Total Recall, den ich übrigens für einen der intelligensten Action-SF-Filme halte.
Ja, das kann man so sehen. Den Biologen stoeren allenfalls drei Augen und drei Brueste, weil es in der Natur immer paarig geht, also nur zwei oder vier. Aber egal, der Film ist gut.
Ich moechte aber, damit die Diskussion nicht gleich wieder im Klein-Klein versackt, noch einmal auf das grundsaetzliche Problem der Weltbetrachtung in der SF eingehen.
Man hat ja die Uhr als das bemerkenswerteste Symbol der Moderne bezeichnet. Erst die Turmuhr seit dem 13ten Jh, dann die Taschenuhr seit der Lutherzeit, dann die Armbanduhr seit dem Ersten Weltkrieg. Die Uhr bringt Ordnung und Disziplin ins Leben, dafuer steht sie.
Ordnung und Disziplin ins Denken zu bringen, dafuer standen Descartes und die sich entwickelnde Mathematik seit seiner Zeit. Das ist der westliche Begriff der Rationalitaet, der den Aufstieg des Westens zur Weltherrschaft ermoeglicht hat. Das Cartesische Weltbild fuehrte zusammen mit den Einsichten von Kepler und Newton zum Deismus : Gott als der grohsse Uhrmacher ("The Blind watchmaker" von Dawkins 1986), die Warheit ueber die Welt "more geometrico demonstrata", auf geometrische Weise demonstriert bei Spinoza. Das war um 1700 eine weit verbreitete Idee.
Disziplin und Mathematik und streng rationale Vernunft ermoeglichten also Macht ueber die Natur und ueber die Leiden der Menschheit. Nicht beten sondern rechnen und konstruieren war die Forderung der Moderne. Und so wurden Mathematik und Technik mit Fortschritt und mit der erhofften baldigen Befreiung von allen Uebeln verknuepft. Noch fuer Herbert Spencer (1820-1903) und die Mehrzahl seiner europaeischen Zeitgenossen unter den Intellektuellen war diese Idee des Fortschritts kaum zweifelhaft. Die Technik der Maschinen brachte Fortschritt zum Wohlstand fuer alle und zur Vernunft. Spencer war nicht der Einzige, der damals meinte, dass es keinen groehsseren Krieg mehr geben werde, weil die Menschen sich doch ausrechnen koennten, dass ein Krieg sich nicht mehr rechnet. Der letzte Krieg, den er noch kannte, war der Deutsch-Franzoesische Krieg von 1870/71, der kurz - und an spaeteren Kriegen gemessen auch fast schmerzlos war. Als 1914 der "Grohsse Krieg" ausbrach, dachte man allgemein, er werde aehnlich verlaufen. Zu Weihnachten wollte man wieder zu Hause sein, aber ein paar Monate Rauferei als reinigendes Gewitter nach dem schwuelen Fin de Siècle empfand man ueberall in Europa im August 1914 als gute Sache.
Die Frage ist also, warum die positiven Utopien ploetzlich kurz nach dem WK-I unglaubwuerdig wurden. Eine erste, vereinfachte Erklaerung besagt, dass erstmals vielen Menschen (vorher schon einigen) zum Bewusstsein kam, dass ja auch der Krieg mit seinen Verwuestungen als vollkommen rationales Geschaeft betrieben wurde. Da ging es um Normierung und Uniformierung, um Logistik und Effizienz. Aus Voelkern wurden Kriegsmaschinen, aus Menschen wurden Nummern, und aus Gruppen von Menschen wurden "zack-zack"-Marschkolonnen. Auf einmal begriff man, dass die Technik den Menschen und nicht mehr der Mensch die Technik erfasste und definierte. Auf einmal begriff man, dass Rationalitaet nicht nur als Vernuenftigkeit, sonern auch als Un-menschlichkeit uebersetzt werden kann. Rechteck und Quadrat, Wuerfel und Quader, Kreis und Zifferblatt wurden zu neuen Symbolen einer menschenverachtenden, einer natur- und lebensfeindlichen Denkweise.
