht verbieten da weiter zu spielen. Dasselbe kann man bei Filmen auch beobachten.Und in der Literatur ist es nicht anders.Ich persönlich lese auch sehr gerne politische oder wissenschaftliche Bücher, die literarisch gut gemacht und unterhaltsam sind, während ich mich bei vielen diesen realitätsfernen, zur Unterhaltungsliteratur zählenden Werken hinterher oft frage, ob ich mir hier wegen einer billigen Spannung oder ein paar witzigen Formulierungen nicht die Zeit hab stehlen lassen. Aber über Kunst lässt sich ja bekanntlich streiten und das ist auch gut so. :) LG Nanina
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#11 simifilm

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Geschrieben 16 September 2008 - 16:31

Solche Sätze, die beginnen mit "Literatur hat nicht die Aufgabe..." oder "Literatur hat die Aufgabe..." halte ich für sehr akademisch. Auch solche Aussagen wie "Ein politischer Roman kann keine Literatur sein..." ist in meine Augen nur Schubladendenken.

Vielleicht kategorisch, aber überhaupt nicht akademisch, denn die Aussage ist sehr konkret, und Du darfst gerne Beispiele bringen für Romane, die Du für gelungen hältst und die Deiner Meinung nach auch konkret politisch sind. Vielleicht merken wir dann ja, dass wir nicht vom Gleichen sprechen.

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