Sollte das wirklich alles sein? Ist das Interesse so gering?
Natürlich nicht! Ich konnte mich nur jetzt erst zur Lektüre durchringen.
Das aber mit um so größerem Genuss.
Der Band versammelt 15 Stories des bekannten deutschen SF-Autors, vorwiegend aus den 80er und 90er Jahren. Heraus kommt eine der besten Collections ever! Und der endgültige Nachweis (wenn es dessen denn noch bedürfte), dass Uwe Anton zu den führenden deutschsprachigen SF-Schriftstellern zählt.
Uwe Anton kann schreiben, und - das ist das Wichtigste - er will Geschichten erzählen! Er liefert Handlung und Szenen statt seitenlanger Erklärungen, er konfrontiert den Leser mit lebensechten, tiefen Charakteren statt Abziehbildern oder Meldungsgehilfen, die nach dem Mund des Autors reden. Vor allem seine humoristischen Texte sind gelungen. Es fällt schwer, aus der gelungenen Melange einzelne Texte hervorzuheben.
Erhellend und interessant sind auch seine kurze Einführungstexte, in denen er die Entstehungs- und die manchmal recht vertrackte Werksgeschichte der einzelnen Stories dokumentiert.
Der Band wird abgerundet mit einer Hommage an den Künstler Helmut Wenske, einem launigen und informativen Vorwort von Andreas Decker und einem mustergültigen bibliographischen Nachweis der Erstveröffentlichungen.
Im einzelnen:
Vorwort von Andreas Decker
Decker gibt einen Rückblick auf die „Goldenen 80er“, als man mit SF-Anthologien noch Geld verdienen konnte.
Gute Einführung in den Entstehungsrahmen der vorliegenden Stories, nett und unterhaltsam geschrieben.
Willkommen in der Wirklichkeit
Kendrick kommt von der Arbeit und findet sein Dorf verlassen vor. Als es nach einer einsamen Nacht wieder bevölkert ist, erkennt er das Dorf, seine Bewohner - und sich! - nicht wieder.
Klassische Story mit Dick-Motiven, rund geschrieben, gern gelesen, vorhersehbare, aber gute Pointe.
Der Moment der Wahrheit
Carpenter macht Jagd auf Androiden. Aber wie unterscheidet man sie von Menschen? Und woher weiß man, wozu man selbst gehört?
Das „Blade Runner“-Motiv, bevor der Film gedreht wurde. Schöne Skizze!
Heimkehr
Nach dem ersten Überlichtflug in der Geschichte der Menschheit kehrt das Raumschiff auf die Erde zurück. Doch das Empfangskomitee bleibt aus.
Hmm. Die erste Sequenz interessant, wird aber durch Traumauflösung entwertet. Der Rest etwas dünne, wenngleich nett geschrieben.
Das Gitter
Eines Tages bemerkt Nat ein Gitter unter seiner Wohnungsdecke, das ihm überall hin folgt. Seine Frau Ruth stört sich nicht daran, seine Nachbarn auch nicht. Da besuchen ihn zwei Vertreter des Amts für Abweichendes Sozialverhalten.
Parabel auf Überwachungsstaat, oft gelesen, aber selten so gut geschrieben.
In der Androidenfabrik
Auf Morrisons Planet produziert ein menschlicher Arbeiter Androiden, die das Terraforming übernehmen sollen. Doch eines Tages hält sich ein Android zuviel im Lager auf.
Verbesserte „Blade Runner“-Variante, atmosphärisch dicht und rund geschrieben.
Ich liebe deinen Stolz und deine Einsamkeit
Cone Foss, der auf der überbevölkerten Erde unter Paranoia leidet, will im Tiefkühlschlaf zu einem anderen Planeten. Seine Exfrau Barbara, die betreuende Biologin an Bord dieses Schiffes, verschafft ihm ungewollt schlechte Träume.
Die Idee mit programmierten Träumen im Tiefkühlschlaf toll, aber das „stolz und einsam“-Gerede wirkt auf Dauer gekünstelt.
