Wieder eine Zwischenbetrachtung am 17.12.2008
Ich habe gerade noch einmal Teile des gesamten Threads durchgeschaut, um eine Uebersicht zu bekommen. Ich war verwundert, wie schwer es offenbar ist, den Sinn meiner Frage zu verstehen "Welche Zukunft wollen wir ?"
Es besteht doch Einigkeit darueber, dass man die Gegenwart in spannenden Filmen, Kurzgeschichten und Romanen darstellen kann. Das geschieht ja dauernd. Und es geht auch mit Vergangenheit : Es gibt zahlreiche Filme, die die Geschichte des Mittelalters oder der Antike lebendig machen ("Alexander", "Gladiator", "Der Name der Rose", "Die Rueckkehr des Martin Guerre", "Martin Luther", "Elizabeth" usw.).
In allen diesen Faellen werden "Gesellschaften" dargestellt. Es bleibt dann dem Zuschauer ueberlassen, ob er das Leben in diesen Gesellschaften mit seinen Wertvorstellungen vertraeglich findet oder nicht. Die Alternative "spannende Handlung" oder "Darstellung der Gesellschaft" stellt sich in den genannten Filmen garnicht. Indem die Handlung erzaehlt wird, erfaehrt man zugleich eine Menge ueber die Gesellschaft, ueber die Denkweise, ueber die Probleme usw..
Ich habe nichts anderes gefragt als : "Wie saehe denn solch ein Film oder Roman aus, wenn man ihn in die Zukunft verlegt, wenn also, um es mal gleich in SF-typischer Form zu sagen, "ein Zeitreisender aus dem Jahre 2200 einen Bericht auf DVD hier hinterlassen haette" : Wuerden wir dann das, was wir da zu sehen bekommen, als wuenschenswert empfinden ? Oder wuerden wir entsetzt sagen : "Oh je, was kommt da auf uns zu !"
Mein Argument war : Bisher hat noch niemand auch nur ernsthaft versucht, eine menschlich attraktive Zukunft "auf DVD zu hinterlassen". Es scheint einfach ein Dogma zu sein, dass die Zukunft nur so aussehen kann wie im "Blade Runner" oder in "Mad Max" oder in "Die Klapperschlange" oder "Die Insel" usw.. Und nur dagegen habe ich mich gewehrt und gesagt : "Muss das denn sein ? Was ist denn daran plausibel ? Das leuchtet mir nicht ein ! Man kann doch auch menschliche Probleme im Jahre 2200 so darstellen, dass sie in einer vernuenftigen und attraktiven Welt stattfinden, dass gezeigt wird, wie man gut mit solchen Problemen umgeht. Haette man im Alabama von 1865 einen Film "aus der Zukunft von 2008" gezeigt, in dem eine schwarze Aussenministerin und ein schwarzer "President elect" vorkommen, die weissen Zuschauer waeren entsetzt gewesen. Sie waeren entsetzt gewesen beim Anblick von Will Smith und Oprah Winfrey und zahlreichen anderen bekannten Schwarzen im oeffentlichen Leben der USA. Aber die Sieger der Union haetten sich gefreut und gesagt : "Also war der Krieg doch nicht umsonst, eine zivilisierte Gesellschaft ist moeglich!" DAS ist es, was ich mir unter einer guten Zukunft vorstelle : Ein ueberzeugendes Bild von einer Gesellschft der Zukunft, die man bejahen kann, von der man sagen kann : "So sollte die Zukunft sein !"
Das hat also ueberhaupt nichts mit moralinsauer und brav und problemlos zu tun. Meine Kritik richtet sich nur gegen eine gedankenlose Art, die Zukunft immer nur als einen verrotteten Zustand zu malen, voll von Krieg und Korruption und Umweltkatastrophen usw.. Um im Bilde zu bleiben : Das ist so, als wenn man den Leuten von Alabama im Jahre 1865 eine Film ueber die Zustaend im heutigen Amerika zeigen wuerde, in dem Lynchmorde an Schwarzen das Normale sind, in dem die Schwarzen nur noch in Ghettos hausen und in Muelltonnen wuehlen, in dem die Mafia das Kommando hat und alle Politiker gekauft sind, wo die Umwelt in Smog und Chemieabfaellen zugrunde geht und die Menschen wie im Film "1984" ueberwacht werden. Nicht einmal Michael Moore wuerde eine solche Darstellung der Gegenwart der USA als angemessen empfinden. Aber unsere SF-Autoren scheinen es irgendwie fuer selbstverstaendlich zu halten, dass die Zukunft anders garnicht vorstellbar ist. Und das eben finde ich laecherlich.
