Eine Zwischenbilanz und vorerst ein Abschluss - aber kein Ende der Debatte.
Ich habe diesen Thread vor wenigen Tagen eroeffnet mit einer klaren Frage :
fremowolf schrieb am 11.12.2008, 19:57:
"Wie sollte eine gute Zukunft aussehen ?"
"Welche Zukunft wollen wir ?" das war die Leitfrage dieses Threads. Und mein vorlaeufiger Eindruck ist : SF-People koennen mit dieser Frage wenig anfangen. Das wirkt ueberraschen, weil doch Zukunft im oberflaechlichen allgemeinen Verstaendnis das Thema aller "hard"-SF zu sein scheint. "Hard" ist wichtig. Mystery wie LotR hat nichts mit Zukunft zu tun. Aber die klassischen Dystopien (Orwells "1984", Huxleys "Brave New World", Brunners "The Sheep Look Up", usw.) sind "Warn-Utopien", Bilder, die uns zeigen sollen, wohin wir gelangen koennten und moeglichst nicht gelangen sollten. Und ein grohsser Teil der SF beginnt schon deshalb ganz unbekuemmert mit dem Satz "In einer fernen Zukunft ...", weil die riesigen "Sternenkreuzer" mit ihren ueberlichtschnellen "Warp-Antrieben" und leichter Verbindung zwischen verschiedenen Planetensystemen sowieso - wenn ueberhaupt - nur in ferner Zukunft zu haben sind.
Fuer meine Fragestellung war von vornherein und offensichtlich nur die nahe bis mittlere Zukunft und auch nur hier auf der Erde von Bedeutung. Auch Ausfluege auf Mond und Mars oder auf Jupiter- und Saturnmonde sind nur Ablenkungen und nicht wichtig. Meine philosophische Frage war ganz konkret gemeint : "Wie sollten wir uns eine 'gute' Zukunft vorstellen ? Hat schon jemand einen interessanten Vorschlag ?" Das ist klassische Utopie - helle oder schwarze Utopie - und also nur ein Teilgebiet der SF. Rein formal ist Utopie nicht einmal ein Teilgebiet der SF insofern, als nicht jede Utopie an "science" interessiert ist. "Shangri La" bemueht allenfalls "magische Wissenschft", und Huxleys "Eiland" oder Gilmans "Herland" oder Butlers "Erewhon" und viele andere sind an "technischem Kram" ueberhaupt nicht interessiert, auch nicht einmal an Zukunft. Sie sind einfach kritische Alternativen zum Ueblichen wie jede Hippie-Kommune.
Meine Frage war aber ausdruecklich : "Welche Zukunft wollen wir ?", denn es ist ja die Zukunft, in der wir - sofern ueberhaupt - unsere Plaene verwirklichen koennen. Man kann jede Utopie in eine solche "Zukunft" versetzen, indem man sie zum Ziel oder zum Anti-ziel erklaert. Man kann also immer fragen "Soll unsere Zukunft so aussehen wie das Modell X ?" oder "Soll unsere Zukunft NICHT so aussehen wie das Modell Y ?" Man kann also jede Utopie und Dystopie in dieser Weise verzeitlichen.
Was bedeutet nun die Behauptung, "SF-People koennen mit dieser Frage (nach der guten Zukunft) wenig anfangen." ? Sie bedeutet, dass die "SF-People" anders als der Philosoph oder der Futurologe kein methodisches Interesse an dieser Frage haben, sondern ein rein spielerisches. SF-Autoren schreiben Abenteuergeschichten, die mehr oder weniger zufaellig in der Zukunft spielen. Aber wirklich interessiert sind sie am Abenteuer, an vielerlei Moeglichkeiten und Konflikten im Leben und Zusammenleben der Menschen, aber anders, als die Autoren von Utopien, ist die Frage nach dem, was eine Zukunft gut macht, nicht im Zentrum, sondern wird eher beilaeufig behandelt. Es waere daher eher Zufall gewesen, wenn ich hier gute Antworten auf meine Frage gefunden haette. Auf meine Frage "ist diese Einrichtung gut oder schlecht ?" waere die typische Antwort der SF-People : "Ist doch egal, Hauptsache sie fuehrt zu spannenden Verwicklungen !"
