Matt Ruff: Bad Monkeys
#1
Geschrieben 17 Mai 2009 - 12:40
Das Buch bringt für Todorovs Theorie ein interessantes Problem; zu Beginn scheint die Sache relativ klar: Der Roman bietet zwei Versionen an: Jane Charlottes Erzählung, die immer wunderbarer wird (Geheimorganisationen, futuristische Waffen und zum Schluss Drogen, die es ermöglichen, die Gesetze der Physik zu verbiegen), und die Rationalisierungsversuche die Arztes, die darauf hinslaufen, dass Charlotte hier nur eine elaborierte Verdrängsphantasie entwickelt hat. Diese beiden Varianten laufen recht lange nebeneinander her, sind bis zu einem gewissen Grad gleichwertig. Allerdings sind Janes Ausführungen schon ziemlich unglaubwürdig, und sie hat sich in bester paranoider Weise schon für jeden Einwand eine Erklärung zurechtgelegt. Ihr Version ist absolut hermetisch, alle Argumente prallen ab, was schon eher auf eine pyschotische Weltsicht hindeutet. Soweit ist alles im Rahmen der Phantastik.
Zum Schluss geschehen dann aber mehrere seltsame Verdrehungen: Plötzlich wird klar, dass es die wunderbare Welt Janes gibt, dass alles, was sie erzählt hat, insofern wahr ist, als es ihr tatsächlich widerfahren ist. Allerdings war ein Teil davon nur Show: «Everything that has happened to since you met Robert Wise has been simulated» (225). Ein Teil der Geschichte ist also nicht wahr; somit gibt es also eine unheimliche Erklärung für Dinge wie die X-Drugs, sie existieren nämlich nicht. Aber diese unheimliche Auflösung ist gewissermassen in eine wunderbare Welt eingebettet, einer Welt, die einfach nicht ganz so wunderbar ist, wie Jane dachte. - Obwohl, die unheimliche Auflösung ist ja eigentlich auch ziemlich war, denn dass man Jane eine so aufwendige Simulation unterjubeln kann, ist ja auch nicht wirklich realistisch ...
Oder?
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
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#2
Geschrieben 17 Mai 2009 - 15:12
- Dr. Karel Lamonte, Atomic Scientist (Top of the Food Chain, Can 1999)
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#3
Geschrieben 17 Mai 2009 - 15:24
Bearbeitet von simifilm, 17 Mai 2009 - 15:27.
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#4
Geschrieben 17 Mai 2009 - 16:17
Das ist ähnlich wie mit dem Satz: "Der König von Frankreich hat 2007 den Atomausstieg gesetzlich geregelt."
Dieser Satz deckt sich aus verschiedenen Gründen nicht mit unserem Weltbild, wenn das also die Prämisse für einen Roman wäre, wäre dieser im Sinne Todorovs wunderbar - eine SF/Alternativwelt-Geschichte. Aber die einzelnen Elemente - König, Frankreich, gesetzlich geregelter Atomausstieg - sind alle möglich. Damit ist der Satz nicht per se wunderbar.
Im Umkehrschluss: Weil die X-Droge prinzipiell möglich ist, ist das Setting ein wunderbares.
Was Jane glaubt, warum Phil ihr gegenübersitzt, muss ich noch mal nachschauen, das habe ich nicht mehr präsent.
Theophagos
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#5
Geschrieben 17 Mai 2009 - 16:26
Dass das Setting wunderbar ist, bestreite ich nicht. Aber der Satz «Drugs that allow you to stop time and fly around like a martial-arts superhero? No, they dont exist» (225) scheint mir, was die X-drug betrifft, ziemlich eindeutig.Zur X-Droge: Eine Sicherheit für ihre Existenz gibt es nicht. Aber es gibt sie möglicherweise.
Das ist ähnlich wie mit dem Satz: "Der König von Frankreich hat 2007 den Atomausstieg gesetzlich geregelt."
Dieser Satz deckt sich aus verschiedenen Gründen nicht mit unserem Weltbild, wenn das also die Prämisse für einen Roman wäre, wäre dieser im Sinne Todorovs wunderbar - eine SF/Alternativwelt-Geschichte. Aber die einzelnen Elemente - König, Frankreich, gesetzlich geregelter Atomausstieg - sind alle möglich. Damit ist der Satz nicht per se wunderbar.
Im Umkehrschluss: Weil die X-Droge prinzipiell möglich ist, ist das Setting ein wunderbares.
Hier ergibt sich für mich ein Problem in der erzählerischen Logik, aber mit Todorov hat das nichts mehr zu tun.Was Jane glaubt, warum Phil ihr gegenübersitzt, muss ich noch mal nachschauen, das habe ich nicht mehr präsent.
