Guy de Maupassant: Le Horla, Ein Spinoff des Todorov-Threads
#1
Geschrieben 11 Mai 2009 - 08:27
Ich mache auch dieses Mal den Anfang; ich habe Todorovs Buch gerade nicht vor mir, deshalb weiss ich nicht mehr, was er dazu sagt. Grundsätzlich haben wir auch hier wieder einen Ich-Erzähler, von dem wir nicht wissen, ob er wahnsinnig ist oder die Wahrheit erzählt. Ganz zu Beginn seiner Tagebucheinträge scheint er noch gesund und glücklich, aber sehr schnell zeigen sich Krankheitserscheinung und hysterische Zustände. Ab einem gewissen Punkt ist er vollkommen besessen von dem angeblichen unsichtbaren Horla, was schliesslich dazu führt, dass er seine Bediensteten umbringt (wenn auch nicht absichtlich). Die Tatsache, dass er zwar genau plant, wie der den Horla einsperren und töten kann, dabei aber vergisst, dass es daneben ja noch Leute im Haus hat, scheint schon darauf hinzudeuten, dass er vollkommen den Bezug zur Realität verloren hat. Allerdings bleibt auch hier wieder bis zum Schluss die Ungewissheit - ist er verrückt? Wahrscheinlich schon, aber eindeutig klären kann man es nicht.
Was meint Ihr dazu?
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
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#2
Geschrieben 11 Mai 2009 - 10:59
#3
Geschrieben 11 Mai 2009 - 14:40
#4
Geschrieben 11 Mai 2009 - 15:16
- Dr. Karel Lamonte, Atomic Scientist (Top of the Food Chain, Can 1999)
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#5
Geschrieben 11 Mai 2009 - 15:20
Signatures sagen nie die Wahrheit.
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#6
Geschrieben 11 Mai 2009 - 17:24
Das sehe ich auch so. Man könnte aber auch sagen, dass Krankheiten auf der ganzen Welt mit ähnlichen Mythen gesehen werden und nur eingebildet sind. Doch sind das alles nur Zufälle (brasilianisches Schiff, Krankheit des Dieners etc.)? Außerdem ist dann noch das Experiment mit den verschlossenen Flaschen und den eingeriebenen Lippen. Lässt sich das nur durch Schlafwandeln und Verrückheit erklären? Eher nicht.Die wesentlichen Anhaltspunkte sind die schon erwähnte Krankheit des Dieners und später der Zeitungsbericht, in Brasilien gäbe es seltsame Vampir-Attacken;
#7
Geschrieben 11 Mai 2009 - 17:34
Das Problem ist doch Folgendes: Wenn wir einmal annehmen, dass der Erzähler verrückt ist, kann grundsätzlich alles, was er beobachtet, nur eine Ausgeburt seines Wahnsinns sein. Die Experimente, die er durchführt, haben keinen Wert als Beweis, solange es keine Instanz ausserhalb des Erzählers gibt, die seine Beobachtungen bestätigt.Das sehe ich auch so. Man könnte aber auch sagen, dass Krankheiten auf der ganzen Welt mit ähnlichen Mythen gesehen werden und nur eingebildet sind. Doch sind das alles nur Zufälle (brasilianisches Schiff, Krankheit des Dieners etc.)? Außerdem ist dann noch das Experiment mit den verschlossenen Flaschen und den eingeriebenen Lippen. Lässt sich das nur durch Schlafwandeln und Verrückheit erklären? Eher nicht.
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#8
Geschrieben 11 Mai 2009 - 18:05
Ja, das habe ich weiter oben geschrieben. Er kann sich alles so zurecht legen, dass seine Vermutungen bestätigt werden. Dr. Parent spricht zudem von einem Volksglauben an das "Übernatürliche, Märchen von umherspukenden Geistern, von Feen, Gnomen Gespenstern". Dann gibt es immer noch den Bericht über die Geschehnisse in der Provinz San Paolo. Wie ist der einzuordnen? Immerhin ist das eine Beobachtung, die nicht vom Erzähler kommt.Das Problem ist doch Folgendes: Wenn wir einmal annehmen, dass der Erzähler verrückt ist, kann grundsätzlich alles, was er beobachtet, nur eine Ausgeburt seines Wahnsinns sein. Die Experimente, die er durchführt, haben keinen Wert als Beweis, solange es keine Instanz ausserhalb des Erzählers gibt, die seine Beobachtungen bestätigt.
Bearbeitet von Ulrich, 11 Mai 2009 - 18:06.