Galaabend im Hypersensio
Lobey ist ein konditionierter Künstler, der mittels eines Modulators Gefühle in Bilder verwandelt - und das in Echtzeit! Er scheint in GeeDee verleibt zu sein. Obwohl er aufgrund seiner Konditionierung eigentlich gar keine Liebe empfinden dürfte.
Super Idee, stimmiges, gut ausgearbeitetes Personal, stilistisch brillant, vor allem die Bildbeschreibungen, und spannend bis zum Schluß. Ein Meisterwerk!
Ein kurzes, vertrauliches Gespräch mit dem Herausgeber
Ein Literaturagent unterbreitet Wolfgang Jeschke ein interessantes Angebot. Und erzählt ihm die Wahrheit über Heinleins letzten Roman.
Süße Glosse mit netten Seitenhieben, ohne verletzend zu werden, rundum stimmig!
Venus ist tot
Kasdan, ein Former von Morrisons Welt, soll für Parzival und Marina das Kunstwesen Venus erneut erschaffen. Doch den Lebensfunken müssen die beiden Unterbemittelten einhauchen. Das ist nicht ungefährlich. Und komplett illegal.
Dichte Atmosphäre, schöne Einfälle, bis auf das unbefriedigende Ende eine tolle Story!
Roboter im Warnstreik
Die Prototypen der mobilen Müllschlucker sind aus dem Labor ausgebrochen. Prompt treten die alten Maschinen in Streik. Wie kann Prof. Harmelkamp, der Erfinder der neuen Sorte, das Problem in den Griff bekommen? Und kann ihm Susi, seine attraktive Geliebte, dabei helfen?
Rasant geschriebene, rundum gelungene und humorvolle Story mit liebenswerten Figuren und niedlichen Wendungen. Klasse!
Die schleichende Revolution
Wenn jemand in Wolf G. Molders Haus in den Wäschekeller geht, kehrt er verrückt zurück. Und fällt ins Koma. Das ruft natürlich die Polizei auf den Plan. Aber auch einen Exorzisten und einen Parapsychologen.
Niedliche, gut geschriebene SF-Krimikomödie mit illustrem Personal. Nur die Auflösung enttäuscht etwas.
Das große, kleine Schiff
Lerry fliegt von Morrisons Planet zur Erde, um dort seine Formerausbildung zu beenden. Auf dem Flug trifft er den Nomaden Domminick, der ihm den Maschinenraum zeigt.
Oberflächlich geschieht nichts Spektakuläres. Aber die Annäherung zwischen den unterschiedlichen Protagonisten berührt. Eine wunderschöne stille Story!
Roboterlogik
Der HUGH(Haus-und-Garten-Hilfs)-Roboter weigert sich, Felix Applegates Befehle auszuführen. Hat seine Frau Fiona die Robotergesetze umgangen, um HUGH als Waffe im Ehekrieg einzusetzen?
Köstliche Satire, Fiona ein echtes Biest, irrwitzige Wendungen. Geil!
Das Schloss
Ein Held kämpft sich immer wieder durch ein Schloß: vorbei an Vampiren und Riesenspinnen, sammelt Schätze und findet schließlich das Zepter, das ihm das Schloßtor öffnet. Aber was ist der Sinn dieses Kampfs? Wer lenkt seine Schritte? Und was bedeutet die Schrift „Highscore: Uwe Anton 1550“?
Ein Quest-Computerspiel aus der Perspektive der Hauptspielfigur. Genial beschrieben! Wer hat mit uns in welchem Spiel den Highscore geknackt?
Jurassic Mark
In Wuppertal-Barmen materialisiert ein Super-Dino und sagt den Menschen, was er von der spielberg-induzierten Dino-Welle hält.
Witzige, süß geschriebene Satire. Ich habe mich beömmelt beim Lesen.
Ich freue mich schon auf die zweite Anton-Collection.
Gruß
Ralf