EDIT: Hier noch zur Ergänzung: Die offizielle Situation ist ja folgende - Jane wurde von der Polizei festgenommen und wird nun von einem Psychologen verhört. Dieser Psychologe ist ihr Bruder. Erkennt sie ihn schon von Anfang an. Wahrscheinlich ja, denn im Boden hat es ja eine Waffe versteckt, um ihn zu töten. Weiss Jane also von Anfang, dass sie ihren Bruder umbringen soll? Meint sie also, dass das Ganze Ding nur eine Falle für ihren Bruder ist? Sehr wahrscheinlich ja. - Wieso aber meint sie das: Wie kann man ihr plausibel machen, dass sich ihr Bruder als Psychologe einschleichen würde, um lange Gespräche mit ihr zu führen, bei der sie mehrheitlich Dinge erzählen wird, die er ohnehin schon weiss.
Bearbeitet von simifilm, 17 Mai 2009 - 16:38.
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#6
Geschrieben 17 Mai 2009 - 17:52
Richtig, aber Jane musste erst gesagt werden, dass sie nicht existiert. Da Janes Weltsicht eben keine Wahnvorstellung ist, sondern (in der Erzähllogik) eine reale, heißt das, dass eine solche Droge nach den Gesetzen des Settings existieren könnte. Und meiner Meinung nach macht schon dieses "könnte" das Setting zu einem Wunderbaren. Edit: Ich habe noch mal drüber nachgedacht. Man könnte vielleicht ein Beispiel konstruieren, wo die Weltsicht eine Rolle spielt, ob die Geschichte Unheimlich, Fantastisch oder Wunderbar ist, das wäre aber schon sehr weit hergeholt. Letztlich ist der Punkt wohl einfach egal. Jane wusst, dass sie Phil gegenübersitzt. Auf Seite 245 der deutschen Ausgabe (das ist das letzte Kapitel, Phil will den Raum verlassen, Jane nimmt die Waffe aus dem Versteck): "Phil", sagt sie. Er blinzelt. "Soll das ein Scherz sein? Hat ... hat Dr. Chiang Sie dazu angestiftet?" "Das ist kein Scherz, Phil. Ich wünschte, es wär einer." [...] "Da draußen ist niemand, der dir helfen könnte, Phil. Das hier ist nicht das Country-Gefängnis. Du bist in einem Formikarium in der Wüste." Daraus geht eindeutig hervor, dass sie glaubte, einem Bandenmitglied ein Falle zu stellen. Es wäre zwar denkbar, dass sie nicht wusste um wen es ging und Phil erst im letzten Moment erkannte, doch das scheint mir ziemlich unwahrscheinlich. Und es ändert nichts an der Fragestellung. Warum erzählt Jane nun all das Zeug einem Mann, der das alles eh' schon weiß. Weil das ein kompliziertes Theaterstück ist. Jane glaubt, sie habe sich erfolgreich in die Organisation eingeschlichen. Sie erledigt eine Reihe von Aufträgen für die Organisation (von denen einige simuliert sind, was Jane aber nicht weiß). Schließlich wird sie geschnappt. (Hier ist mir unklar, ob sie das für Realität oder Simulation hält.) Sie wird in eine Simulation für ein Bandenmitglied - Phil - eingeschleust, das auf die Probe gestellt werden soll. Sie geht davon aus, dass das Bandenmitglied glaubt, sich ins Country-Gefängnis geschmuggelt zu haben um ein Organisationsmitglied zu töten. Entsprechend spielt sie ihre Rolle. Sieht man von der Verhaftung ab, scheint mir das klar zu gehen. TheophagosAber der Satz «Drugs that allow you to stop time and fly around like a martial-arts superhero? No, they dont exist» (225) scheint mir, was die X-drug betrifft, ziemlich eindeutig.
Bearbeitet von Theophagos, 17 Mai 2009 - 18:04.