Meine Frage war aber ernst gemeint, und insofern bin ich hier auf dem falschen Forum. Ich will daher nur noch einmal andeuten, worum es mir ging und geht : Philosophisch gesprochen ist der Mensch ein Wesen der Freiheit. Er kann sich eine Zukunft bis zu einem gewissen Grade schaffen, er kann eine Zukunft wollen oder sie bewusst zu meiden versuchen. Fuer den denkenden Menschen ist die Zukunft nicht etwas, was einfach auf ihn zukommt, sondern sie ist ein Ziel, das man ansteuern oder dem man ausweichen kann, sie ist eine Aufgabe und Herausforderung fuer den schoepferischen Geist des Menschen. Und in diesem Sinne kann und sollte man dann auch fragen : "Was meinen wir, wenn wir eine moegliche Zukunft als 'gut' - und daher als erstrebenswert - oder als 'schlecht' - und daher als zu vermeiden - kennzeichnen ? Was sind unsere Kriterien fuer solche Bewertungen ? Welches Bild von uns selbst haben wir dabei ?" Das meine ich mit "methodischem" Fragen. Und diese Art von Fragen sind eben nicht die, die den SF-Autor beschaeftigen. Das sind typisch philosophische Fragen, und z.T. auch typische Fragen der Futurologen.
Der Unterschied zwischen Futurologen und Philosophen ist hier, dass die Futurologen mehr technisch orientiert sind. Sie fragen etwa nach der Zukunft der Verkehrssysteme oder der Energieversorgung oder der Umwelt oder der Rentenversicherung usw., waehrend der Philosoph nach der Zukunft des Menschen fragt. Futurologen verstehen sich nicht als Kulturkritiker, allenfalls als Systemingenieure, die auf Gefahren hinweisen, aber das ist nicht dasselbe. Marcuse und Adorno waren Kulturkritiker, nicht Futurologen. Callenbach koennte man als Autor einer "positiven futurologischen Utopie" bezeichnen. Dass diese Utopie nicht sehr ueberzeugend ausfiel, muss dabei nichts besagen.
Meine Frage "Welche Zukunft wollen wir?" war eindeutig kulturkritisch gemeint. Es ist die Frage nach einer Zukunft, von der wir und unsere Nachkommen sagen koennten : "So sollte die Welt vernuenftiger Wesen aussehen !" Mich haben die Vorschlaege von Marcuse und Adorno nicht ueberzeugt, aber ihre Frage nach der "menschenwuerdigen" Gesellschaft ist auch meine. Man kann doch die heutige "post-industrielle" Gesellschaft oder die Situation der heutigen "globalen Menschheit" nicht als dumm oder boese oder unmenschlich oder entfremdet usw. bezeichnen, ohne wenigstens darueber diskutieren zu wollen, was denn die bessere Alternative waere. Ein Politiker braucht Ziele. Er muss den Waehlern sagen koennen, wo es hingehen soll, er muss ueberzeugen koennen. Im schlimmsten Falle ist er ein Mensch wie Hitler, der die Anhaenger fuer Ziele begeistert, die nicht gut sind. Und schon ist man wieder bei der Frage : Warum sind sie denn nicht gut ? Was ist den falsch an den Zielen und Verfahren eines Hitler oder Stalin oder Mao oder wem immer ? Das ist "methodisches" Fragen. Und von dieser Art des Fragens habe ich gesagt, dass sie den "SF-People" weitgehend fremd ist.
Schade eigentlich. Meine Hoffnung war, einen Autor zu finden, der ernsthaft versucht haette, eine Zukunft darzustellen, die mir als wuenschenswert einleuchten kann, wo ich sagen kann : "ja, dahin sollten wir gehen !". Ich hoffe noch immer, dass dieser Autor irgendwann kommt. Bisher gibt es nur das Umgekehrte : Zahllose Romane und Filme die andeuten, wohin wir NICHT gehen sollten. Das ist sicher einfacher, aber es hat seine Grenzen.
Fazit vorerst also : Ich habe auf meine Frage "Wie sollte eine gute Zukunft aussehen ?" bzw. "Welche Zukunft wollen wir ?" bei der SF keine hilfreichen Antworten gefunden. Aber ich bleibe ganz Ohr.