#9
Geschrieben 11 Mai 2009 - 18:24
Demnach wäre es unmöglich eine eindeutig wunderbare Geschichte von einem verrückten Ich-Erzähler zu schreiben - es könnten immer Wahnvorstellungen sein. Eine solche Geschichte würde im 'besten' Fall zur fantastischen, sonst zur unheimlichen. Ist es nicht seltsam, dass eine unheimliche Geschichte durchaus von einem verrückten Ich-Erzähler erzählt werden kann? Würden damit nicht eine Vielzahl von Lovecrafts Geschichten, bei denen der arme Investigator am Ende Wahnsinnig wird, ebenfalls zur fantastischen Geschichte? Mir ist das zu wenig. Ich denke, wenn man eindeutig wunderbare Settings akzeptiert, dann reicht der Wahnsinn des Erzählers nicht aus, dann muss es eine Spannung zwischen den Wahrnehmungen des Ich-Erzählers und denen seiner Mitmenschen geben und diese Spannung sehe ich in der endgültigen Fassung eben nicht. TheophagosDas Problem ist doch Folgendes: Wenn wir einmal annehmen, dass der Erzähler verrückt ist, kann grundsätzlich alles, was er beobachtet, nur eine Ausgeburt seines Wahnsinns sein. Die Experimente, die er durchführt, haben keinen Wert als Beweis, solange es keine Instanz ausserhalb des Erzählers gibt, die seine Beobachtungen bestätigt.
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#10
Geschrieben 11 Mai 2009 - 21:57
Ist jetzt Off-Topic: Liest man manche Texte Eugen Egners unter dem Blickwinkel, dass die Figur psychisch nicht normal ist (verrückt oder anders), dann ist das oft eine gute Erklärung der Geschichten.Todorov meint übrigens, dass der Leser die Wahrnehmungen des Erzählers auf dessen Wahnsinn zurückführen würde;
#11
Geschrieben 12 Mai 2009 - 10:47
Also, es gibt zwei Varianten: 1.) der Erzähler ist äusserlich oder 2.) treibende Kraft. Im ersten Fall kann er die Geschehnisse entweder beglaubigen oder dies nicht tun. Im ersten Fall - wenn er sie beglaubigt - wird die Erzählung überzeugender; wenn er die Eriegnisse dagegen nicht beglaubigt, sind wird versucht, das Fantastische für die Hirngespinnste eines Wahnsinnigen zu halten. Letzteres geschieht anscheinend bei der ersten Fassung von Le Horla.Die Novellen Maupassants illustrieren die unterschiedlichen Grade des Vertrauens, das wird den Erzählungen entgegenbringen. Man kann deren zwei unterscheiden, entsprechend den beiden Möglichkeiten, dass der Erzähler der Geschichte entweder äußerlich ist (außerhalb der Geschichte steht) oder eine ihrer treibenden Kräfte. Steht er außerhalb, so kann er die Reden der Person selbst beglaubigen oder nicht, und die erste Möglichkeit macht die Erzählung überzeugende (wie etwa in dem zitierten Abschnitt von Un fou?). Wenn nicht, wird der Leser versucht sein, das Fantastische aus dem Wahnsinn zu erklären - so bei La Chevelure und der ersten Fassung von Le Horla, um so mehr, als der Schauplatz der Erzählung in beiden Fällen eine Heilanstalt ist.
In seinen besten Erzählungen (Lui?, La Nauit, Le Horla, Qui sait?) macht Maupassant jedoch den Erzähler selbst zum Helden der Geschichte (das ist auch das Verfahren E. A. Poes und vieler anderer nach ihm). Der Akzent wird also auf die Tatsache gelegt, dass es sich eher um den Diskurs des Autors handelt, d.h. seinen Worten gegenüber ist Vorsicht am Platze, und wir mögen durchaus vermuten, dass alle diese Personen Verrückte sind; sind sie jedoch nicht durch einen von dem des Erzählers verschiedenen Diskurs eingeführt worden, schenken wir ihnen immer noch ein paradoxes Vertrauen. Man teilt uns nicht mit, dass der Erzähler lügt, und die Möglichkeit, dass er lügen könnte, schockiert uns irgendwie von der Struktur her. Immerhin besteht die Möglichkeit (da er ja auch Person ist) - und die Unschlüssigkeit des Lesers kann entstehen. (S. 78)
Gemäss Todorov tendiert die erste Version also zum Phantastisch-Unheimlichen, da hier die Irrenärzte als aussenstehende Instanzen die Schilderungen des Protagonisten in Frage stellen; ich habe die Version wie gesagt nicht gelesen, aber hier findet offensichtlich eine Rahmung der Ich-Erzählung statt.
Im zweiten Fall haben wir das bereits beschriebene Problem, dass es ausserhalb des Protagonisten kein Instanz gibt, die uns bei der Einschätzung des Geschehens helfen könnte; dadurch entsteht, was Todorov ein "paradoxes Vertrauen" nennt. Es mag zwar die Vermutung aufkommen, dass der Erzähler verrückt ist, wir können das aber nicht einwandfrei festmachen. Zumindest gemäss Todorov ist damit offensichtlich fantastische Unschlüssigkeit gegeben. Das "paradoxe Vertrauen" entsteht, weil die Frage danach, ob der Erzähler lügt, normalerweise eben unsinnig ist; da hier der Erzähler aber Person ist, kann er lügen, und damit sind wir in einem Paradox. Vielleicht hat er alles, was er uns erzählt, frei erfunden, nur wäre damit ja eigentlich das Prinzip der erzählenden Literatur ausgehebelt ...
Ich merke, dass ich wirklich unschlüssig (sic!) bin, wie ich dieses Beispiel einordnen soll ...
Bearbeitet von simifilm, 12 Mai 2009 - 10:51.
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#12
Geschrieben 12 Mai 2009 - 11:44
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