Dann auch endlich mal meine Notizen zu den Stories:
V.Groß : Molekularmusik
Ein hochgradig innovatives Setting mit wahnsinnig kreativen Ideen.
Gerade das fand ich nicht. Ich fühlte mich von der Idee und dem Charakter des Erfinders an die Plots klassischer Autoren wie Mary Shelley, Edgar Allen Poe oder E.T.A. Hoffmann erinnert. Hab auch nicht kapiert, warum das alles auf einem fremden Planeten spielen musste.
Liest sich ganz nett, aber nicht überragend.
Niklas Peinecke : Klick, Klick, Kaleidoskop
Super-Idee, schräge Charaktere, schnoddriger Stil, irrwitzige Wendungen. Vermutlich Niklas' Beste bislang! Klasse!
Mein Highlight #1!
Birgit Erwin : Diskriminierung
Verkopft und konstruiert. Die Idee hätte sich eher für ein Essay als eine Story geeignet.
Frank Hebben : Machina
Ein stiller, fast schon melancholischer Hebben. Die Idee hat man schon dutzendmal gelesen. Trotzdem hat mich die Story gefesselt, weil Frank aus der Perspektive der mitleidenden Schwester schreibt. Ãœberzeugend und ergreifend!
Highlight #2!
Heidrun Jänchen : Wie ein Fisch im Wasser
Als die Pointe rauskam, musste ich erstmal schlucken. Heidrun liefert eine klassisch gebaute short story, die den Leser mit gemischten Gefühlen zurücklässt. Und die man so schnell nicht vergisst. Klasse!
Highlight #3!
Uwe Post : Vactor Memesis
Eine rundum "postige" Story über virtuelle Schauspieler im Streik. Es werden zwar Assoziationen mit Woody Allens "The Purple Rose of Cairo" wach, aber Uwe schafft es, sich souverän von dem Vorbild zu lösen. Exzellente Unterhaltung!
Highlight #4!
(Vielleicht ist es einfacher, die Lowlights dieser Anthologie zu markieren.)
Benedict Marco : Wie man sich ändern kann
Schöne Etüde über die Möglichkeiten und Grenzen elektronischer Manipulation menschlicher Seelen. Handwerklich gut erzählt, aber das Ende konnte mich nicht ganz befriedigen. Dennoch eine gute Story!
Ernst-Eberhard Manski : Das Klassentreffen der Weserwinzer
Großartig geschriebe Alternate-History-Story, in der Deutschland nach dem 2. Weltkrieg wieder in einen Fürstentümer-Flickenteppich zerstückelt wird. Die Schilderung der Partikularisten weckt Wilhelm-Busch-Assoziationen. Manski erweckt auf zwei Dutzend Seiten ein ganzes Panoptikum von Originalen zum Leben. Auch wenn mir die untergründige Sympathie mit den Lokalpatrioten nicht gefällt: Highlight #5!
Antje Ippensen : Knapp
Gelungene Fingerübung über die Sicherheitsmaßnahmen in Supermärkten der Zukunft. Aber die Idee ist letztlich doch etwas dünne.
Uwe Hermann : Roboter vergessen nie
Ein klassischer Hermann: Der technische Fortschritt hält nicht nur segensreiche Folgen bereit. Besonders, wenn man als Handwerks-Legastheniker den falschen Roboter-Bausatz zugeschickt bekommt. Witzig, abgedreht, schräg, mit dem hermann-typischen Loser-Protagonisten!
Highlight #6!
Arno Endler : Ebene Terminus
Ein Journalist will das Geheimnis eines modernen Jugendgefängnisses lüften.
Nette Variante klaustrophischer Horror-Szenarien, gut geschrieben, erreicht aber nicht ganz die Tiefe anderer Stories. Aber auf jeden Fall lesenswert!
Kai Riedemann : Lasset die Kinder zu mir kommen
Ein Kirchengebäude wehrt sich gegen den Abriß (?!). In die Story bin ich nie richtig reingekommen. Und enthalte mich deshalb eines Urteils.
Karina Cajo : Der Klang der Stille
Schöne Idee, konfliktreiches Setting, am Anfang auch hochspannend zu lesen. Leider flacht der Spannungsbogen gegen Ende ab und wird durch sentimentale Reden ersetzt. Schade, denn insgesamt bleibt das eine interessante und lesenswerte Geschichte.
Bernhard Schneider : Schuldfrage
Schräge Idee, nette, ironiegespickte Variation eines altbekannten Setting-Klischees (Gerichtsverhandlung), teilweise halsbrecherische Wendungen. Genial!
Highlight #7!
Christian Weis : Eiskalt
Waffenprototypen mit KI geraten außer Kontrolle und greifen einen Forschungsposten in der Arktis an. Spannend und actionreich geschrieben. Mir fehlte etwas Originalität. Dennoch: gelungen und lesenswert!
Bernd Wichmann : Rückkehr ins Meer
Weitgehend bekannte Ideen, solide und unterhaltsam geschrieben. Lesenswert, aber nicht überragend!
Arnold H. Bucher : Den Letzten frisst der Schredder
Amüsanter Dialog zweier Roboter, die in einer Fabrik ihre eigenen Nachfolgemodelle fertigen. Unterhaltsame Glosse.
Andrea Tillmanns : Der blinde Passagier
Endlich eine rundum gelunge, unterhaltsam erzählte Geschichte von Andrea! Der Reifeprozess hat sich gelohnt. Nicht nur Story und Pointe sind süß, auch die Charakterisierung der Raumschiff-Crew ist gelungen.
Highlight #8!
Armin Rößler : Der Fänger
Wie leicht hätte man bei diesem Plot ausrutschen können! Aber gerade die langwierige Suche nach der entführten Schwester an Bord des Raumschiffes ziehlt den Leser in seinen Bann. Außerdem zeigt Armin wieder einmal seine übersprudelnde Fantasie und sein Talent im Erfinden verschiedenartigster Aliens.
Highlight #9 und großartiger Abschluß einer herausragenden Anthologie!
Fazit : Nach „SF X.“ ein weiteres Feuerwerk an guten Stories, das seinesgleichen sucht. Deutsche SF der Oberklasse hat hier wieder einmal zusammengefunden und unterhält den Leser hervorragend. Bemerkenswert die Bandbreite der Geschichten, von der reinen Action-Story bis hin zur tiefsinnigen Social Fiction ist alles vertreten. Eine ganz ausgezeichnete Anthologie, die den Wegfall der „Visionen“ zumindestens in Teilen auffängt. Man kann Herausgeber und Lektoren nur zu ihrer hervorragenden Arbeit gratulieren, derartig hochwertige Bücher sind selten. Ich freue mich schon auf die nächste Story-Sammlung aus dem Wurdack-Verlag.
Dem kann ich mich voll anschließen. 9 Highlights bei 19 Stories und kein echter Ausfall - wann gibt es schon einmal solch eine Ausbeute!
Vor allem das durchgehende erzählerische Niveau aller Stories ist beeindruckend hoch.
Liebe Heidrun, lieber Armin, lieber Ernst: Bitte mehr davon!
Gruß
Ralf
Bearbeitet von ShockWaveRider, 25 Juni 2009 - 09:05.