Da moechte ich eben den Romanautoren und Drehbuchschreibern zurufen "Lasst euch doch endlich mal eine Zukunft einfallen, die intelligenter Menschen wuerdig ist ! Versucht es doch wenigstens mal !"
Simifilm scheint mir dauernd sagen zu wollen : "Hat doch alles keinen Zweck ! Eine intelligente und menschenwuerdige Gesellschaft ist langweilig. Nur eine boese Gesellschaft wie in "Starship Troopers" oder in "Die Klapperschlange" ist interessant ! Das Gute hat keinen Unterhaltungswert !"
Ich unterstelle Simifilm solch eine Denkweise nicht wirklich, ich habe das jetzt mal bewusst ironisiert. Aber um es auf die Spitze zu treiben provoziere ich mal : "Damit die USA ihren Unterhaltungswert fuer die Gegenwart behalten, muesste jetzt mal Bush mit Hilfe der Mafia einige Senatoren und Bundesrichter erschiessen und sein Mandat gegen die Verfassung verlaengern und unter Vorwand Rumsfeld wieder einsetzen, damit der einen Atomschlag gegen Iran und Nordkorea fuehren kann. Die Pressefreiheit wird vorerst ausgesetzt und fuer tausende von Buergern werden neue Lager in der Wueste von Neu Mexiko errichtet. So wird Geschichte endlich wieder spannend ! Es geht uns viel zu gut, die Geschichte drohte schon, langweilig zu werden."
Wie gesagt, ich unterstelle solches Denken Simifilm nicht, aber vielleicht kann diese Karikatur dazu helfen, den Punkt zu verdeutlichen, um den es mir geht : Was ist so absurd an dem Gedanken, eine spannende Geschichte in eine wuenschenswerte Zukunft zu verlegen ? Das genau war der Sinn meiner Frage "Welche Zukunft wollen wir ?" Ich finde den anderen Gedanken, dass eine Zukunft dumm und boese sein muss, um unterhaltsam zu sein, viel absurder.
Koennte es nicht sein, dass wir einfach "drogenabhaengig" geworden sind ? Wir muessen die Dosis an Action und Crime und Violence in Filmen und Romanen immerfort steigern, weil wir immer unfaehiger werden, auf die leisen Toene zu achten. Man hat manchmal diesen Eindruck, wenn man sich Kritiken einiger Leute auf imdb anschaut : "Der bloedeste Film, den ich in meinem Leben gesehen habe ! Nach einer Stunde immer noch keine zerstueckelten Leichen ! Blohss so ein daemliches Liebesgesuelze. Was denkt sich der Regisseur eigentlich, wofuer ich Eintritt bezahle !" Aber 90% der besten Filme der letzten 60 Jahre handelten weniger von zerstueckelten Leichen als von "Liebesgesuelze" - "Sabrina", "Das Hausboot", "Ein Amerikaner in Paris", "Breakfast at Tiffanys", "Erdbeer und Schokolade", "Ueber den Daechern von Nizza", "Lost in Translation", "Brot und Tulpen", "Zimt und Koriander" usw.usw.. Das alles sind sehr gute und intelligente Filme, und nirgends kommen "zerstueckelte Leichen" vor. Warum sollen solche intelligenten Filme nicht auch in der Zukunft des Jahres 2200 spielen ? Und Romane entsprechend ? Das leuchtet mir ueberhaupt nicht ein !
"The Yellow Submarine" ist keine SF, aber ich wuenschte mir einen wie John Lennon als Drehbuchschreiber fuer einen SF-Film, der ein "reales" Pepperland im Jahre 2200 darstellen koennte. Vermutlich kann das nur in Gemeinschaftsarbeit von Italienern und Franzosen gehen. Man braeuchte einen Fellini dafuer, jemanden, der die Menschen liebt und der Humor und Phantasie hat ("8 1/2", Satyricon"), vielleicht in Zusammenarbeit mit Pinoteau (La Boum, 1980). "Barbarella" war schon ganz gut, aber das war kein realistischer Spielfilm. Dann eher "Ferris Bueller macht blau" - aber eben im Jahre 2200 !
Bearbeitet von fremowolf, 17 Dezember 2008 - 06:59.