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#7
Geschrieben 17 Mai 2009 - 22:13
Aber Janes Weltsicht, wie Du es nennst, ist teilweise entwertet. Relativ lange ist sie mehr oder weniger gleichwertig mit Phils Rationalisierungsversuchen, am Ende ist sie es aber nicht mehr. Der schon zitierte Satz «Everything that has happened to you since you met Robert Wise has been simulated» (225) hat innerhalb der Erzähllogik definitiv einen höheren Wahrheitswert als Janes subjektive Erlebnisse. Jane ist einem Schwindel aufgesessen, alles, was sie nach dem Treffen mit Wise erlebt hat, war eine Charade. Es war zwar keine Wahnvorstellung, sondern ein Schwindel, aber deswegen dennoch nicht wahr. NC guns gibt es definitiv, X-Drugs gibt es nicht.Richtig, aber Jane musste erst gesagt werden, dass sie nicht existiert. Da Janes Weltsicht eben keine Wahnvorstellung ist, sondern (in der Erzähllogik) eine reale, heißt das, dass eine solche Droge nach den Gesetzen des Settings existieren könnte. Und meiner Meinung nach macht schon dieses "könnte" das Setting zu einem Wunderbaren.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
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#8
Geschrieben 18 Mai 2009 - 01:23
Es ist, wie gesagt, letztlich wohl ziemlich egal, aber gerade weil es ein funktionierender Schwindel ist, ist das Setting wunderbar. Wenn der Schwindel nicht funktionieren würde, dann wäre es ein Hinweis darauf, dass das Setting 'bloß' unheimlich ist. Angenommen, du bist auf der Suche nach einem bestimmten Buch. Du willst es wirklich gerne haben, du musst es haben, du bist nicht sonderlich wählerisch was den Ursprung angeht. Nun findest du ein Angebot, das recht niedrig ist. Jetzt kannst du dich fragen: Ist das ein Fake oder Real? Man weiß es letztlich nicht so genau - du könntest einem Schwindler aufsitzen. Angenommen, der Händler würde dir einen Flaschengeist anbieten. Würdest du dich da ernsthaft fragen, ob das ein Schwindel sein könnte? Ich wäre felsenfest davon überzeugt, dass hier naive Menschen über den Tisch gezogen werden sollen. Ein Schwindel funktioniert nur dann, wenn prinzipiell Mögliches angeboten wird. Weil Janes Weltsicht (wenn auch nicht die Details) eine reale ist (im Rahmen der Geschichte), zeigt der funktionierende Schwindel, dass Dinge wie die X-Droge nicht prinzipiell ausgeschlossen sind, auch wenn es zufälligerweise keine X-Droge gibt. Das Setting insgesamt ist daher wunderbar. Aber wie gesagt: Da mit der Existenz der Pistolen das Setting schon eindeutig wunderbar ist, ändert die Sache nichts mehr. TheophagosEs war zwar keine Wahnvorstellung, sondern ein Schwindel, aber deswegen dennoch nicht wahr.
- Dr. Karel Lamonte, Atomic Scientist (Top of the Food Chain, Can 1999)
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#9
Geschrieben 18 Mai 2009 - 06:19
Ja, das Setting ist wunderbar, aber dadurch wird noch nicht alles möglich. Es gibt in der Welt von Bad Monkeys, nach allem, was wir wissen, ja auch keine Ausseriridschen, Vampire oder Menschen, die den Kreis quadrieren können. Wenn Dixon sagt, dass es keine X-drugs gibt, haben wir an diesem Punkt keinen Grund dazu, das nicht zu glauben.Es ist, wie gesagt, letztlich wohl ziemlich egal, aber gerade weil es ein funktionierender Schwindel ist, ist das Setting wunderbar. Wenn der Schwindel nicht funktionieren würde, dann wäre es ein Hinweis darauf, dass das Setting 'bloß' unheimlich ist.
Angenommen, du bist auf der Suche nach einem bestimmten Buch. Du willst es wirklich gerne haben, du musst es haben, du bist nicht sonderlich wählerisch was den Ursprung angeht. Nun findest du ein Angebot, das recht niedrig ist. Jetzt kannst du dich fragen: Ist das ein Fake oder Real? Man weiß es letztlich nicht so genau - du könntest einem Schwindler aufsitzen.
Angenommen, der Händler würde dir einen Flaschengeist anbieten. Würdest du dich da ernsthaft fragen, ob das ein Schwindel sein könnte? Ich wäre felsenfest davon überzeugt, dass hier naive Menschen über den Tisch gezogen werden sollen.
Ein Schwindel funktioniert nur dann, wenn prinzipiell Mögliches angeboten wird.
Weil Janes Weltsicht (wenn auch nicht die Details) eine reale ist (im Rahmen der Geschichte), zeigt der funktionierende Schwindel, dass Dinge wie die X-Droge nicht prinzipiell ausgeschlossen sind, auch wenn es zufälligerweise keine X-Droge gibt. Das Setting insgesamt ist daher wunderbar.
Aber wie gesagt: Da mit der Existenz der Pistolen das Setting schon eindeutig wunderbar ist, ändert die Sache nichts mehr.
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#10
Geschrieben 18 Mai 2009 - 15:02
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#11
Geschrieben 18 Mai 2009 - 15:22
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#12
Geschrieben 18 Mai 2009 - 19:09
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#13
Geschrieben 07 November 2009 - 15:22
Nun ist es so weit.
Nach einem Jahr Exklusivität als Beitrag für »Magira 2008« habe ich nun meinen Beitrag »Die wilden Welten von Matt Ruff« in mein Blog eingepflegt. Aufgrund der Länge aufgeteilt in †¦
†¦ Teil eins: ein persönlich gefärbter Werküberblick;
†¦ Teil zwei: Gespräch mit Matt Ruff, Februar 2008.
Viel Vergnügen.
Alex / molo
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#14
Geschrieben 25 Januar 2010 - 12:41
- • (Buch) gerade am lesen:Die Kolonie
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