Nur muss man wieder die Paradoxie sehen : Fuer den "analen Charakter", den "Fascho" und "Stalinisten", ist ja gerade diese Geometrie das, was ihn vor den Gefahren des wuchernden Lebens schuetzt ! Quadrate und Rechtecke, "Kader" (von cadre = Rechteck einer Truppenaufstellung auf dem Kasernenhof), Nummern, Kristalle, Kreise, Kugeln - das alles ist einfach und klar. Verwirrend, und daher zu bekaempfen, sind alle Dinge, die wuchern wie das Leben : Urwald, Unkraut, Schleim, Geburt, Tentakeln, Insekten. Daher standen bei den Nazis die geometrischen Symbole und die Marschkolonnen fuer die Reinheit und Klarheit und
Entschiedenheit des Deutschtums, wogegen die Juden, weil sie einen schnellen und boshaften Witz hatten wie alle intelligenten Menschen, mit Schleim und Ungeziefer assoziiert wurden. Sie waren unverstaendlich und unberechenbar fuer die treuherzigen und braven germanischen Hillbillies, die Dummheit fuer eine Tugend hielten und Schwerfaelligkeit im Denken fuer einen Audruck von Tiefe und Wesentlichkeit, die sie der angeblich juedischen Oberflaechlichkeit entgegen stellten. Dazu passte ja auch, dass Marx, Freud, und Einstein Juden waren, lauter Verderber des gesunden Volksempfindens ! (Das wirkt jetzt ironisch gesagt, ist aber
nachweislich so gesehen worden. Vgl. ua. das Buch von Klaus Vondung : "Apokalypse in Deutschland")
Die Denkweise der Stalinisten war kaum anders. Die Truppe um Ulbricht und Honecker war genauso kleinkariert und spiessig wie die um Hitler. Ueber Streuselkuchen auf Haekeldeckchen reichte ihr Menschheitsideal nicht hinaus. "Streuselkuchen fuer alle" - das war die Idee vom vollkommenen Glueck hier wie dort. Man kann das im Einzelnen belegen.
Rationalismus gelesen als Technokratie und Buerokratie, als Standardisierung und Austauschbarkeit normierter Teile und Menschen, ist so gesehen sehr zweideutig : Er ermoeglicht auf den ersten Blick Massenwohlstand, und ist insofern etwas Gutes. Aber er ermoeglicht zugleich die Ersetzung realer Menschen, wirklicher Personen (im Sinne von Bubers "Personalismus des ich und du"), durch gesichtslose, uni-formierte (= ein-foermig gemachte) Nummern - wie sie fuer alle Dystopien so typisch sind. In dieser Form ist also der Rationalismus etwas Schlechtes und Un-menschliches.
Das ist das Kerndilemma aller "tiefen" SF : Dass die Gewinne an Macht und Massenwohlstand durch Verluste an Menschlichkeit erkauft werden. Das war die Kernthese von Heidegger, Marcuse, Adorno und vielen anderen Kulturkritikern der Moderne.
Wenn man also ueber eine "positive" Darstellung der Zukunft nachdenkt - unser Thema hier - dann muss die gedankliche und gestaltende Bearbeitung dieses Dilemmas im Zentrum stehen. Hier entscheidet sich der Wert eines Modells "guter" Zukunft. Wenn ich mich nicht taeusche, dann haben die meisten SF Romane und -Filme sich dieser Herausforderung nie gestellt, sie wohl nicht einmal gesehen. Aber ich lasse mich gerne anders informieren. Vor allem bei den weiblichen Autoren der SF gibt es wohl ein waches Gespuer fuer diese Problematik. Geburt und Schleim und Chaos der Natur sind ihnen weniger fremd als den technikverliebten Maennern und Ingenieuren. Daher auch die Idee einer Erneuerung der Vernunft durch "das Weibliche" im Rahmen der New-Age Bewegung. Die Vernunft der Natur und der Frau folgt anderen Leitwerten als die der Technik und des Mannes.
Fuer die Frage nach der guten Zukunft hat dieser dialektische Konflikt natuerlich grohsse Bedeutung, zumal er den Begriff des Fortschritts problematisiert. Fortschritt kann auch ein Zurueck zur Komplexitaet des Natuerlichen meinen, und ist insoweit mit Post- und Popmoderne in Uebereinstimmung. Loesungen, die nur technisch effizient sind, wirken dann eher veraltet und dumm. "Kluge" Loesungen fragen, was das Leben und Zusammenleben foerdert. Das ist eine andere Fragestellung als die des Ingenieurs. Die Frage nach dem guten Zusammenleben (einschliesslich annehmbarer Formen der Scheidung
) erfordert andere als nur technische Antworten. Statt Effizienz und Tempo eher Langsamkeit und Einfuehlung und ein Sinn fuer Komplexitaet, der den Schwierigkeiten des Lebens und Zusammenlebens gerecht wird.
Bearbeitet von fremowolf, 18 Dezember 2008 - 20:30.